Seit 2009 "verschwunden"

Karte des Iran

Karte des Iran

Yousef Silavi, Angehöriger der arabischen Minderheit der Ahwazi im Iran, ist seit November 2009 "verschwunden". Die iranischen Behörden haben bisher keine Informationen zu seinem Schicksal und seinem Aufenthaltsort bekanntgegeben. Amnesty International befürchtet, dass er Opfer des Verschwindenlassens geworden sein könnte und in Gefahr ist, gefoltert, anderweitig misshandelt oder außergerichtlich hingerichtet zu werden.

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PRÄSIDENT
Hassan Rouhani
über
BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN
S. E. Herrn Ali Majedi
Podbielskiallee 65-67
14195 Berlin
Fax: 030-8435 3535
E-Mail: info@iranbotschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Persisch, Arabisch, Englisch, Französisch, Spanisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 7. Juni 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

FAXE, E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich bitte Sie eindringlich, Maßnahmen zur Klärung des Schicksals und des Aufenthaltsortes von Yousef Silavi zu ergreifen.

  • Sollte Yousef Silavi sich in Gewahrsam befinden, fordere ich Sie höflich auf, ihn freizulassen, wenn er nicht umgehend einer international anerkannten Strafttat angeklagt wird. Bitte gewähren Sie ihm Zugang zu seinen Familienangehörigen, seinem Rechtsbeistand und medizinischer Versorgung und lassen Sie ihm ein Gerichtsverfahren zuteil werden, das internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren genügt.

  • Bitte ratifizieren Sie umgehend und ohne Vorbehalt das Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen und die entsprechenden Zusatzprotokolle.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Calling on the Iranian authorities to take steps to establish Yousef Silavi’s whereabouts and fate.

  • Urging them, if he is in custody, to released him unless he is promptly charged with a recognizable criminal offence, given immediate access to his family, lawyer and doctor, and tried in proceedings that adhere to international standards for fair trial.

  • Urging them to ratify promptly and without reservation the Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearances and its Optional Protocols.

Sachlage

Amnesty International hat kürzlich erfahren, dass Yousef Silavi, ein pensionierter Techniker und Angehöriger der arabischen Minderheit der Ahwazi im Iran, seit Ende 2009 vermisst wird. Zuletzt wurde er um den 6. November 2009 von einem Freund der Familie in seinem Zuhause in der Stadt Ahvaz in der Provinz Chuzestan gesehen. Die Ehefrau von Yousef Silavi befand sich zu diesem Zeitpunkt außer Landes, da sie ihre zwei gemeinsamen Töchter besuchte, die an der Universität von Damaskus in Syrien studierten. Als sie am 8. November 2009 zurückkehrte, meldete sie ihren Mann bei der Polizei als vermisst.

Die Polizei legte den Fall innerhalb von sechs Monaten ohne eine angemessene Untersuchung zu den Akten. Die Behörden bestreiten weiterhin, Yousef Silavi festgenommen zu haben. Seine Familienangehörigen glauben jedoch, dass er sich in ihrem Gewahrsam befindet, da ihnen seit seinem "Verschwinden" Restriktionen auferlegt wurden und sie Drohungen erhalten haben. Zusätzlich weisen auch inoffizielle Aussagen von Beamt_innen darauf hin, dass Yousef Silavi inhaftiert wurde.

Einige Tage nach seinem "Verschwinden" wurde ein Freund, der die Familie von Yousef Silavi von dessen "Verschwinden" in Kenntnis gesetzt hatte, eine Nacht lang von Beamt_innen des Geheimdienstministeriums in Gewahrsam genommen und zu Yousef Silavi vernommen. Offenbar schlugen und bedrohten ihn die Beamt_innen und sagten, sein Leben sei in Gefahr, wenn er über die Vorfälle spräche. Eine weitere der Familie nahestehende Person wurde ebenfalls bedroht. Ein Beamter der Revolutionsgarde sagte ihr, dass sie ebenso wie er festgenommen werden würde, wenn sie die Suche nach Informationen über Yousef Silavi nicht aufgebe. Der Ehefrau von Yousef Silavi sagte ein Angehöriger der Revolutionsgarde, dass sie ihren Ehemann nur dann wiedersehen würde, wenn sie ihre Töchter in den Iran zurückhole. Laut dem Beamten sollen ihre Töchter in Damaskus mit iranischen Oppositionsgruppen in Kontakt gestanden haben. Der Ehefrau von Yousef Silavi wurden strikte Reisebeschränkungen auferlegt.

Yousef Silavi engagierte sich nicht politisch. Seine Frau entstammt jedoch einer prominenten politisch engagierten arabischen Familie. Zudem war Yousef Silavis 2008 verstorbener Cousin und Schwager, Mansour Silavi, eine bekannte Persönlichkeit in der Gemeinschaft, da er sich für eine verstärkte Anerkennung der Rechte der Ahwazi einsetzte. Bevor er den Iran verließ, hatte Mansour Silavi eine Partei namens Demokratische Solidaritätspartei von Ahwaz (Democratic Solidarity Party of Ahwaz) gegründet. Wegen seines politischen Engagements war er von den Behörden überwacht worden.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die älteste Tochter von Yousef Silavi, Mona Silavi, hatte die Gemeinschaft geflüchteter Angehöriger der arabischen Ahwazi unterstützt, als sie in Syrien lebte. Sie wurde mehrmals von Beamt_innen der iranischen Botschaft in Damaskus zu Vernehmungen vorgeladen. Als Yousef Silavi seine Töchter im Oktober 2009 in Damaskus besuchte, wurden er und Mona Silavi aufgefordert, zu einer Vernehmung durch Botschaftsmitarbeiter_innen zu erscheinen, bevor er später im selben Monat in den Iran zurückkehrte. Die Ehefrau von Yousef Silavi besuchte ihre beiden gemeinsamen Töchter in Syrien, als die Familie darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass seit einigen Tagen niemand etwas von ihm gehört hatte. Seit seinem "Verschwinden" hat sie auf der Suche nach ihrem Mann Kranken- und Leichenhäuser in Ahwaz besucht. Sie hat Briefe an den iranischen Religionsführer Ayatollah Sayed 'Ali Khamenei und ein Parlamentsmitglied aus Ahwaz geschrieben sowie verschiedene Justiz- und Sicherheitsbehörden um Hilfe gebeten. Die Bemühungen der Familienangehörigen von Yousef Silavi, von den Behörden Informationen über seinen Verbleib zu erhalten, werden bislang ignoriert. Die Behörden haben seinen Töchtern widersprüchliche Botschaften vermittelt und ihnen unter anderem gesagt, ihr Vater sei möglicherweise verheiratet und kehre nicht zurück, habe vielleicht sein Gedächtnis verloren, oder sei aufgrund von Angelegenheiten der Ahwazi verschwunden. Der Frau von Yousef Silavi sind Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit auferlegt worden: Die Behörden teilten ihr mit, dass sie den Iran nur einmal im Jahr verlassen darf und selbst dann sind ihr nur Reisen in wenige Länder erlaubt.

Die Gemeinschaft der arabischen Ahwazi in der Provinz Chuzestan beklagt seit langem ihre systematische Diskriminierung durch die Regierung, insbesondere im Bezug auf Beschäftigung, Unterkünfte und Zugang zu politischen Ämtern sowie hinsichtlich der Ausübung kultureller, bürgerlicher und politischer Rechte. Auch das Verbot ihrer Muttersprache als Unterrichtssprache im Grundschulwesen hat zu erheblichen Ressentiments und Frustrationen geführt. Amnesty International hat zahlreiche Fälle von Festnahmen und Inhaftierungen politisch engagierter Angehöriger der Gemeinschaft der arabischen Ahwazi oder ihrer Familienangehörigen durch die Sicherheitsbehörden dokumentiert. In vielen Fällen werden sie ohne Kontakt zur Außenwelt und in Einzelhaft in geheimen Hafteinrichtungen festgehalten. Sie werden somit Opfer des Verschwindenlassens und sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Der UN-Sonderberichterstatter über die Menschenrechtslage im Iran, Ahmed Shaheed, hat im Rahmen seiner Berichte über die Festnahme, Inhaftierung und strafrechtliche Verfolgung von Ahwazi-Araber_innen aufgrund von geschützten Aktivitäten zur Förderung sozialer, wirtschaftlicher, kultureller, sprachlicher und ökologischer Rechte ebenfalls seine Besorgnis ausgedrückt. In seinem Bericht aus dem Oktober 2013 stellte der Sonderberichterstatter fest, dass Ahwazi-Araber_innen während Vernehmungen psychisch und physisch gefoltert worden seien, unter anderem durch Auspeitschen und Schläge. Zudem wurden vor ihren Augen Hinrichtungen durchgeführt. Sie erhielten Drohungen gegen Familienangehörige und in einigen Fällen wurden Familienangehörige tatsächlich festgenommen, um andere Personen strafrechtlich zu belasten oder dazu zu bringen, sich bei den Behörden zu melden. Eine Person berichtete dem UN-Sonderberichterstatter, dass ein Cousin, ein Neffe und ein Bruder im Juni 2012 festgenommen wurden, um die im Ausland lebenden Kinder zur Rückkehr in das Land zu zwingen.

Das Völkerrecht enthält ein ausnahmsloses Verbot des Verschwindenlassens und legt fest, dass keinerlei außergewöhnliche Umstände als Rechtfertigung angeführt werden dürfen. Obwohl das Wort "Verschwinden" eine harmlose und nicht gewalttätige Handlung bezeichnen könnte, ist das Verschwindenlassen in Wirklichkeit eine besonders grausame und gewaltsame Menschenrechtsverletzung. Dabei werden Personen von der Außenwelt abgeschnitten und sind sich bewusst, dass die ihnen nahestehenden Personen nicht wissen, wo sie sich befinden oder ob sie noch am Leben sind. Sie werden dem Schutz des Gesetzes entzogen und das Recht auf einen Rechtsbeistand und ein faires Gerichtsverfahren wird ihnen verwehrt. Organe, die durch internationale Menschenrechtsverträge einberufen wurden, Gerichtshöfe für Menschenrechte und andere Menschenrechtsgremien haben wiederholt festgestellt, dass das Verschwindenlassen auch das Recht auf Freiheit und Sicherheit einer Person, das Recht auf Freiheit von Folter und anderweitiger Misshandlung, das Recht auf einen Rechtsbehelf und das Recht auf Leben verletzt. Das Verschwindenlassen ist eine andauernde Straftat, die so lange fortbesteht, wie die Person "verschwunden" ist und wie ihr Schicksal und ihr Aufenthaltsort vom Staat nicht bekanntgegeben werden. Das Verschwindenlassen hat auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Familienangehörigen und Freund_innen der Opfer, die manchmal jahrelang bangen und warten müssen, bevor sie herausfinden, ob die ihnen nahestehende Person noch am Leben ist.