Amnesty Journal Deutschland 28. März 2013

Total global

Die deutsche Rüstungsindustrie setzt ganz auf den ­internationalen Markt. Sie verkauft nicht nur Waffen – sondern auch Know-how.

Von Hauke Friederichs

Leopard, Boxer, Dingo. Die Einkaufsliste der saudi-arabischen Regierung wird immer länger. Das Regime auf der arabischen Halbinsel will Waffen für Hunderte Millionen Euro in Deutschland ordern: Kampfpanzer, Transportpanzer und Aufklärungsfahrzeuge. Über den Stand der Verhandlungen schweigen die Rüstungsunternehmen ebenso wie die Bundesregierung, die diese Rüstungsdeals genehmigen muss. Auch darüber, welche Kompensationsgeschäfte von der saudi-arabischen Seite gefordert werden, erfahren Parlament und Öffentlichkeit nichts. Bei großen Waffendeals fordern ausländische Kunden meist, dass ihre Wirtschaft vom Rüstungseinkauf profitieren müsse: Ein Teil der bestellten Waffen wird dann beim Empfänger zusammengebaut, man schult Ingenieure und Facharbeiter oder errichtet Anlagen zur Reparatur und Instandhaltung. Wer heute Hunderte Millionen Euro bezahlt, möchte nicht nur Panzer kaufen, sondern auch lernen, wie sie hergestellt werden.

Saudi-Arabien will die moderne Kriegstechnik längst nicht mehr nur kaufen – das Königshaus baut seine eigene Industrie auf, um High-Tech-Waffen am Golf zu produzieren. Eine Fabrik für das Sturmgewehr G36 von Heckler & Koch, die mit deutscher Unterstützung hochgezogen wurde, produziert dort bereits seit 2011. Saudi-arabische Arbeiter wurden in Oberndorf am Firmensitz von Heckler & Koch ausgebildet. Experten des deutschen Gewehrbauers schulen zudem die Belegschaft in der Fabrik der "Military Industries Corporation" (MIC) in al-Kharj. Die Gewehrteile kämen zwar noch aus Deutschland, die Fabrik strebe aber eine autonome Produktion an, sagte deren Direktor Abdulassis bin Ibrahim al-Hudaithy. Im Internet pries die MIC das G36 bereits an: "Eine Holzbox enthält neun Gewehre, jedes Gewehr in einem separaten Karton." Für einen Verkauf ins Ausland benötigt das saudi-arabische Staatsunternehmen eine Genehmigung deutscher Behörden. Das Bundeswirtschaftsministerium sieht darin kein Problem: "Im genannten Fall der Lizenzproduktion der G36 hält die Bundesregierung die getroffenen Maßnahmen zur Sicherung des Endverbleibs nach derzeitigem Kenntnisstand für ausreichend."

Deutsche Rüstungsunternehmen gehören längst zu den wichtigsten Zulieferern Saudi-Arabiens. In den vergangenen Jahren exportierten die Deutschen Teile für gepanzerte Fahrzeuge, Kampfflugzeuge, Patrouillenboote, Kanonen und Feuerleiteinrichtungen nach Saudi-Arabien, aber auch Triebwerke, Panzermotoren und Herstellungsausrüstung für Gewehre. Was genau geliefert wurde, verraten die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung nicht – und die Hersteller schweigen in Deutschland traditionell zu Ausfuhren an sogenannte Drittländer außerhalb von EU und NATO.

Im Fall Saudi-Arabien treffen sich die Interessen der Rüstungsbranche, mehr Waffen zu exportieren, mit denen der Regierung Merkel, Regionalmächte "zu ertüchtigen", Sicherheitsverantwortung zu übernehmen. Die Bundesregierung scheint die enge Beziehung zu Saudi-Arabien und weiteren internationalen Kunden der heimischen Rüstungsindustrie weiter ausbauen zu wollen. Merkels Kabinett soll beim NATO-Treffen in Chicago im vergangenen Jahr den Partnern eine Liste von Staaten vorgelegt haben, die künftig leichter Rüstungsgüter erhalten könnten, wenn sie sich um die regionale Stabilität kümmern. Auf der deutschen Liste standen Saudi-Arabien, Katar, Indonesien, Algerien, Brasilien und Indien – gute und wichtige Kunden der deutschen Rüstungsbranche.

Indonesien will Kampf- und Schützenpanzer in Deutschland ordern. Die Bundesregierung hat bereits den Export von acht Panzern zu Testzwecken genehmigt. Das indonesische Verteidigungsministerium und "Rheinmetall Defence" sollen nach Informationen des britischen Fachverlags "Jane’s" auf einer Messe in Jakarta eine Absichtserklärung unterzeichnet haben, die einen Technologietransfer an die staatliche Rüstungsschmiede "PT Pindad" vorsieht. Indien bezieht Komponenten für die eigene Rüstungsfertigung aus der Bundesrepublik, darunter Teile für Panzer, kauft Raketen und Kleinwaffen. Katar interessiert sich ebenfalls für deutsche Militärfahrzeuge, ebenso Algerien.

Bereits heute gehen rund 70 Prozent der in Deutschland gefertigten Rüstungsgüter in den Export. Die Bundesrepublik liegt hinter den Vereinigten Staaten und Russland auf Platz drei der weltweit größten Rüstungsexporteure. Die deutsche Ausfuhr von Großwaffensystemen ist nach Angaben des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI zwischen 2007 und 2011 um 37 Prozent gestiegen, verglichen mit dem Zeitraum zwischen 2002 und 2006.

Mehrere große Waffenhersteller haben angekündigt, künftig noch stärker auf das Auslandsgeschäft setzen zu wollen. Mit internationalen Kooperationen, Übernahmen von Rüstungsproduzenten im Ausland sowie dem Verlegen von Fabriken in Abnehmerländer sollen die Rüstungsexporte ausgebaut werden. Deutsche Waffenproduzenten sind bereits jetzt führend als Zulieferer von Motoren und Komponenten. Getriebe von MTU und Geschütze von Rheinmetall stecken in zahlreichen Panzern weltweit, Diehl liefert Ketten und andere Firmen liefern Getriebe, Funk und Kameras. Für Technik, die sowohl in zivilen als auch in militärischen Systemen eingesetzt wird, gelten in Deutschland nicht die strengen Vorschriften des Kriegswaffenkontrollgesetzes. Auch der Export von Waffenteilen wird in der Regel weitaus lascher kontrolliert und bedarf nicht der Zustimmung der Bun­desregierung. Eine internationale Kontrolle von konventionellen Waffen existiert bisher nicht – lediglich einige Staaten melden ihre Verkaufszahlen von Großwaffensystemen an die Vereinten Nationen. Die Ausfuhr von Teilen, die im Empfängerland dann zu fertigen Waffensystemen zusammengesetzt werden, wird nicht erfasst.

Staaten wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Algerien, die Erdöl- und Erdgasvorkommen besitzen, haben im Gegensatz zu den von der Finanzkrise betroffenen NATO-Staaten momentan genügend Geld, um sich alle Rüstungswünsche zu erfüllen. Auch aufstrebende Schwellenländer wie Indien, Indonesien und Brasilien geben Milliarden für Waffen aus. "Diese kaufen nicht nur Rüstungsgüter. Vielmehr sind sie auch an Technologie und dem Aufbau eigener Rüstungskapazitäten interessiert", schreibt Bernhard Moltmann in einer Stellungnahme für den Bundestag. Der Rüstungsexperte der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) stellt zudem fest: "Über kurz oder lang werden den klassischen Rüstungsexporteuren hier neue Konkurrenten entstehen."

Auf Rüstungsmessen wie der DSEi in London präsentieren Rüstungsfirmen aus Jordanien, Pakistan und der Türkei ihre Sturmgewehre, Drohnen und gepanzerten Jeeps. Sie sind mit Nachbauten ins Waffengeschäft eingestiegen, auch dank der ­Lizenzvergabe deutscher Firmen. Lizenzgeschäfte bringen der deutschen Rüstungsindustrie Milliarden ein. Nicht nur deutsche Schusswaffen wie das Sturmgewehr G3 und die Maschinenpistole MP5 werden weltweit nachgebaut – auch an deutschen Panzern gibt es Interesse. Ein weiterer langjähriger Kunde der deutschen Rüstungsindustrie beschert dem größten deutschen Rüstungsunternehmen Rheinmetall gute Geschäfte: Algerien wird künftig den Transportpanzer Fuchs in Lizenz ­fertigen.

Von einer großen internationalen Nachfrage nach dem Fuchs 2 spricht Rheinmetall Defence. Der Transportpanzer ist seit Ende der siebziger Jahre im Einsatz. "Doch außer seiner Karosserieform haben die heutigen Füchse mit ihren 'Vorfahren' nur noch wenig gemeinsam", versichert das Unternehmen. "Kontinuierlich weiterentwickelt bieten die modernsten Versionen des amphibischen Alleskönners auf sechs Rädern ihren Besatzungen heutzutage ein besonders hohes Schutzniveau gegen Minen und Sprengfallen." Solche Werbesprüche überzeugten die algerische Regierung. Das Land sei "im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit der deutschen Industrie neuer Großkunde für den modernisierten Fuchs 2", heißt es bei Rheinmetall: Algerien kauft nicht nur 54 fertige Panzer in Deutschland, das Land erhält in "dieser von Rheinmetall langfristig angelegten Technologiepartnerschaft" auch Unterstützung beim Aufbau ­einer eigenen Fuchs-Produktion sowie ein umfangreiches Ausbildungsprogramm.

170 algerische Fach- und Führungskräfte werden in Deutschland ausgebildet. "Mit ihrem Know-how sollen sie ­anschließend auf Basis von Fahrzeugkits selbst die Transportpanzer bauen", teilt Rheinmetall mit. "Dafür wird in Algerien eine eigene Fertigung errichtet." Ab 2015 will Rheinmetall die ersten Fahrzeugkits nach Algerien ausliefern – innerhalb von zehn Jahren bis zu 1.200 Panzer. Für Rheinmetall lohnt sich der Deal gleich doppelt: Algerien wird langfristig als Kunde gebunden, und wichtige Teile sollen weiterhin von Rheinmetall zugeliefert werden.

Der Autor ist Journalist und lebt in Hamburg.

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