Aktuell Ägypten 09. Oktober 2013

Ägypten: Christen werden zu Sündenböcken nach Auflösung der pro-Mursi Sitzstreiks

Zerstörte koptische Kirche in Ägypten

Zerstörte koptische Kirche in Ägypten

09. Oktober 2013 – Ein detaillierter Bericht über die Attacken auf Einrichtungen der koptischen Christen im August enthüllt das Versagen des Sicherheitsapparates, Minderheiten zu schützen. Der neue Bericht untersucht die Ereignisse während der beispiellosen Welle konfessioneller Attacken infolge der Auflösung zweier pro-Mursi Sitzstreiks am 14. August. Amnesty dokumentiert, wie Sicherheitskräfte versagten, christliche Kirchen, Schulen und Wohltätigkeitseinrichtungen vor den Angriffen des wütenden Mobs zu schützen. Im ganzen Land wurden mindestens vier Menschen getötet und mehr als 200 in christlichem Besitz befindliche Immobilien wurden attackiert, 43 Kirchen wurden ernsthaft beschädigt.

Amnesty International besuchte Schauplätze der konfessionellen Gewalt in Al-Minya, Fayoum sowie Kairo und Umgebung und sprach mit Augenzeugen, lokalen Regierungsvertretern und religiösen Führern. Nach Angaben von Anwohnern hätten Gruppen wütender Männer bewaffnet mit Schusswaffen, Metallstangen und Messern Kirchen und christliche Einrichtungen geplündert. Viele skandierten "Gott ist groß" oder benutzten abwertende Begriffe wie "ihr christlichen Hunde", als sie ihre Attacken begannen. Historische und religiöse Relikte wurden geschändet. Die Angreifer sprühten Gaffitis an die Wände mit Slogans wie "Mursi ist mein Präsident" und "Sie töteten unsere Brüder während des Gebets". Diese Äußerungen lassen wenig Zweifel an der konfessionell bedingten Natur der Attacken und verknüpfen die Ereignisse mit dem harten Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Mursi-Unterstützer in Kairo. Den Attacken sind häufig Aufstachelungen in lokalen Moscheen und durch religiöse Führer vorausgegangen.

"Es ist zutiefst beunruhigend, dass die christliche Gemeinschaft in ganz Ägypten von einigen Unterstützern des abgesetzten Präsidenten Mohamed Mursi ausgewählt wurde, um für Racheaktionen für die Ereignisse in Kairo herzuhalten", sagte Hassiba Hadj Sahraoui stellvertretende Direktorin der Abteilung für den Mittleren Osten und Nordafrika. "Angesichts der Tatsache, dass diese Attacken als Vergeltung für das harte Vorgehen gegen pro-Mursi Sitzstreiks ausgeführt wurden, äußerte sich die Führung der Muslimbruderschaft zu spät und zu ausweichend zu den Angriffen, indem sie Schlägertrupps für die Attacken verantwortlich machte," sagte Hadj Sahraoui. "Sie müssen solche Taten ihrer Unterstützer unmissverständlich verurteilen und sie dazu drängen, religiös motivierte Attacken und konfessionell-abwertenden Sprachgebrauch sofort zu beenden."

Amnesty International fordert die ägyptischen Behörden auf, eine unparteiische und unabhängige Untersuchung zu diesen religiös motivierten Attacken durchzuführen und sofortige Schritte einzuleiten, um solche Angriffe in Zukunft zu verhindern. Es muss eine umfassende Strategie implementiert werden, um die Diskriminierung gegen religiöse Minderheiten zu beenden. Diskriminierende Gesetze müssen aufgehoben werden. "Jede Untersuchung muss auch die Rolle der Sicherheitskräfte überprüfen, denn manche Vorfälle dauerten Stunden und wiederholten sich an aufeinanderfolgenden Tagen", sagte Hassiba Hadj Sahraoui. "Warum waren die Sicherheitskräfte unfähig, diese Attacken zu verhindern und sie zu beenden?"

"Das wiederholte Versagen der ägyptischen Behörden, die Verantwortlichen für diese konfessionellen Attacken vor Gericht zu bringen, ist eine Botschaft an die Täter, dass Kopten und andere religiöse Minderheiten Freiwild seien. Die ägyptische Regierung muss unmissverständlich klar machen, dass religiöse motivierte Angriffe nicht toleriert werden", sagte Hassiba Hadj Sahraoui.

Zweiter Jahrestag der Maspero-Proteste vom Oktober 2011

Die Veröffentlichung dieses Berichts fällt mit dem zweiten Jahrestag der blutigen Niederschlagung der so genannten Maspero-Proteste vom 9. Oktober 2011 zusammen, bei der 26 koptische Protestierende und ein Muslim getötet wurden. Auch hier wurde das Vorgehen der Sicherheitskräfte nicht transparent und unabhängig untersucht, die meisten Verantwortlichen wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Lediglich drei Soldaten niederen Ranges wurden wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe zwischen zwei und drei Jahren verurteilt.

"Versöhnungssitzungen" - die bevorzugte Methode der ägyptischen Behörden, um konfessionelle Auseinandersetzungen zu lösen – haben bisher nur das Gefühl der Ungerechtigkeit unter den Minderheiten bekräftigt. Die Täter kommen dabei straffrei davon. Stattdessen müssen effektive Maßnahmen zum Schutz religiöser Minderheiten und deren Rechte eingeleitet werden.

"Die verbale Verurteilung muss durch konkrete Schutzmaßnahmen für religiöse Minderheiten unterstützt werden. Der Staat muss eine vollständige Wiedergutmachung, inklusive finanzieller Entschädigung, für die Opfer religiös motivierter Attacken sicherstellen. Dem Wiederaufbau von Gotteshäusern muss Vorrang eingeräumt und gesetzliche Hindernisse zum Bau von Kirchen müssen sofort zurückgenommen werden", forderte Hadj Sahraoui.

Lesen Sie hier den Amnesty-Bericht "Egypt: 'How long are we going to live in this injustice?’: Egypt’s Christians caught between sectarian attacks and state inaction"

Weitere Artikel