Ägypten: Politikersohn seit über 10 Jahren willkürlich in Haft

Porträtaufnahme von Anas al-Beltagy, der in die Kamera lächelt.

Anas al-Beltagy ist seit 2013 in Ägypten inhaftiert.

Anas al-Beltagy wird seit über einem Jahrzehnt lediglich aufgrund einer familiären Verbindung willkürlich in Haft gehalten. Seit seiner Festnahme im Dezember 2013 war er zahlreichen schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Er wird seit dem 8. Juni 2023 im Gefängnis der Stadt Al-Ashir min Ramadān in Einzelhaft gehalten und darf keinen Besuch empfangen. Abgesehen von seinen Anhörungen, die über Videoschaltung abgehalten werden, hat er keinerlei Kontakt zur Außenwelt. Anas al-Beltagy muss umgehend und bedingungslos freigelassen werden. 

Appell an

Präsident
Abdelfattah al-Sisi
Office of the President
Al Ittihadia Palace
Kairo
ÄGYPTEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Arabischen Republik Ägypten
S. E. Herrn Khaled Galal Abdelhamid
Stauffenbergstraße 6 – 7
10785 Berlin

Fax: 030-477 1049
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, dafür zu sorgen, dass Anas al-Beltagy umgehend und bedingungslos freigelassen wird und alle Anklagen gegen ihn fallen gelassen werden, da diese allein wegen seiner familiären Verbindungen und der Wahrnehmung seiner Menschenrechte erhoben wurden. 
  • Außerdem bitte ich Sie, dafür zu sorgen, dass er bis zu seiner Freilassung unter Bedingungen festhalten wird, die den internationalen Standards für die Behandlung von Gefangenen entsprechen, und regelmäßigen Zugang zu seiner Familie, Rechtsbeiständen sowie einer angemessenen medizinischen Versorgung erhält.

Sachlage

Anas al-Beltagy, der Sohn des inhaftierten Mohamed al-Beltagy, einem bekannten Mitglied der Muslimbruderschaft, ist wegen dieser familiären Verbindung seit mehr als zehn Jahren willkürlich inhaftiert. Obwohl die Gerichte ihn in vier Fällen von allen Vorwürfen freigesprochen haben und ein Gericht in einem fünften Verfahren seine vorläufige Freilassung anordnete, wird er weiterhin in Haft gehalten, während in einem separaten sechsten Fall wegen ähnlicher fadenscheiniger Terrorismusvorwürfe gegen ihn ermittelt wird. Seit seiner Festnahme im Dezember 2013 wird Anas al-Beltagy gefoltert und anderweitig misshandelt, unter anderem in Form von Schlägen, verlängerter Einzelhaft und der gezielten Verweigerung medizinischer Versorgung. Auch ist er zeitweilig dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen.

Da Anas al-Beltagy seit 2017 weder Gefängnisbesuche erhalten noch mit der Außenwelt kommunizieren darf, haben seine Familienangehörigen und Rechtsbeistände nur wenige Informationen über ihn, die ihnen mittels der Anhörungen oder durch andere Gefangene zugetragen werden. So haben sie herausgefunden, dass er seit seiner Verlegung in das Gefängnis der Stadt Al-Ashir min Ramadān am 8. Juni 2023 in Einzelhaft gehalten wird und sich weder im Freien bewegen noch mit anderen Inhaftierten interagieren darf. Bei der letzten Anhörung über die Verlängerung seiner Untersuchungshaft, die im November 2023 per Videoschaltung stattfand, wurde er vom Richter unterbrochen und stummgeschaltet, als er sich über seine fortgesetzte ungerechtfertigte Inhaftierung, die schlechten Haftbedingungen, die Verweigerung des Besuchsrechts und die Einschränkungen bei der Beschaffung von Büchern und anderem Lesematerial beschwerte. Seit September 2023 weigern sich einige Gefangene, die aus politischen Gründen im Gefängnis von Stadt Al-Ashir min Ramadān inhaftiert sind, an Online-Anhörungen teilzunehmen. Damit wehren sie sich dagegen, dass sie nicht in der Lage sind, die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung sinnvoll anzufechten, und dass ihre Verfahrensrechte wie z. B. ihr Recht auf angemessene Verteidigung verletzt werden. Bei den Online-Anhörungen sind die Rechtsbeistände der Verteidigung mit den Richter*innen im Gerichtssaal anwesend, während die Angeklagten aus einem Raum des Gefängnisses zugeschaltet werden, wo sie sich zusammen mit Sicherheitskräften befinden. Anwält*innen klagen häufig über technische Probleme bei diesen Online-Anhörungen. So sei die Verbindung oft schlecht und sie könnten die Anklagten nicht richtig hören.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Anas al-Beltagy wurde am 24. Dezember 2013 als 20-Jähriger erstmals von Sicherheitskräften festgenommen. Damals war er mit seiner Mutter im Tora-Gefängnis, um seinen dort inhaftierten Vater Mohamed al-Beltagy zu besuchen. Nach Amnesty International vorliegenden Informationen wurden er und seine Mutter von Sicherheitskräften eingekreist und geschlagen und anschließend zur Staatsanwaltschaft von Maadi gebracht, wo sie wegen des Vorwurfs des tätlichen Angriffs auf Gefängniswärter*innen befragt wurden. Nach etwa zwanzig Stunden Haft ordnete die Staatsanwaltschaft ihre vorläufige Freilassung an.

Am 31. Dezember 2013 wurde Anas al-Beltagy im Haus eines Freundes im Viertel Nasr City von Kairo festgenommen. Er wurde auf die Polizeiwache Nasr City 1 gebracht. Dort weigerten sich die Polizist*innen, seine Festnahme zu protokollieren, und ließen ihn für fast einen Monat verschwinden. In dieser Zeit war er Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt. Aus informierten Quellen hat Amnesty erfahren, dass er von Sicherheitskräften in einem kleinen Eisenkäfig festgehalten wurde, der als "für Menschen ungeeignet" beschrieben wurde. Nach seiner Verlegung in das Gefängnis Abu Zaabal in Alexandria Anfang 2014 wurde er von der Gefängnisverwaltung in verlängerter Einzelhaft gehalten und gezwungen, auf dem nackten Betonboden zu schlafen. Anschließend wurde er in das Tora-Gefängnis südlich von Kairo gebracht. Auch hier war er Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt, darunter der verlängerten Einzelhaft. Im November 2022 wurde er ins Badr-Gefängnis verlegt.

Anas al-Beltagy wird seit seiner Festnahme unter grausamen und unmenschlichen Bedingungen festgehalten, die gegen das absolute Folterverbot verstoßen. In Badr 1 wurde er von November 2022 bis Juni 2023 in einer eiskalten Zelle bei rund um die Uhr eingeschaltetem Neonlicht in Einzelhaft gehalten, ohne dass er sich draußen bewegen oder Kontakt mit anderen Gefangenen haben durfte. Seit dem 8. Juni 2023 befindet er sich im Gefängnis von Al-Ashir min Ramadān in Isolationshaft. Gefängnisangestellte erlauben seiner Familie weiterhin nicht, ihm Lebensmittel, angemessene Kleidung und Medikamente zu bringen. Und dies, obwohl gut dokumentiert ist, dass die Gefängnisbehörden die Häftlinge in ihrem Gewahrsam nicht mit ausreichender Nahrung, Trinkwasser, Hygieneartikeln, angemessener Kleidung und Bettwäsche versorgen. 

Bei seinen Anhörungen zur Verlängerung der Untersuchungshaft, die seit 2022 über Videoschaltung abgehalten werden und bei denen er gelegentlich mit Hand- und Fußfesseln zu sehen ist, beklagte er sich über eine Verschlechterung seiner körperlichen und geistigen Verfassung. Bei den Online-Anhörungen sind die Verteidiger*innen zusammen mit den Richter*innen im Gerichtssaal anwesend, während die Angeklagten von einem Raum im Gefängnis aus zugeschaltet werden. Solche Anhörungen untergraben die Standards für ein faires Verfahren und finden unter nötigenden Bedingungen in Anwesenheit von Gefängniswärter*innen statt. Zudem werden die Gefangenen daran gehindert, privat mit ihren Rechtsbeiständen zu kommunizieren. Darüber hinaus setzen sie Häftlinge der Gefahr von Repressalien seitens des Wachpersonals aus, wenn sie sich über Folter oder andere Misshandlungen beschweren, und erschweren es, dass Richter*innen Blutergüsse oder andere Verletzungen sehen. Rechtsbeistände klagen auch häufig über technische Probleme bei Online-Anhörungen, darunter schlechte Verbindungen und Schwierigkeiten, die Angeklagten angemessen zu hören. Die Rechtsbeistände von Anas al-Beltagy berichteten zudem, ihren Mandanten während einiger Anhörungen nicht über die Kamera gesehen und daher nicht gewusst zu haben, ob er im Raum anwesend war oder nicht. Sie erklärten, dass der Richter die von Anas al-Beltagy wiederholt vorgebrachten Misshandlungsvorwürfe abgewiesen und nicht ernst genommen habe, woraufhin Anas al-Beltagy einen anderen Richter für künftige Anhörungen über die Verlängerung seiner Untersuchungshaft beantragte.

Sicherheitskräfte haben die Familie von Mohamed al-Beltagy schon seit langem im Visier, sodass einige Angehörige sich gezwungen sahen, ins Ausland zu fliehen. Asma al-Beltagy, die Schwester von Anas al-Beltagy, wurde während der gewaltsamen Auflösung eines Sitzstreiks am Rabaa-al-Adawiya-Platz am 14. August 2013, bei dem 900 Menschen starben, von Sicherheitskräften getötet. Sie war damals 16 Jahre alt. Während bisher noch keine Sicherheitskräfte oder Militärangehörigen zur Verantwortung gezogen wurden, haben die Behörden Tausende tatsächlicher oder vermeintlicher Mitglieder und Anhänger*innen der Muslimbruderschaft festgenommen.