Amnesty Report 20. Mai 2010

Ruanda 2010

 

Amtliche Bezeichnung: Republik Ruanda Staatsoberhaupt: Paul Kagame Regierungschef: Bernard Makuza Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 10 Mio. Lebenserwartung: 49,7 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 167/143 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 64,9%

Das politische Leben wurde von den Behörden angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen 2010 streng kontrolliert und die Meinungsfreiheit durch allgemein gefasste Gesetze zur "Völkermordideologie" unangemessen eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger wandten auch weiterhin Selbstzensur an, um Konfrontationen mit den ruandischen Behörden zu vermeiden. Trotz laufender Reformen des Justizsystems erfüllten die konventionellen Gerichte immer noch keine internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren. Ruanda bemühte sich, einige Mängel im Justizsystem zu beheben, die vom Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda – ICTR) angeführt worden waren, nachdem der ICTR sich 2008 geweigert hatte, Fälle an Ruanda zu übergeben. Kein Land lieferte des Völkermords verdächtigte Personen an Ruanda aus.

Hintergrund

Internationale Geberländer, die sich angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung Ruandas und seiner Annäherung an die Demokratische Republik Kongo (DR Kongo) erfreut zeigten, brachten Menschenrechtsverletzungen nur selten öffentlich zur Sprache.

Ruandas Beziehungen zur DR Kongo nahmen 2009 eine positive Entwicklung, nachdem beide Länder zu Anfang des Jahres ein Friedensabkommen geschlossen hatten, um den Aufstand durch die von Ruanda unterstützte Rebellenbewegung Congrès National pour la Défense du Peuple (CNDP) zu beenden. Im Januar schloss sich Ruanda in einer gemeinsamen Militäroffensive gegen die Rebellen der Forces Démocratiques pour la Libération du Rwanda (FDLR) in der Provinz Nord-Kivu kongolesischen Regierungstruppen an. Die Militäreinsätze gegen die FDLR wurden im Hinblick auf die Menschenrechte heftig kritisiert (siehe Länderbericht DR Kongo). Die Niederlande und Schweden nahmen die direkte finanzielle Unterstützung nicht wieder auf, die sie im Dezember 2008 ausgesetzt hatten, als aus einem UN-Bericht hervorgegangen war, dass der CNDP von Ruanda unterstützt wurde.

Ruanda trat dem Commonwealth of Nations bei und nahm die diplomatischen Beziehungen mit Frankreich im November wieder auf.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Das Recht auf freie Meinungsäußerung blieb weiterhin stark eingeschränkt.

Journalisten Im August verabschiedete die Regierung ein Mediengesetz, das die Pressefreiheit ungebührlich einschränkte. Es sieht u. a. vor, dass ruandische Journalisten einen Abschluss oder ein Zeugnis besitzen müssen, um ihrer Tätigkeit nachgehen zu können. Einige Journalisten mit einer regierungskritischen Einstellung blieben weiterhin von Pressekonferenzen ausgeschlossen.

  • Am 25. April 2009 wurde die Übertragung von BBC Kinyarwanda von der ruandischen Regierung vorübergehend eingestellt, nachdem der Trailer für eine Sendung ausgestrahlt worden war, in der es um Gespräche zum Thema Vergebung nach dem Völkermord von 1994 ging. Die ungerechtfertigte Begründung der Regierung lautete, die Sendung habe den Straftatbestand der Verleugnung des Völkermords erfüllt. In dem Trailer wurde auch Faustin Twagiramungu gezeigt, ein ehemaliger Präsidentschaftskandidat, der sich gegen die Bestrebungen für eine kollektive Entschuldigung aller Hutu für den Völkermord aussprach, da nicht alle daran beteiligt gewesen seien. Ferner gab es einen Ausschnitt, in dem ein Mann mit gemischter ethnischer Herkunft Überlegungen darüber anstellt, warum die Regierung den Angehörigen der von der Ruandischen Patriotischen Front (Front Patriotique Rwandais – FPR) Getöteten nicht erlaubt hatte zu trauern. Nach Verhandlungen zwischen der BBC und der Regierung wurde die Ausstrahlung von BBC im Juni wieder aufgenommen.

Gesetz über "Völkermordideologie" Die Behörden machten Gebrauch vom weit gefassten Gesetz über "Völkermordideologie", um Kritik, u. a. an der herrschenden RPF, im Keim zu ersticken und Forderungen nach Gerechtigkeit für von der RPF begangene Kriegsverbrechen abzuwehren. Im August 2009 befanden sich nach vorliegenden Informationen 912 Frauen und Männer in Haft, die auf der Grundlage des Gesetzes zur "Völkermordideologie" angeklagt waren; 356 von ihnen warteten auf den Beginn ihres Prozesses und 556 waren bereits verurteilt. In einigen Fällen kam es zu Freilassungen, meist nach einer langen Untersuchungshaft.

Das Gesetz deckt zwar einige Handlungen ab, die u. U. den Tatbestand der Hassrede erfüllen, doch ist eine Verbindung mit einem Akt des Völkermords nicht zwingend erforderlich, und der Wortlaut ist äußerst vage. So droht Personen, die eine Gruppe von Personen "entmenschlichen", indem sie "sich über ihr Unglück lustig machen" oder "schlechte Gefühle wecken", eine Haftstrafe zwischen zehn und 25 Jahren. Kleine Kinder können bis zu zwölf Monate lang in ein Rehabilitierungszentrum gesteckt werden, während Jugendlichen zwischen zwölf und 18 Freiheitsstrafen zwischen fünf und zwölfeinhalb Jahren drohen.

Menschenrechtsverteidiger Menschenrechtsverteidiger wandten auch weiterhin Selbstzensur an, um Konfrontationen mit den ruandischen Behörden zu vermeiden. Es gab Berichte, dass einige NGOs weiterhin von Mitgliedern der herrschenden RPF-Partei infiltriert waren.

Vereinigungsfreiheit

Die Registrierung neuer politischer Oppositionsparteien wurde von der Regierung aktiv behindert. Die Parti Social Imberakuri (PS-Imberakuri) wurde nach etlichen Verzögerungen schließlich im August eingetragen, während die Grüne Partei Ende 2009 noch immer auf ihre Registrierung wartete und Schwierigkeiten hatte, von der Polizei eine Genehmigung für Versammlungen zu erhalten.

Gewaltlose politische Gefangene

Charles Ntakirutinka, ein ehemaliger Minister der ruandischen Regierung, saß im Zentralgefängnis von Kigali weiter seine zehnjährige Haftstrafe ab, die Ende 2012 endet. Er war in einem unfairen Prozess verurteilt worden, weil er zu "zivilem Ungehorsam" aufgerufen und mit "kriminellen Elementen" zusammengearbeitet haben soll. Sein Mitangeklagter, der ehemalige Präsident Pasteur Bizimungu, war 2007 nach der Begnadigung durch den Präsidenten freigelassen worden.

Justizsystem

Ruanda bemühte sich, Mängel im Justizsystem zu beheben, die vom ICTR angeführt worden waren, nachdem dieser sich 2008 geweigert hatte, Fälle an Ruanda zu übergeben. Im Mai änderte das Parlament das Überführungsgesetz von 2007, sodass im Ausland lebende Zeugen ihre Aussage mittels Videoübertragung, Hinterlegung oder vor einem Richter in einem ausländischen Rechtsgebiet machen können. Die Änderung sah auch eine Rechtshilfe für mittellose Angeklagte vor, die überführt oder ausgeliefert werden. Für diese Fälle wurde eine spezielle Zeugenschutzstelle mit Sitz im Obersten Gericht geschaffen, an die sich Zeugen der Verteidigung wenden können, die nicht mit der Abteilung für die Unterstützung von Zeugen und Opfern im Büro des Staatsanwalts in Kontakt treten möchten.

Die Billigung eines Gesetzentwurfs, der die Auslegung von "Sonderbedingungen" in Bezug auf lebenslange Haftstrafen klären soll, stand Ende 2009 noch aus. Nach der Abschaffung der Todesstrafe im Jahr 2007 wurden zwei Arten von lebenslangen Haftstrafen etabliert: lebenslange Haft und lebenslange Haft mit Sonderbedingungen, die als Isolationshaft verbüßt wird. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Häftlinge 20 Jahre lang in Einzelzellen bleiben. Dies weckte die Befürchtung, dass einige Gefangene eine unverhältnismäßig lange Einzelhaft zu verbüßen hätten. Ruanda besitzt allerdings nicht die erforderlichen Kapazitäten, um Straftäter in Einzelzellen zu inhaftieren. Nach dem Gesetzentwurf dürfen Häftlinge zwar Sport treiben, Besuch jedoch nur von nahen Familienangehörigen empfangen. Auch verstößt der Entwurf gegen das Recht auf Gesundheit in medizinischen Notfällen, da ein inhaftierter Straftäter erst dann außerhalb des Gefängnisses behandelt werden darf, wenn drei Gefängnisärzte eine entsprechende Genehmigung erteilt haben.

Im Oktober 2009 befanden sich 62821 Personen im Gefängnis. Die Überfüllung der Haftanstalten stellte auch weiterhin ein Problem dar, obwohl die Zahl der Insassen aufgrund von Strafen wie gemeinnützige Arbeit und der jährlichen Freilassung von Häftlingen deutlich zurückgegangen war.

Gacaca-Verfahren

Die Verfahren der Gacaca-Gerichte, die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren nicht genügten, wurden mit dem Ziel beschleunigt, alle ausstehenden Fälle bis Dezember 2009 abzuschließen. In einigen Gebieten wurde die Frist für die Einreichung neuer Klagen vor einem Gacaca-Gericht über den 31. Juli hinaus verlängert. Berichten zufolge wurden einige Gacaca-Prozesse durch falsche Beschuldigungen und Korruption beeinträchtigt oder Zeugen der Verteidigung konnten nicht zur Aussage bewegt werden. Da im Dezember noch mehrere Rechtsmittel und Revisionen anhängig waren, wurde die Frist für die Abwicklung der Gacaca-Gerichte bis Ende Februar 2010 verlängert. Nach der Abwicklung sollten neue Klagen vor gewöhnlichen Gerichten verhandelt werden.

Internationale Rechtsprechung

Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda Das Mandat des ICTR für die Bearbeitung aller Verfahren der ersten Instanz wurde gemäß Resolution 1901 des UN-Sicherheitsrats bis Ende Juni 2010 verlängert. Die Festnahme der beiden vom ICTR angeklagten Verdächtigen Grégoire Ndahimana und Idelphonse Nizeyimana und ihre Überführung aus der DR Kongo bzw. Uganda nach Arusha waren Beleg für eine wachsende regionale Zusammenarbeit der Länder bei der strafrechtlichen Verfolgung des Völkermords.

Im Ausland lebende Völkermordverdächtige In Belgien, Finnland, Kanada und den USA fanden Verfahren gegen Personen statt, die verdächtigt wurden, am Völkermord beteiligt gewesen zu sein. In Finnland, Schweden und Großbritannien wurden Auslieferungsverfahren gegen Völkermordverdächtige fortgesetzt. Kein Land lieferte des Völkermords verdächtigte Personen für Strafverfahren an Ruanda aus.

Aufgrund von Bedenken hinsichtlich des Schutzes von Zeugen der Verteidigung und Befürchtungen einer unbefugten Einmischung der Exekutive in die Justiz hob ein britisches Strafgericht der ersten Instanz die ursprüngliche Entscheidung Großbritanniens auf, vier ruandische Staatsbürger, die in Ruanda des Völkermords angeklagt waren, an Ruanda auszuliefern. Finnland lehnte die Auslieferung von François Bazaramba ab und entschied, nach universaler Rechtsprechung gegen ihn zu prozessieren. Abgesandte des Gerichts reisten nach Ruanda, um Zeugen der Anklage vor Ort anzuhören. Schweden entschied sich als erstes Land für die Auslieferung, doch wurde die Auslieferung von Sylvère Ahorugeze wegen einer beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängigen Revision ausgesetzt.

Nach Angaben der ruandischen Regierung wird weltweit gegen mehr als 500 des Völkermords verdächtigte Männer und Frauen ermittelt. Dabei hätten einige afrikanische Länder keine Bereitschaft zur Kooperation gezeigt.

Straflosigkeit

Die meisten von der FPR und der Ruandischen Patriotischen Armee (RPA) vor, während und nach dem Völkermord begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden noch immer nicht verfolgt. Es wurden keine strafrechtlichen Ermittlungen oder Verfahren gegen ehemalige RPA-Kämpfer eingeleitet, die der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt wurden. Der ICTR erhob keine Anklage gegen RPF-Befehlshaber, die in diese Fälle verwickelten waren, und forderte auch die RPF-Akten nicht zurück, die an die Regierung von Ruanda übergeben worden waren und den Anstoß für ein Verfahren gegen zwei rangniedere RPF-Befehlshaber gegeben hatten. Dabei gab es Bedenken, dass der Prozess, bei dem das Urteil im Oktober 2008 gesprochen worden war, internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren nicht entsprochen hatte und dass die für den Tötungsbefehl Verantwortlichen nicht verfolgt wurden.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen

Das Unterhaus des ruandischen Parlaments lehnte Ende Dezember 2009 eine Änderung des Strafgesetzbuchs ab, nach der sexuelle Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Personen sowie deren Begünstigung strafbar wären. Auf erheblichen Druck seitens der ruandischen Zivilbevölkerung und der diplomatischen Gemeinschaft erklärte der Justizminister in einer öffentlichen Stellungnahme, dass Homosexualität nicht unter Strafe gestellt würde, da die sexuelle Orientierung Privatangelegenheit sei.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Die Frist für die freiwillige Rückführung ruandischer Flüchtlinge aus Uganda lief ab. Zuvor waren Bedenken geäußert worden, dass die Rückführung u. U. nicht freiwillig gewesen sei, zumal Ugandas Unterstützung für ruandische Flüchtlinge gemäß der am 22. April zwischen den Regierungen Ruandas und Ugandas und dem UN-Hochkommissar für Flüchtlinge getroffenen Vereinbarung für die freiwillige Rückführung am 31. Juli auslaufen sollte. Einige Flüchtlinge berichteten, sie seien daran gehindert worden, ihr Land zu bestellen. Das Ende dieser Unterstützung könnte Flüchtlinge, die nach wie vor begründete Angst haben mussten, in Ruanda verfolgt zu werden, zur Rückkehr nach Ruanda gezwungen haben.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Delegationen von Amnesty International besuchten Ruanda im September und Oktober.

Finland: Universal jurisdiction put into practice against suspect in Rwandan genocide (EUR 20/001/2009)

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