Amnesty Report 08. Mai 2015

Sierra Leone 2015

 

Durch die Ebola-Epidemie starben in Sierra Leone mindestens 2758 Menschen. Es wurde der Notstand ausgerufen. Nach wie vor standen Ermittlungen gegen Tausende Verdächtige aus, die während des elf Jahre dauernden bewaffneten Konflikts in Sierra Leone Verbrechen begangen haben sollen. Der Polizei wurde in mindestens zwei Fällen rechtswidrige Tötung vorgeworfen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung von Journalisten war bedroht, weil ihnen immer häufiger Verleumdung vorgeworfen wurde.

Hintergrund

2013 veranlasste Präsident Ernest Bai Koroma die Überprüfung der Verfassung von Sierra Leone. Zivilgesellschaftliche Gruppen starteten im Hinblick auf die Verfassungsprüfung Kampagnen für politische Bildung und wurden auch anderweitig aktiv. Der Ausbruch der Ebola-Epidemie behinderte dieses Engagement jedoch zeitweilig. Die Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft reichte nicht aus, auch wenn sich die Lage im Laufe des Jahres 2014 etwas besserte.

Ebola-Epidemie

Sierra Leone war stark von der in Westafrika grassierenden Ebola-Epidemie betroffen. Am 31. Dezember 2014 gab es 9446 bestätigte Ebola-Fälle. Mindestens 2758 Menschen waren gestorben. Die Epidemie schwächte das ohnehin fragile Gesundheitssystem. So waren am 31. Oktober 2014 mehr als 199 medizinische Fachkräfte mit dem Virus infiziert. NGOs äußerten sich besorgt über die Ernährungssicherheit, den unverhältnismäßig hohen Anteil an erkrankten Frauen und die Behandlung der Menschen in Quarantäne.

Präsident Koroma rief im Juli 2014 den Notstand aus und erließ Notstandsverordnungen. Das Ministerium für Kommunalverwaltung erließ ergänzende Verordnungen zur Prävention von Ebola und anderen Krankheiten, einschließlich eines Verbots öffentlicher Versammlungen.

Internationale Strafgerichtsbarkeit

Im Jahr 2013 bestätigte der Sondergerichtshof für Sierra Leone das Urteil gegen den früheren liberischen Staatspräsidenten Charles Taylor, der für seine Rolle im bewaffneten Konflikt in Sierra Leone zu einer Gefängnisstrafe von 50 Jahren verurteilt worden war.

Damit endete das Mandat des Gerichtshofs, dessen Aufgabe es war, den Hauptverantwortlichen für die während des Konflikts begangenen Verbrechen den Prozess zu machen. Nach wie vor standen jedoch Ermittlungen und Gerichtsverfahren gegen Tausende Verdächtige aus, die während des elf Jahre dauernden bewaffneten Konflikts Verbrechen begangen haben sollen.

Das Thema Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen rückte erneut in den Fokus, als die UN-Sachverständigengruppe für Liberia im Jahr 2013 feststellte, dass sich der mutmaßliche Waffenhändler Ibrahim Bah, ein senegalesische Staatsbürger, in Sierra Leone aufhielt. Mit Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Organisation Centre for Accountability and Rule of Law strengten überlebende Opfer des Konflikts eine Privatklage gegen ihn an. Nur wenige Tage vor Prozessbeginn wurde Ibrahim Bah in den Senegal abgeschoben.

Todesstrafe

Sierra Leone behielt die Todesstrafe für Landesverrat und schweren Raub bei. Bei Mord war sie nach wie vor zwingend vorgeschrieben. Im Mai 2014 erklärte der Generalstaatsanwalt und Justizminister dem UN-Ausschuss gegen Folter, dass Sierra Leone die Todesstrafe in naher Zukunft abschaffen werde. Er stellte später klar, dass dies durch eine Novellierung der Strafprozessordnung geschehen werde. Bis Ende 2014 waren jedoch noch keine Schritte in diese Richtung unternommen worden.

Willkürliche Inhaftierung

Die Polizei hielt Personen regelmäßig über den von der Verfassung erlaubten Zeitraum hinaus in Haft. Im August 2013 wurden 18 Angehörige der Streitkräfte festgenommen, weil sie in der Tekoh-Kaserne in Makeni eine Meuterei geplant haben sollen. Sie wurden acht Monate lang ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten, was gegen die in der Verfassung festgelegten Zeitbeschränkungen verstieß. 14 der Inhaftierten wurden angeklagt und vor Gericht gestellt. Das Verfahren war Ende 2014 noch nicht abgeschlossen.

Polizei und Sicherheitskräfte

Die Regierung ergriff Maßnahmen zur Stärkung der Rechenschaftspflicht der Polizei. 2013 wurde für die Polizei ein neues Leistungsmanagementsystem eingeführt, und das Parlament verabschiedete Verordnungen für die Schaffung einer unabhängigen Beschwerdestelle für die Polizeiarbeit. Es wurden jedoch keine Untersuchungen gegen Polizeibeamte eingeleitet, denen der Einsatz willkürlicher oder exzessiver Gewalt vorgeworfen wurde. Dementsprechend wurden sie auch nicht zur Rechenschaft gezogen.

Die Regierung hat bisher keinen einzigen Polizeibeamten strafrechtlich verfolgt, trotz der Empfehlungen unabhängiger Kommissionen zur Untersuchung von Fällen mutmaßlicher rechtswidriger Tötungen. Im Jahr 2014 wurden in mindestens zwei Fällen Vorwürfe wegen widerrechtlicher Tötungen gegen die Polizei erhoben. Sie standen mit einem Vorfall in Kono in Zusammenhang, wo es wegen eines mutmaßlichen Ebola-Falls zu Krawallen gekommen war und die Polizei auf Menschen geschossen hatte.

Justizsystem

Das Justizsystem litt weiterhin unter fehlenden Finanzmitteln. Ständige Prozessvertagungen, verzögerte Anklageerhebungen und Richtermangel führten zu langen Untersuchungshaftzeiten und überfüllten Gefängnissen. Es wurden Maßnahmen zur Umsetzung des 2012 verabschiedeten Gesetzes über Prozesskostenhilfe ergriffen. Die Rechtshilfebehörde hatte ihre Arbeit Ende 2014 jedoch noch nicht aufgenommen.

Eine Neufassung der Strafprozessordnung von 1965 wurde in Angriff genommen. Im Jahr 2014 wurde das Justizvollzugsgesetz angenommen, mit dem die Strafvollzugsgrundsätze von 1960 reformiert wurden. Die Resozialisierung von Häftlingen steht nun stärker im Mittelpunkt.

Im März 2014 befasste sich der UN-Menschenrechtsausschuss mit der Umsetzung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte in Sierra Leone. Der Ausschuss brachte seine Besorgnis u.a. über die Prozessverzögerungen, die Haftbedingungen und die Rechenschaftspflicht der Polizei zum Ausdruck.

Rechte von Frauen und Mädchen

Es gab weiterhin beunruhigend viele Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt. Das seit dem Jahr 2012 geltende Gesetz zur Bekämpfung von Sexualstraftaten enthielt verbesserte Definitionen und härtere Strafen für sexuelle Gewalt. Es sind jedoch noch weitere Anstrengungen notwendig, um die Bestimmungen des Gesetzes umzusetzen.

Im September 2013 wurde der stellvertretende Minister für Bildung, Wissenschaft und Technologie entlassen, nachdem ihm sexuelle Nötigung und Vergewaltigung vorgeworfen worden waren. Während des Prozesses enthüllten die Medien den Namen des mutmaßlichen Opfers und verstießen damit sowohl gegen das Gesetz von 2012, das ausdrücklich auch den Schutz der Opfer gegen Veröffentlichung ihrer Personalien regelt, als auch gegen den Verhaltenskodex für Medien.

Der Vorsitzende Richter gab einem Antrag auf Schutzmaßnahmen statt, und weitere Zeugen durften ihre Aussage hinter einer Trennwand machen. Die unabhängige Medienkommission verurteilte die verantwortlichen Medienhäuser und war Ende 2014 noch dabei, entsprechende Beschwerden zu untersuchen. Der Strafprozess war ebenfalls noch nicht abgeschlossen.

Das Gleichstellungsgesetz, das für Parlament, Stadträte, Ministerien, Abteilungen und Behörden eine Frauenquote von mindestens 30% vorsieht, war noch nicht rechtskräftig. Als einziges Land Westafrikas hat Sierra Leone das Maputo-Protokoll für die Rechte von Frauen in Afrika (Protokoll zu der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker über die Rechte der Frauen in Afrika) noch nicht ratifiziert. Der Minister für Soziales, Gleichstellung und Belange der Kinder sicherte 2014 zu, dass Schritte im Hinblick auf eine Ratifizierung des Protokolls unternommen würden.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Das Recht auf freie Meinungsäußerung von Journalisten war bedroht, weil ihnen immer häufiger Verleumdung vorgeworfen wurde. Im Juli 2013 wurde Jonathan Leigh, Geschäftsführer der Zeitung Independent Observer, in vier Fällen wegen Verleumdung angeklagt, nachdem er einen Artikel veröffentlicht hatte, in dem einem Geschäftsmann korruptes und betrügerisches Verhalten vorgeworfen wurde. Der Fall wurde schließlich außergerichtlich beigelegt.

Im Oktober 2013 wurden Jonathan Leigh und Bai Bai Sesay vom Independent Observer wegen Verleumdung angeklagt, weil sie einen Artikel veröffentlicht hatten, in dem der Präsident kritisiert wurde. Die Journalisten bekannten sich der Verschwörung zur Veröffentlichung eines aufrührerischen Artikels für schuldig. Sie wurden verwarnt und im März 2014 freigesprochen.

Die nationale Menschenrechtskommission, der Journalistenverband und mehrere zivilgesellschaftliche Gruppen empfahlen die Aufhebung des Gesetzes, das Verleumdung unter Strafe stellt.

Im Januar 2014 wurde David Tam Baryoh wegen staatsgefährdender Verleumdung festgenommen, jedoch gegen Kaution freigelassen. Auf Anweisung der Regierung wurde seine Radiosendung Monologue im Mai 2014 für zwei Monate verboten. Im November 2014 wurde er wegen Äußerungen, die er in seiner Sendung über die Reaktion der Regierung auf den Ausbruch des Ebola-Virus gemacht hatte, erneut festgenommen. Er wurde elf Tage in Gewahrsam gehalten, bevor er gegen Kaution auf freien Fuß kam.

Im Oktober 2013 wurde das Informationsfreiheitsgesetz verabschiedet. Das Gesetz gewährte das Recht auf den Zugang zu Regierungsinformationen und verlangt von allen Regierungsebenen die Erarbeitung und Veröffentlichung von Maßnahmen für den Zugang der Öffentlichkeit zu den entsprechenden Unterlagen. Das Gesetz sah auch Sanktionen für den Verstoß gegen diese Bestimmungen vor.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen

Der UN-Menschenrechtsausschuss äußerte sich besorgt über Meldungen von Gewalt gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle. Der Ausschuss forderte Sierra Leone auf, seine Gesetze zu überarbeiten, um ein Verbot der Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen sicherzustellen.

Im Jahr 2013 wurden drei Personen angegriffen, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen eingesetzt hatten. Sie erhielten Drohungen, und in die Wohnung eines Aktivisten wurde mehrfach eingebrochen. Obwohl die Betroffenen diese Vorfälle der Polizei meldeten, wurden keine wirksamen Ermittlungen aufgenommen. Die drei Aktivisten sahen sich aufgrund der Repressalien gezwungen, aus Sierra Leone zu flüchten, und erhielten in Europa Asyl.

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