Journalist "verschwunden"

Von dem Journalisten und Kolumnisten Jia Jia fehlt jede Spur. Er wurde zuletzt am Flughafen in Peking gesehen, von wo aus er nach Hongkong reisen wollte. Freund_innen von ihm zufolge könnte sein "Verschwinden" mit einem offenen Brief zusammenhängen, der am 4. März auf einer Internetseite veröffentlicht wurde. Darin war Präsident Xi Jinping aufgefordert worden, zurückzutreten.

Appell an

MINISTER FÜR ÖFFENTLICHE SICHERHEIT
Guo Kunsheng

14 Dongchang’an jie
Dongcheng Qu
Beijing 100741
VOLKSREPUBLIK CHINA
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 86) 10 6626 2550

DIREKTORIN DER BEHÖRDE FÜR ÖFFENTLICHE SICHERHEIT IN PEKING
Wang Xiaohong

Beijing Municipal Public Security Bureau
Dongdajie 9 hao
Qianmen
Dongcheng Qu
Beijing 100740
VOLKSREPUBLIK CHINA
(Anrede: Dear Director / Sehr geehrte Frau Direktorin)
Fax: (00 86) 10 6524 2927

Sende eine Kopie an

MINISTERPRÄSIDENT
Li Keqiang

The State Council General Office
2 Fuyoujie
Xicheng Qu
Beijing 100017

VOLKSREPUBLIK CHINA
Fax: (00 86) 10 6596 1109
E-Mail: english@mail.gov.cn

BOTSCHAFT DER VOLKSREPUBLIK CHINA
S. E. Herrn Mingde Shi
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin
Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Chinesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 29. April 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte geben Sie unverzüglich den Verbleib und den Rechtsstatus von Jia Jia bekannt.

  • Sollte sich Jia Jia in Gewahrsam befinden, fordere ich Sie höflich auf, ihn umgehend und bedingungslos freizulassen, sofern er nicht einer international als Straftat anerkannten Handlung angeklagt wird.

  • Falls er sich in Haft befindet, sorgen Sie bitte bis zu seiner bedingungslosen Freilassung dafür, dass er umgehend regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu seinen Familienangehörigen und Rechtsbeiständen erhält und vor Folter und anderweitiger Misshandlung geschützt ist.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Demanding the authorities immediately disclose Jia Jia’s whereabouts and his legal status.

  • If he is in custody, urging the authorities to immediately and unconditionally release Jia Jia, unless he is formally charged with an internationally recognizable criminal offence.

  • While in detention, urging the authorities to ensure that he has regular, unrestricted access to his families and lawyers, without delay, and is protected from torture or other-ill-treatment.

Sachlage

Am 4. März wurde auf der Internetseite Wujie News ein offener Brief veröffentlicht, in dem Präsident Xi Jinping aufgefordert wurde, zurückzutreten. Daraufhin kontaktierte Jia Jia, ein Kolumnist und Redakteur, der jedoch nicht mit Wujie News zusammenarbeitet, seinen ehemaligen Arbeitskollegen Ou Yang Hongliang, welcher der Betreiber der Internetseite ist, um mit ihm über den Brief zu sprechen. Die BBC berichtete, dass Jia Jia ihm von der Veröffentlichung abgeraten haben soll. Präsident Xi wird in dem Brief für die "beispiellosen Probleme" Chinas verantwortlich gemacht und seine Wirtschafts-, Innen- und Außenpolitik werden kritisiert. Der Brief wurde später von der Internetseite gelöscht.

Laut der Tageszeitung Apple Daily rief Jia Jia seine Frau am 15. März um ca. 20 Uhr an und sagte ihr, dass er gerade die Zollkontrolle am Flughafen in Peking passiert habe. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Obwohl er für gewöhnlich sehr aktiv in den sozialen Medien ist, hat er seit dem 14. März nichts mehr auf seinem Twitter-Account gepostet. Bevor er nach Hongkong reisen wollte, hatte er Freund_innen gegenüber gesagt, dass er Angst habe, von den Behörden inhaftiert zu werden. In der Woche vor seinem "Verschwinden" hatten Sicherheitsbeamt_innen, die Ermittlungen zu dem offenen Brief durchführen, Verwandte von Jia Jia in der Provinz Shaanxi im Nordwesten Chinas befragt.

Hintergrundinformation

Hintergrund

China hat einen der größten Zensurapparate der Welt. Das Veröffentlichen von nicht genehmigten Briefen oder Stellungnahmen, mit denen einzelne Regierungsvertreter_innen oder die Regierungspolitik kritisiert werden, kann weitreichende berufliche und strafrechtliche Folgen für die Autor_innen haben.

Die Behörden in China nutzen nach wie vor wage formulierte Gesetze, um Menschen willkürlich zu verfolgen, die im Internet ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen. Seitdem Xi Jinping im November 2012 das Amt des Präsidenten übernommen hat, sind hunderte Menschen inhaftiert worden, weil sie im Internet ihre Meinung geäußert haben.

Präsident Xi Jinping hat in der Vergangenheit mehrfach betont, wie wichtig es sei, an der "marxistischen Betrachtung des Journalismus" festzuhalten, nach der alle staatlichen Medien die Interessen der Kommunistischen Partei vertreten müssen. Gleichzeitig wurde in einem internen Dokument ("Dokument Nr. 9"), das an die Öffentlichkeit gelangt ist, vor der "falschen Entwicklung" gewarnt, die "Pressefreiheit" und den "freien Fluss von Informationen im Internet" zu fördern.

Am 19. Februar 2016 hat Präsident Xi Jinping den staatlichen Fernsehsender China Central Television (CCTV), die Tageszeitung People’s Daily und die Nachrichtenagentur Xinhua besucht, um die Medienanstalten zu ermutigen, "die Autorität und die Einheit der Partei zu schützen". Er sagte, die Medien müssten zuallererst der Partei zu dienen haben und "mit Familiennamen Partei heißen".