Amnesty Journal Deutschland 07. September 2015

Meister des Todes

Meister des Todes

Sturmgewehr G36

Das Rüstungsunternehmen Heckler & Koch muss sich vor dem Stuttgarter Landgericht wegen Waffenexporten nach Mexiko verantworten. Die Ausfuhr der G36-Gewehre liefert auch den Stoff für einen Spielfilm und eine Dokumentation, die am 23. September in der ARD zu sehen sind.

Von Wolf-Dieter Vogel

Den Anfang machte Jürgen Grässlin. Im April 2010 erstattete der Freiburger Friedensaktivist Anzeige gegen das Rüstungsunternehmen Heckler & Koch. Sein Vorwurf: Die Waffenbauer aus dem schwäbischen Oberndorf am Neckar haben Sturmgewehre vom Typ G36 an mexikanische Bundesstaaten geliefert, für die keine Exportgenehmigungen vorlagen. Sein Informant: ein Insider, der selbst lange Zeit bei der Schwarzwälder Firma beschäftigt war und in Mexiko Polizisten an der Waffe ausbildete. Nun gilt er als Kronzeuge in einem Verfahren, das demnächst vor dem Stuttgarter Landgericht beginnen könnte. Dass die Strafverfolger nach über fünf Jahren tatsächlich erwägen, Anklage zu ­erheben, ist vor allem dem Einsatz von Aktivisten wie Grässlin sowie einigen Journalistinnen und Journalisten zu verdanken. Ohne den ständigen öffentlichen Druck, so ist zu befürchten, ­wären die Ermittlungen im Sande verlaufen. Und so kommt auch das Amnesty-Journal ins Spiel. Denn Recherchen für das Magazin und damit ein auf die Menschenrechte gerichteter Blick spielten bei der Verfolgung des Falls eine bedeutende Rolle.

Der 12. Dezember 2011: Studenten der pädagogischen Fachschule Ayotzinapa blockieren eine Autobahn im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero. Die als rebellisch bekannten Kommilitonen fordern bessere Studienbedingungen. Polizisten greifen ein und versuchen, die jungen Männer in der Landeshauptstadt Chilpancingo von der Straße zu räumen. Eine Tankstelle geht in Flammen auf, Steine fliegen. Plötzlich fallen Schüsse. Wenig später liegen zwei der Studenten tot auf dem Asphalt, erschossen von Polizeibeamten in Uniform oder in Zivil. Genau weiß das niemand, denn die Schützen werden nie juristisch zur Verantwortung gezogen. Wie bei 98 Prozent der Verbrechen in Mexiko bleiben die Täter auch in diesem Fall straflos.

Amnesty beobachtet schon lange die schwierigen Verhältnisse in dem Bundesstaat. Bereits in den siebziger Jahren verschwanden in Guerrero Oppositionelle und auch heute werden dort regimekritische Menschen verfolgt, gefoltert und getötet. Söldner der Mafia, Polizisten und Soldaten gehen gegen Bauern und Indigene vor, die ihnen im Wege stehen. Den staatlichen Behörden vertraut kaum jemand, fast niemand erstattet Anzeige. Schließlich könnte der Beamte, der die Klage entgegennimmt, im Sold jener Kriminellen stehen, die hinter dem Angriff stecken. Für viele sind Organisationen wie das Menschenrechtszentrum Tlachinollan in Guerrero deshalb der einzige Anlaufpunkt, um ihr Recht einzuklagen. Ein halbes Jahr vor dem tödlichen Polizeieinsatz von Chilpancingo würdigt die deutsche Amnesty-Sektion diesen Einsatz und verleiht Abel Barrera, dem Leiter und Gründer des Zentrums, den Menschenrechtspreis.

Auch das Amnesty-Journal bleibt dran. Im Rahmen der Kampagne "Hände hoch für Waffenkontrolle" zur Unterstützung der Verhandlungen über den UNO-Waffenkontrollvertrag "Arms Trade Treaty" (ATT) recherchieren Journalisten und Amnesty-Experten die Hintergründe der Polizeiaktion. Das Ergebnis: An jenem 12. Dezember 2011 waren auch Sturmgewehre vom Typ G36 im Einsatz. Nach Angaben in den Ermittlungsakten hätten mindestens zwölf Polizisten die deutschen Waffen getragen, ­erklärt der Tlachinollan-Anwalt Vidulfo Rosales dem Amnesty-Journal. Einige Monate später bestätigt eine Liste des mexikanischen Verteidigungsministeriums: 1.924 der Gewehre sind in Guerrero gelandet, obwohl der Bundesstaat zu jenen vier Regionen zählt, für die die Exportbehörden wegen der schwierigen Menschenrechtslage keine Ausfuhrgenehmigung erteilt hatten. Insgesamt gelangten laut dem Dokument etwa die Hälfte von 9.652 gelieferten Schusswaffen in die "verbotenen" Bundesländer. "Besonders beunruhigend ist es, dass lokale Polizeibeamte diese gefährlichen Gewehre tragen", reagierte Abel Barrera auf die Waffenlieferungen.

Die Befürchtungen sollten sich ein weiteres Mal bestätigen. Auch beim Angriff von Kriminellen und Lokalpolizisten auf Studenten der Ayotzinapa-Fachschule am 26. September 2014 in der Stadt Iguala trugen Polizisten die schwäbischen Schusswaffen. Sechs Menschen starben vor Ort, 43 Studenten wurden verschleppt und wahrscheinlich ermordet. Vieles spricht dafür, dass die Beamten und die Killer der Mafia mit dem G36 auf ihre Opfer schossen. Mindestens 38 der Sturmgewehre wurden am Morgen nach dem Einsatz dort gefunden, wo sie nie hätten landen dürfen: im Polizeirevier von Iguala.

Nach Angaben des Rechtsanwalts Alejandro Ramos Gallegos sitzen sechs Polizisten, die das G36 trugen, wegen des Massakers in Haft. Eine Überprüfung der Seriennummern durch das Bundeswirtschaftsministerium legte offen, dass die Gewehre laut Exportpapieren in acht Bundesstaaten gingen, nicht aber nach Guerrero. Diese Papiere, mit denen die Mexikaner und Heckler & Koch gegenüber dem Bundesausfuhramt (BAfA) den rechtlich einwandfreien Verbleib der Waffen bestätigen, müssen also "geschönt" worden sein. Welche Rolle dabei die Schwarz­wälder Firma spielte, müssen die Strafverfolger klären. Offenkundig ist aber, dass kein Bafa-Beamter und auch keine Vertreterin der deutschen Botschaft jemals kontrolliert hat, wo die G36 wirklich gelandet sind. Das betrifft nicht nur Mexiko: Ob in Saudi-Arabien, Pakistan oder Libyen, niemand verfolgt, was mit exportierten deutschen Kleinwaffen, also etwa Pistolen, Gewehren oder Granaten, passiert. Die Bundesregierung will nun Kontrollen vor Ort einführen.

"Wirksame Vor-Ort-Kontrollen für deutsche Waffenexporte einführen!", forderten auch schon am 30. Juni 2015 Amnesty-Aktivistinnen und Aktivisten auf dem Münchner Filmfest. Dort stellte der Regisseur Daniel Harrich einen Politkrimi vor, der auch von Amnesty begleitet wird. Der fiktiv gehaltene Spielfilm "Meister des Todes" handelt von einem baden-württembergischen Rüstungsunternehmen, dessen Sturmgewehr illegal nach Mexiko geliefert wurde. Der Protagonist, ein exzellenter Schütze, sieht mit eigenen Augen, wie von ihm an der Waffe angelernte Polizisten in Guerrero zwei Studenten mit dem Gewehr erschießen. Dann wendet er sich an einen Friedensbewegten und wird zum Kronzeugen gegen seine ehemaligen Arbeitgeber. Im September strahlt die ARD den Spielfilm zusammen mit einer Dokumentation über den realen Fall im Abendprogramm aus. Über fünf Jahre nach der Anzeige des Pazifisten Grässlin und drei Jahre nach den Recherchen des Amnesty Journals erfährt damit ein Millionenpublikum neue Hintergründe eines Falls, der beispielhaft für die blutigen Konsequenzen der deutschen Rüstungsexportpolitik steht.

Der Autor ist Journalist und lebt in Berlin.

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