Amnesty Journal Vereinigte Staaten von Amerika 05. Oktober 2009

Im Zweifel gegen den Angeklagten

Im US-Bundesstaat Texas werden immer wieder Unschul­dige zum Tode verurteilt, weil sie von inkompetenten Pflichtverteidigern vertreten werden.

In einer schönen Gegend mit weitläufigen Feldern, rund hundert Kilometer nordwestlich von Houston, liegt Huntsville, auch bekannt als "The Prison City". In der Stadt und ihrer Umgebung gibt es sieben große Haftanstalten mit insgesamt 15.000 Gefangenen. Inmitten des Ortes steht Texas’ ältestes Gefängnis, das 1849 in Betrieb genommen wurde und wegen seiner hohen massiven Mauern "The Walls" genannt wird. Die Haftanstalt hat international traurige Berühmtheit erlangt wegen eines kleinen Backsteingebäudes auf ihrem Gelände: Darin befindet sich die Hinrichtungskammer des Staates Texas. Seit 1982 wurden hier 439 Menschen durch eine Giftinjektion exekutiert. So viele wie in keinem anderen US-Bundesstaat.

Einer von ihnen war Cameron Todd Willingham. Er war 2004 wegen Brandstiftung und Mordes an seinen drei Kindern hingerichtet worden. Anfang September kam eine neue Untersuchung zu dem Ergenis, dass Willingham das Feuer in seiner Wohnung, in dem seine drei Kinder umkamen, nicht gelegt hatte. Die Brandursache war vermutlich ein technischer Defekt. Willingham hatte bis zuletzt seine Unschuld beteuert.
In Texas kommt es immer wieder zu Hinrichtungen, bei denen erhebliche Zweifel an der Schuld der Verurteilten bestehen. Oft wurde ihnen die Gleichgültigkeit und Inkompetenz ihres Pflichtverteidigers zum Verhängnis. So wie Gary Graham.

Der damals 17-Jährige war 1981 angeklagt worden, auf dem Parkplatz eines Supermarktes in Houston einen Mann erschossen zu haben. Es gab sieben Augenzeugen, von denen vier den Täter nicht genau beschreiben konnten und zwei weitere aussagten, dass Graham mit Sicherheit nicht der Täter sei. Lediglich eine Zeugin identifizierte Graham als Täter.

Graham hatte vier Zeugen für sein Alibi, und die ballistische Untersuchung ergab, dass die tödliche Kugel nicht aus seiner Pistole abgefeuert worden war. Sein Pflichtverteidiger war jedoch von der Schuld seines Mandanten überzeugt. Er lud weder die Entlastungszeugen noch die Alibizeugen vor. Und er informierte die Jury auch nicht darüber, dass Grahams Pistole nicht die Mordwaffe sein konnte. Wegen der Aussage der einen Zeugin wurde Graham schuldig gesprochen. Nachdem er 19 Jahre in der Todeszelle gesessen hatte, wurde er trotz internationaler Proteste – auch von Amnesty – am 23. Juni 2000 hingerichtet.

Fälle wie dieser sind typisch für das texanische Rechtssystem, das seit Jahren als unfair kritisiert wird. Über 90 Prozent der von der Todesstrafe bedrohten Angeklagten sind arme Weiße oder Afroamerikaner, die sich keinen guten Anwalt leisten können. Sie sind daher auf Pflichtverteidiger angewiesen, die vom Richter des jeweiligen Bezirksgerichts benannt werden. Diese bestimmen nicht nur den Pflichtverteidiger, sondern auch die Höhe seines Budgets. In der Regel stehen für Honorar und Nachforschungen 25.000 Dollar zur Verfügung. Zum Vergleich: renommierte Anwälte verlangen bis zu 200.000 Dollar, um solch einen Fall zu übernehmen. Die Wahl der Richter fällt häufig auf unerfahrene Anwälte oder auf solche, die durch Gleichgültigkeit aufgefallen sind.

Die Staatsanwaltschaft verfügt über wesentlich mehr Geld als die Verteidigung und greift zudem oft auf zweifelhafte Methoden zurück, um einen Prozess zu gewinnen. Sie schaltet beispielsweise einen Hauptzeugen der Verteidigung aus, indem sie zu verstehen gibt, dass er selbst angeklagt werde, falls er aussagen würde. Dass sich an diesem ungerechten und fehlerhaften System in naher Zukunft etwas ändert, ist unwahrscheinlich.

Zur Zeit sitzen in den texanischen Todestrakten 328 Männer und zehn Frauen, die befürchten müssen, als nächste in die Hinrichtungskammer in Huntsville gebracht zu werden.

Von Arne Gravesen.
Der Autor ist freier Journalist und lebt in Dänemark.

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