Amnesty Journal 21. Juli 2015

"Es ist besser, an den Verhandlungstisch zurückzukehren"

Ein Interview mit Saloum D. Traoré, Direktor von Amnesty International in Mali, über Friedensverhandlungen, fortbestehende Konflikte und Fortschritte bei den Menschenrechten in Mali.

Ende März starben acht Menschen bei zwei Terroranschlägen im Zentrum der malischen Hauptstadt Bamako. Wird die Lage in Mali wieder eskalieren?
Diese Anschläge erschrecken mich und ich halte sie für ein schlechtes Zeichen. Zum ersten Mal geschahen Anschläge im Zentrum der Hauptstadt. Vergleichbares ist aus dem Norden des Landes und anderen Orten bekannt. Es zeigt, dass sich die Lage in Mali rasant verschlechtern kann, wenn der Konflikt im Norden sich im Land ausbreitet.

Nach dem Putsch 2012 dominierten zeitweise Terrorgruppen das Geschehen im Land, die Militärintervention drängte sie zurück. Der Konflikt scheint nicht ausgestanden, wie wird er bearbeitet?
Es wurde über eine Lösung verhandelt – bisher leider ohne Erfolg. Nach mehreren Verhandlungsrunden lehnten die bewaffneten Gruppen, die noch immer den äußersten Norden kontrollieren, den angebotenen Friedensvertrag ab. Viele verschiedene Akteure waren einbezogen, das hatte einen sehr inklusiven Charakter. Wie es jetzt weitergeht, ist unklar. Die Regierung hat das Dokument einseitig unterzeichnet. Eines ist klar: Es ist besser, an den Verhandlungstisch zurückzukehren als in den Krieg.

Was ist das Problem bei diesem Verhandlungsprozess?
Wenn du Frieden mit jemandem machen willst, der das nicht mit dir will. Tatsächlich wurde der Norden sehr lange extrem vernachlässigt, aber genau das sollte sich jetzt ändern. Die ers­ten Schritte waren unternommen und es gab weitere Perspektiven. Wenn die bewaffneten Gruppen den Verhandlungsergebnissen aber nicht zustimmen, ist unklar, was wirklich passiert. Es ist nicht auszuschließen, dass sich das Land spalten wird.

Besteht die Gefahr, dass sich die Subsahara-Region in Gänze destabilisiert – auch im Hinblick auf den Einfluss Boko Harams in Nigeria und darüber hinaus?
Dieser Konflikt rückt immer näher und ich habe große Sorge, dass er ganz Westafrika betreffen wird. Zudem ähneln auch die Gruppen im Norden Malis Boko Haram. Ende März wurde der Gouverneur der Region Mopti von Bewaffneten angegriffen. Sie kommen, sie üben Gewalt aus und verstehen sich selbst als vermeintlich religiös. In der Zeit vor der Militärintervention kontrollierten sie weite Gebiete und verfolgten dabei ein – aus ihrer Sicht – Prinzip islamischer Gerechtigkeit: Sie peitschten Leute aus, sie schlugen Frauen, sie zwangen Leute, Dinge gegen ihren Willen zu tun und sie schlugen vermeintlichen Dieben die Hände oder Füße ab.

Auch Sie wurden in der Vergangenheit bedroht, wie sicher können Sie jetzt agieren?
Gegenwärtig bin ich nicht bedroht und arbeite ungehindert. Ich habe lediglich die gleichen Ängste, die auch alle anderen Menschen in Anbetracht der anhaltenden Krise und der ausgeprägten Korruption in Mali teilen. 2013 war das anders. Damals hatte ich zusammen mit einem Kollegen einen Bericht veröffentlicht. Er dokumentierte die schweren Menschenrechtsverstöße der Armee im Norden des Landes, die dort im Auftrag der damaligen Regierung agierte. Damals drangen Bewaffnete nachts in mein Haus ein, ich sprang über die Mauer und floh.

Warum ist die Lage jetzt anders?
Nach dem Putsch 2012 war es sehr gefährlich, über Menschenrechte zu reden. Aber seit den Wahlen haben wir eine neue, demokratische Regierung, die Menschenrechte ernst nimmt. Ende März besuchte ich sogar den Ex-General, der den damaligen Putsch anführte, Amadou Sanago. Er ist gegenwärtig inhaftiert. Ich untersuchte, ob seine Haftbedingungen annehmbar sind. Im Rahmen dieses Besuchs wurden die Bedingungen verbessert. Das signalisiert, dass wir wirklich frei arbeiten können. Als er an der Macht war, wäre so etwas nicht möglich gewesen. Diese Begegnung hatte etwas Groteskes, auch für ihn.

Fragen: Andreas Koob

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