Hinrichtungsaufschub

Brief aus Todestrackt im Iran gibt seltenen Einblick in die letzten Jahre eines zum Tode verurteilten

Brief aus Todestrackt im Iran gibt seltenen Einblick in die letzten Jahre eines zum Tode verurteilten

Die Hinrichtung des zum Tatzeitpunkt minderjährigen Straftäters Salar Shadizadi wurde erneut aufgeschoben, um Bemühungen, eine Begnadigung von der Familie des Opfers zu erwirken, zu ermöglichen. Er befindet sich weiterhin in Gefahr, da die Behörden ihm nach wie vor keine faire Neuverhandlung unter Anwendung des Jugendstrafrechts und ohne Rückgriff auf die Todesstrafe gewähren.

Appell an

RELIGIONSFÜHRER
Ayatollah Sayed 'Ali Khamenei
Islamic Republic Street –
End of Shahid Keshvar Doust Street
Tehran, IRAN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
E-Mail: über die Webseite http://www.leader.ir/langs/en/index.php?p=letter
Twitter: @khamenei_ir (Englisch)

OBERSTE JUSTIZAUTORITÄT
Ayatollah Sadegh Larijani
c/o Public Relations Office
Number 4, 2 Azizi Street intersection
Tehran, IRAN
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
E-Mail: info@humanrights-iran.ir

Sende eine Kopie an

GENERALSTAATSANWALT VON TEHERAN
Abbas Ja’fari Dolat Abadi
Tehran General and Revolutionary
Prosecution Office
Corner (Nabsh-e) of 15 Khordad Square
Tehran, IRAN

BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN
S. E. Herrn Ali Majedi
Podbielskiallee 65-67
14195 Berlin
Fax: 030-8435 3535
E-Mail: info@iranbotschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Persisch, Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 13. Januar 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS, TWITTER-NACHRICHTEN ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich bitte Sie eindringlich, die Hinrichtung von Salar Shadizadi sofort auszusetzen und sein Todesurteil aufzuheben. Bitte gewähren Sie Salar Shadizadi ein Wiederaufnahmeverfahren unter Anwendung des Jugendstrafrechts und ohne Rückgriff auf die Todesstrafe.

  • Ich möchte Sie daran erinnern, dass der Iran Vertragsstaat des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte und des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes ist, welche ebenso wie das Völkergewohnheitsrecht die Verhängung der Todesstrafe gegen Personen, die zum Tatzeitpunkt jünger als 18 Jahre alt waren, ausdrücklich verbieten.

  • Es bereitet mir sehr große Sorge, dass in Fällen, in denen das islamische Prinzip qesas angewandt wird, eine Begnadigung lediglich durch die Familie des Opfers erfolgen kann. Dies entspricht nicht dem Völkerrecht, welches ein faires öffentliches Verfahren zur Beantragung einer Begnadigung bei den Behörden vorschreibt.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the Iranian authorities to immediately halt any plans to execute Salar Shadizadi and ensure that his death sentence is quashed and he is granted a fair retrial, in accordance with the principles of juvenile justice and without recourse to the death penalty.

  • Reminding them that customary international law as well as the International Covenant on Civil and Political Rights and the Convention on the Rights of the Child, both of which Iran has ratified, strictly prohibit the use of the death penalty for crimes committed by persons below the age of 18.

  • Expressing concern that, in qesas cases, the power to pardon lies entirely with the family of the murder victim, without any fair public system for seeking pardon from state authorities, as required under international law.

Sachlage

Die Generalstaatsanwaltschaft der Provinz Gilan hat weniger als zwei Tage vor der angesetzten Hinrichtung bestätigt, dass die Hinrichtung von Salar Shadizadi auf Januar 2016 verschoben worden ist. Er wurde aus der Einzelhaft zurück in die allgemeine Abteilung des Lakan-Gefängnisses in Rasht nördlich der Provinz Gilan verlegt. Dies ist bereits das dritte Mal, dass Salar Shadizadi der mentalen Qual ausgesetzt worden ist, zur Vorbereitung seiner Hinrichtung in Einzelhaft verlegt zu werden und dann in letzter Minute die Mitteilung zu erhalten, dass die Hinrichtung verschoben wurde.

Der nun 24-jährige Salar Shadizadi wurde im Dezember 2007 von der Abteilung 11 des Berufungsgerichts für Strafsachen in der nördlichen Provinz Gilan nach dem islamischen Prinzip qesas("Vergeltung gleicher Art") zum Tode verurteilt, weil er einen seiner Freunde erstochen haben soll. Zum Tatzeitpunkt war Salar Shadizadi 15 Jahre alt. Im März 2008 bestätigte der Oberste Gerichtshof sein Todesurteil. Im Juli 2013 beantragte Salar Shadizadi eine Umwandlung seines Todesurteils gemäß Paragraf 91 des iranischen Strafgesetzbuchs. Dies führte dazu, dass der Fall zwischen dem Berufungsgericht für Strafsachen in der Provinz Gilan und dem Obersten Gerichtshof hin- und hergeleitet wurde. Im April 2015 lehnte die Abteilung 13 des Obersten Gerichtshofs Salar Shadizadis Antrag dann mit der Begründung ab, dass "man davon ausgehen muss, dass Kinder mit Erreichen der Volljährigkeit [die im Iran bei Jungen mit 15 Jahren und bei Mädchen mit neun Jahren erreicht wird] über die entsprechende geistige Reife verfügen. Um diese Annahme zu wiederlegen, müssen Beweise vorgelegt werden, was in diesem Fall nicht geschehen ist." Der Oberste Gerichtshof zitierte bei der Begründung ein Gutachten der Iranischen Rechtsmedizinischen Organisation von 2013, die Salar Shadizadi zum Tatzeitpunkt als "zurechnungsfähig" befand, es jedoch nicht für möglich hielt, rückwirkend seine geistige Reife zum Tatzeitpunkt zu bewerten.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Salar Shadizadi wurde im Februar 2007 festgenommen, nachdem im Garten seiner Familie einer seiner Freunde tot aufgefunden worden war. Er wurde anschließend wegen Mordes angeklagt. In seinem Testament, das Salar Shadizadi im November 2015 im Gefängnis verfasst hat, offenbart er zum ersten Mal, wie er ungewollt den "tragischen" Tod seines Freundes verursacht hatte, indem er im Dunkeln unabsichtlich auf ein furchterregendes Objekt einstach, das sich bewegte und mit einem grünen Tuch umhüllt gewesen war. Anschließend stellte er fest, dass es sich um seinen Freund handelte. Salar Shadizadi schreibt, dass dies in Zusammenhang mit einem "albernen Spiel" passiert war, in dem sein Freund ihn herausgefordert hatte, nachts in den Garten seiner Familie zu gehen. Sein Freund wusste, dass Salar Shadizadi sich vor der Dunkelheit fürchtete und von seiner Großmutter seit seiner Kindheit gewarnt worden war, dass dieser Garten von "bösen Geistern" ("jen") heimgesucht wird. In seinem Testament beschreibt Salar Shadizadi auch, dass die Atmosphäre auf der Polizeistation, in welcher er ohne Zugang zu seiner Familie festgehalten worden war, so einschüchternd gewesen sei, dass er sich nicht getraut habe, die Wahrheit über die Geschehnisse zu erzählen. Er schreibt zudem, dass er beabsichtigt hatte, die Wahrheit während des Verfahrens preiszugeben, dies jedoch nicht tat, nachdem sein Rechtsbeistand ihn zum Schweigen überredet hatte.

Die Hinrichtung von Salar Shadizadi sollte ursprünglich am 1. August 2015 stattfinden. Der Termin wurde jedoch möglicherweise aufgrund des internationalen Drucks verschoben.
Seine Hinrichtung war bereits im Juli 2013 verschoben worden. Auch damals gewährten die Behörden in letzter Minute einen Hinrichtungsaufschub und erlaubten Salar Shadizadi auf Grundlage von Paragraf 91 des iranischen Strafgesetzbuchs von Mai 2013, eine Umwandlung seines Todesurteils zu beantragen. Laut Paragraf 91 haben Richter_innen die Möglichkeit, sich gegen die Todesstrafe zu entscheiden, wenn sie der Überzeugung sind, dass sich ein jugendlicher Straftäter oder eine jugendliche Straftäterin der Art und Folgen einer Straftat nicht bewusst war oder wenn Zweifel hinsichtlich der "geistigen Entwicklung und Reife" der Person bestehen.

Das Berufungsgericht für Strafsachen in der Provinz Gilan überwies ihn dann für eine psychologische Untersuchung an die Iranische Rechtsmedizinische Organisation, um zu untersuchen, ob Salar Shadizadi zur Tatzeit die "geistige Reife" besaß und sich der Art und Folgen seiner Straftat bewusst war. Die Iranische Rechtsmedizinische Organisation erklärte, dass "es keine Hinweise gibt, die darauf schließen lassen, dass Salar Shadizadi zur Tatzeit unzurechnungsfähig war, es jedoch nicht möglich ist, rückwirkend seinen geistigen Entwicklungsstand von vor sieben Jahren zu bewerten". Auf Grundlage dieser Erkenntnisse und der Unklarheit über die angemessene Anwendung des 2013 überarbeiteten iranischen Strafgesetzbuchs auf zur Tatzeit Minderjährige, die vor der Änderung des Gesetzes zum Tode verurteil worden waren, stellte das Gericht für Strafsachen in der Provinz Gilan einen Antrag beim Obersten Gerichtshof, um über die Umwandlung der Urteile zu entscheiden. Im November 2014 entschied die Abteilung 13 des Obersten Gerichtshof, dass jeder Antrag auf Umwandlung eines Urteils basierend auf dem 2013 überarbeiteten iranischen Strafgesetzbuchs bei dem Gericht eingereicht werden muss, das ursprünglich das Todesurteil erwirkt hat.

Salar Shadizadis Fall wurde im April 2015 erneut vor die Abteilung 13 des Obersten Gerichtshofs gebracht, nachdem dieses im Dezember 2014 ein "Piloturteil" (ra’ye vahdat-e ravieh) in einem anderen Fall erwirkt hatte. Darin wurde entschieden, dass alle Personen, die sich gegenwärtig wegen Straftaten im Todestrakt befinden, die sie im Alter von unter 18 Jahren begangen haben sollen, einen Antrag auf eine Neuverhandlung einreichen können. Trotz dieser Entscheidung, verwehrte die Abteilung 13 des Obersten Gerichtshofs Salar Shadizadi eine Neuverhandlung.

Artikel 37 des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes besagt, dass "weder die Todesstrafe noch eine lebenslange Haftstrafe ohne Aussicht auf Freilassung bei zur Tatzeit unter 18-Jährigen angewandt werden dürfen".