Amnesty Report Spanien 11. Mai 2011

Spanien 2011

 

Amtliche Bezeichnung: Königreich Spanien Staatsoberhaupt: König Juan Carlos I. Regierungschef: José Luis Rodríguez Zapatero Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 45,3 Mio. Lebenserwartung: 81,3 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 5/5 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 97,6%

Auch 2010 gab es Berichte über Folter und andere Misshandlungen durch Sicherheitskräfte. Die Ermittlungen in Bezug auf solche Vorwürfe waren nach wie vor unzureichend. Spanien lehnte es trotz wiederholter Empfehlungen vonseiten internationaler Menschenrechtsinstitutionen ab, die Haft ohne Kontakt zur Außenwelt abzuschaffen. Ein Terrorismusverdächtiger wurde nach Marokko ausgeliefert, obwohl er dort Gefahr lief, zum Opfer von Folter und einem unfairen Gerichtsverfahren zu werden. Die bewaffnete baskische Gruppe Euskadi Ta Askatasuna (ETA) verkündete einen Waffenstillstand. Ehemalige Häftlinge aus Guantánamo Bay erhielten internationalen Schutz. Die Berichte über Gewalt gegen Frauen und Mädchen nahmen zu. Ein Ermittlungsrichter wurde von seinem Amt suspendiert, weil er Ermittlungen in Bezug auf internationale Verbrechen eingeleitet hatte, die während des Spanischen Bürgerkriegs und des Franco-Regimes verübt worden waren.

Folter und andere Misshandlungen

Auch 2010 trafen immer wieder Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen durch Sicherheitskräfte ein. Es wurden keine Maßnahmen ergriffen, um Daten über Fälle zu erheben und zu veröffentlichen, bei denen es zu Verletzungen der Menschenrechte von Personen in Polizeigewahrsam gekommen sein könnte, wie es der von der Regierung 2008 verabschiedete Aktionsplan für Menschenrechte eigentlich vorsah.

Die Reform des Strafgesetzbuchs im Juni ließ eine Änderung der Definition von Folter vermissen, obwohl der UN-Ausschuss gegen Folter empfohlen hatte, diese mit internationalen Menschenrechtsstandards in Einklang zu bringen. Das Strafgesetzbuch unterscheidet nach wie vor zwischen "schwerwiegenden" Verstößen gegen den Paragraphen über das Folterverbot sowie solchen, "die dies nicht sind".

  • Das Gerichtsverfahren gegen zwei Polizeibeamte, denen vorgeworfen wird, den nigerianischen Staatsbürger Osamuyia Akpitaye bei seiner Abschiebung aus Spanien im Juni 2007 getötet zu haben, wurde auf den 16. und 17. März 2011 festgesetzt.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Nach wie vor hielten die Behörden Personen, die terroristischer Aktivitäten verdächtigt wurden, ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft. Verdächtige können bis zu 13 Tage lang festgehalten werden und dürfen in diesem Zeitraum keinen eigenen Anwalt beauftragen oder sich unter vier Augen mit ihrem Pflichtverteidiger beraten, auch haben sie weder Zugang zu einem Arzt ihrer Wahl, noch können sie Angehörige über ihren Verbleib informieren. Im Mai lehnte die Regierung die Empfehlung im Rahmen der Universellen Regelmäßigen Überprüfung (UPR) ab, diese Form der Haft abzuschaffen.

  • Nach einer förmlichen Beschwerde von Mohammed Fahsis Anwalt erklärte sich das Ermittlungsgericht Nr. 23 in Madrid (Juzgado de Instrucción No. 23 de Madrid) dazu bereit, seinen Foltervorwürfen nachzugehen, stellte jedoch im April die Ermittlungen wieder ein. Mohammed Fahsi hatte angegeben, nach seiner Festnahme durch die Guardia Civil im Januar 2006 in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt gefoltert worden zu sein. Seine Beschwerde wurde zunächst vom Staatsanwalt und dem Ermittlungsrichter abgewiesen. Das Ermittlungsgericht wandte ein, dass die Anzeige mehr als drei Jahre nach den Ereignissen erfolgt sei und Mohammed Fahsi dem Rechtsmediziner erklärt habe, er sei "normal" behandelt worden. Über die Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerichts war bis Ende 2010 noch nicht befunden worden. Im Januar war Mohammed Fahsi wegen Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation zu sieben Jahren Haft verurteilt worden, nachdem er bereits vier Jahre in Untersuchungshaft verbracht hatte. Er hatte dann vor dem Obersten Gerichtshof Rechtsmittel gegen diese Entscheidung eingelegt und wurde bis zur Urteilsverkündung auf freien Fuß gesetzt.

  • Am 25. Juni 2010 wies das Ermittlungsgericht Nr. 1 in Madrid die Beschwerde ab, die María Mercedes Alcocer wegen Folter, Körperverletzung und massiver Bedrohung durch Angehörige der Guardia Civil erhoben hatte, nachdem sie vom 10. bis zum 13. Dezember 2008 ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten worden war. Ein rechtsmedizinischer Befund vom 12. Dezember 2008 dokumentierte Blutergüsse und Spuren von Tritten und Schlägen. In seiner Entscheidung, die Ermittlungen einzustellen, erklärte das Gericht indes, dass keiner der rechtsmedizinischen Befunde irgendein äußeres Zeichen von Gewalt gegen María Mercedes Alcocer belege, und unterstellte, dass der einzige Zweck der Anzeige der sei, die Angehörigen der Guardia Civil zu identifizieren, die an ihrer Festnahme beteiligt waren. Über ihren Einspruch gegen die Entscheidung war bis Ende des Jahres noch nicht entschieden worden. Im Mai war María Mercedes Alcocer wegen Unterstützung einer bewaffneten Gruppierung vor dem spanischen Strafgerichtshof (Audiencia Nacional) angeklagt worden. Das Urteil war bis Jahresende noch nicht verkündet worden.

  • Am 28. September befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass Spanien gegen das Verbot von Folter und anderen Misshandlungen verstoßen habe. Die Behörden hatten es versäumt, den Foltervorwürfen von Mikel San Argimiro Isasa nachzugehen, die dieser erhoben hatte, nachdem er im Mai 2002 fünf Tage in der Generaldirektion der Guardia Civil (Dirección General de la Guardia Civil) in Madrid in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt verbracht hatte.

  • Am 30. Dezember 2010 befand das Strafgericht von Guipúzcoa (Audiencia de Guipúzcoa) vier Angehörige der Guardia Civil der Folter an Igor Portu und Mattin Sarasola im Gewahrsam der Polizei am Morgen des 6. Januar 2008 für schuldig. Das Gericht entschied, die Tatsache, dass die beiden Männer wegen Mitgliedschaft in der ETA verurteilt worden waren und schwere terroristische Straftaten verübt hatten, mache ihre Angaben nicht unglaubwürdig. Ihre Vorwürfe über Misshandlungen während der darauf folgenden Inhaftierung und des Transports wurden hingegen aus Mangel an Beweisen zurückgewiesen. Die elf anderen unter Anklage gestellten Angehörigen der Guardia Civil wurden freigesprochen.

Abschiebung

  • Am 14. Dezember 2010 schoben die spanischen Behörden den wegen Straftaten im Zusammenhang mit Terrorismus beschuldigten Ali Aarrass, der die marokkanische und die belgische Staatsbürgerschaft besitzt, nach Marokko ab. Damit verstießen die spanischen Behörden gegen vom UN-Menschenrechtsausschuss angeordnete Interimsmaßnahmen, mit denen das Land aufgefordert wurde, dem Auslieferungsgesuch Marokkos nicht nachzukommen, ehe der Ausschuss im Fall von Ali Aarrass eine Entscheidung getroffen hat.

Menschenrechtsverstöße durch bewaffnete Gruppen

Im März 2010 wurde ein französischer Polizeibeamter bei einem Schusswechsel in Dammarie-lès-Lys in der Nähe von Paris von Mitgliedern der bewaffneten baskischen Gruppe ETA erschossen. Am 5. September gab die ETA bekannt, keine weiteren "bewaffneten Angriffe" mehr durchführen zu wollen.

Flüchtlinge und Migranten

Nach Angaben des Innenministeriums kamen 3632 Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus über die spanische Küste ins Land. Dies waren 50% weniger als 2009 und die niedrigste Anzahl seit zehn Jahren. Der Rückgang beruhte zum Teil auf der fortgesetzten Praxis, Migranten und Asylsuchende auf See abzufangen, sowie auf mit Herkunfts- und Transitländern geschlossenen Rückübernahmeabkommen.

Im September wies die Regierung die Empfehlung der Arbeitsgruppe des Verfahrens der Universellen Regelmäßigen Überprüfung (UPR) zurück, die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeiter und ihrer Familienangehörigen zu unterzeichnen und anschließend zu ratifizieren.

Guantánamo-Häftlinge

Im Februar 2010 bestätigte der damalige Außenminister Spaniens die Bereitschaft, fünf ehemaligen Guantánamo-Häftlingen internationalen Schutz zu gewähren. Daraufhin trafen am 24. Februar ein palästinensischer, am 4. Mai ein jemenitischer und am 21. Juli ein afghanischer Staatsangehöriger in Spanien ein, die sich alle zuvor im Gefangenenlager Guantánamo Bay in US-amerikanischer Haft befunden hatten.

Menschenhandel

Im Juni 2010 änderte die Regierung die Definition von Menschenhandel im Strafgesetzbuch und brachte sie damit in Einklang mit dem Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels. Es gab jedoch Bedenken, dass das Recht auf eine Erholungs- und Besinnungsphase für ausländische Staatsangehörige ohne regulären Aufenthaltsstatus, die mutmaßlich von Menschenhandel betroffen sind, in der Praxis nicht immer respektiert wurde. Im Ausländergesetz ist für diese Phase, in der Abschiebungsmaßnahmen ausgesetzt werden sollten, ein Zeitraum von mindestens 30 Tagen vorgesehen. Bis zum Ende des Berichtsjahrs hatte man indes noch keine Maßnahmen ergriffen, um die zuständigen Behörden darüber zu instruieren, wie man im Einklang mit dem Übereinkommen Opfer von Menschenhandel identifizieren kann.

  • Am 17. März 2010 wurde die im zweiten Monat schwangere nigerianische Staatsangehörige Gladys John trotz Bedenken des Amts des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR), dass sie von Menschenhandel betroffen sein könnte, nach Nigeria abgeschoben. Am 10. März hatte das Zentrale Verwaltungsgericht Nr. 6 in Madrid (Juzgado Central de lo Contencioso-Administrativo No. 6 de Madrid) ihren Asylantrag abgelehnt und ihr den Status als Opfer von Menschenhandel verweigert.

Rechte von Kindern

Die Beschwerden wegen Körperstrafen, Isolation, missbräuchlicher Verschreibung von Medikamenten sowie unzulänglicher Gesundheitsfürsorge in Einrichtungen für Minderjährige mit Verhaltensauffälligkeiten oder sozialen Problemen rissen 2010 nicht ab. Im September äußerte sich der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes besorgt darüber, dass diese Einrichtungen eine Form der Freiheitsberaubung darstellen könnten. Der Ausschuss empfahl Spanien, in allen autonomen Regionen für Gesetze und Verwaltungsrichtlinien zu sorgen, die mit dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes vollständig in Einklang stehen.

Gewalt gegen Frauen

Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheit, Soziales und Gleichberechtigung stieg die Zahl der von ihren Partnern oder früheren Partnern getöteten Frauen 2010 auf 73, von denen 27 Migrantinnen waren. Migrantinnen ohne regulären Aufenthaltsstatus, die Opfer häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt wurden, schreckten nach wie vor davor zurück, bei der Polizei Anzeige zu erstatten, da dies das Risiko barg, anschließend abgeschoben zu werden. Das Ausländergesetz war im Dezember 2009 dahingehend geändert worden, dass ein Abschiebungsverfahren eingeleitet wird, wenn Migrantinnen ohne regulären Aufenthaltsstatus wegen geschlechtsspezifischer Gewalt Anzeige erstatten.

Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt sahen sich nach wie vor mit zahlreichen Hindernissen konfrontiert, wenn sie versuchten, faire und zeitnahe Entschädigung zu erhalten.

  • Zehn Jahre nach den Ereignissen erhielt Ascensión Anguita im Juli von ihrem Ex-Ehemann eine Entschädigung für die gravierenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen, die sie davontrug, als er 15 Mal auf sie einstach. Sie wurde arbeitsunfähig, litt an posttraumatischer Belastungsstörung und musste von einer monatlichen Unterstützung für Behinderte leben.

Rassismus und Diskriminierung

Die Behörden versäumten es, Diskriminierung gegen Ausländer zu bekämpfen und das Recht auf freie Meinungsäußerung und Religionsfreiheit zu unterstützen.

  • Im Januar 2010 gestattete ein von der Generaldirektion der Polizei und der Guardia Civil herausgegebenes Rundschreiben die vorbeugende Inhaftierung ausländischer Staatsangehöriger, die bei Personenkontrollen keine Identitätsnachweise vorlegen können. Polizeigewerkschaften äußerten die Besorgnis, dass dies zu gesetzwidrigen Festnahmen führen könne, und forderten die sofortige Rücknahme des Rundschreibens.

  • Im Mai 2010 begrüßte die Regierung die Empfehlungen der Arbeitsgruppe des UPR-Verfahrens, Zahlen über rassistisch begründete Straftaten zu erheben und zu veröffentlichen sowie einen nationalen Aktionsplan gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu entwickeln. Bis Ende des Jahres hatte man indes keine weiteren Schritte unternommen. Die Klausel aus dem Menschenrechtsplan von 2008, wonach eine nationale Strategie gegen Rassismus verankert werden sollte, war noch immer nicht umgesetzt worden.

  • Mehrere Stadtverwaltungen verabschiedeten Bestimmungen, die eine vollständige Verschleierung des Gesichts in öffentlichen Gebäuden verbieten. Der Senat befürwortete im Juni 2010 einen Antrag, mit dem die Regierung aufgefordert wurde, die vollständige Gesichtsverschleierung "in öffentlichen Räumen und bei öffentlichen Veranstaltungen" zu verbieten. Es wurden Bedenken laut, dass ein umfassendes Verbot die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Religionsfreiheit von Frauen verletzen würde, die als Ausdruck ihrer Identität oder ihres Glaubens eine vollständige Gesichtsverschleierung tragen wollen.

»Verschwindenlassen«

Obwohl im Juni 2010 Änderungen des Strafgesetzbuchs vorgenommen wurden, versäumte es die Regierung, eine Definition für Straftaten nach internationalem Recht aufzunehmen, wie etwa "Verschwindenlassen" und außergerichtliche Hinrichtungen.

  • Im April beschuldigte der Oberste Gerichtshof den Ermittlungsrichter Baltasar Garzón, gegen das Amnestiegesetz von 1977 verstoßen zu haben. Baltasar Garzón hatte die ersten Ermittlungen überhaupt in Bezug auf während des Spanischen Bürgerkriegs und des Franco-Regimes verübte Verbrechen eingeleitet, bei denen es um das "Verschwindenlassen" von über 114000 Personen zwischen 1936 und 1951 geht. Anschließend suspendierte ihn im Mai der Generalrat der rechtsprechenden Gewalt (Consejo General del Poder Judicial) für die Dauer seines Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof von seinem Amt als Richter. Amnestiegesetze und Verjährungsfristen für Fälle von "Verschwindenlassen", Folter oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind mit dem Völkerrecht unvereinbar, und so hatte der UN-Menschenrechtsausschuss 2008 Spanien aufgefordert, eine Aufhebung des Amnestiegesetzes von 1977 in Erwägung zu ziehen. Ende 2010 war es jedoch weiterhin in Kraft.

Internationale Strafverfolgung

Im September und im November 2010 stellte der spanische Strafgerichtshof die Ermittlungen in Bezug auf in Myanmar und Tibet verübte Verbrechen ein. Die Entscheidungen fielen nach einer Einschränkung der universellen Gerichtsbarkeit durch einen Zusatz zum Gerichtsverfassungsgesetz im Oktober 2009. Seit der Zusatz in Kraft ist, konnten inländische Gerichte nur noch in Fällen ermitteln, in denen entweder die Opfer spanische Staatsbürger waren, sich der mutmaßliche Täter in Spanien aufhielt oder ein "relevanter Bezug" zu Spanien bestand und nur dann, wenn nicht bereits in einem anderen Land oder von einem internationalen Gerichtshof wirksame Ermittlungen oder eine strafrechtliche Verfolgung eingeleitet worden waren.

  • Im September forderte die Regierung von Südafrika die Überstellung von Faustin Kayumba Nyamwasa, dem Stabschef der ruandischen Armee. Der spanische Strafgerichtshof hatte ihn 2008 wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Ruanda unter Anklage gestellt.

Amnesty International: Berichte

Dangerous deals: Diplomatic assurances in Europe (EUR 01/012/2010)

Spain: Follow-up information to the Concluding Observations of the Committee against Torture (EUR 41/003/2010)

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