USA: Umweltanwalt unter Hausarrest

Ein grauhaariger Mann in einem hellblauen Hemd. Im Hintergrund ein weißes Bücherregal.

Der US-amerikanische Anwalt Steven Donziger

Steven Donziger kann sich nach wie vor nicht frei bewegen: Der Menschenrechtsanwalt hatte bereits mehr als zwei Jahre unter Hausarrest verbracht, bevor er am 1. Oktober wegen "Missachtung des Gerichts" zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt wurde, die er am 27. Oktober antrat. Seit 9. Dezember befindet er sich wieder unter Hausarrest, um dort die verbleibende Strafe zu verbüßen. All dies ist die Folge eines Verfahrens, das nach Ansicht von UN-Expert_innen jeder rechtlichen Grundlage entbehrte und gegen zahlreiche Standards für faire Gerichtsverfahren verstieß. Die Anklage ist politisch motiviert und seine Haftstrafe ist eine Vergeltungsmaßnahme für seine Arbeit als Anwalt. Steven Donziger muss umgehend und bedingungslos aus dem Hausarrest freigelassen werden.

Appell an

Attorney General

Merrick Garland

950 Pennsylvania Avenue NW

Washington, DC 20530, USA

Sende eine Kopie an

Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika

Herrn Woodward Clark Price


Geschäftsträger a.i.

Clayallee 170

14195 Berlin

Fax: 030-83 05 10 50

E-Mail: feedback@usembassy.de

Amnesty fordert:

  • Bitte übernehmen Sie die Zuständigkeit für diesen Fall anstelle der privaten Anwält_innen, die als "Sonderstaatsanwält_innen" eingesetzt wurden. Bitte prüfen Sie das Urteil unter Einbeziehung der Einschätzung der UN-Arbeitsgruppe, damit Steven Donziger umgehend und bedingungslos freigelassen wird.
  • Ich fordere Sie zudem höflich auf, eine umfassende und unabhängige Untersuchung der Umstände von Steven Donzigers willkürlichem Freiheitsentzug einzuleiten und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Konzerne das Justizsystem nicht dazu missbrauchen, Menschenrechtsverteidiger_innen ins Visier zu nehmen und zu schikanieren.

Sachlage

Steven Donziger ist ein US-amerikanischer Anwalt und Umweltschützer, der die Betroffenen von Ölverklappungen in einem symbolträchtigen Fall gegen den Chevron-Konzern in Ecuador vertrat. Darin wurde dem Unternehmen vorgeworfen, für eine der schlimmsten Ölkatastrophen der jüngeren Geschichte verantwortlich zu sein. Er stand für mehr als zwei Jahre unter Hausarrest, nachdem er sich geweigert hatte, einer gerichtlichen Anordnung zur Herausgabe seiner elektronischen Geräte nachzukommen. Er hatte argumentiert, dass eine solche Offenlegung das Anwaltsgeheimnis gefährden und seine Mandant_innen in Gefahr bringen könnte. Der Haftstrafe ging eine langjährige Verleumdungskampagne von Chevron gegen Steven Donziger und andere Menschenrechtsverteidiger_innen voraus.

Im September 2021 stellte die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen fest, dass der Freiheitsentzug von Steven Donziger willkürlich ist, weil ihm die Rechtsgrundlage fehlt und er gegen mehrere Standards im Zusammenhang mit dem Recht auf ein faires Verfahren verstößt. So sind die Gerichte, vor denen sein Fall verhandelt wird, offensichtlich nicht unparteiisch. Darüber hinaus kam die Arbeitsgruppe zu dem Schluss, dass seine Inhaftierung offenbar eine Vergeltungsmaßnahme für seine Arbeit als Rechtsbeistand für indigene Gemeinschaften in Ecuador ist.

Trotz schwerwiegender Bedenken hinsichtlich der mangelnden Unabhängigkeit, Objektivität und Unparteilichkeit der zuständigen Richterin wurde Steven Donziger am 1. Oktober zu der Höchststrafe von sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Am 27. Oktober trat er seine Haftstrafe an. Seit 9. Dezember befindet er sich wieder unter Hausarrest, um dort die verbleibende Strafe zu verbüßen. Amnesty International ist der Ansicht, dass das US-Justizministerium den Fall übernehmen sollte, um die Unabhängigkeit der Justiz in diesem Verfahren zu prüfen und sicherzustellen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Das Urgent Action Netzwerk von Amnesty International hat weltweit massiv mobilisiert. Die Appellschreiben an die Verantwortlichen waren so zahlreich, dass zwei E-Mail-Postfächer überfüllt waren. Steven Donziger ist unglaublich dankbar für die Unterstützung und all die Solidaritätsbriefe, die er erhalten hat. Amnesty International wird sich gemeinsam mit Partnerorganisationen auch weiterhin für ihn einsetzen, um das US-Justizministerium zu überzeugen, den Fall zu übernehmen. Denn trotz der Erleichterung, die die Überstellung aus dem Gefängnis in den Hausarrest bedeutet, muss Steven Donziger vollständig und bedingungslos freigelassen werden.

Bereits vor seiner Inhaftierung stand Steven Donziger für über 800 Tage unter Hausarrest. Grundlage dafür ist eine Anklage wegen "Missachtung des Gerichts", wogegen der Umweltschützer Rechtsmittel eingelegt hat. Das Urteil des Berufungsgerichts wird voraussichtlich in den kommenden Wochen ergehen.

Steven Donziger begann seine Arbeit für Umweltgerechtigkeit 1993, als er nach Ecuador reiste und Teil des juristischen Teams wurde, das die Betroffenen von Ölverklappungen in einem symbolträchtigen Fall gegen den Chevron-Konzern vertrat. Dem Unternehmen wurde vorgeworfen, für eine der schlimmsten ölbedingten Umweltkatastrophen der Gegenwartsgeschichte verantwortlich zu sein.

2011 befand ein Gericht in Ecuador nach jahrelangen Gerichtsverfahren, dass der Chevron-Konzern für die schwerwiegenden Umwelt- und Gesundheitsschäden im Amazonas-Regenwald und in den dort lebenden Gemeinden verantwortlich ist. Das Gericht stellte fest, dass der Konzern absichtlich Milliarden Liter Ölabfälle auf das Land der Indigenen geleitet hatte, um Kosten zu sparen, und verurteilte ihn zur Zahlung von Schadenersatz in Milliardenhöhe.

Nachdem Chevron den Prozess in Ecuador verloren hatte, verlagerte das Unternehmen sein gesamtes Vermögen ins Ausland, um Schadenersatzzahlungen zu vermeiden. Außerdem drohte Chevron den ecuadorianischen Betroffenen mit einem "lebenslangen Rechtsstreit", falls sie ihre Klage nicht fallen ließen. Chevron reichte dann in den USA eine Klage gegen alle in der Ecuador-Klage genannten Kläger_innen sowie gegen Steven Donziger und andere Rechtsbeistände, NGOs und eine Reihe von Expert_innen ein, die ihren Fall unterstützt hatten.

Das anschließende Gerichtsverfahren wies Mängel auf, womit die Inhaftierung von Steven Donziger willkürlich wird. Dazu gehörten die fehlende Unparteilichkeit der Gerichte sowie ein unverhältnismäßiger Eingriff in sein Recht auf Freiheit, der als Versuch zu werten ist, das Anwaltsgeheimnis zu umgehen. Außerdem übersteigt der gegen ihn verhängte Freiheitsentzug die in den Anklagen gegen ihn vorgesehene Höchstdauer.

Im Jahr 2019 traf die Richterin, die den Vorsitz im Zivilverfahren gegen Steven Donziger innehatte, die außergewöhnliche Entscheidung, Angehörige einer privaten Anwaltskanzlei als Sonderstaatsanwält_innen zu ernennen. Auf diese Weise wollte sie eine Anklage wegen "Missachtung des Gerichts" verhandeln, die die US-Staatsanwaltschaft für den südlichen Bezirk von New York nicht weiterverfolgen wollte. Am 6. August 2019 ordnete die Richterin, die dem strafrechtlichen Verfahren wegen Missachtung des Gerichts vorstand, an, dass Steven Donziger seinen Reisepass abgeben und sich einer GPS-Ortung und einem Hausarrest unterziehen muss.

Die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen ist eine Gruppe unabhängiger Expert_innen, die vom UN-Menschenrechtsrat ernannt wurde und den Auftrag hat, Fälle von willkürlich oder im Widerspruch zu internationalen Standards verhängtem Freiheitsentzug zu untersuchen. Die Stellungnahmen der Arbeitsgruppe sind verbindliche Entscheidungen eines UN-Expert_innengremiums und haben rechtliches Gewicht. Die in den internationalen Verträgen enthaltenen Verpflichtungen, die die Grundlage für die Entscheidung der Arbeitsgruppe bilden, sind für die Vertragsstaaten rechtsverbindlich. Die Vereinigten Staaten sind seit 1992 Vertragsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte.