Foltergefahr

Zahlreiche syrische KurdInnen, die bei Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Angehörigen der kurdischen Minderheit verletzt wurden, werden in der Stadt Ar-Raqqah im Nordosten von Syrien ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Ihnen drohen Folter und andere Misshandlungen.

Appell an

STAATSPRÄSIDENT
Bashar al-Assad
Presidential Palace
al-Rashid Street, Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 963) 11 332 3410

INNENMINISTER
Major Sa’id Mohamed Samour
Ministry of Interior
'Abd al-Rahman Shahbandar Street
Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 963) 11 222 3428

Sende eine Kopie an

VERTEIDIGUNGSMINISTER
His Excellency Lieutenant-General
Ali Ben-Mohammed Habib Mahmoud
Ministry of Defence
Omayyad Square, Damascus, SYRIEN
Fax: (00 963) 11 211 972

BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK SYRIEN
Frau Abir Jarf
Geschäftsträgerin a.i., Botschaftsrätin
Rauchstr. 25, 10787 Berlin
Fax: 030-5017 7311
E-Mail: info@syrianembassy.de,
press@syrianembassy.de
secretary@syrianembassy.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 6. Mai 2010 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE

  • Äußern Sie Ihre Bestürzung darüber, dass in Ar-Raqqah durch Schüsse der Sicherheitskräfte ein vierzehnjähriger Junge ums Leben gekommen sein soll und zahlreiche weitere Personen verletzt wurden.

  • Zeigen sie sich besorgt über Berichte, dass viele der Verletzten unter Polizeiaufsicht im Krankenhaus festgehalten werden und ihnen Familienbesuche verwehrt werden.

  • Fordern Sie die Behörden auf, allen in Zusammenhang mit den Vorfällen am 21. März verletzten und festgenommenen Personen sofortigen Zugang zu ihren Familien, einer rechtlichen Vertretung ihrer Wahl und zu jeder notwendigen medizinischen Versorgung zu gewähren.

  • Appellieren Sie an die Behörden, umgehend unabhängige Untersuchungen des Schusswaffeneinsatzes der Sicherheitskräfte am 21. März 2010 einzuleiten. Fordern Sie zu prüfen, ob dies ein Fall von exzessiver Gewaltanwendung war und einen Verstoß gegen die international anerkannten Richtlinien darstellt, und die verantwortlichen Beamten zur Rechenschaft zu ziehen.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Expressing concern about the reported killing of a 14-year-old boy and wounding of dozens of other people as a result of live fire by law enforcement officials in Ar Raqqah, and reports that many of those injured are being held under police guard in hospital and denied access to their relatives;

  • Urging the authorities to allow all those injured or detained in connection with the 21 March events to have immediate access to their families, to legal counsel of their choice and to any medical care that they require.

  • Calling on the authorities to institute immediately an independent investigation into the use of lethal force by law enforcement officials on 21 March and whether this constituted excessive use of force in breach of recognized international standards, and to hold to account any officials responsible for using excessive force;

Sachlage

Am 21. März 2010 kam es zu Zusammenstößen zwischen syrischen Polizeikräften und Angehörigen der kurdischen Minderheit, von denen etwa 5000 Personen in Ar-Raqqah zusammengekommen waren, um Newroz, das kurdische Neujahrsfest, zu feiern. Zu der Versammlung hatte die PYD aufgerufen, eine Partei der kurdischen Minderheit, die in Syrien verboten ist. Die Gewalt brach aus, als Sicherheitskräfte auf Personen zielten, die Fahnen der PYD und Fotos des in der Türkei inhaftierten Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, hochhielten. Die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Menge vor. Als einige der TeilnehmerInnen der Versammlung Steine nach ihnen warfen, feuerten die Sicherheitskräfte Schüsse in die Menge. Dabei töteten sie einen 14-jährigen Jungen und möglicherweise noch weitere Personen, Hunderte wurden verletzt.

Viele der Verletzten wurden ins Krankenhaus von Ar-Raqqah eingeliefert. Seitdem ist das Gebäude von Sicherheitskräften umstellt, die die Ein- und Ausgänge kontrollieren. Bisher durften nur zwei der Verletzten Familienbesuche erhalten. Dies gibt Anlass zur Sorge, dass diejenigen, denen man den Zugang zu ihren Familien verwehrt, gefoltert und misshandelt werden könnten.

Seit dem Vorfall sollen die Sicherheitskräfte in der vorwiegend von KurdInnen bewohnten Region von Ar-Raqqah eine unbekannte Anzahl an Personen inhaftiert haben, denen man unterstellt, an dem Treffen zu Newroz am 21. März 2010 teilgenommen zu haben. Die syrischen Behörden haben sich bislang nicht öffentlich zu den Vorfällen in Ar-Raqqah geäußert. Ferner ist unklar, ob bezüglich der Vorwürfe über exzessive Gewaltanwendung der Sicherheitskräfte Ermittlungen eingeleitet wurden.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Kurdinnen und Kurden machen annähernd zehn Prozent der syrischen Bevölkerung aus. Die meisten syrischen KurdInnen leben in der Nähe der Stadt Aleppo im Norden des Landes oder in der Region al-Jazeera im Nordosten von Syrien. Die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in den vorwiegend von KurdInnen bewohnten Gebieten sind im Vergleich zu den übrigen Landesteilen schlechter. Die KurdInnen werden aufgrund ihrer Identität diskriminiert. Beispielsweise dürfen sie an den Schulen ihre Sprache nur eingeschränkt verwenden. Auch ihre Kultur dürfen sie nicht ungehindert leben, beispielsweise keine kurdische Musik produzieren oder vertreiben.
Newroz ist das Neujahrsfest und einer der wichtigsten Feiertage für die kurdische Minderheit in Syrien. Zu diesem Anlass organisieren kurdische Parteien öffentliche Versammlungen, Reden werden gehalten und man singt Lieder in kurdischer Sprache.

Die syrischen Behörden unterdrücken diese traditionellen Feierlichkeiten, indem sie OrganisatorInnen oder ZuschauerInnen festnehmen. Im Jahr 2009 beispielsweise wurden 16 Männer, von denen die Mehrheit Mitglieder der offiziell nicht zugelassenen kurdischen Partei Yekiti in Syrien waren, fast zwei Monate lang ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten, nachdem sie am 21. März 2009 das kurdische Neujahrsfest friedlich gefeiert hatten. Alle 16 Personen wurden wegen "Anstiftung zu sektiererischen Unruhen" angeklagt. Einen der Männer, Suleiman ’Abdelmajid Osso, bezichtigte man ebenfalls der "Mitgliedschaft in einer Untergrundorganisation". Im Mai und Juni 2009 ließ man sie gegen Kaution frei. Ihr nächster Verfahrenstermin soll am 5. Mai 2010 vor dem Militärgericht in Al-Qamischli stattfinden.

Am 21. März dieses Jahres kamen Berichten zufolge rund 5000 syrische KurdInnen in Ar-Raqqah zusammen, um bei einem von der PYD organisierten Festival das Neujahrsfest Newroz zu feiern. Mitglieder der Partei PYD bauten eine Bühne auf, von der sie Reden halten und kurdische Lieder anstimmen wollten. Sie hielten Parteifahnen und Fotos von Abdullah Öcalan hoch, dem PKK-Chef in der Türkei, der sich in türkischer Haft befindet. Etwa 200 Sicherheitskräfte waren zur Kontrolle bei der Veranstaltung zugegen. Die Unruhen brachen aus, als Sicherheitskräfte Mitglieder der PYD dazu aufforderten, die Plakate von Abdullah Öcalan und ihre Parteifahnen herunterzunehmen. Zunächst versuchten die Sicherheitskräfte einige der Organisatoren auf der Bühne festzunehmen und setzten Wasserwerfer und Tränengas gegen die versammelte Menschenmenge ein. Als einige der Demonstrierenden begannen, Steine zu werfen, sollen die Sicherheitskräfte das Feuer eröffnet haben. Es ist nicht bekannt, ob die Sicherheitskräfte Warnungen abgegeben oder der Menge aufgefordert haben, sich aufzulösen, bevor sie zu scharfer Munition griffen.

23 der syrischen KurdInnen, darunter vier Kinder, die am 22. März 2010 festgenommen wurden, kamen am 23. März in Ar-Raqqah vor Gericht. Sechzehn von ihnen, darunter ein Mädchen, wurden unter Auflagen freigelassen. Ihnen steht ein Gerichtsverfahren bevor. Die Fälle des Mädchens und der weiteren drei Kinder wurden an ein Jugendgericht weitergeleitet. Ihnen wird zur Last gelegt, einen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes tätlich angegriffen zu haben, außerdem die "Anstiftung zu sektiererischen Unruhen" und das "Verursachen von Unruhen". Informationen darüber, wie die gegen die Erwachsenen erhobenen Anklagen lauten, liegen derzeit nicht vor.

Am 23. März 2010 übergaben Beamte der politischen Sicherheitsdienstes den Leichnam von Mohammed Haider Iben Omar an seine Familie und beobachteten die Beisetzung. Der Familie war es dem Vernehmen nach nicht erlaubt, eine Beerdigungsfeier abzuhalten. Kurdische Menschenrechtsorganisationen in Syrien gehen davon aus, dass Mohammed Haider Iben Omar an den Folgen exzessiver Gewaltanwendung starb.

Die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit sind in Syrien stark eingeschränkt. Dazu tragen die Notstandsgesetze bei, die seit 1964 in Kraft sind. In Syrien sind nur die regierende Ba'ath Partei und mit ihr nahestehende Parteien offiziell anerkannt. Auch Menschenrechtsorganisationen dürfen nicht aktiv sein.