Amnesty 28. Mai 2011

Amnesty gegen Amnestie

Protestaktion in Paris gegen politische Morde in Russland

Protestaktion in Paris gegen politische Morde in Russland

Am 17. März 1993 ruft Amnesty zu einer Eilaktion auf: Ein Amnestiegesetz im zentralamerikanischen El Salvador soll verhindert werden. Amnesty gegen Amnestie? Noch zehn Jahre zuvor hatte Amnesty in einer großen Kampagne eine weltweite Amnestie für alle gewaltlosen politischen Gefangenen gefordert.

Was auf den ersten Blick verwirrend klingen mag, war eine logische Fortsetzung der Arbeit für die Freilassung von politischen Gefangenen. Nach ihrer Freilassung und nach dem Ende vieler Militärdiktaturen forderten auch zuvor von Amnesty betreute Gefangene, ihre Folterinnen und Folterer sowie deren Auftraggeberinnen und Auftraggeber zu verurteilen. Die Angehörigen von "Verschwundenen" drängten auf die Aufklärung der staatlich angeordneten Entführungen und Morde vor Gericht. Verhindert wurde die Aufklärung der Taten und die Bestrafung der Täterinnen und Täter vielerorts durch Amnestiegesetze, die oft die Diktatoren vor ihrem Abdanken oder demokratische Regierungen aus Angst vor den nach wie vor mächtigen Anhängern der Diktatur erlassen hatten.

So auch in El Salvador. 1993 hatte gerade eine Wahrheitskommission Beweise für systematische Menschenrechtsverletzungen durch Militär, Polizei, Todesschwadronen und der Guerilla im zwei Jahre zuvor beendeten Bürgerkrieg vorgelegt. Das Amnestiegesetz, gegen das Amnesty protestierte, sollte die Verantwortlichen für all diese Verbrechen unbehelligt davonkommen lassen.

Nicht nur in El Salvador, auch in vielen anderen Staaten hatten die Angehörigen von Entführten, Ermordeten und Gefolterten schon lange Aufklärung, Entschädigung und eine Bestrafung der Täterinnen und Täter gefordert. In den neunziger Jahren entwickelte sich daher der Kampf gegen Straflosigkeit zu einem Schwerpunkt von Amnesty. Warum die Bestrafung der Täterinnen und Täter so wichtig ist, begründete Amnesty im Jahresbericht von 1992 folgendermaßen: "Solange die Agenten der Repression Menschen entführen, foltern und ermorden können in der Gewissheit, dass ihre Untaten nicht aufgedeckt und sie strafrechtlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden, wird es nicht gelingen, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen."

Auf der Internationalen Amnesty-Ratstagung 1993 beschlossen die Delegierten, einen Internationalen Strafgerichtshof zu fordern. Frei von politischer Einflussnahme einzelner Staaten sollte das zu gründende Gericht für schwere Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts zuständig sein. 1995 zählte Amnesty zu den Gründungsmitgliedern der weltweiten "Koalition für einen Internationalen Strafgerichtshof". 1998 verabschiedet eine UNO-Konferenz in Rom tatsächlich das Statut eines solchen Gerichtshofs. Nachdem 60 Staaten das Statut ratifiziert hatten, konnte der Gerichtshof 2003 seine Arbeit aufnehmen. Anklage erheben kann er wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 2006 wurde mit Thomas Lubanga, einem kongolesischen Milizenführer, zum ersten Mal ein Beschuldigter auf Grund eines Haftbefehls des Gerichtshofs festgenommen.

Die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs war ein großer Erfolg. Doch in vielen Staaten bleibt Straflosigkeit ein fast alltäglicher Fakt. Auch in El Salvador ist das 1993 beschlossene Amnestiegesetz trotz Protesten noch immer in Kraft. Doch immerhin finden inzwischen in Spanien Ermittlungen gegen die Verantwortlichen für ein Massaker aus dem Jahr 1989 statt.

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