Amnesty Journal Iran 30. September 2011

Das Ende der Freiheit

Computerkabel auf dem Weg zur Verbrennung. Ghana, Deponie Agbogbloshie.

Computerkabel auf dem Weg zur Verbrennung. Ghana, Deponie Agbogbloshie.

Das Internet galt bislang als Hort der Freiheit. Einige Länder versuchen jedoch, es zu sperren, zu kontrollieren und einzuschränken. So richtet der Iran derzeit ein abgeschottetes "Halal-Netz" für die gesamte Nation ein. So reaktionär das klingt – auch im Westen gibt es ähnliche Ideen.

Von Thomas Lindemann

Mitte der achtziger Jahre war das Internet – in seiner damaligen Form als textbasiertes "Usenet" – erstmals an Schulen und Universitäten verfügbar. "Eine Tür zu einer neuen Welt hat sich geöffnet", schrieb voller Euphorie der amerikanische Hacker Loyd Blankenship in einem berühmten kleinen Text. Das Netz war ein Versprechen: "Das ist nun unsere Welt, die Welt der Elektronen und der Schalter, die Schönheit der Baud", heißt es in seinem Hacker-Manifest. Und über die anderen, die "Offline-Welt", schrieb er: "Ihr baut Atombomben, ihr führt Kriege."

Dieser Grundgedanke, formuliert von einem frühen Aktivisten der Online-Szene, blieb das Credo der Internetgemeinde: Die Blogger- und Aktivistenszene versteht das Netz bis heute im Wesentlichen als einen Ort der Freiheit und Gleichheit.
2011 könnte als ein Jahr des Rückschlags für diese Idee in die Geschichte eingehen: Zwar war bei den jüngsten Revolten in Ägypten, Libyen, Tunesien und Syrien immer wieder davon die Rede, wie das Internet und vor allem Dienste wie Twitter und Facebook den Aufständischen dabei halfen, sich zu organisieren. Aber auch davon, dass die jeweiligen Herrscher das Internet schlicht abschalten wollten: So sprach sich der libysche Machthaber al-Gaddafi im Februar gegen Facebook aus und drohte Nutzern mit Gefängnisstrafen. Kontrollieren konnte sein Apparat dies jedoch nicht – eine technische Sperre gibt es in Libyen überhaupt nicht.

Eine solche zu errichten, ist aber durchaus möglich – in China wird dies bereits praktiziert. Nun macht sich der Iran als erstes Land daran, ein eigenes nationales Internet aufzubauen. Das sogenannte "Halal-Netz" soll komplett frei sein von oppositionellen Gedanken und allen Inhalten, die der offiziellen Auslegung des Islams widersprechen.

Im April sprach der stellvertretende iranische Wirtschaftsminister Ali Aghamohammadi erstmals offen über die Einführung des Halal-Netzes. Das arabische Wort "halal" bedeutet "zulässig" oder "erlaubt", im Zusammenhang mit dem Internet ist damit "islamkonform" gemeint. Ein wesentliches Merkmal des Internets, wie wir es kennen, wäre damit ausgeschaltet – seine Offenheit. Im Halal-Netz gibt es keine Nacktheit und keine Popmusik, Frauen sind verhüllt, Islamkritik nicht vorhanden. Die Regierung hätte zudem alle Möglichkeiten der Kontrolle. Das wäre der Schlussstrich unter alle Web-2.0-Visionen für demokratische Aufstände.

"Das Internet ist ja kein virtueller Raum, der automatisch überall ist, auch wenn sich das viele derzeit so vorstellen", sagt der Berliner Technikphilosoph Sandro Gaycken. "Man braucht dafür Kabel und Computer – das vergessen wir gern." In China wird die technische Kontrolle des Internets längst praktiziert. Der gesamte Internetverkehr, das heißt alle ein- und ausgehenden Daten, laufen über vier große Gateways. Die gigantischen Server-Stationen werden vom Militär überwacht. Auf diese Weise ist es tatsächlich möglich, ein ganzes Land vom restlichen Internet abzuschotten.

Im Iran gibt man sich seit dem Amtsantritt von Präsident Ahmadinedschad gern modern. Daher heißt es offiziell, man wolle sich durch dieses nationale Netz gegen Cyberangriffe schützen. In den vergangenen Jahren hat es offenbar Attacken des "Stuxnet"-Wurms gegeben, die sich gegen die Urananreicherungsanlage in Natans und das AKW in Bushehr richteten. Doch betont der iranische Geheimdienst in seinen Erklärungen stets, man habe alle Viren unschädlich machen können.

Der Iran gehört schon heute zu den Ländern, die das Internet am stärksten zensieren. Im aktuellen Bericht "Freedom of the Net" der US-Organisation "Freedom House" belegt das Land den letzten Platz. Neu ist, dass der Cyberwar als Argument für die Einschränkung von Freiheitsrechten herangezogen wird. Durch ein nationales Netz kann die staatliche Kontrolle über die oppositionellen Bewegungen ausgeweitet werden. Die Maßnahmen dürften sich vor allem gegen die grüne Bewegung richten, die nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2009 entstand und von der Regierung gewaltsam niedergeschlagen wurde. Bei der Organisation der Proteste spielte das Internet damals eine wichtige Rolle. Die Machthaber reagierten darauf, indem sie zahlreiche Internetaktivisten festnahmen, viele von ihnen sitzen noch heute in Haft.

Nach dem Willen der iranischen Führung soll das Halal-Netz zunächst parallel zum globalen Internet laufen, um es später an dessen Stelle treten zu lassen. Banken, staatliche Behörden und große Unternehmen sollen jedoch auch weiterhin Zugang zum weltweiten Internet haben – dahinter dürften wirtschaftliche Erwägungen stecken. Im August begann der Probebetrieb. Anfang 2012 soll das Halal-Netz samt einer eigenen Suchmaschine namens "Ya Haq" für den Verbraucher verfügbar sein und wesentlich weniger kosten als das normale Internet. Sogar ein eigenes iranisches Betriebssystem ist vorgesehen, um von den US-Produkten Windows und Mac OS unabhängig zu sein.

Das Vorgehen in China und im Iran macht Schule: So blockiert der usbekische Internetanbieter "Uzpak" seit August einen Großteil der russischen Medien, die der usbekischen Bevölkerung als Hauptinformationsquelle dienen. Zuvor wurden bereits Exilmedien und Radiosender blockiert, die Zentralasien als Schwerpunkt haben und in den entsprechenden Sprachen senden, wie Radio Free Europe, Deutsche Welle oder BBC. Es wundert daher nicht, dass Usbekistan auf der Liste der Pressefreiheit, die jährlich von "Reporter ohne Grenzen" erstellt wird, einen der hintersten Plätze einnimmt.

Die Kritik der Internetaktivisten richtet sich auch gegen die Türkei: Dort will Ministerpräsident Erdoğan einen Internetfilter einführen. Den Plänen zufolge wählen Nutzer dann eine von vier Einschränkungsstufen, wenn sie online gehen: "Kinder" ist die restriktivste, "Standard" die lockerste. Aber ein völlig ungefiltertes Web gewährt auch die Türkei nicht. So werden einzelne Begriffe blockiert, darunter etwa "Geständnis", aber auch englische Wörter wie "hot", die auf Pornographie hindeuten. Schon lange sind Tausende Seiten in dem Land gesperrt, davon betroffen war zum Beispiel jahrelang das komplette YouTube-Angebot.

Selbst die westliche Welt ist von Kontrollen weniger weit entfernt als man meinen könnte. So denkt etwa der britische Premierminister Cameron als Reaktion auf die Unruhen in Großbritannien über die Kontrolle sozialer Netze wie Facebook nach. Und US-Außenministerin Clinton kritisierte zwar im August die Zensurmaßnahmen im Nahen Osten. Mit seinen Möglichkeiten, sich auszudrücken und zu treffen, biete das Internet "die Freiheit, sich zu verbinden", sagte Clinton. Doch auch ihr eigenes Land bekommt die Cyberspionage nicht in den Griff, weshalb auch in den USA immer wieder Forderungen nach einem nationalen, abgeschotteten Internet laut werden.
"Überlegungen dieser Art gibt es zurzeit in vielen Ländern", erklärt Gaycken. Er hat in den USA gerade regierungsnahe Kreise in Sicherheitsfragen beraten. "Es fällt immer mehr Staaten auf, dass sie die dem Internet grundsätzlich eingeschriebene Internationalität regulativ nicht in den Griff bekommen."

Dies kann auch ganz banale Auswirkungen haben. Der deutsche Nutzer spürt dies zum Beispiel, wenn er auf YouTube ein Musikvideo ansehen will. Viele sind hierzulande gesperrt, da die USA mit den Musikkonzernen eine Regelung bezüglich der Urheberrechte getroffen haben, Deutschland aber nicht. Drastischer ist der Anstieg der Internet-Spionage. Zuletzt gab sogar der Bundesnachrichtendienst eine Sicherheitslücke zu. Ein Mitarbeiter hatte online Pornos angesehen und dadurch das Netz des deutschen Geheimdienstes geöffnet.

"Kritische Informationen gehören nicht ins Netz", sagt Gaycken, einer der Mitautoren des Buches "1984.exe", das sich mit Überwachungstechnologien befasst. Das Netz sei eben nicht per se ein Ort der Freiheit. Länder wie China und der Iran zeigen, dass die Idee der ersten Netz-Aktivisten von Freiheit und Gleichheit nicht grundsätzlich mit dem Internet als solchem verbunden ist. Offenbar muss man für die Freiheit kämpfen, egal ob online oder offline.

Der Autor ist Kulturjournalist und lebt in Berlin.

Weitere Artikel