Amnesty Report Turkmenistan 12. Mai 2009

Turkmenistan 2009

 

Amtliche Bezeichnung: Turkmenistan Staats- und Regierungschef: Gurbanguly Berdymuchammedow Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 5 Mio. Lebenserwartung: 62,6 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 104/84 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 98,8%

Unabhängige Journalisten und ihre Familien wurden eingeschüchtert und davon abgehalten, ihrer Arbeit nachzugehen. Mehrere engagierte Personen wurden nach unfairen Verfahren inhaftiert und ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Es herrschte zudem umfassende Straflosigkeit für Polizei, Sicherheitskräfte und andere Regierungsbehörden.

Hintergrund

Delegierte der Europäischen Union besuchten im April und im Juni 2008 die Hauptstadt Aschgabat, um mit der Regierung einen ersten "Menschenrechtsdialog" zu führen, dem weitere folgen sollen. Im April verschärfte sich der Druck auf Menschenrechtsverteidiger, dies betraf auch engagierte turkmenische Bürger im Exil.

Unabhängige Beobachter, wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, erhielten nach wie vor keinen Zugang zu Häftlingen und Angehörigen von Häftlingen. Im September verabschiedete der Volksrat eine neue Verfassung, die die Machtbefugnisse des Präsidenten ausweitet, gleichzeitig auch die Rolle des Parlaments stärken soll.

Unterdrückung Andersdenkender

  • Waleri Pal, ein sozial engagierter Bürger und möglicherweise gewaltloser politischer Gefangener, wurde im Februar 2008 wegen Diebstahls am Arbeitsplatz zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Seine Unterstützer erklärten, die Anklage sei konstruiert worden, um Pal für seine Kontakte zu Menschenrechtsverteidigern im Ausland zu bestrafen, und bezeichneten das Verfahren als unfair. Waleri Pal war seit einem Schlaganfall im Jahr 2004 teilweise gelähmt und litt unter weiteren gravierenden Gesundheitsproblemen. Im September bekam er im Gefängnis einen Herzinfarkt. Seine Frau erklärte, dass er danach nur noch unter großen Schwierigkeiten sprechen konnte. Es gab starke Befürchtungen, er könnte keinen Zugang zu medizinischer Behandlung bekommen. Nach einer Amnestie des Präsidenten wurde Waleri Pal am 7. Dezember aus dem Gefängnis der Stadt Mary entlassen.

  • Der frühere politische Dissident Gulgeldi Annanijasow wurde am 7. Oktober 2008 von einem Gericht in Aschgabat nach einer nichtöffentlichen Verhandlung zu elf Jahren Haft verurteilt, wobei nicht bekannt wurde, welche Vergehen man ihm zur Last legte. Gulgeldi Annanijasow hatte das Land 1999 verlassen und in Norwegen gelebt, wo ihm der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Im Juni 2008 war er nach Turkmenistan zurückgekehrt, wo er am 24. Juni festgenommen wurde. Ende 2008 war er noch immer ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft.

»Verschwindenlassen«

  • Die Familie von Boris Schichmuradow, der unter dem ehemaligen Präsidenten Nijasow Außenminister war, hat seit Ende Dezember 2002 keinen Kontakt mehr zu ihm. Sein Aufenthaltsort blieb weiterhin unbekannt. Boris Schichmuradow war Anfang Dezember 2002 in einer nichtöffentlichen Verhandlung zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Am Tag danach erhöhte der Volksrat seine Strafe auf lebenslänglich.

Gewaltlose politische Gefangene

  • Die Menschenrechtsverteidiger Annakurban Amanklitschew und Sapardurdi Chadschijew verbüßten weiterhin Haftstrafen. Sie waren nach einem unfairen Verfahren im August 2006 wegen "illegalen Erwerbs, Besitzes oder Verkaufs von Munition oder Feuerwaffen" zu siebenjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Beide standen in Verbindung mit der NGO Turkmenistan Helsinki Foundation. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa teilte im August 2006 mit, Regierungsquellen zufolge sei Annakurban Amanklitschew wegen "illegalen Sammelns von Informationen, um öffentliche Unzufriedenheit zu schüren", sowie wegen "Weiterreichens von Material an Ausländer" inhaftiert worden. Annakurban Amanklitschew und Sapardurdi Chadschijew waren zusammen mit Ogulsapar Muradowa, einer Korrespondentin von Radio Free Europe/Radio Liberty, vor Gericht gestellt worden. Muradowa starb im September 2006 unter ungeklärten Umständen in Haft.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Behörden weiteten den Zugang zum Internet aus, gleichzeitig ergriffen sie Maßnahmen, um noch rigoroser Websites zu blockieren, die Artikel über Menschenrechtsverletzungen enthielten und die Regierungspolitik kritisierten. Im April begannen die Behörden eine neue Welle der Repression gegen unabhängige engagierte Bürger und Journalisten, indem sie diese und ihre Angehörigen einschüchterten. Nach Angaben der Behörden sollten dadurch Personen ausfindig gemacht werden, die, teilweise unter Pseudonym, Beiträge für ausländische Medien und im Ausland ansässige NGOs lieferten. Im November wurden sämtliche Mobiltelefone der journalistischen Mitarbeiter von Radio Free Europe/Radio Liberty gesperrt.

  • Am 3. April 2008 wurde Gurbansultan Atschilowa ins Ministerium für Nationale Sicherheit in Aschgabat zitiert. Dort forderte man sie auf, ein Schreiben zu unterzeichnen, wonach sie ihre Arbeit für Radio Free Europe/Radio Liberty einstellen werde, bis ihr die Behörden eine Akkreditierung ausstellten. Der Radiosender versuchte erfolglos, ihre Akkreditierung zu bestätigen. Ohne Akkreditierung war Gurbansultan Atschilowa in Gefahr, verhaftet zu werden, sofern sie sich weiterhin als Journalistin betätigte.

  • Gurbandurdi Durdikulijew, ein Mitarbeiter von Radio Free Europe/Radio Liberty, berichtete im Mai, dass er seit 2006 mehrfach von Ärzten der psychiatrischen Klinik der Region Balkan sowie von Beamten des Ministeriums für Nationale Sicherheit aufgesucht worden sei. Sie hätten ihn gedrängt, zu einer psychiatrischen Untersuchung in die Klinik zu kommen. Durdikulijew hatte sich von 2004 bis 2006 zwangsweise in geschlossenen psychiatrischen Anstalten befunden. Im April 2008 wurde sein Haus mit Graffiti besprüht, die Drohungen enthielten. Außerdem wurden brennende Flaschen auf seine Veranda geworfen. Seiner Meinung nach wollte man ihn damit von seiner Mitarbeit bei Radio Free Europe/Radio Liberty sowie von einer Beschwerde bei den Behörden über lokale soziale und wirtschaftliche Probleme abbringen.

Im Laufe des Jahres veröffentlichte die Turkmenische Menschenrechtsinitiative auf ihrer Website eine Reihe von Artikeln, in denen Präsident Berdymuchammedow Vetternwirtschaft vorgeworfen wird. Die Website enthielt auch Berichte und Artikel über Menschenrechtsverletzungen in Turkmenistan sowie kritische Kommentare zur Regierungspolitik und deren Umsetzung. Berichten zufolge befahl der Präsident, den Zugang zu dieser Website in Turkmenistan zu blockieren und die Personen zu identifizieren, die Beiträge dazu geliefert hatten.

Recht auf Wohnraum

Das mit dem russischen Wort propiska bezeichnete System, durch das der dauerhafte Wohnsitz jedes Bürgers per Registrierung festgeschrieben wird, schränkte auch weiterhin das Recht der Menschen auf Wohnraum, Beschäftigung, Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung und Bildung ein. Zudem schuf es einen Nährboden für Korruption, da viele damit verbundene Regelungen durch die Zahlung von Schmiergeldern umgangen werden können. Nach wie vor nutzten die Behörden die propiska, um Menschen daran zu hindern, auf der Suche nach Arbeit innerhalb des Landes umzuziehen, vor allem in die Hauptstadt. Zogen Personen ohne propiska zu einem Angehörigen in einen anderen Ort, wurde dem Verwandten der Zugang zu Beschäftigung oder Sozialleistungen wie z.B. Rentenzahlungen gestrichen. Polizei und Sicherheitskräfte drohten regelmäßig mit dem Entzug der propiska, um Menschen davon abzuhalten, sich über Polizeibrutalität zu beschweren.

Diskriminierung

Angehörige ethnischer Minderheiten wurden weiterhin diskriminiert. Dies zeigte sich deutlich daran, dass ihr Zugang zu Arbeitsplätzen und höherer Bildung eingeschränkt war. Es war nach wie vor üblich, die turkmenische Abstammung von Personen über drei Generationen hinweg zurückzuverfolgen, so dass es weder unter Ministern noch unter Verwaltungsleitern oder deren Stellvertretern auf regionaler oder lokaler Ebene Angehörige ethnischer Minderheiten gab. Die Überprüfung über drei Generationen hinweg fand auch bei Personen statt, die sich an höheren Bildungseinrichtungen bewarben. Es gab einige wenige Ausnahmefälle, in denen Angehörige ethnischer Minderheiten oder Personen mit einem nicht turkmenischen Vorfahren zur Universität zugelassen wurden, doch soll dies dem Vernehmen nach nur dann geschehen sein, wenn Bestechungsgelder gezahlt wurden oder der Betreffende über die entsprechenden Verbindungen verfügte.

Amnesty International: Berichte Central Asia: Summary of Human Rights Concerns, March 2007–March 2008 (EUR 04/001/2008)

Turkmenistan: No effective human rights reform (EUR 61/004/2008)

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