Amnesty Report Ägypten 22. Mai 2013

Ägypten 2013

 

Amtliche Bezeichnung:
 Arabische Republik Ägypten Staatsoberhaupt: Mohamed Mursi (löste im Juni Mohamed Hussein Tantawi im Amt ab) Regierungschef: Hisham Kandil (löste im August Kamal Ganzouri im Amt ab)

Bei Protesten gegen die Militärregierung wurden 2012 in Kairo und Suez mindestens 28 Demonstrierende von Sicherheitskräften getötet. Die Bereitschaftspolizei und die Armee setzten exzessive Gewalt ein, um die Proteste aufzulösen. Demonstrierende berichteten, man habe sie in Gewahrsam gefoltert und anderweitig misshandelt. Im November und Dezember gingen Gegner und Anhänger von Präsident Mohamed Mursi auf die Straße, dabei kam es teilweise zu gewaltsamen Ausschreitungen. Es gab nach wie vor Verfahren vor den Obersten (Notstands-)Staatssicherheitsgerichten, die nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprachen. Die Sicherheitskräfte setzten sich weiterhin über das geltende Recht hinweg. Der frühere Präsident Muhammad Hosni Mubarak und der ehemalige Innenminister wurden wegen der Tötung von Protestierenden während des Aufstands im Jahr 2011 schuldig gesprochen und erhielten lebenslange Haftstrafen. Viele andere mutmaßliche Täter wurden freigesprochen. Die Mitglieder des Obersten Militärrats mussten sich nicht wegen Menschenrechtsverletzungen verantworten, die während ihrer Herrschaft verübt worden waren. Präsident Mursi berief eine Kommission ein, um Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, die zwischen Januar 2011 und Juni 2012 begangen worden waren. Er begnadigte mehrere Zivilpersonen, die von Militärgerichten verurteilt worden waren, und erließ eine Generalamnestie für Verstöße, die Protestierende bei den Demonstrationen gegen die Militärregierung begangen hatten. Religiöse Minderheiten wurden noch immer diskriminiert. Es gab Strafverfahren gegen Journalisten und Aktivisten wegen "Beleidigung des Präsidenten" und Blasphemie. Frauen wurden weiterhin durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert; sexuelle Belästigung war an der Tagesordnung.

Tausende Familien wohnten noch immer in informellen Siedlungen, die als "unsichere Gebiete" eingestuft waren. Tausende weitere Menschen lebten in ständiger Angst vor Zwangsräumungen. Berichten zufolge töteten Sicherheitskräfte ausländische Migranten, die auf der Sinai-Halbinsel die Grenze nach Israel überqueren wollten. Außerdem drohte ihnen die Gefahr, von Menschenhändlern ausgebeutet zu werden. Mindestens 91 Menschen wurden zum Tode verurteilt. Über Hinrichtungen lagen keine Informationen vor.

Hintergrund

Am 23. Januar 2012 trat das neu gewählte Parlament zum ersten Mal zusammen. Im März ernannte das Parlament eine Verfassunggebende Versammlung, die 100 Mitglieder umfasste und Ägyptens neue Verfassung ausarbeiten sollte. Die Versammlung wurde von islamistischen Parteien dominiert. Es wurde Kritik daran laut, dass dem Gremium nur sechs Frauen und sechs koptische Christen angehörten. Am 10. April setzte ein Verwaltungsgericht die Verfassunggebende Versammlung nach einer Klage außer Kraft. Im Mai endete nach 31 Jahren der Ausnahmezustand. Allerdings versuchten die Behörden, einen Teil der Sonderbefugnisse beizubehalten. Am 13. Juni erteilte das Justizministerium Angehörigen des Militärs und des Geheimdienstes die Befugnis, Personen zu verhaften. Ein Verwaltungsgericht hob diese Maßnahme jedoch umgehend wieder auf. Im Juni setzte das Parlament eine neue Verfassunggebende Versammlung ein, gegen die erneut Klagen eingereicht wurden und die von den oppositionellen politischen Parteien, der Zivilgesellschaft und der koptischen Kirche zunehmend boykottiert wurde. Am 16. Juni löste der Oberste Militärrat das Parlament auf, nachdem das Oberste Verfassungsgericht die Parlamentswahl in Teilen für verfassungswidrig erklärt hatte. Wenige Tage vor Bekanntgabe des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl weitete der Oberste Militärrat seine Machtbefugnisse am 17. Juni stark aus und beschränkte die der nächsten Regierung. Am 12. August verkündete der neu gewählte Präsident Mursi, er habe die Machtausweitung des Obersten Militärrats rückgängig gemacht und dessen Vorsitzenden, Mohamed Tantawi, in den Ruhestand versetzt. Die Ankündigung erfolgte, nachdem eine bewaffnete Gruppe auf der Sinai-Halbinsel 16 Soldaten getötet hatte. Die ägyptischen Behörden leiteten daraufhin eine groß angelegte Sicherheitsoperation in dem Gebiet ein.

Am 22. November erließ Präsident Mursi eine Verfügung, wonach seine Entscheidungen gerichtlich nicht anfechtbar seien. Die Gerichte seien auch nicht befugt, Urteile bezüglich der Verfassunggebenden Versammlung zu fällen. Außerdem erließ der Präsident ein neues repressives Gesetz zum "Schutz der Revolution", tauschte den Generalstaatsanwalt aus und forderte neue Ermittlungen und Strafverfahren im Zusammenhang mit Todesfällen von Protestierenden. Die Verfassunggebende Versammlung legte am 30. November ihren Entwurf einer neuen Verfassung vor.

Die Verfügung von Präsident Mursi und der Verfassungsentwurf lösten landesweite Proteste und einen Streik der Richter aus. Es kam zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern des Präsidenten. Am 5. und 6. Dezember 2012 wurden bei Zusammenstößen vor dem Präsidentenpalast in Kairo mindestens zehn Menschen getötet. Als Reaktion auf die Unruhen hob Präsident Mursi seine Verfügung am 8. Dezember teilweise wieder auf. Die neue Verfassung wurde bei einem Referendum angenommen und trat Ende Dezember in Kraft.

Folter und andere Misshandlungen

Weder der Oberste Militärrat noch die Regierung von Präsident Mursi brachten 2012 rechtliche oder politische Reformen auf den Weg, um der Folter ein Ende zu bereiten. Im Parlament wurde zwar über härtere Strafen für Folter diskutiert, doch kam es bis zur Auflösung des Parlaments zu keiner Entscheidung darüber. Es gab weiterhin Berichte über Folter und andere Misshandlungen durch die Sicherheitskräfte, ohne dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden. Während der ersten 100 Tage der Amtszeit von Präsident Mursi dokumentierte eine NGO 88 Fälle von Folter und anderen Misshandlungen durch die Polizei. Protestierende, die von der Bereitschaftspolizei oder vom Militär festgenommen worden waren, wurden in Gewahrsam brutal geschlagen und mit Elektroschocks gequält. Im Tora-Gefängnis südlich von Kairo litten die Häftlinge zudem unter der Überfüllung der Zellen, unzureichender Kleidung und mangelnder medizinischer Versorgung. Einige Männer, die an Demonstrationen teilgenommen hatten, berichteten, man habe sie entführt, an geheime Orte gebracht, mit Elektroschocks traktiert und sexuell missbraucht, um Informationen über ihre Beteiligung an den Protestaktionen zu erpressen.

  • George Ramzi Nakhla wurde am 6. Februar 2012 in Kairo festgenommen. Er gab an, Bereitschaftspolizisten hätten seine Arme und Beine an das Heck eines gepanzerten Fahrzeugs gebunden und ihn dann langsam über die Straße geschleift. Dabei sei er von mehreren Polizisten mit Schlagstöcken geprügelt worden. Im Innenministerium wurde er erneut geschlagen und mit Elektroschocks gequält. Sein gebrochener Arm wurde nicht medizinisch behandelt, und er musste zusammen mit 13 Männern mehrere Stunden lang in der Hocke ausharren. Im Tora-Gefängnis wurde er mit Elektrokabeln geschlagen und verhöhnt. Nach einem dreitägigen Hungerstreik kam er am 25. März frei.

  • Abdel Haleem Hnesh wurde am 4. Mai 2012 bei einer Protestaktion im Kairoer Stadtteil Abbassia von Armeeangehörigen festgenommen. Er sagte aus, die Soldaten hätten ihn mit 2m langen Stöcken und Elektroknüppeln brutal verprügelt. Dann hätten sie ihn zusammen mit etwa 40 weiteren Personen zum Militärgelände S28 in Kairo gebracht. Abdel Haleem Hnesh wurde der Militärstaatsanwaltschaft vorgeführt und anschließend ins Tora-Gefängnis überstellt. Bei seiner Ankunft dort schlug man ihn mit Schläuchen und Stöcken. Fünf Tage später kam er frei.

Unfaire Gerichtsverfahren

Auch nach der neuen Verfassung war es möglich, Zivilpersonen vor Militärgerichte zu stellen, deren Verfahren prinzipiell nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprechen. Im April 2012 reformierte das Parlament die Militärgesetzgebung und entzog dem Präsidenten die Befugnis, Zivilpersonen an Militärgerichte zu überstellen. Dagegen blieben diejenigen Artikel, die Militärgerichten eine Zuständigkeit für Verfahren gegen Zivilpersonen zubilligen, unverändert. Im Juli berief Präsident Mursi eine Kommission ein, um Fälle von Zivilpersonen zu überprüfen, die vor Militärgerichte gestellt worden waren oder die noch im Innenministerium inhaftiert waren. Außerdem sollte sich die Kommission mit Fällen von "Revolutionären" beschäftigen, die von der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit Haftstrafen belegt worden waren. Auf Anraten der Kommission begnadigte Präsident Mursi im Juli und August rund 700 Gefangene. Im Oktober erließ er eine Generalamnestie für Verstöße, die zur "Unterstützung der Revolution" in den Jahren 2011 und 2012 begangen worden waren. In dem Dekret waren allerdings keine fairen Gerichtsverfahren für die rund 1100 Zivilpersonen vorgesehen, die von Militärgerichten wegen anderer Straftaten verurteilt worden waren. Obwohl der seit 1981 geltende Ausnahmezustand am 31. Mai 2012 endete, wurden einige Fälle noch immer vor Notstandsgerichten verhandelt, so beispielsweise terroristische Vergehen sowie Fälle von Protestaktionen und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen.

  • Am 4. Mai nahmen Soldaten Mahmoud Mohamed Amin und rund 300 weitere Personen fest, die im Kairoer Stadtteil Abbassia gegen die Militärregierung demonstrierten. Man überstellte die Festgenommenen an die Militärstaatsanwaltschaft und leitete gegen sie Verfahren wegen "Angriffen auf Armeeangehörige", "Störung der öffentlichen Ordnung" und anderer Anklagepunkte ein. Am 20. Mai traten Mahmoud Mohamed Amin und weitere Häftlinge in einen Hungerstreik, um gegen ihren Prozess vor einem Militärgericht zu protestieren. Am 19. Juni kam Mahmoud Mohamed Amin bis zum Beginn seines Prozesses auf freien Fuß. Im Oktober wurden die Anklagen gegen ihn im Rahmen einer Präsidialamnestie fallen gelassen.

Exzessive Gewaltanwendung

Zu Beginn des Jahres 2012 richteten sich die Proteste vor allem gegen die Militärregierung. Nach der Wahl von Präsident Mursi gab es sowohl Demonstrationen seiner Anhänger als auch seiner Gegner. Die Sicherheitskräfte hielten sich weitgehend zurück, insbesondere was große Kundgebungen auf dem Tahrir-Platz betraf. In einigen Fällen kam es jedoch zu Zusammenstößen mit Demonstrierenden. Es wurde keine Polizeireform eingeleitet, und das Vorgehen der Behörden erinnerte an die Regierungszeit des ehemaligen Präsidenten Mubarak, da die Sicherheitskräfte mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen Protestierende vorgingen. Die Bereitschaftspolizei wandte exzessive und unnötige Gewalt an, indem sie u.a. Schusswaffen und Tränengas US-amerikanischer Herkunft einsetzte.

  • In Kairo und in Suez wurden zwischen dem 2. und 6. Februar 16 Protestierende getötet, als Sicherheitskräfte ohne Vorwarnung tödliche Gewalt einsetzten, um Demonstrationen aufzulösen. Die Proteste waren eine Reaktion auf die Tötung von etwa 70 Fußballfans des Vereins Al-Ahly, die bei einem Spiel in Port Said von Männern in Zivil attackiert und tödlich verletzt worden waren. Die Sicherheitskräfte hatten dabei zugesehen und nichts unternommen, um die Gewalt zu verhindern.

  • Zwischen dem 28. April und dem 4. Mai 2012 wurden mindestens zwölf Menschen während einer Sitzblockade auf dem Abbassia-Platz in Kairo von Männern in Zivil getötet. Der Protest der Demonstrierenden richtete sich gegen das Auswahlverfahren vor der Präsidentschaftswahl. Die Sicherheitskräfte griffen nicht ein, was Anlass zu der Vermutung gab, dass die Angreifer im Auftrag oder mit stillschweigender Billigung der Armeeführung handelten.

  • Am 20. November 2012 wurde der Jugendliche Gaber Salah Gaber Berichten zufolge bei Protesten in der Nähe des Innenministeriums in Kairo von Sicherheitskräften erschossen.

Straflosigkeit

Im Juni 2012 verurteilte ein Gericht den früheren Präsidenten Hosni Mubarak und den ehemaligen Innenminister Habib el-Adly wegen ihrer Verantwortung für die Tötung und Verletzung von Demonstrierenden während des Aufstands im Jahr 2011 zu lebenslangen Haftstrafen. Dies stellte einen historischen Schritt im Kampf gegen die Straflosigkeit dar. Sechs hochrangige Sicherheitsbeamte wurden allerdings freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft erklärte, der Mangel an Beweisen sei auf die fehlende Bereitschaft des Allgemeinen Geheimdienstes und des Innenministeriums zur Zusammenarbeit zurückzuführen.

Die Mehrzahl der Polizeibeamten, die im Zusammenhang mit den Tötungen von Protestierenden während des Aufstands im Jahr 2011 vor Gericht standen, wurde freigesprochen. In der Regel entschieden die Gerichte, die Anwendung tödlicher Gewalt durch die Polizei sei gerechtfertigt gewesen oder es mangele an Beweisen für einen Schuldspruch. Hunderten von Opfern und ihren Angehörigen blieben Wahrheit und Gerechtigkeit vorenthalten.

Im Oktober wurden alle Angeklagten eines Prozesses freigesprochen, in dessen Mittelpunkt die sogenannte Schlacht der Kamele stand. Im Februar 2011 waren Kamelreiter eingesetzt worden, um Demonstrationen von Gegnern des damaligen Präsidenten Mubarak auf dem Kairoer Tahrir-Platz niederzuschlagen. Nach dem Prozess hieß es aus Kreisen der Staatsanwaltschaft, dass der Fall möglicherweise wieder aufgerollt wird.

Wegen der Tötungen und Folterungen bei den Protesten in der Mohamed-Mahmoud-Straße und vor dem Kabinettsgebäude im November und Dezember 2011 wurde kein Armeeangehöriger zur Rechenschaft gezogen. Stattdessen entschieden zivile Untersuchungsrichter, Protestierende wegen angeblicher Gewaltanwendung vor Gericht zu stellen. Diejenigen, die im Zusammenhang mit den Protesten in der Mohamed-Mahmoud-Straße angeklagt waren, wurden begnadigt. Der Prozess gegen die Demonstrierenden vor dem Kabinettsgebäude wurde jedoch nicht eingestellt. Wegen der Misshandlungen von Protestierenden in der Mohamed-Mahmoud-Straße musste sich nur ein Bereitschaftspolizist vor Gericht verantworten. Bis Ende 2012 war noch kein Urteil gefällt worden.

Im September 2012 verhängte ein Militärgericht eine dreijährige und zwei zweijährige Haftstrafen gegen drei Soldaten wegen "fahrlässiger Tötung". Sie waren im Oktober 2011 in Kairo vor dem als Maspero bekannten Gebäude des staatlichen Fernsehens mit einem gepanzerten Fahrzeug in eine Gruppe von 14 koptischen Protestierenden gefahren. Einem Zivilgericht gelang es nicht, die Täter ausfindig zu machen, die für die Tötung von 13 weiteren Personen verantwortlich waren. Wegen der Tötung von Demonstrierenden während der Militärherrschaft von Februar 2011 bis Juni 2012 musste sich kein Mitglied des Obersten Militärrats vor Gericht verantworten.

Im Juli berief Präsident Mursi eine Untersuchungskommission aus Beamten, Vertretern der Zivilgesellschaft und Angehörigen der Opfer. Das Gremium soll diejenigen ausfindig machen, die für die Tötung und Verletzung von Demonstrierenden während des Aufstands 2011 und der Zeit der Militärherrschaft verantwortlich sind.

Es wurden keine Maßnahmen ergriffen, um den Opfern von Folter und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen, die während der 30-jährigen Herrschaft Präsident Mubaraks verübt wurden, Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung widerfahren zu lassen.

Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit

Auch 2012 gab es strafrechtliche Ermittlungen und Anklagen wegen Blasphemie und Beleidigung von Behördenvertretern. Die neue Verfassung schränkte das Recht auf freie Meinungsäußerung ein, indem sie die Beleidigung von Personen und von religiösen Propheten unter Strafe stellte. Ein Gesetzentwurf enthielt Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit. So waren u.a. repressive Regelungen für NGOs vorgesehen, was Genehmigungsverfahren sowie Zuwendungen aus dem Ausland betraf.

  • Der gewaltlose politische Gefangene Maikel Nabil Sanad kam am 24. Januar 2012 im Zuge einer umfassenderen Begnadigung von Gefangenen durch den Obersten Militärrat frei. Der Blogger war im April 2011 nach einem unfairen Gerichtsverfahren vor einem Militärgericht wegen Kritik an der Armee und Wehrdienstverweigerung inhaftiert worden.

  • Islam Affifi, Redakteur der Zeitung El-Dostor, musste sich im August 2012 wegen Veröffentlichung falscher Informationen, "die den Präsidenten beleidigen", vor Gericht verantworten. Das Verfahren war Ende 2012 noch nicht abgeschlossen.

  • Im Oktober 2012 wurde der bekannte Fernsehmoderator Tawfiq Okasha wegen "Beleidigung des Präsidenten" zu vier Monaten Gefängnis und einer Geldbuße verurteilt. Bis zu seinem Berufungsverfahren blieb er auf freiem Fuß.

  • Der gewaltlose politische Gefangene Alber Saber Ayad wurde am 13. September 2012 festgenommen, nachdem eine Menschenmenge sein Haus umstellt und ihn beschuldigt hatte, er habe für den umstrittenen Film Innocence of Muslims geworben. Im Dezember wurde er unter Bezug auf Videos und Beiträge, die er im Internet veröffentlicht hatte, wegen "Verleumdung der Religion" zu drei Jahren Haft verurteilt. Bis zur Aufnahme seines Berufungsverfahrens kam er gegen Kaution frei.

  • Im Februar 2012 begann der Prozess gegen 43 Beschäftigte von fünf internationalen Organisationen, die angeblich ohne behördliche Genehmigung Geld aus dem Ausland erhalten und ohne offizielle Erlaubnis gearbeitet hatten. Das Verfahren fand in Abwesenheit der meisten Angeklagten statt und dauerte Ende 2012 noch an.

Rechte von Frauen und Mädchen

Die neue Verfassung verbietet zwar die Diskriminierung ägyptischer Staatsbürger, die Diskriminierung von Frauen ist darin jedoch nicht ausdrücklich untersagt, stattdessen wird auf ihre Pflichten als Hausfrauen verwiesen. In den neu geschaffenen politischen Institutionen waren Frauen unterrepräsentiert. Von den insgesamt 508 Abgeordneten des später aufgelösten Parlaments waren lediglich zwölf Frauen. Der zweiten Verfassunggebenden Versammlung gehörten nur sieben Frauen an. Für sein Kabinett berief Präsident Mursi nur sehr wenige Frauen, und die Gouverneursposten wurden ausschließlich an Männer vergeben. Auch von Stellen im Justizwesen blieben Frauen
weiterhin ausgeschlossen. Es wurde nichts unternommen, um die rechtliche und alltägliche Diskriminierung von Frauen im Bezug auf Ehe, Scheidung, Sorgerecht und Erbrecht zu beenden. Mehrere Frauen wurden Berichten zufolge während der Teilnahme an Massenprotesten auf dem Tahrir-Platz und an anderen Orten sexuell belästigt und misshandelt. Im Juni attackierten Männer einen Protestmarsch gegen sexuelle Belästigung in Kairo; die Teilnehmerinnen der Demonstration wurden tätlich angegriffen und sexuell belästigt. In Assiut erschoss ein Mann im September auf offener Straße eine Frau, die sich dem Vernehmen nach gegen seine sexuellen Belästigungen zur Wehr gesetzt hatte. Nach den Eid-Feiertagen (Opferfest) im Oktober teilten die Behörden mit, es seien mehr als 1000 Anzeigen wegen sexueller Belästigung eingegangen.

Es gab keinerlei Verfahren gegen Angehörige der Sicherheitskräfte wegen der sexuellen und geschlechtsspezifischen Gewalttaten gegen Frauen, die im Zuge der Proteste gegen den Obersten Militärrat 2011 festgenommen worden waren.

  • Ein Militärgericht sprach im März 2012 einen Militärarzt wegen der sogenannten Jungfräulichkeitstests frei, denen inhaftierte Demonstrantinnen im März 2011 zwangsweise unterzogen worden waren.

Diskriminierung

Die neue Verfassung enthält kein ausdrückliches Diskriminierungsverbot aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit. Dies könnte sich negativ auf die Situation der Nubier und anderer Minderheiten auswirken.

Die Verfassung garantiert zwar Religionsfreiheit, jedoch nur für Religionen, die offiziell als "himmlisch" anerkannt werden. Dies könnte negative Auswirkungen auf Baha’i und Schiiten haben. Juden und Christen billigt die Verfassung ein eigenes Personenstandsrecht zu und erlaubt ihnen, ihre religiösen Angelegenheiten und die Wahl ihrer geistlichen Führer selbst zu regeln. Dies gilt jedoch nicht für andere religiöse Minderheiten.

Die Rechtslage machte es koptischen Christen schwer, Kirchen zu bauen oder zu renovieren, da die dafür notwendigen Genehmigungen nur selten erteilt wurden. In einigen Fällen versuchten muslimische Nachbarn, Bauarbeiten an Kirchen zu verhindern. Dies führte teilweise zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Die Sicherheitskräfte unternahmen in diesen Fällen nichts, um die Kopten vor Angriffen zu schützen.

  • Ende Januar 2012 vertrieben Muslime drei koptische Familien aus dem Dorf Sharbat nahe Alexandria. Muslimische Dorfbewohner verdächtigten einen Kopten, ein "unanständiges" Bild einer Muslimin zu besitzen, und griffen Häuser und Geschäfte von Kopten an. Auf "Versöhnungsversammlungen" des Dorfes wurde entschieden, dass der Mann und seine gesamte Verwandtschaft sowie fünf weitere in der Nachbarschaft lebende koptische Familien das Dorf verlassen müssten. Außerdem solle ihr Besitz verkauft werden. Die Polizei griff nicht ein, um die Kopten vor den Übergriffen oder vor der rechtswidrigen Vertreibung zu schützen. Nachdem eine Delegation von Parlamentariern das Dorf besucht hatte, konnten nur die fünf Familien zurückkehren, die nichts mit dem ursprünglichen Streitfall zu tun hatten.

Recht auf Wohnen – Zwangsräumungen

Die neue Verfassung enthält zwar das Recht auf angemessenen Wohnraum, doch kein explizites Verbot von Zwangsräumungen. Die ägyptische Gesetzgebung und Politik bot weiterhin keinerlei Schutz gegen rechtswidrige Zwangsräumungen. Laut Einschätzung der von der Regierung eingesetzten Entwicklungsgesellschaft für informelle Siedlungen müssten etwa 11500 Unterkünfte in "unsicheren Gebieten", vor allem in Kairo, sofort geräumt werden, da dort unmittelbar Lebensgefahr droht. Weitere 120000 Unterkünfte in "unsicheren Gebieten" müssten bis 2017 geräumt werden. Dem Vernehmen nach wurde in der Entwicklungsgesellschaft überlegt, ob man die Situation in den Slums verbessern und alternative Unterkünfte in der Nähe bestehender Siedlungen bereitstellen könnte.

Beamte des Wohnungsbauministeriums sagten, der Plan "Kairo 2050" sei überarbeitet worden, und man habe einige der Projekte, die massenhafte Zwangsräumungen nach sich gezogen hätten, aufgegeben. Die Behörden waren dabei, einen neuen städtebaulichen Masterplan "Ägypten 2052" zu erarbeiten, ohne dass die Bewohner der informellen Siedlungen einbezogen wurden.

  • Im August 2012 kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und den Bewohnern von Ramlet Bulaq, einer informellen Siedlung im Stadtzentrum von Kairo. Auslöser war der Tod eines Bewohners, der von einem Polizisten getötet worden sein soll. Die Polizei führte in dem Viertel mehrere Razzien durch und nahm einige Männer fest. Viele männliche Bewohner sahen sich gezwungen, aus der Gegend zu fliehen. Nach Angaben von Bewohnern drohte die Polizei damit, die Einschüchterungen bis zur endgültigen Räumung der Siedlung fortzusetzen. Der Abriss von Ramlet Bulaq war bereits in Planung.

Flüchtlinge und Migranten

Ägyptische Sicherheitskräfte schossen weiterhin auf ausländische Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchende, die auf der Sinai-Halbinsel die Grenze von Ägypten nach Israel überqueren wollten. Mindestens acht Menschen kamen dabei ums Leben. Berichten zufolge erpressten und misshandelten Menschenhändler Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten, die über die Sinai-Halbinsel nach Israel gelangen wollten.

Todesstrafe

2012 wurden mindestens 91 Todesurteile verhängt, darunter einige nach unfairen Gerichtsverfahren vor Notstandsgerichten. Über Hinrichtungen lagen keine Informationen vor.

  • Im September 2012 verurteilte ein Notstandsgericht 14 Männer zum Tode, davon acht in Abwesenheit. Die Urteile ergingen im Zusammenhang mit einem Angriff, bei dem sechs Menschen getötet worden waren. Die Angeklagten wurden außerdem für schuldig befunden, einer dschihadistischen Gruppe anzugehören.

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