Medizinische Versorgung in Haft verweigert

Einer der Verdächtigen im Mordfall des bekannten russischen Politaktivisten Boris Nemtsov hat sich über die Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung durch die Behörden sowie über andere Misshandlungen während seiner Festnahme und Inhaftierung beklagt. Dies lässt ein faires Verfahren fraglich erscheinen.

Appell an

LEITER DER ERMITTLUNGSBEHÖRDE
Aleksandr Ivanovich Bastrykin

Investigation Committee
Tekhnicheskii pereulok, dom 2
105005 Moscow
RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Chairman / Sehr geehrter Herr Bastrykin)
Fax: (00 7) 499 265 90 77 oder (00 7) 499 265 97 75

GENERALSTAATSANWALT
Yurii Yakovlevich Chaika
Prosecutor General’s Office
ul. B. Dmitrovka, dom 15a
125993 Moscow GSP- 3
RUSSISCHE FÖDERATION
(Anrede: Dear Prosecutor General / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt)
Fax: (00 7) 495 692 17 25

Sende eine Kopie an

LEITERIN DER UNTERSUCHUNGSHAFTEINRICHTUNG
Tatyana Vladimirovna Kirillova
Pre-trial detention facility FKU SIZO No. 6
ul. Shasseynaya, dom 92
109383 Moskau
RUSSISCHE FÖDERATION

BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S. E. Herrn Vladimir Grinin
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@russische-botschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 10. Juni 2015 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich bitte Sie eindringlich, Tamerlan Eskerkhanov unverzüglich Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung zu gewähren.

  • Ich fordere Sie auf, seine Misshandlungsvorwürfe vollständig, unparteiisch und wirksam zu untersuchen. Sollten diese sich als richtig herausstellen, sorgen Sie bitte dafür, dass die Verantwortlichen in einem fairen Verfahren vor Gericht gestellt werden.

  • Stellen Sie bitte sicher, dass alle Garantien für ein faires Verfahren eingehalten werden, einschließlich des Rechts auf eine angemessene Beratung durch einen Rechtsbeistand seiner Wahl während des gesamten Verfahrens.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the Russian authorities to immediately provide Tamerlan Eskerkhanov with adequate medical attention.

  • Calling on them to fully, impartially and effectively investigate his allegations of ill-treatment and, should his allegations be confirmed, bring those responsible to justice in a fair trial.

  • Calling on the Russian authorities to ensure all fair trial guarantees, including his right to be effectively advised by the lawyer of his choice during all stages of the trial.

Sachlage

Tamerlan Eskerkhanov, einer von fünf Hauptverdächtigen im Mordfall des politischen Aktivisten Boris Nemtsov, wurde am 7. März in einer Moskauer Privatwohnung von der Polizei festgenommen und inhaftiert. Er wurde am darauffolgenden Morgen auf Anweisung des Bezirksgerichts Basmanny in Untersuchungshaft genommen.

Wie Tamerlan Eskerkhanovs Anwältin Amnesty International mitteilte, wurde sie in der ersten Woche seiner Inhaftierung nicht zu ihrem Mandanten vorgelassen. Ihr zufolge haben ihm die Behörden auch die nötige medizinische Behandlung verweigert. Seit einem Unfall, der sich noch während seines Polizeidienstes 2007 ereignete, leidet er an einer Nierenfunktionsstörung und benötigt spezielle Medikamente. Die Anwältin versuchte wiederholt, Tamerlan Eskerkhanov die notwendigen Medikamente zukommen zu lassen, doch die Verwaltung der Haftanstalt ließ dies erst zwei Wochen nach der Festnahme zu. Tamerlan Eskerkhanov leidet außerdem an chronischen Steißbeinbeschwerden, die sich seit seiner Festnahme verschlimmert haben und die seiner Anwältin zufolge nun eine Operation erforderlich machen.

Aufgrund seines sich verschlechternden Gesundheitszustandes erkrankte Tamerlan Eskerkhanov während einer gerichtlichen Anhörung am 24. April und die Anhörung wurde unterbrochen. Wie seine Anwältin berichtete, bestanden die Sanitäter_innen darauf, dass er dringend behandelt werden müsse, doch der Richter entschied, die Anhörung fortzusetzen.

Tamerlan Eskerkhanov gab zudem an, dass ihm während der ersten beiden Tage nach seiner Festnahme Schlaf, Wasser und Nahrung verweigert wurden. Er sagte, dass ihm beim Transport von der Haftanstalt zum Gericht ein Angehöriger der Polizei den Bart angezündet habe, die Polizei seine Handschellen so eng befestigte, dass seine Handgelenke schmerzten, und dass man ihn und seine Frau beleidigt habe. Darüber hinaus berichtete er, dass Angehörige der Polizei ihn bei der Leibesvisitation im Gerichtsgebäude mit ihren Mobiltelefonen nackt fotografiert hätten.

Tamerlan Eskerkhanov wurde wiederholt in verschiedene Haftanstalten verlegt und befindet sich derzeit im Untersuchungsgefängnis FKU SIZO Nr. 6 in Moskau.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Boris Nemtsov, der bereits nach friedlichen Straßenprotesten im Januar 2011 als gewaltloser politischer Gefangener in "Verwaltungshaft" saß, wurde am 27. Februar 2015 im Moskauer Stadtzentrum erschossen (weitere Informationen unter: http://www.amnesty.de/2015/3/3/mord-boris-nemtsov-muss-untersucht-werden). Sein Mörder konnte unerkannt entkommen. Der russische Präsident Wladimir Putin kündigte an, den Fortschritt der Ermittlungen persönlich zu überwachen.

Im März 2015 genehmigte das Moskauer Basmanny-Gericht die Festnahme der fünf Verdächtigen Zaur Dadayev, Anzor Gubashev, Shaghid Gubashev, Khamzat Bakhayev und Tamerlan Eskerkhanov. Zwei Angehörige des öffentlichen Überwachungsausschusses, Eva Merkacheva und Andrei Babushkin, besuchten die Männer am 10. März in Haft und berichteten von Vorwürfen, nach denen Zaur Dadayev und Shaghid Gubashev gefoltert und anderweitig misshandelt worden waren. Als Reaktion auf diese Vorwürfe gab die Ermittlungsbehörde der Russischen Föderation an, die Äußerung dieser Beschuldigungen könnte eine "Beeinträchtigung der Ermittlungsarbeit mit dem Ziel der Verhinderung einer umfassenden, vollständigen und objektiven Untersuchung des Falls" darstellen. Die Tatsache, dass den beiden Menschenrechtler_innen mit einer strafrechtlichen Verfolgung gedroht wurde, lässt die Fairness der Ermittlungen fraglich erscheinen (weitere Informationen in englischer Sprache finden Sie unter https://www.amnesty.org/en/articles/news/2015/03/russian-activists-threatened-with-criminal-charges-after-raising-torture-allegations/). Das gilt auch für die Anschuldigungen wegen der Misshandlung von Verdächtigen in diesem Fall, sollten diese nicht unverzüglich, umfassend, wirksam und unparteiisch untersucht werden.