Aktuell Russische Föderation 04. September 2014

Russische NGO als "ausländischer Agent" diffamiert

Der Kreml möchte Kritiker mundtot machen, die von einer aktiven Rolle Russlands im Ukrainekonflikt sprechen

Der Kreml möchte Kritiker mundtot machen, die von einer aktiven Rolle Russlands im Ukrainekonflikt sprechen

29. August 2014 - Erneut wurden zwei russische Nichtregierungsorganisationen (NGO) durch offizielle Registrierung als "ausländische Agenten" diffamiert. Neben dem "Institute for the Development of Freedom of Information" hat es nun auch die in Russland bekannte Organisation "Soldatenmütter St. Petersburg" getroffen. Anlass war die öffentlichen Äußerung der Vorsitzenden der NGO über mögliche Todesfälle russischer Soldaten in der Ukraine. Seitdem das Justizministerium nach einer Gesetzesänderung Anfang dieses Jahres selbst dazu befugt ist, die Registrierungen vorzunehmen, wurden zwölf unabhängige NGOs gegen ihren Willen in das Register aufgenommen.

Am 28. August hat das russische Justizministerium die NGO "Soldatenmütter St. Petersburg" in das Register für "ausländische Agenten" eingetragen, das auf dem "Agentengesetz" von 2012 basiert. Am selben Tag wurde zudem eine weitere NGO, das "Institute for the Development of Freedom of Information" (Institut für die Entwicklung der Informationsfreiheit), das ebenfalls für seine kritischen Äußerungen bekannt ist, als "ausländischer Agent" registriert.

Auslöser für die Registrierung der "Soldatenmütter St. Petersburg" war eine öffentliche Rede von Ella Poljakowa, der Vorsitzenden der NGO, in der sie sich zu den offenbar zahlreichen Todesfällen russischer Soldaten im Kampf gegen ukrainische Streitkräfte geäußert hatte. Zuvor hatte die Organisation eine Liste über angeblich mehrere hundert gefallene und dreihundert weitere verwundete russische Soldaten in der Ukraine erhalten und eine umgehende Prüfung der Angaben gefordert. Der Kreml bestreitet derweil sowohl Streitkräfte in die Ukraine geschickt zu haben als auch eine generelle Beteiligung Russlands an dem "inländischen ukrainischen Konflikt".

Die deutsche Sektion von Amnesty International hat bereits seit Mitte der neunziger Jahre Kontakt zu der NGO. Ella Poljakowa war 1997 Gast auf der Jahresversammlung der Sektion in Berlin.

Sergei Nikitin, Direktor des Büros von Amnesty International in Moskau, kommentierte den Vorfall folgendermaßen: "Der Zeitpunkt der Entscheidung zeigt, dass der Kreml entschlossen ist, Kritiker mundtot zu machen und jede Information über eine aktive Rolle Russlands im Ukrainekonflikt genau im Auge zu behalten – obwohl es dafür von Tag zu Tag mehr Beweise gibt. Die Botschaft lautet: Wag' es nicht, darüber zu reden – sonst drohen schwere Repressalien."

NGO wurde bei täglicher Arbeit behindert

Poljakowa bestätigte derweil, dass ihre Organisation während des letzten Jahres zahlreichen Kontrollen ausgesetzt war, die die tägliche Arbeit der NGO sichtlich behinderten. "Unser öffentlicher Aufruf zur Untersuchung der Todesfälle hat das Fass vermutlich zum Überlaufen gebracht und dazu geführt, dass wir auf die 'Agentenliste' gesetzt wurden", so Poljakowa. "Soldatenmütter St. Petersburg" hält die Entscheidung für gesetzeswidrig und will sie vor Gericht anfechten.

Poljakowa beharrt darauf, dass die NGO keine finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalte. Laut "Agentengesetz" gehört dies nämlich zu den offiziell festgelegten Merkmalen eines "ausländischen Agenten". Ein weiteres Merkmal ist die Teilnahme an politischen Aktivitäten. Die politischen Aktivitäten von "Soldatenmütter St. Petersburg" bestehen der Regierung zufolge im Beeinflussen der öffentlichen Meinung über Publikationen und Seminare.

Nach Auffassung von Amnesty International dient die Bezeichnung von zivilgesellschaftlichen Organisationen als "ausländische Agenten" dazu, sie in der öffentlichen Wahrnehmung bewusst in die Nähe von Spionen zu rücken – eine Strategie der russischen Regierung, jegliche Informationen über ihre militärischen Aktionen in der Ukraine gezielt zu unterdrücken.

Russlands sogenanntes "Agentengesetz" wurde im Juni 2012 verabschiedet und trat im November 2012 in Kraft. Anfang des Jahres wurde es dahingehend geändert, dass das Justizministerium die NGOs nun auch ohne ihre Zustimmung und ohne langatmige Gerichtsverfahren – wie es bis zuletzt der Fall war – registrieren kann.

Hunderte NGOs in Russland haben seit Erlass des Gesetzes unangekündigte "Inspektionen" über sich ergehen lassen müssen; etliche mussten ein hohes Bußgeld bezahlen, weil sie die Registrierung verweigerten, andere wurden gezwungen, die Arbeit niederzulegen. Inzwischen sind es zwölf unabhängige NGOs, die innerhalb von weniger als drei Monaten gegen ihren Willen in das Register "ausländischer Agenten" eingetragen worden.

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Weitere Informationen zum "Agentengesetz" finden Sie hier

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