USA: Drohende Hinrichtung trotz psychischer Erkrankung

Diese Urgent Action ist beendet.

Das Bild zeigt mehrere Menschen, die ein großes Banner mit der Aufschrift "Stop Executions" in der Hand halten

Andre Lee Thomas soll am 5. April im US-Bundesstaat Texas hingerichtet werden. Der Schwarze US-Amerikaner wurde 2005 von einer Jury, die ausschließlich aus weißen Geschworenen bestand, zum Tode verurteilt. Seine damaligen Rechtsbeistände unternahmen nichts, um das fragwürdige Auswahlverfahren für die Geschworenen, die Unparteilichkeit einiger Jurymitglieder und die Entscheidung über die Verhandlungsfähigkeit ihres Mandanten zu hinterfragen. Andre Lee Thomas leidet seit seiner Kindheit an schweren psychischen Erkrankungen, darunter auch Schizophrenie. Zum Tatzeitpunkt litt er unter einer schweren Psychose. Seine derzeitigen Rechtsbeistände haben Rechtsmittel gegen die Verfassungsmäßigkeit seiner Hinrichtung eingelegt.

Appell an

Begnadigungsausschuss von Texas

P.O. Box 13401

Austin

Texas 78711-3401

USA

Sende eine Kopie an

Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika

I.E. Frau Amy Gutmann

Clayallee 170

14195 Berlin


Fax: 030 – 8305 10 50

E-Mail: feedback@usembassy.de

Amnesty fordert:

  • Ich appelliere dringend an Sie, Gouverneur Abbott zu empfehlen, das Todesurteil gegen Andre Lee Thomas (Häftlingsnummer 999493) umzuwandeln, da seine Hinrichtung gegen das Völkerrecht verstoßen würde.

Sachlage

Andre Lee Thomas wurde 2005 für einen Mord zum Tode verurteilt, den er 2004 kurz nach seinem 21. Geburtstag begangen hatte. Am 17. März 2023 wird er 40 Jahre alt. Er wuchs in Armut auf und erfuhr in seiner Kindheit Vernachlässigung und Misshandlung. Viele seiner Familienmitglieder litten an psychischen Erkrankungen. Im Alter von neun oder zehn Jahren entwickelte Andre Lee Thomas akustische Halluzinationen und versuchte erstmals, sich das Leben zu nehmen. Mit 19 Jahren litt er unter regelmäßigen und schweren akustischen Halluzinationen. Im Jahr 2004 durchlebte Andre Lee Thomas eine schwere Psychose, die dazu führte, dass er sich selbst Stichverletzungen an der Brust zufügte. Vor diesem Hintergrund wurde als Notfallmaßnahme zwei Mal Haftbefehl gegen ihn erlassen, er wurde jedoch nicht in Gewahrsam genommen. Kurz darauf erstach er seine 20-jährige Frau, von der er in Trennung lebte, sowie die gemeinsamen Kinder: einen vierjährigen Jungen und ein 13 Monate altes Mädchen. Danach fügte er sich selbst Stichverletzungen zu. Kurz nach seiner Festnahme stach er sich das rechte Auge aus, und später auch das linke. Andre Lee Thomas wird in einer psychiatrischen Haftanstalt festgehalten.

Die Richterin Cathy Cochran des texanischen Berufungsgerichts beschrieb den Fall von Andre Lee Thomas als "außerordentlich tragisch", da der Angeklagte unter "einer schweren psychischen Erkrankung" und "psychotischen Wahnvorstellungen" leide. Nichtsdestotrotz bestätigten sowohl die texanischen als auch die Bundesgerichte das Todesurteil – letztere wandten einen im US-amerikanischen Recht festgelegten Prüfungsmaßstab an, nach dem die zu prüfenden Urteile nur in sehr eng definierten Fällen abgeändert oder gekippt werden. Dieses Vorgehen untergräbt die internationalen Standards für ein faires Gerichtsverfahren. Der texanische Begnadigungsausschuss befasst sich derzeit mit dem Gnadengesuch von Andre Lee Thomas.

Es besteht große Sorge, dass das Verfahren gegen Andre Lee Thomas durch rassistische Voreingenommenheit geprägt war. Für sein Verfahren wurden zwölf weiße Geschworene ausgewählt, von denen drei offen angaben, nichts von "Mischehen" und dem Zeugen von Kindern "gemischter Abstammung" zu halten. Sie sollten über das Schicksal eines Schwarzen Mannes entscheiden, der seine weiße Ehefrau und die gemeinsamen Kinder getötet haben soll. Nach Ansicht einer Richterin des Berufungsgerichts Court of Appeals for the Fifth Circuit war die Entscheidung, diese drei Jurymitglieder zuzulassen, "objektiv unvertretbar". Doch die damaligen Rechtsbeistände von Andre Lee Thomas befragten lediglich eine dieser drei Personen sehr oberflächlich zu diesen Ansichten. Sie beantragten weder die kollektive Entlassung der drei Geschworenen, noch erhoben sie Einspruch gegen ihre Ernennung. Im Jahr 2022 gaben drei Richter*innen des Obersten Gerichtshofs an, Andre Lee Thomas sei "von einer Jury [schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt worden], zu der drei Geschworene zählten, die ihm gegenüber voreingenommen waren". Die Richter*innen betonten, dass dem Angeklagten eindeutig sein verfassungsmäßiges Recht auf eine wirksame rechtliche Vertretung vorenthalten worden war. Seine damaligen Rechtsbeistände hinterfragten ebensowenig die Entscheidung, ihn für verhandlungsfähig zu erklären, obwohl ihm starke Medikamente gegen seine Psychose verabreicht wurden, die eine sedierende Wirkung auf ihn hatten. 

Das Völkerrecht verbietet die Anwendung der Todesstrafe gegen Personen mit geistigen (psychosozialen) Erkrankungen, erfordert eine Rechtsprechung frei von rassistischer Diskriminierung und verlangt, dass Personen, die zum Tode verurteilt werden könnten, in allen Verhandlungsphasen Zugang zu angemessener rechtlicher Vertretung haben. Die Hinrichtung von Andre Lee Thomas würde gegen das Völkerrecht verstoßen, an das alle Bundesstaaten in den USA gebunden sind. 

Amnesty International lehnt die Todesstrafe grundsätzlich und uneingeschränkt ab. Seit 1976, als der Oberste Gerichtshof der USA neue Todesstrafengesetze bestätigte, wurden in den USA 1.565 Todesurteile vollstreckt. Im Jahr 2023 wurden in den USA bisher sieben Hinrichtungen vollzogen, drei davon in Texas. Der Bundesstaat ist für 37% (581) aller seit 1976 vorgenommenen Exekutionen verantwortlich.

Hintergrundinformation

Hintergrund

On 5 March 2004, a friend took Andre Lee Thomas to a mental health facility because he was suicidal. An emergency detention order was signed by a judge but was never enforced. Two weeks later, he stabbed himself in the chest. At the hospital, he was seen by a doctor who concluded Andre Lee Thomas was paranoid, hallucinating and suicidal, but left unattended, the young man went home. Another emergency detention order was issued, the police were informed, but the order was never carried out. Two days later, on 27 March 2004, Andre Lee Thomas stabbed to death his 20-year-old estranged wife, their four-year-old son, and her 13-month-old daughter, and then stabbed himself. After he was discharged from the hospital following surgery for his stab wound, he told police that he had heard a voice he thought was God telling him the three victims were Jezebel (wife of the devil), the anti-Christ, and another evil spirit, and ordering him to kill them. After he did so, he stabbed himself hoping to die. In jail five days later, still under active psychosis, he cited the Bible verse that "if thy right eye offend thee, pluck it out" and gouged out his own right eye. Three psychologists agreed he was not competent to stand trial and he was diagnosed with paranoid schizophrenia. Forty-seven days later, after treatment with high doses of powerful anti-psychotic medication, he was deemed competent. His lawyers did not raise the issue of competency even though their client was being heavily medicated before and during trial, compromising his ability to communicate with them.

At jury selection in early 2005, the prosecution used its right under Texas law to have the jury pool "shuffled" (randomly re-seated), leading to 10 of the 12 Black prospective jurors being moved back to beyond the first 100 individuals to be questioned, effectively removing them. The one Black person who reached individual questioning was questioned by the prosecution in a manner markedly different than it employed for the white prospective jurors. The prosecution then dismissed the Black would-be juror as unsuitable. The resulting jury was all-white, in a county (Grayson) with a population that was 18% non-white. Three of the jurors had openly admitted on their questionnaire forms that they opposed interracial marriage and procreation – saying such things as "I don’t believe God intended for this" and "we should stay with our Blood Line". One of them said that he "vigorously" opposed such relationships and was "not afraid to say so". Despite the racially sensitive facts of the case – Andre Lee Thomas is Black, his former wife was white, and the two children were mixed race – the defence failed to object to the jury shuffle (or to ask for its own), to adequately question the jurors’ views on interracial marriage and whether this would impact their impartiality, or to challenge the prosecution’s disparate questioning of the Black prospective juror. It also failed to object to the prosecution’s racially charged closing argument for the death penalty asking the white jurors whether they were willing to countenance Andre Lee Thomas being released after a 40-year life sentence and the subsequent risk of "him asking your daughter out, or your granddaughter out?"

There was no dispute that Andre Lee Thomas was psychotic at the time of the crime. The defence position was that his psychosis stemmed from his mental disability, and that he was not guilty by reason of insanity. The prosecution argued that ingestion of alcohol, marijuana, and cough medicine in the weeks before the crime had induced the psychosis and amounted to "voluntary intoxication" which defeats the insanity claim under Texas law. The defence retained no neuropharmacological expert to rebut the state’s theory of substance-induced psychosis and failed to present a cohesive mitigating picture of Andre Lee Thomas’s life-long struggle with serious mental disability. The jury rejected the insanity plea, convicted him of the capital murder of the 13-month-old baby, and after only an hour’s deliberation, sentenced him to death (the murders of his wife and son were on a separate indictment which has not been tried). On death row in December 2008, again under a psychotic episode causing him to believe that the government could see his thoughts, he removed his remaining eye, thereby completely and permanently blinding himself. Since then, he has been held in a prison psychiatric facility where he is medicated with anti-psychotic drugs. Doctors there have described him as "severely and persistently mentally ill".

International law prohibits the death penalty against people with mental (psychosocial) disabilities. The UN Human Rights Committee, established under the International Covenant on Civil and Political Rights, has said that States parties, of which the USA is one, "must refrain from imposing the death penalty on individuals who face special barriers in defending themselves on an equal basis with others, such as persons whose serious psychosocial... disabilities impede their effective defence... They should also refrain from executing persons who have a diminished ability to understand the reasons for their sentence." His current lawyers are challenging his competence for execution, that is that he does not have a rational understanding of the reality of, and reason for, his punishment.