Amnesty Report Deutschland 11. Mai 2011

Deutschland 2011

 

Amtliche Bezeichnung: Bundesrepublik Deutschland Staatsoberhaupt: Christian Wulff (löste im Juli Horst Köhler im Amt ab) Regierungschefin: Angela Merkel Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 82,1 Mio. Lebenserwartung: 80,2 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 5/5 pro 1000 Lebendgeburten

Auf Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeibeamte wurde nur unzureichend reagiert. Einige Bundesländer schoben weiterhin Roma in den Kosovo ab, obwohl diese des internationalen Schutzes bedurften.

Internationale Untersuchungen

Im Februar 2010 empfahl der UN-Sonderberichterstatter über zeitgenössische Formen des Rassismus, der Rassendiskriminierung, der Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängender Intoleranz, das Mandat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu stärken und ihre Mittel zu erhöhen. Er empfahl u.a., Rassismus als erschwerenden Umstand bei der Strafzumessung in das Strafgesetzbuch aufzunehmen, die Entwicklung spezieller Fortbildungen für Polizeibedienstete, Staatsanwälte und Richter, um Straftaten mit rassistischem Hintergrund zu erkennen, sowie die Einführung spezieller Maßnahmen, um eine angemessene Vertretung von Menschen mit Migrationshintergrund in staatlichen Institutionen sicherzustellen.

Folter und andere Misshandlungen

Die mangelnde Bereitschaft der Behörden, Vorwürfe über Misshandlungen der Polizei angemessen zu untersuchen, aber auch unzureichende Informationen über das Verfahren beim Erstatten einer Strafanzeige und Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Polizeibeamten waren möglicherweise Gründe dafür, warum in Fällen rechtswidriger Polizeigewalt Täter nicht zur Verantwortung gezogen wurden und Opfer es schwer hatten, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu erlangen.

Nach wie vor wurden Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeibeamte erhoben. Es wurden keine unabhängigen Untersuchungsmechanismen eingerichtet, um Vorwürfe über von Polizeibeamten begangene Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Nur einige Bundesländer boten auf ihren Internetseiten Informationen an, wie Bürger im Falle polizeilichen Fehlverhaltens Anzeige erstatten können.

  • Am 3. März 2010 stellte die Generalstaatsanwaltschaft die Untersuchungen im Fall einer Fotojournalistin ein, die Vorwürfe über Misshandlungen durch Polizeibeamte während des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm erhoben hatte. In der Begründung hieß es, es sei unmöglich gewesen, die Beamten mit ausreichender Sicherheit zu identifizieren. Berlin ist das einzige Bundesland, in dem eine Kennzeichnungspflicht von uniformierten Polizisten eingeführt wurde. Die Regelung soll im Januar 2011 in Kraft treten. In allen anderen Bundesländern gab es bis Ende 2010 keine Kennzeichnungspflicht.

  • Der Bundesgerichtshof hob am 7. Januar 2010 im Fall von Oury Jalloh den Freispruch eines Polizisten auf und ordnete eine Wiederaufnahme des Verfahrens an. Oury Jalloh war 2005 im Polizeigewahrsam in Dessau infolge eines Brandes in seiner Zelle an einem Hitzeschock gestorben. Im Verfahren der ersten Instanz, das 2008 abgeschlossen wurde, waren schwerwiegende Mängel bezüglich der Gründlichkeit der Ermittlungen in der Anfangsphase offen gelegt worden.

  • Nach Angaben von Demonstrierenden setzte die Polizei am 30. September 2010 bei den Protesten gegen das Bauprojekt Stuttgart 21 unverhältnismäßige Gewalt ein. Am 27. Oktober richtete der Landtag von Baden-Württemberg einen Untersuchungsausschuss zu diesem Polizeieinsatz ein. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, die Ende des Jahres noch nicht abgeschlossen waren.

Flüchtlinge und Asylbewerber

Einige Bundesländer schoben weiterhin Roma, Aschkali und Ägypter in den Kosovo ab, obwohl ihnen dort bei ihrer Rückkehr Verfolgung und Diskriminierung drohten und sie deshalb nur begrenzt Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Wohnraum und Sozialleistungen hatten. Allerdings erließ Nordrhein-Westfalen am 21. September 2010 eine Verordnung, derzufolge einer Abschiebung von Roma, Aschkali und Ägyptern in den Kosovo eine Einzelfallprüfung vorausgehen muss. Am 1. Dezember verfügte das Bundesland einen viermonatigen Abschiebestopp aufgrund der Witterungsbedingungen im kosovarischen Winter.

Obwohl es Griechenland an einem funktionierenden Asylverfahren mangelte, wurden im Berichtsjahr 55 Asylbewerber unter der Dublin-II-Verordnung nach Griechenland überstellt. In einigen Fällen setzte das Bundesverfassungsgericht Überstellungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aus.

Am 15. Juli 2010 informierte die Bundesregierung den UN-Generalsekretär darüber, dass Deutschland seine Vorbehalte gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention zurücknehme, erklärte aber, dass in diesem Zusammenhang keine Änderungen des deutschen Asylrechts erforderlich seien. Somit galten 16- und 17-Jährige im Asylverfahren weiterhin als Erwachsene ohne den Beistand eines Vormunds.

  • Khaled Kenjo, ein syrischer Kurde, der 2009 nach Syrien abgeschoben worden war, durfte im Juli 2010 nach Deutschland zurückkehren und erhielt den Flüchtlingsstatus. Nach seiner Abschiebung war er in Syrien festgenommen und wegen des "Verbreitens von Falschmeldungen, die dem Ansehen des [syrischen] Staates schaden könnten", zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt worden.

  • Die beiden eritreischen Staatsbürger Yonas Haile Mehari und Petros Aforki Mulugeta, die 2008 nach Eritrea abgeschoben worden waren, kehrten im April bzw. Juni 2010 nach Deutschland zurück, nachdem ihnen 2009 in Abwesenheit der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden war.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Im Februar kam eine UN-Studie über geheime Inhaftierungen zu dem Schluss, dass Deutschland für die geheime Inhaftierung des deutsch-syrischen Staatsbürgers Mohammad Zammar mitverantwortlich gewesen sei, der im Dezember 2001 rechtswidrig nach Syrien überstellt worden war. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss von 2006 bis 2009 hatte Beweise dafür erbracht, dass deutsche Ermittler ihn im November 2002 in Syrien verhört und den dortigen Behörden außerdem Fragen für seine Vernehmung geschickt hatten. Der Bericht des Untersuchungsausschusses vom Juni 2009 kam jedoch zu der abschließenden Einschätzung, dass die deutschen Behörden nicht für Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit diesem Fall mitverantwortlich gewesen seien. Die Behörden lehnten es seitdem ab, eine neue Untersuchung über ihre Rolle bei den rechtswidrigen Gefangenenüberstellungen zu veranlassen.

Die Regierung bestätigte, dass sie sich weiterhin auf "diplomatische Zusicherungen" verlassen werde, da auf diese Weise angeblich die Gefahr von Folter und anderen Misshandlungen bei der Überstellung von Personen in ihr Ursprungsland verringert werde.

  • Im Mai 2010 bestätigte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen ein Urteil des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts von 2009. Die Richter hatten im Fall eines tunesischen Staatsbürgers, der terroristischer Aktivitäten verdächtigt worden war, entschieden, dass die Verwendung "diplomatischer Zusicherungen" das absolute Folterverbot untergrabe. Das Verwaltungsgericht hatte deshalb die Abschiebung des Tunesiers untersagt.

  • Am 16. September 2010 wurden ein staatenloser Palästinenser und ein syrischer Staatsbürger, die beide aus Guantánamo Bay entlassen worden waren, in Hamburg bzw. Rheinland-Pfalz aufgenommen. Der Bundesinnenminister kündigte an, dass darüber hinaus keine weiteren ehemaligen Häftlinge aus Guantánamo Bay in Deutschland Schutz erhalten würden.

Am 7. Dezember wies das Kölner Verwaltungsgericht die Klage des deutschen Staatsbürgers Khaled el-Masri ab. Er hatte die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, ihre ablehnende Haltung bezüglich der Auslieferung von 13 US-amerikanischen Staatsbürgern zu überdenken. Die Männer werden verdächtigt, ihn im Jahr 2004 rechtswidrig nach Afghanistan überstellt zu haben. In der Begründung des Gerichts hieß es, die Regierung habe rechtmäßig gehandelt, da sie die Interessen Khaled el-Masris gegen sicherheitspolitische Erwägungen und außenpolitische Interessen abwägen dürfe. Khaled el-Masri legte Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Gerichts ein.

Amnesty International: Berichte

Täter unbekannt. Mangelnde Aufklärung von mutmaßlichen Misshandlungen durch die Polizei in Deutschland (EUR 23/002/2010)

Open secret: Mounting evidence of Europe’s complicity in rendition and secret detention (EUR 01/023/2010)

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