Gerechtigkeit verweigert

AI Peru: Demonstration für sexuelle und reproduktive Rechte, 2010

AI Peru: Demonstration für sexuelle und reproduktive Rechte, 2010

Der Staatsanwalt, der die Untersuchung gegen die Verantwortlichen der Zwangssterilisierung von über 2.000 Frauen leitet, entschied, die Mehrheit der Fälle nicht weiter zu verfolgen. Die Betroffenen sind in erster Linie in Armut lebende Kleinbäuerinnen und Indigene. Den Frauen wurde somit erneut ihr Recht auf Gerechtigkeit verweigert.

Appell an

GENERALSTAATSANWALT Pablo Sánchez Velarde

Ministerio Público. Fiscalía General de la Nación. Avenida Abancay, Cdra 5 s/n. Lima, PERU (Anrede: Sr. Fiscal de la Nación / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt) E-Mail: psanchez@mpfn.gob.pe Fax: (00 51) 1 625 5555 oder (00 51) 1 208 5555

PRÄSIDENT Pedro Pablo Kuczynski Godard

Despacho Presidencial Jirón de la Unión S/N. 1ra Cuadra – Cercado de Lima. PERU (Anrede: Dear Mr. President / Sehr geehrter Herr Präsident) E-Mail: secretariageneral@presidencia.gob.pe Fax: (00 51) 1 311 4700 Twitter: @ppkamigo oder @prensapalacio

MINISTER FÜR JUSTIZ UND MENSCHENRECHTE Dr. Marisol Pérez Tello Ministerio de Justicia y Derechos Humanos Scipión Llona 350 Miraflores, Lima 18. PERU (Anrede: Dear Ms. Minister for Justice / Sehr geehrte Frau Justizministerin) E-Mail: mperez@minjus.gob.pe Fax: (00 51) 1 204 8020 Twitter: @MINJUS_PERU oder @marpereztello

Sende eine Kopie an

BOTSCHAFT DER REPUBLIK PERU S. E. Herrn José Antonio Meier Espinosa Mohrenstr. 42 10117 Berlin Fax: 030-2064 1077 E-Mail: info@embaperu.de

 

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Spanisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 16. September 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE, E-MAILS, TWITTER-NACHRICHTEN ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich bin zutiefst bestürzt darüber, dass die Staatsanwaltschaft zum wiederholten Mal die Verfahren in 2.000 Fällen von Zwangssterilisierung in den 1990er Jahren eingestellt hat und dass nur in sieben individuellen Fällen Anklage erhoben wird.

  • Ich bitte Sie eindringlich, diese Entscheidung zu überprüfen, um eine gründliche Untersuchung der Vorwürfe sowie Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Opfer und ihre Familien zu gewährleisten.

  • Ich möchte Sie höflich daran erinnern, dass Sie verpflichtet sind, die sexuellen und reproduktiven Rechte aller Menschen ohne Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer ökonomischen Situation zu garantieren.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Expressing dismay that the Criminal Prosecutor’s Office has once again closed the cases of over 2,000 victims of forced sterilization in the 1990s and that charges will only be filed individually in 7 cases.

  • Urging the authorities to review this ruling in order to guarantee a thorough review of the charges and comply with the obligation to guarantee truth, justice and reparations for all the women and their families affected by forced sterilization.

  • Reminding the authorities of their obligation to guarantee the sexual and reproductive rights of all people without discrimination based on gender, race or economic situation.

Sachlage

Am 27. Juli 2016 stellte die zuständige Staatsanwaltschaft in Lima ein weiteres Mal die Verfahren gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen der Zwangssterilisierung von mehr als 2.000 Frauen in den 1990er Jahren in Peru ein. Die Fälle repräsentieren nur einen kleinen Anteil der Frauen, die in diesem Jahrzehnt gegen ihren Willen sterilisiert wurden.

Die Verfolgung der Fälle war im Januar 2014 zunächst niedergelegt und dann am 10. Mai 2015 auf Verlangen der Opfer und als Reaktion auf nationalen sowie internationalen Druck wieder aufgenommen worden. Die zweite Staatsanwaltschaft in Lima war für die Untersuchung dieser Fälle verantwortlich und bat sowohl im August 2015 als auch im Februar 2016 um eine Verlängerung der Frist der Untersuchungen.

Die Staatsanwaltschaft fällte ihre Entscheidung trotz stichhaltiger Beweise dafür, dass im Gesundheitswesen angestellte Personen, die das Programm zur Familienplanung umsetzten, unter Druck gesetzt wurden, um Sterilisierungsquoten zu erfüllen und dass die betroffenen Frauen in den meisten Fällen keine Kenntnis der Sachlage hatten und der Sterilisierung nicht aus freiem Willen zustimmten. Von allen Fällen, die Teil der Untersuchung waren, werden nur sieben als Einzelfälle gerichtlich weiterverfolgt. Alle anderen Untersuchungen werden eingestellt.

Mehr als einmal hat Amnesty International gefordert, dass der Generalstaatsanwalt jene juristisch zur Verantwortung zieht, die an diesen schweren Menschenrechtsverletzungen planerisch oder an der Umsetzung, indirekt oder auf andere Weise beteiligt waren, auch wenn es sich dabei um Amtsträger_innen oder Beamt_innen ziviler oder militärischer Einrichtungen handelt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Während der 1990er-Jahre wurden etwa 200.000 Frauen, hauptsächlich Kleinbäuerinnen und Indigene, als Teil eines Programms zur Geburtenkontrolle bei ärmeren Bevölkerungsgruppen zwangssterilisiert. Es liegen Hinweise vor, dass im Gesundheitswesen angestellte Personen, die das Programm zur Familienplanung umsetzten, unter Druck gesetzt wurden, um Sterilisierungsquoten zu erfüllen, und dass die betroffenen Frauen in den meisten Fällen keine Kenntnis der Sachlage hatten und der Sterilisierung nicht aus freiem Willen zustimmten. Vielen Frauen und ihren Familien wurden anscheinend Geld- und Gefängnisstrafen sowie die Aussetzung ihrer Lebensmittelhilfen angedroht, sollten sie sich weigern, die Sterilisierung vornehmen zu lassen. Viele der operierten Frauen erhielten keine angemessene Nachbehandlung, was ihre Gesundheit schädigte. 18 Frauen starben.

Im Jahr 2002 urteilte der Kongressausschuss, der mit der Untersuchung der Vorwürfe über Zwangssterilisierungen betraut war, dass "Sterilisierungen ohne die Zustimmung der Frauen, durch psychische Gewalt, Druck oder alimentäre und/oder ökonomische Anreize erfolgten". Aufgrund dieser Ergebnisse wurden Vorwürfe gegen den damaligen Präsidenten Alberto Fujimori, mehrere Gesundheitsminister_innen, Vizegesundheitsminister_innen und einige ihrer Berater_innen erhoben.

Sexuelle und reproduktive Rechte sind Bestandteil mehrerer internationaler Menschenrechtsabkommen, die vorschreiben, dass Staaten die Freiheit und Würde aller Menschen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Rechte respektieren, schützen und garantieren müssen, ohne Zwang oder Gewalt anzuwenden. Diese Rechte wurden 1994 auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo festgesetzt und beruhen auf der Anerkennung des Grundrechts von Paaren und Einzelpersonen, zu entscheiden, wie viele Kinder sie wollen und wann und in welchem Abstand sie diese zur Welt bringen möchten.

In Peru hat die Diskriminierung der in Armut lebenden, indigenen und kleinbäuerlichen Bevölkerung, insbesondere von Frauen dieser Bevölkerungsgruppen, eine lange Geschichte. Die Wahrheitskommission kam zu dem Schluss, dass die bestehende Diskriminierung aus ethnischen oder sozialen Gründen oder aufgrund des Geschlechts, einer der Gründe für das jahrelange Ignorieren der Gewalt gegen Indigene und Kleinbäuerinnen ist. Außerdem forderte sie, dass gegen diese fest verwurzelte Diskriminierung vorgegangen werden muss, um diese Form der Gewalt in Zukunft zu verhindern.

2004 leitete die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung der weitverbreiteten Praxis der Zwangssterilisation der 1990er Jahre ein. 2009 wurde die Untersuchung zunächst eingestellt, im Oktober 2011 jedoch aufgrund von nationalem und internationalem Druck wieder aufgenommen. Im Januar 2014 entschied die Staatsanwaltschaft, dass sie nur im Fall von Maria Mamérita Mestanza Anklage erheben und die anderen Verfahren einstellen werde. Als Reaktion auf weiteren Druck aus dem In- und Ausland nahm die Staatsanwaltschaft die Untersuchung im Mai 2015 wieder auf. Im August 2015 wurde die Frist für die Untersuchung um sechs Monate verlängert, im Februar 2016 eine weitere Fristverlängerung um fünf Monate beantragt, bevor im Juli 2016 beschlossen wurde, die Untersuchung der Fälle einzustellen.

Die Untersuchung wurde als Folge einer gütlichen Einigung, die die Interamerikanische Menschenrechtskommission zwischen der peruanischen Regierung und der Familie von Maria Mamérita Mestanza erreichte, aufgenommen. Peru gestand vor der Menschenrechtskommission ein, Maria Mamérita Mestanzas Rechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit und gleichen Schutz vor dem Gesetz ohne Diskriminierung verletzt zu haben und der Pflicht, sie vor Leid zu schützen, nicht nachgekommen zu sein. Die peruanische Regierung verpflichtete sich außerdem, den Fall zu untersuchen sowie für Gerechtigkeit in diesem und allen anderen Fällen von Zwangssterilisation zu sorgen.