Bewohnerin eines Notlagers getötet

Provisorisches Camp in Delmas, Port-au-Prince 2010

Provisorisches Camp in Delmas, Port-au-Prince 2010

Von der Gemeindebehörde beauftragte Männer haben in der Nähe eines Notlagers für Binnenflüchtlinge in Port-au-Prince Schüsse abgefeuert, um Straßenverkäufer_innen zu vertreiben. Dabei ist eine Bewohnerin des Lagers getötet worden, zwei weitere wurden nach einer Demonstration von Polizeibeamt_innen verletzt. Die Menschen im Notlager befürchten weitere Gewalttaten durch die Gemeindebehörde und die Polizei.

Appell an

BÜRGERMEISTER VON DELMAS
Wilson Jeudy
Mairie de Delmas
Delmas 33, Rue Charbonière #69
Port-au-Prince
HAITI
(Anrede: Monsieur le Maire / Dear Mayor / Sehr geehrter Herr Bürgermeister)
E-Mail: mairiedelmas509@hotmail.com oder
mairiedelmas509@gmail.com

GENERALINSPEKTEUR DER HAITIANISCHEN POLIZEI
Ralph Stanley Jean Brice
Inspection Générale de la Police Nationale d’Haiti
Delmas 2, route de Delmas
Port-au-Prince
HAITI
(Anrede: Monsieur l’Inspecteur général / Dear General Inspector / Sehr geehrter Herr Generalinspekteur)
E-Mail: jbriceralph@yahoo.fr

MINISTERIN FÜR MENSCHENRECHTE UND DIE BEKÄMPFUNG VON ARMUT
Roseanne Auguste
33, Boulevard Harry Truman
Port-au-Prince,
HAITI
(Anrede: Madame la Ministre / Dear Minister / Sehr geehrte Frau Ministerin)
E-Mail: roseanne.auguste@primature.ht

Sende eine Kopie an

BOTSCHAFT DER REPUBLIK HAITI
Herrn Patrick Saint Hilaire
Geschäftsträger a.i., Botschaftsrat
Uhlandstraße 14
10623 Berlin
Fax: 030-8862 4279
E-Mail: amb.allemagne@diplomatie.ht

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Französisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 12. November 2014 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte führen Sie sofort eine unabhängige Untersuchung zu der Tötung von Carline Jean und den Verletzungen von zwei weiteren Bewohner_innen des Vertriebenenlagers durch. Veröffentlichen Sie die Ergebnisse dieser Ermittlungen und stellen Sie die Verantwortlichen vor Gericht.

  • Ich bin sehr besorgt über den Einsatz von Schusswaffen durch die Straßenkontrollbrigade von Delmas und die exzessive Gewalt, mit der die Polizei vorgegangen sein soll.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Calling on the authorities to immediately and independently investigate the killing of Carline Jean and the injuries suffered by two other camp residents, to make the results public and to bring those found responsible to justice.

  • Expressing concern for the use of firearms by members of the Delmas’ Streets Control Brigade and for the alleged excessive use of force by the police.

Sachlage

Am 26. September haben bewaffnete Angehörige der Straßenkontrollbrigade von Delmas (Brigade de Contrôle des Rues – BRICOR) versucht, Verkäufer_innen von einer öffentlichen Straße zu vertreiben. Die Männer und Frauen hatten Waren in dem Bereich neben dem Vertriebenenlager "Acra Adoquin Delmas 33" in der Gemeinde Delmas angeboten, die zum Großraum der Hauptstadt Port-au-Prince gehört. In dem Lager sind tausende Menschen untergekommen, die infolge des Erdbebens vom Januar 2010 obdachlos geworden waren.

Als die Straßenverkäufer_innen Widerstand leisteten, begannen die Angehörigen der Straßenkontrollbrigade wahllos Schüsse abzufeuern. Eine Kugel traf dabei Carline Jean, eine Bewohnerin des Vertriebenenlagers und Mutter von sechs kleinen Kindern. Sie starb noch vor Ort an ihrer Schussverletzung. Nach diesem gewaltsamen Vorfall versammelten sich die Bewohner_innen des Lagers zu einem Protest. Dieser wurde nach Angaben von Angehörigen des Lagerkomitees von der Polizei unter Einsatz von Tränengas und scharfer Munition aufgelöst. Eine weitere Frau, Janvier Cloraine, und ein einjähriges Kind, Vilon Guery, sollen dabei Schussverletzungen erlitten haben.
Laut Angaben der Internationalen Organisation für Migration leben mehr als 15.000 Menschen in dem Vertriebenenlager "Acra Adoquin Delmas 33". Die Bewohner_innen des Lagers befürchten, dass es bei ähnlichen Einsätzen der Gemeindebehörde und der Polizei zu weiteren Gewalttaten kommen könnte.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Im April 2013 wurde den Bewohner_innen des Vertriebenenlagers "Acra Adoquin Delmas 33" mit Zwangsräumung gedroht und ein Brandanschlag auf das Lager verübt. In der Folge blockierten die Lagerbewohner_innen bei einem Protest eine Straße, woraufhin Beamt_innen der Polizeistation Delmas 33 zwei Demonstranten festnahmen. Einen der beiden, Civil Merius, schlugen sie so brutal zusammen, dass er noch in Polizeigewahrsam an den Folgen seiner Verletzungen starb. Der andere Mann, Darlin Lexima, wurde am nächsten Nachmittag ohne Anklage wieder freigelassen. Er sagte Amnesty International, dass man ihn ebenfalls in Polizeigewahrsam geschlagen habe.
Weitere Informationen zu diesem Vorfall finden Sie in UA-098/2013 unter https://www.amnesty.de/urgent-action/ua-098-2013/drohende-zwangsraeumung. Trotz einer von der haitianischen Menschenrechtsorganisation Defenseurs des Opprimés ("Verteidiger_innen der Unterdrückten") eingereichten gerichtlichen Beschwerde und zahlreicher Appelle von Amnesty International gibt es bisher keinerlei Hinweise darauf, dass eine gerichtliche Untersuchung zu diesen Fällen eingeleitet worden ist. Ende August erklärte der Generalinspekteur der haitianischen Polizei Delegierten von Amnesty International, dass die polizeiinternen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien.

Laut der Internationalen Organisation für Migration umfassten die Notlager in Haiti Ende Juli 2014 noch immer 28.134 Haushalte, bzw. 103.565 Personen, die seit dem schweren Erdbeben vom 12. Januar 2010 in behelfsmäßig errichteten Unterkünften lebten. Das Erdbeben hatte mehr als 200.000 Tote gefordert und etwa 2,3 Millionen Menschen obdachlos zurückgelassen.

Mehr als 16.000 Binnenflüchtlinge, die in Notlagern untergekommen waren, sind bisher Opfer von Zwangsräumungen geworden. Amnesty International hat zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen die Straßenkontrollbrigade von Delmas (Brigade de Contrôle des Rues, BRICOR) an Zwangsräumungen im Bezirk Delmas beteiligt war.