Amnesty Report Spanien 28. Mai 2013

Spanien 2013

 

Amtliche Bezeichnung: Königreich Spanien Staatsoberhaupt: König Juan Carlos I. Regierungschef: Mariano Rajoy Brey

Bei Demonstrationen setzte die Polizei 2012 laut Berichten exzessive Gewalt ein. Menschenrechtsorganisationen verurteilten Spanien aufgrund der mangelnden Untersuchungen zu Foltervorwürfen.

Hintergrund

Das ganze Jahr über kam es zu Demonstrationen. Dabei wurden Forderungen nach einer Änderung des politischen Systems erhoben, um der Öffentlichkeit größere Teilhabe an den politischen Entscheidungen des Landes zu geben. Zudem richteten sich die Proteste gegen die Sparmaßnahmen der Regierung zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Im Juni empfahl der UN-Ausschuss über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dass Spanien die im Zusammenhang mit der Finanzkrise ergriffenen Reformen überprüfen solle, um sicherzustellen, dass alle Sparmaßnahmen vorübergehend sind, einen angemessenen Umfang haben und die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte wahren. Der Ausschuss empfahl darüber hinaus, gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte denselben Schutz erfahren wie die bürgerlichen und politischen Rechte.

2012 gab es keine Berichte über Anschläge der bewaffneten baskischen Gruppe Euskadi Ta Askatasuna (ETA). Die Gruppe hatte im Oktober 2011 das Ende ihres bewaffneten Kampfes verkündet.

Im November 2012 entschied das Verfassungsgericht, dass gleichgeschlechtliche Ehen im Einklang mit der spanischen Verfassung stehen. Die konservative Volkspartei Partido Popular hatte 2005 Rechtsmittel gegen ein Gesetz zur Genehmigung gleichgeschlechtlicher Ehen eingelegt.

Folter und andere Misshandlungen

Über das ganze Jahr hinweg fanden in verschiedenen Städten, wie Madrid, Barcelona und Valencia, Demonstrationen statt. Es wurden häufig Vorwürfe über die Anwendung exzessiver Gewalt und Misshandlungen durch Sicherheitskräfte bei der Auflösung von Menschenansammlungen während der Proteste erhoben. Die Untersuchungen der Beschwerden waren im Allgemeinen nicht umfassend und wirksam; einige Ermittlungen wurden aufgrund der fehlenden Kennzeichnung der beteiligten Polizisten vereitelt.

  • Im März 2012 schloss ein Gericht in Barcelona (Juzgado de Instrucción 4 de Barcelona) die Untersuchung zur exzessiven Gewaltanwendung der katalanischen Polizei Mossos d’Esquadra ab. Diese soll mit Gewalt vorgegangen sein, als sie am 27. Mai 2011 Demonstrierende in Barcelona auseinandertreiben wollte. Das Gericht befand, dass sich die Polizei angemessen verhalten hatte. Doch am 29. Oktober ordnete ein höherinstanzliches Gericht (Audiencia de Barcelona) die Wiederaufnahme des Falls an.

  • Ebenfalls im März entschied ein Gericht in Madrid, eine 2011 von Ángela Jaramillo eingebrachte Beschwerde nicht zuzulassen, da die Polizistin, die Angela Jaramillo geschlagen hatte, nicht ermittelt werden konnte. Angela Jaramillo gehörte zu mehreren Menschen, die trotz ihres friedlichen Verhaltens bei einer Demonstration am 4. August 2011 in Madrid wiederholt von der Polizei mit Stöcken geschlagen wurden und daraufhin in ärztliche Behandlung mussten. Angela Jaramillo starb im Juni 2012 an den Folgen eines Herzinfarkts.

  • Am 11. Juli 2012 traf ein Gummigeschoss die freiberufliche Journalistin Paloma Aznar an der Hüfte, als sie über die Bergarbeiterdemonstrationen in Madrid berichtete. Sie führte einen Journalistenausweis mit sich, den sie mit der Kamera um den Hals trug. Paloma Aznar berichtete, dass die Polizei keine sichtbare Kennzeichnung getragen und Gummigeschosse direkt in die Menschenmenge gefeuert habe, nachdem einige Demonstrierende gewalttätig geworden seien. Auf Videoaufnahmen war zu sehen, dass die Polizei Schlagstöcke gegen auf dem Boden liegende Menschen einsetzte und Gummigeschosse aus kurzer Distanz abfeuerte.

  • Am 25. September 2012 schlugen nicht identifizierbare Polizisten bei einer Demonstration in Madrid friedliche Demonstrierende mit Schlagstöcken, feuerten Gummigeschosse auf sie ab und drohten Journalisten, die die Ereignisse verfolgten – auch im Bahnhof Atocha. Berichten zufolge wurde eine interne Untersuchung über die Polizeioperation eingeleitet. Die Ergebnisse waren bis zum Ende des Jahres noch nicht veröffentlicht worden.

Untersuchungen über Vorwürfe von Folter und anderen Misshandlungen waren oft mangelhaft. Menschenrechtsorganisationen und Gerichte benannten sie auch als mangelhaft bei Entscheidungen, die sie im Laufe des Jahres trafen.

  • Im April 2012 verurteilte ein Strafgericht zwei Polizeibeamte, denen die Tötung von Osamuyia Akpitaye bei seiner Abschiebung im Juni 2007 zur Last gelegt wurde, wegen des minderschweren Vergehens der Fahrlässigkeit. Eine Gefängnisstrafe wurde nicht verhängt.

  • Im Mai 2012 kam der UN-Ausschuss gegen Folter zu dem Schluss, dass Spanien die Foltervorwürfe im Fall Orkatz Gallastegi gegen Spanien nicht angemessen untersucht hatte. Orkatz Gallastegi wurde 2005 auf Grundlage selbstbelastender Aussagen verurteilt, die mutmaßlich unter Zwang zustande gekommen waren, als er sich 2002 in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt befunden hatte.

  • Im Juli 2012 weigerte sich das Verfassungsgericht, den Freispruch von vier Angehörigen der Guardia Civil durch den Obersten Gerichtshof (Tribunal Supremo) im Jahr 2011 zu prüfen. Das Strafgericht von Guipúzcoa hatte die vier im Dezember 2010 der Folterung von Igor Portu und Mattin Sarasola am 6. Januar 2008 im Polizeigewahrsam schuldig gesprochen.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit – Haft ohne Kontakt zur Außenwelt

Die Untersuchungen der von Angehörigen der bewaffneten Gruppe ETA verübten Verbrechen hielten an.

Spanien ignorierte auch 2012 Forderungen internationaler Menschenrechtsinstitutionen, Personen, die terroristischer Aktivitäten verdächtigt wurden, nicht länger ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft zu halten. Verdächtige können in Spanien bis zu 13 Tage lang festgehalten werden und dürfen in diesem Zeitraum keinen eigenen Anwalt beauftragen oder sich unter vier Augen mit ihrem Pflichtverteidiger beraten. Auch haben sie weder Zugang zu einem Arzt ihrer Wahl, noch können sie Angehörige über ihren Verbleib informieren.

  • Im Dezember wies der Oberste Gerichtshof Rechtsmittel von Anwälten im "Bush-Six-Fall" zurück, in Spanien die Strafverfolgung von sechs Personen aufzunehmen, die in die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens verwickelt gewesen sein sollen, der zur Folter mutmaßlicher Terroristen in Gefangenenlagern unter Leitung der USA geführt hatte. Der Fall war in den US-amerikanischen Gerichten nicht vorangekommen. Obwohl gegenteiliges Beweismaterial vorlag, befand das Gericht, dass die USA Untersuchungen durchführten. Es wurde davon ausgegangen, dass gegen diese Entscheidung Rechtsmittel beim Verfassungsgericht eingelegt werden.

Rassismus und Diskriminierung

Muslimische und andere religiöse Minderheiten sahen sich in einigen Gemeinden Kataloniens Schwierigkeiten ausgesetzt, wenn sie Genehmigungen für die Eröffnung von Gebetshäusern erhalten wollten. Dem gingen Moratorien in lokalen Gemeinden für die Eröffnung neuer Gebets- und Andachtsstätten voraus. Einige lokale Behörden, politische Parteien und Nachbarschaftsvereine äußerten weiterhin ihre Ablehnung gegen die Einrichtung muslimischer Gebetshäuser.

In einigen Schulen wurden die Einschränkungen zum Tragen religiöser Symbole und Kleidung beibehalten. Dies hatte unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf muslimische Schülerinnen.

  • Am 25. Januar 2012 hielt ein Madrider Gericht die Entscheidung einer staatlichen weiterführenden Schule in Pozuelo de Alarcón in der autonomen Gemeinschaft Madrid aufrecht, eine Schülerin vom regulären Unterricht auszuschließen, weil sie ein Kopftuch trug.

  • Am 21. Mai 2012 veröffentlichte der Polizeipräsident ein Rundschreiben, mit dem der Einsatz von Quoten und Polizeirazzien bei der Inhaftierung von ausländischen Staatsangehörigen ohne regulären Aufenthaltsstatus untersagt wurde. Die Maßnahme untersagte aber nicht die Durchführung von Personenkontrollen aufgrund ethnischer Merkmale. Lokale NGOs berichteten nach wie vor, dass die Polizei bei derartigen Kontrollen gezielt gegen ethnische Minderheiten vorging.

  • Im Juli 2012 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass Spanien im Fall der Nigerianerin Beauty Solomon keine wirksame Untersuchung der Vorwürfe über Misshandlungen und mögliches rassistisches Verhalten durchgeführt hatte. Die Frau hatte berichtet, dass sie im Juli 2005 von Polizeibeamten in Palma de Mallorca beschimpft und geschlagen worden war.

Gewalt gegen Frauen

Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheit, Soziales und Gleichberechtigung wurden im Jahr 2012 insgesamt 46 Frauen von ihren Partnern oder früheren Partnern getötet. Eine Studie der Regierung schätzte, dass mehr als 2 Mio. Frauen mindestens einmal im Laufe ihres Lebens geschlechtsspezifische Gewalt durch ihren Partner oder ehemaligen Partner erfuhren. Sieben Jahre nach der Einführung des Gesetzes zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt hatten Frauen immer noch mangelnden Zugang zu wirksamen Rechtsbehelfen. Seit 2005, als Gerichte eigens für Fälle von Gewalt gegen Frauen eingerichtet wurden, hat es keine Evaluation der Hindernisse für einen effektiven Schutz gegeben, denen sich Frauen während des Gerichtsverfahrens gegenübersehen können.

  • Maria (Name geändert) überlebte sexuelle, seelische und körperliche Gewalt durch ihren Partner, als deren Folge sie sechs Monate nicht laufen konnte. Sie erhielt massive Drohungen während der vier Jahre der juristischen Untersuchung und nach dem Gerichtsverfahren. Obwohl Maria die Behörden über die Situation in Kenntnis gesetzt hatte, gestand man ihr keinen Schutz zu, und sie war gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen. Ihr ehemaliger Partner wurde freigesprochen. Ende 2012 bekam Maria immer noch massive Drohungen und musste versteckt leben.

Flüchtlinge und Migranten

Im April 2012 wurde durch die Verabschiedung des königlichen Dekrets Nr. 16/2012 das Ausländergesetz dahingehend reformiert, dass der Zugang von Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus zum Gesundheitswesen nun eingeschränkt ist.

Am 4. September schob Spanien in einem Sammelverfahren 70 Migranten von der kleinen spanischen Insel Isla de Tierra nach Marokko ab. Keiner der 70 Menschen hatte Zugang zu einem individuellen Asylverfahren.

  • Im August stellte die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen die Verantwortung Spaniens für die willkürliche Inhaftierung und Diskriminierung sowie die Folter gleichkommende Misshandlung eines marokkanischen Staatsangehörigen in einem Einwanderungshaftzentrum in Madrid fest. Adnanm el Hadj wurde bei einer Personenkontrolle auf der Straße angehalten und dann in ein Haftzentrum gebracht. Dort schlugen ihn fünf Polizeibeamte mutmaßlich mehrmals und beleidigten ihn in rassistischer Weise. Die Krankenstation des Haftzentrums stellte zahlreiche Prellungen an seinem Körper fest und empfahl seine Überstellung in ein Krankenhaus. Er wurde jedoch weder ins Krankenhaus gebracht noch wurde ein medizinischer Bericht erstellt.

Internationale Strafverfolgung

Die Definition des Verschwindenlassens als Verbrechen gegen die Menschlichkeit im nationalen Recht blieb nach wie vor hinter den Verpflichtungen des Völkerrechts zurück, obwohl Spanien das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen ratifiziert hat.

  • Am 27. Februar 2012 sprach der Oberste Gerichtshof den ehemaligen Richter Baltasar Garzón von dem Vorwurf der Überschreitung seiner Kompetenzen frei. Baltasar Garzón wurde u.a. strafverfolgt, weil er gegen das Amnestiegesetz von 1977 verstoßen hatte, indem er 2008 eine Untersuchung des "Verschwindens" von 114 266 Personen zwischen Juli 1936 und 1951 aufnahm. Trotz des Freispruchs kam der Oberste Gerichtshof zu dem Schluss, dass Baltasar Garzón das Gesetz falsch interpretiert hatte, als er die Fakten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstufte und untersuchte. Nach Ansicht des Gerichts waren diese Verbrechen zur Zeit der Tat im nationalen Recht nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert. Dieses Urteil des Obersten Gerichtshofs könnte die Möglichkeit zunichtemachen, vergangene Verbrechen in Spanien nach dem Völkerrecht zu untersuchen.

Recht auf Wohnen

Die Regierung setzte mit Blick auf die Wirtschaftskrise rechtliche Reformen um, ohne ihre Auswirkungen auf die Rechte schutzloser Gruppen zu ermitteln.

  • In Madrid kam es trotz des Gesetzes 2/2011 vom 15. Mai 2011 weiter zu rechtswidrigen Zwangsräumungen in Cañada Real. Das Gesetz verlangt von örtlichen Behörden, die betroffenen Bewohner zu konsultieren und eine Einigung anzustreben, um Zwangsräumungen zu vermeiden. 300 Menschen wurden aus der von Roma bewohnten informellen Siedlung Puerta de Hierro in Madrid vertrieben, ohne dass man ihnen alternativen Wohnraum zur Verfügung gestellt hatte.

  • Im Juni 2012 drückte der UN-Ausschuss über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte seine Sorge über die anhaltenden Zwangsräumungen aus, die unter Verstoß gegen internationale Schutzmaßnahmen wie echte vorherige Konsultation, Entschädigung und Bereitstellung angemessenen alternativen Wohnraums stattfanden. Der Ausschuss empfahl die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens mit Richtlinien, die vor einer Räumung zu befolgen sind.

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