Amnesty Report Indonesien 23. Mai 2013

Indonesien 2013

 

Amtliche Bezeichnung: Republik Indonesien Staats- und Regierungschef:
 Susilo Bambang Yudhoyono

Immer wieder wurden Anschuldigungen gegen Sicherheitskräfte wegen Menschenrechtsverletzungen erhoben, darunter Folter und andere Misshandlungen sowie unverhältnismäßiger Einsatz von Gewalt und Schusswaffen. 2012 befanden sich nach wie vor mindestens
76 gewaltlose politische Gefangene in Haft. Religiöse Minderheiten litten unter Diskriminierung in Form von Einschüchterungen und Angriffen. Frauen und Mädchen wurden durch diskriminierende Rechtsvorschriften und politische Maßnahmen in ihren Rechten eingeschränkt, dies betraf insbesondere ihre sexuellen und reproduktiven Rechte. Auch 2012 wurden keine Fortschritte hinsichtlich der Strafverfolgung der Verantwortlichen für vergangene Menschenrechtsverletzungen erzielt. Es gab keine Meldungen über Hinrichtungen.

Hintergrund

Im Mai 2012 wurde die Menschenrechtsbilanz Indonesiens im Rahmen der Universellen Regelmäßigen Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat bewertet. Die indonesische Regierung hat die Umsetzung einiger der wichtigsten Empfehlungen hinsichtlich der Überprüfung bestimmter Gesetze und Dekrete, welche die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit einschränken, abgelehnt. Im Juli hat Indonesien dem UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) seinen Bericht vorgelegt. Im November verabschiedete Indonesien die ASEAN-Menschenrechtserklärung trotz weitverbreiteter Bedenken, dass sie internationalen Standards nicht entspricht.

Das gesetzliche Rahmenwerk Indonesiens ermöglichte es auch weiterhin nicht, Vorwürfen wegen Folter und anderen Misshandlungen angemessen nachzugehen. In der Provinz Aceh wurden Stockschläge weiter als gerichtlich angeordnete Bestrafung bei Verstößen gegen die Scharia angewandt. An mindestens 45 Personen wurde wegen verschiedener Delikte die Prügelstrafe vollzogen, dazu gehörten Glücksspiel und das "Vergehen", mit einer Person des anderen Geschlechts, die weder Ehepartner noch Angehöriger ist, allein gewesen zu sein (khalwat).

Polizei und Sicherheitskräfte

Polizeibeamten wurden wiederholt Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, darunter der unverhältnismäßige Einsatz von Gewalt und Schusswaffen sowie Folter und andere Misshandlungen. Sowohl interne als auch externe Mechanismen zur Rechenschaftslegung bei polizeilicher Willkür erwiesen sich als unzureichend. Nur selten wurden Untersuchungen zu Menschenrechtsverletzungen durchgeführt.

  • Im März 2012 wurden 17 Männer aus der Provinz Nusa Tenggara Timur wegen des Mordes an einem Polizeibeamten willkürlich festgenommen. Polizisten des Subdistrikts West-Sabu sollen die Männer während ihres zwölftägigen Gewahrsams ausgezogen, gefesselt und geschlagen haben. Einige Männer erlitten Stichverletzungen und Knochenbrüche, andere wurden Berichten zufolge von der Polizei gezwungen, ihren eigenen Urin zu trinken. Alle 17 Männer wurden Ende Juni aus Mangel an Beweisen ohne Anklage freigelassen.

Angehörigen der indonesischen Sicherheitskräfte, wie Polizeibeamten und Militärpersonal, wurde vorgeworfen, in Papua Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Es gab Berichte über Folter und andere Misshandlungen, unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt und Schusswaffen sowie mögliche rechtswidrige Tötungen. In den meisten Fällen wurden die Verantwortlichen nicht vor Gericht gestellt. Die Opfer erhielten nur selten Entschädigungen.

  • Im Juni 2012 wurde Mako Tabuni, politischer Aktivist und stellvertretender Vorsitzender der Unabhängigkeitsbewegung Komite Nasional Papua Barat, von Polizeibeamten in Waena nahe Kota Jayapura, der Hauptstadt der Provinz Papua, erschossen. Die Polizisten behaupteten, er habe sich seiner Festnahme widersetzt. Es wurde keine unparteiische und unabhängige Untersuchung des Falls durchgeführt.

  • Im Juni 2012 griffen Soldaten ein Dorf im Bezirk Wamena in der Provinz Papua an. Dies war ein Vergeltungsschlag dafür, dass Dorfbewohner einen ihrer Kameraden erstochen und einen zweiten verletzt hatten. Die Soldaten sollen das Feuer ohne Vorwarnung eröffnet und mit Bajonetten auf Dutzende Dorfbewohner eingestochen haben; dabei kam ein Mensch ums Leben. Berichten zufolge steckten die Soldaten außerdem zahlreiche Gebäude und Fahrzeuge in Brand.

  • Im August 2012 lösten Polizeibeamte und Angehörige des Militärs eine friedliche Demonstration auf der Insel Yapen in der indonesischen Provinz Papua gewaltsam auf. Die Demonstrierenden hatten sich anlässlich des Internationalen Tags der Indigenen Völker versammelt. Sicherheitskräfte gaben Schüsse in die Luft ab und nahmen mindestens sechs Protestierende willkürlich fest. Einige von ihnen sollen bei ihrer Festnahme geschlagen worden sein.

  • Polizeibeamte aus dem Regierungsbezirk Jayawijaya in Papua nahmen im August fünf Männer willkürlich fest. Berichten zufolge versuchten die Polizisten, die Männer mit Schlägen und Tritten dazu zu zwingen, einen Mord zu gestehen. Eine Untersuchung des Vorfalls wurde nicht eingeleitet.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Regierung kriminalisierte die friedliche politische Meinungsäußerung weiterhin mithilfe repressiver Gesetze. Mindestens 70 Personen aus den Regionen Papua und Maluku befanden sich wegen der gewaltfreien Äußerung ihrer Meinung in Haft.

  • Im März 2012 wurden fünf politische Aktivisten aus Papua auf der Grundlage von Artikel 106 des Strafgesetzbuchs wegen "Rebellion" zu drei Jahren Haft verurteilt. Grund für die Verurteilung war ihre Beteiligung am dritten Volkskongress von Papua, einer gewaltfreien Versammlung in Abepura im Oktober 2011.

  • Im Juli 2012 wurde der gewaltlose politische Gefangene Johan Teterissa, der aus aus Maluku stammt und eine 15-jährige Haftstrafe verbüßt, aus dem Madiun-Gefängnis in die Strafvollzugsanstalt von Batu auf der indonesischen Insel Nusakambangan verlegt. Dort wurde er getreten und mit Elektrokabeln geschlagen. Nach dem Vorfall erhielt er keine medizinische Versorgung.

Menschenrechtsverteidiger und Journalisten wurden aufgrund ihrer Arbeit immer wieder eingeschüchtert und angegriffen. Internationale Beobachter wie NGO-Mitarbeiter und Journalisten hatten weiterhin keinen ungehinderten Zugang zu der Region Papua.

  • Im Mai 2012 wurde Tantowi Anwari, ein Aktivist der indonesischen Journalistenvereinigung für Vielfalt, von Angehörigen der islamistischen Gruppe Front Pembela Islam in Bekasi in der Provinz Jawa Barat getreten und geschlagen. Tantowi Anwari erstattete bei der Polizei Anzeige. Bis Ende des Jahres waren keine Fortschritte bei der Untersuchung seines Falles erzielt worden.

  • Im September 2012 erhielt die Menschenrechtsanwältin Olga Hamadi aus Papua Drohungen, nachdem sie Anschuldigungen über Folter und Misshandlungen durch die Polizei im Rahmen von Mordermittlungen in Wamena, Provinz Papua, nachgegangen war. Es wurde keine Untersuchung zu den Drohungen durchgeführt, und Olga Hamadi war weiterhin in Gefahr.

Religionsfreiheit

Die Regierung hat Gesetze über Anstiftung und Blasphemie angewandt, um die Ausübung der Rechte auf Religions-, Meinungs-, Gedanken- und Gewissensfreiheit zu kriminalisieren. Mindestens sechs gewaltlose politische Gefangene befanden sich aufgrund von Anklagen wegen Anstiftung und Blasphemie weiter in Haft.

  • Im Juni 2012 wurde der Atheist Alexander Aan wegen Anstiftung zu zweieinhalb Jahren Haft und einer Geldstrafe von 100 Mio. indonesischen Rupiah (etwa 80000 Euro) verurteilt. Er hatte Beiträge und Bilder im Internet veröffentlicht, die von einigen Personen als eine Beleidigung des Islam und des Propheten Mohammed empfunden wurden.

  • Im Juli 2012 wurde Tajul Muluk, ein religiöser Führer der Schiiten aus Jawa Timur, festgenommen und vom Bezirksgericht von Sampang nach Artikel 156(a) des Strafgesetzbuchs wegen Blasphemie zu zwei Jahren Haft verurteilt. Örtliche Menschenrechtsorganisationen und Rechtsexperten äußerten Zweifel daran, dass er ein faires Verfahren erhalten hatte. Im September wurde sein Strafmaß in einem Rechtsmittelverfahren auf vier Jahre angehoben.

Es gab zahlreiche Fälle von Diskriminierung, Einschüchterung und Gewalt gegen religiöse Minderheiten, u.a. gegen schiitische, christliche und Ahmadiyya-Gemeinschaften. In vielen Fällen leiteten die Behörden weder angemessene Schutzmaßnahmen für die Betroffenen ein noch brachten sie die Verantwortlichen vor Gericht.

  • Im August 2012 wurde eine schiitische Gemeinschaft in Sampang, Provinz Jawa Timur, von einer aufgebrachten Menschenmenge angegriffen. Ein Mann kam dabei ums Leben, und zahlreiche Menschen wurden verletzt. Laut der Nationalen Menschenrechtskommission (Komnas HAM) hatte die Polizei keine angemessenen Maßnahmen eingeleitet, um den Angriff zu verhindern bzw. die Sicherheit der Gemeinschaft zu gewährleisten.

  • Mindestens 34 Familien der Ahmadiyya-
Gemeinschaft in der Provinz Nusa Tenggara Barat lebten weiterhin in Behelfsunterkünften in Mataram auf der Insel Lombok. Die Ahmadiyya waren 2006 wegen ihres Glaubens von einer aufgebrachten Menschenmenge angegriffen und vertrieben worden. Die Verantwortlichen sind bisher nicht strafrechtlich verfolgt worden.

  • Die Regierung widersetzte sich Urteilen des Obersten Gerichtshofs aus den Jahren 2010 und 2011, wonach das Gotteshaus der indonesischen christlichen Kirche Taman Yasmin und das der christlich-protestantischen Kirche Filadelfia Huria Kristen Batak Protestan in Bekasi wieder eröffnet werden sollten. Die beiden Gotteshäuser waren 2010 von den örtlichen Behörden geschlossen worden. Die Mitglieder beider Gemeinden waren weiterhin gezwungen, ihre Gottesdienste auf dem Gehweg vor den geschlossenen Kirchen abzuhalten, und daher noch immer der Gefahr ausgesetzt, von radikalen Gruppen drangsaliert und eingeschüchtert zu werden.

Frauenrechte

Frauen und Mädchen wurden weiterhin daran gehindert, ihre sexuellen und reproduktiven Rechte uneingeschränkt auszuüben. Im Juli empfahl der CEDAW-Ausschuss der indonesischen Regierung, das Verständnis für sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte zu fördern und dabei auch unverheiratete Frauen und Hausangestellte zu berücksichtigen. Außerdem solle Frauen unabhängig von der Einwilligung ihres Ehemanns der Zugang zu Verhütungsmitteln ermöglicht werden.

Eine 2010 erlassene Bestimmung, mit der die weibliche Beschneidung legitimiert wurde, blieb weiter in Kraft. Die Bestimmung verstößt gegen internationale Menschenrechtsbestimmungen, zu deren Einhaltung sich Indonesien verpflichtet hat. Der CEDAW-Ausschuss forderte die Regierung auf, die Bestimmung aufzuheben und die weibliche Genitalverstümmelung per Gesetz unter Strafe zu stellen.

Im dritten Jahr in Folge unternahm das Parlament keine Anstrengungen, ein Gesetz zum rechtlichen Schutz von Hausangestellten zu debattieren und zu verabschieden. Damit blieben Hausangestellte, in der Mehrzahl Frauen und Mädchen, weiterhin dem Risiko ausgesetzt, wirtschaftlich ausgebeutet und in der Wahrnehmung ihrer Rechte auf faire Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Bildung eingeschränkt zu werden. Obwohl Indonesien im Mai die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen aus dem Jahr 1990 ratifiziert hat, waren die meist weiblichen Hausangestellten aufgrund des fehlenden gesetzlichen Schutzes weiterhin Menschenhandel, Zwangsarbeit und anderen Menschenrechtsverletzungen in Indonesien sowie im Ausland ausgesetzt.

Straflosigkeit

Menschenrechtsverletzungen, die in der Vergangenheit in Aceh, Papua, Timor-Leste und andernorts begangen wurden, blieben weitestgehend unaufgeklärt und straffrei. Die Betroffenen wurden nur in seltenen Fällen entschädigt. Überlebende gewalttätiger sexueller Übergriffe hatten nach wie vor weder Zugang zu angemessener medizinischer und psychologischer Versorgung noch zu Dienstleistungen im Bereich der psychischen, sexuellen und reproduktiven Gesundheit. Im September gab die indonesische Regierung vor dem UN-Menschenrechtsrat die Einführung eines neuen Gesetzes zur Gründung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission bekannt. Über weitere diesbezügliche Fortschritte wurde jedoch nichts bekannt. Ein interdisziplinäres Team, das der Präsident 2011 zur Entwicklung einer Strategie zur Aufklärung vergangener Menschenrechtsverletzungen ins Leben gerufen hatte, hat bislang keinerlei konkrete Ergebnisse vor-
gelegt.

  • Im Juli 2012 legte die Komnas HAM der Staatsanwaltschaft ihren Bericht über mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Angehörigen der Kommunistischen Partei Indonesiens und mutmaßlichen Unterstützern des Kommunismus während des fehlgeschlagenen Putschs im Jahr 1965 vor. Die Kommission forderte den Staatsanwalt auf, eine offizielle Untersuchung einzuleiten, die Verantwortlichen vor ein Menschenrechtsgericht zu stellen und eine Wahrheits- und Versöhnungskommission einzurichten. Nach vorliegenden Informationen hatte es bis Ende 2012 keine Fortschritte bei der Umsetzung dieser Forderungen gegeben.

  • Im September 2012 kündigte das Parlament der Provinz Aceh Verzögerungen bei der Bildung einer lokalen Wahrheits- und Versöhnungskommission an. Somit stand denjenigen, die während des dortigen Konflikts Opfer von Menschenrechtsverletzungen wurden, und ihren Familien kein offizieller Mechanismus zur Wahrheitsfindung oder zur Aufklärung des Verbleibs ihrer getöteten oder "verschwundenen" Angehörigen zur Verfügung.

  • Der Präsident kam Empfehlungen des Parlaments aus dem Jahr 2009 nicht nach, wonach die Verantwortlichen für das Verschwindenlassen von 13 politischen Aktivisten in den Jahren 1997 und 1998 vor Gericht gestellt, unverzüglich die Suche nach den "Verschwundenen" eingeleitet und deren Familienangehörigen Rehabilitation und Entschädigung gewährt werden sollte.

  • Die Regierung setzte Empfehlungen der von Indonesien und Timor-Leste gemeinsam eingerichteten bilateralen Kommission für Wahrheit und Freundschaft nicht um, darunter auch die Empfehlung, eine Kommission für "verschwundene" Personen zu gründen, um den Verbleib aller Kinder aus Timor-Leste, die von ihren Eltern getrennt wurden, ausfindig zu machen und die betroffenen Familien entsprechend zu informieren.

Todesstrafe

Im vierten Jahr in Folge lagen keine Berichte über die Vollstreckung von Hinrichtungen vor. In mindestens zwölf Fällen wurde jedoch die Todesstrafe verhängt, und gegen mindestens 130 Menschen waren Todesurteile anhängig. Laut im Oktober veröffentlichten Berichten hatte der Oberste Gerichtshof im August 2011 das Todesurteil gegen einen Drogenhändler umgewandelt und die Todesstrafe als eine Verletzung der Menschenrechte und der Verfassung bezeichnet. Ebenfalls im Oktober wurde bekannt gegeben, dass der Präsident bereits zwischen 2004 und 2011 insgesamt 19 Todesurteile in andere Strafen umgewandelt hatte.

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