Singapur: drohende Hinrichtung

Junge Menschen sitzen auf dem Boden und halten Protestschilder in der Hand

Protestaktion in Singapur für die Abschaffung der Todesstrafe (3. April 2022)

+++ Update: Leider haben wir die sehr traurige Nachricht, dass Tangaraju s/o Suppiah am 26. April in Singapur hingerichtet wurde. Vielen Dank allen, die versucht haben, die Hinrichtung zu verhindern. +++

Tangaraju s/o Suppiah ist in Gefahr, am 26. April 2023 hingerichtet zu werden. Er wurde wegen Beihilfe zum Handel mit etwa 1 kg Cannabis zum Tode verurteilt – die obligatorisch vorgeschriebene Strafe bei derartigen Drogendelikten in Singapur. Sein Schuldspruch beruht hauptsächlich auf Aussagen aus seinem polizeilichen Verhör, das ohne Rechtsbeistand und Dolmetscher*in durchgeführt wurde, sowie auf der Aussage seiner beiden Mitangeklagten, von denen einer freigesprochen wurde. Die Regierung von Singapur muss diese Hinrichtung stoppen, das Todesurteil umwandeln und als ersten Schritt hin zur Abschaffung der Todesstrafe ein offizielles Hinrichtungsmoratorium einführen.

Appell an

Premierminister

Lee Hsien Loong

Prime Minister of Singapore

Office of the Prime Minister

Orchard Road, Istana, 238823

SINGAPUR

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Singapur

S.E. Herrn Laurence Bay Siow Hon

Voßstr. 17

10117 Berlin


Fax: 030-2263 4375

E-Mail: singemb_ber@mfa.sg

 

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, die geplante Hinrichtung von Tangaraju s/o Suppiah sofort zu stoppen, seine Strafe umzuwandeln und ein offizielles Moratorium für alle Hinrichtungen als ersten Schritt zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe zu verhängen.

Sachlage

Die für den 26. April 2023 anberaumte Hinrichtung von Tangaraju s/o Suppiah muss gestoppt werden. Seine Verurteilung zum Tode verstößt gegen internationale Menschenrechtsnormen und -standards, und seine Hinrichtung wäre rechtswidrig und willkürlich.

Das Völkerrecht und internationale Standards sehen Beschränkungen für die Anwendung der Todesstrafe vor, um einen willkürlichen Entzug des Lebens zu verhindern. Unter anderem ist es verboten, die Todesstrafe als obligatorische Strafe für bestimmte Straftaten zu verhängen. Die Todesstrafe darf nur für "schwerste Verbrechen" verhängt werden, wozu beispielsweise die vorsätzliche Tötung gehört, und auch dann nur in Verfahren, die den höchsten Standards für ein faires Gerichtsverfahren entsprochen haben, und wenn die Schuld der angeklagten Person in eindeutiger und überzeugender Weise, die keine andere Erklärung des Sachverhalts zulässt, nachgewiesen wurde. Im aktuellen Fall scheint gegen diese Schutzmaßnahmen verstoßen worden zu sein.

Die Regierung Singapurs muss Maßnahmen zur Reform der Todesstrafe ergreifen, anstatt neue Hinrichtungen zu veranlassen. Singapur ist eines von vier Ländern, die in den vergangenen Jahren Todesurteile wegen Drogendelikten vollstreckt haben. Aufgrund der äußerst repressiven Drogenkontrollgesetze ist es den Richter*innen nicht gestattet, bei der Strafzumessung mögliche mildernde Umstände wie eine bestehende Drogenabhängigkeit, den Hintergrund des/der Angeklagten oder andere für den Fall relevante Faktoren zu berücksichtigen. Dass Singapur auf äußerst drakonische Gesetze vertraut, konnte weder den Drogenkonsum und die Verfügbarkeit von Drogen im Land bekämpfen noch vor drogenbedingten Folgeschäden schützen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Dem singapurischen Staatsangehörigen Tangaraju s/o Suppiah droht am 26. April 2023 die Hinrichtung. Er wurde 2018 wegen der Beteiligung am Handel mit 1.017 Gramm Cannabis im Jahr 2013 in Singapur obligatorisch zum Tode verurteilt.

Tangaraju s/o Suppiah wurde beschuldigt, im September 2013 mit zwei Männern den Handel mit Cannabis verabredet zu haben, gelangte jedoch nie in den Besitz der Drogen, die er vermeintlich bestellt hatte. Sein Schuldspruch beruht hauptsächlich auf Aussagen, die er bei seinem polizeilichen Verhör machte, bei dem weder Rechtsbeistand noch Dolmetscher*in (seine Muttersprache ist Tamil) anwesend waren, sowie auf der Aussage seiner beiden Mitangeklagten. Diese traten als Belastungszeugen auf und brachten ihn mit der Nummer eines Mobiltelefons in Verbindung, das er nach seinen Angaben vor der Straftat verloren hatte. Die Anklagen gegen einen der Mitangeklagten wurden später fallen gelassen. Darüber hinaus konnte die Staatsanwaltschaft einen vierten Mann nicht ausfindig machen, den die Richter*innen als wesentlich zur Bestätigung der von den Mitangeklagten getätigten Aussage ansahen, und legte zudem weder die Aussagen der Mitangeklagten noch die fraglichen Mobilfunkdaten für die Verteidigung offen. Das erstinstanzliche Gericht und das Berufungsgericht prüften alle von der Verteidigung vorgebrachten Gründe, einschließlich der Ungereimtheiten in den von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Aussagen, wiesen diese jedoch zurück. In Ländern, in denen die Todesstrafe noch nicht abgeschafft wurde, schreiben internationale Schutzmechanismen vor, dass die Todesstrafe nur dann verhängt werden darf, wenn die Schuld der angeklagten Person in eindeutiger und überzeugender Weise, die keine andere Erklärung des Sachverhalts zulässt, nachgewiesen wurde, und nur nach einem Verfahren, das alle erforderlichen Garantien zur Gewährleistung eines fairen Gerichtsverfahrens einhält, die mindestens den in Artikel 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte enthaltenen Garantien entsprechen. Dazu gehört auch das Recht jeder Person, die eines Verbrechens verdächtigt oder angeklagt wird, für das die Todesstrafe verhängt werden kann, auf einen angemessenen Rechtsbeistand in allen Phasen des Verfahrens.

Das Völkerrecht und die internationalen Standards verbieten die Verhängung von obligatorischen Todesurteilen, da diese den Richter*innen die Möglichkeit nehmen, mildernde Umstände zu berücksichtigen. Darüber hinaus verlangen das Völkerrecht und internationale Standards, dass die Todesstrafe nur für "schwerste Verbrechen" verhängt werden darf, z. B. bei vorsätzlicher Tötung. Besorgniserregend ist auch, dass sich die Staatsanwaltschaft möglicherweise auf das singapurische Gesetz über den Drogenmissbrauch stützt. Auf dieser Grundlage wird bei jeder Person, der der Besitz bestimmter Mengen verbotener Substanzen nachgewiesen wird, davon ausgegangen, dass sie Kenntnis sowohl von der gefundenen Substanz als auch von deren Menge hatte und dass sie diese zum Zwecke des Handels in ihrem Besitz hatte. Die beschuldigte Person muss dann das Gegenteil beweisen, was einen Verstoß gegen das Prinzip der Unschuldsvermutung darstellt. Nachdem das Gericht zu der Überzeugung gekommen war, dass Tangaraju s/o Suppiah in den Handel mit mehr als 1 kg Cannabis verwickelt war, wurde ihm angesichts der Menge der Vorsatz unterstellt, mit der Substanz Handel betreiben zu wollen.

Die letzte bekannte Hinrichtung in Singapur wurde im Oktober 2022 vollzogen.

Amnesty International wendet sich in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe. Bis heute haben 112 Länder die Todesstrafe für alle Straftaten abgeschafft und mehr als zwei Drittel der Länder haben die Todesstrafe per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft.

Nach den 2013 in Kraft getretenen Änderungen des Gesetzes über den Drogenmissbrauch verfügen die Richter*innen in Singapur über einen gewissen Ermessensspielraum bei der Strafzumessung in Fällen, in denen sich die Rolle des*der Angeklagten auf den Transport von Drogen ("Kurier*in") beschränkte. Dies greift aber nur, wenn die Staatsanwaltschaft der beschuldigten Person bescheinigt, dass sie sich intensiv für die Zerschlagung des Drogenhandels eingesetzt hat, oder bei Personen mit geistigen oder intellektuellen Einschränkungen, die keine Verantwortung für ihre Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit der verhandelten Straftat übernehmen können. Diese Regelung im Falle einer Einstufung als "Kurier*in" bedeutet, dass das Gericht keinen Ermessensspielraum mehr hat und den*die Angeklagte*n zum Tode verurteilen muss, sofern die Staatsanwaltschaft keine entsprechende Bescheinigung vorlegt. Dadurch wird die Entscheidung über die Verurteilung in der Praxis der Staatsanwaltschaft übertragen.