Amnesty Report 18. Mai 2009

Liberia 2009

 

Amtliche Bezeichnung: Republik Liberia Staats- und Regierungschefin: Ellen Johnson-Sirleaf Todesstrafe: in der Praxis abgeschafft Einwohner: 3,9 Mio. Lebenserwartung: 44,7 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 212/194 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 51,9%

Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf unterzeichnete ein Gesetz, mit dem die Todesstrafe für Mord in Verbindung mit bewaffnetem Raubüberfall wieder eingeführt wurde. Die Arbeit der Justiz war auch weiterhin durch Personalmangel behindert. Es gab eine hohe Anzahl von Vergewaltigungen und anderen Formen sexueller Gewalt. Um dem Anstieg derartiger Verbrechen zu begegnen, beschloss die Regierung, einen Sondergerichtshof einzurichten. Die Ernennung von Mitgliedern für die unabhängige nationale Menschenrechtskommission kam nicht voran.

Die Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission – TRC) machte beträchtliche Fortschritte. Ende 2008 waren die Einzelanhörungen abgeschlossen. Das Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Charles Taylor wurde im Januar in Den Haag wieder aufgenommen. Chuckie Taylor, der Sohn von Charles Taylor, der in den USA auf der Grundlage eines Gesetzes gegen Folter von 1994 unter Anklage stand, wurde für schuldig befunden. Ihm wurden Verbrechen zur Last gelegt, die er Ende der 1990er Jahre als Leiter der Antiterroreinheit unter dem damaligen Präsidenten Charles Taylor in Liberia begangen hatte.

Hintergrund

Im Dezember wurde die letzte Phase des Programms zur Entwaffnung, Demobilisierung, Rehabilitation und Wiedereingliederung mit 7251 Ex-Kombattanten abgeschlossen, darunter 40% Frauen.

Die Gerichtsverfahren wegen Hochverrats gegen den ehemaligen General der Armed Forces of Liberia, Charles Julu, sowie gegen Colonel Andrew Dorbor endeten im Mai mit Freisprüchen. Der wegen Hochverrats angeklagte George Koukou, ehemaliger Sprecher des Übergangsparlaments (National Transitional Legislative Assembly), wurde im Januar von der Präsidentin begnadigt.

Das Korruptionsverfahren gegen den ehemaligen Vorsitzenden der Übergangsregierung Liberias, Charles Gyude Bryant, wurde eingestellt. Bryant erklärte sich damit einverstanden, unterschlagene Mittel zurückzuerstatten. Der Prozess gegen Edwin Snowe, den ehemaligen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, wegen Diebstahls öffentlicher Gelder wurde fortgesetzt.

2008 erhielt Liberia aus dem UN-Fonds für Friedenskonsolidierung 15 Mio. US-Dollar für Maßnahmen zur Versöhnung und Konfliktlösung. Im April beschlossen Gläubiger des Pariser Clubs einen Schuldenerlass in Höhe von 254 Mio. US-Dollar für Liberia, der an Reformen des Internationalen Währungsfonds geknüpft war. Bei einem Treffen von Mitgliedern der Regierung und internationalen Geldgebern im Juni in Berlin wurde eine Strategie zur Armutsbekämpfung beschlossen.

Im Februar wurde erstmals eine rein weibliche UN-Friedenstruppe aufgestellt. Die aus Indien stammende Einheit ist Teil der UN-Mission in Liberia (UNMIL). Das UNMIL-Mandat wurde bis September 2009 verlängert, wobei die Truppengröße Ende 2008 bei 11000 Soldaten lag.

Der unabhängige UN-Experte für Liberia stattete dem Land im Juli einen Besuch ab. Gewalttaten, insbesondere bewaffnete Raubüberfälle, nahmen im Laufe des Berichtsjahrs zu. Hohe Arbeitslosigkeit, Landkonflikte, Armut sowie die Tatsache, dass Kleinwaffen leicht erhältlich waren, trugen zu dieser Entwicklung bei. Die Aktivitäten ehemaliger Kombattanten sorgten auch weiterhin für Instabilität, vor allem im Zusammenhang mit illegalen Minenaktivitäten. Die Vereinten Nationen verlängerten das Waffenembargo für Liberia um ein weiteres Jahr.

Landkonflikte

Eine im September veröffentlichte Untersuchung der TRC ergab, dass Landkonflikte die größte Gefahr für den Frieden in Liberia darstellten.

  • Im Mai 2008 sollen an der Grenze zwischen den Landkreisen Margibi und Grand Bassa mindestens 19 Farmarbeiter getötet und mindestens 21 weitere verschwunden sein. Hintergrund war ein Landkonflikt zwischen Senator Roland Kaine, der einst Mitglied der National Patriotic Front of Liberia war, und Charles Bennie, einem Funktionär im Handelsministerium, der früher der Liberians United for Reconciliation and Democracy angehörte. Roland Kaine soll die Tötung der für Charles Bennie tätigen Farmarbeiter veranlasst haben. Die Art der Tötung erinnerte an den bewaffneten Konflikt in Liberia: Es gab Hinweise darauf, dass den Opfern die Hände auf dem Rücken zusammengebunden wurden, bevor man sie in einen Fluss warf, wo sie ertranken. Der Prozess gegen Roland Kaine und 15 weitere Personen begann im November.

Todesstrafe

Im Mai verabschiedete das Repräsentantenhaus ein Gesetz, das eine Beibehaltung der Todesstrafe für Mord in Verbindung mit Raubüberfall, Terrorismus oder Entführung vorsieht. Im Juli wurde das Gesetz von der Präsidentin unterzeichnet. Dies widersprach der Verpflichtung des Landes, die Todesstrafe abzuschaffen, gemäß dem Zweiten Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dem Liberia 2005 beigetreten war.

Im Dezember enthielt sich Liberia in der UN-Generalversammlung bei der Abstimmung über eine Resolution für ein weltweites Hinrichtungsmoratorium der Stimme. Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen

Im Januar 2008 begannen öffentliche Anhörungen von Einzelpersonen vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission. Diese wurden im September abgeschlossen. Eine Anhörung fand in den USA statt und damit erstmals außerhalb des Landes, in dem die Vergehen begangen wurden. Im Anschluss daran folgten institutionelle und thematische Anhörungen, die bis zum Jahresende 2008 andauerten. Die UN und andere internationale Gremien äußerten Bedenken, weil Zeugen keinen ausreichenden Schutz genossen. Das Mandat der TRC wurde um drei Monate verlängert, so dass der Abschlussbericht der Kommission im Jahr 2009 erwartet wird. Im September beantragte die TRC beim Sondergerichtshof für Sierra Leone, den ehemaligen Präsidenten Charles Taylor vorzuladen. Um mutmaßliche Täter zur Teilnahme an den Anhörungen zu bewegen, veröffentlichte die TRC im Dezember eine Liste mit 198 Namen mutmaßlicher Täter, die sich weigerten, vor der Kommission zu erscheinen, um zu den Vorwürfen gegen sie Stellung zu beziehen.

Wegen Verzögerungen bei der Ernennung von Mitgliedern konnte die unabhängige nationale Menschenrechtskommission ihre Arbeit noch immer nicht aufnehmen. Im Juni wurden Reformvorschläge zu Teilen des Gesetzes, das die Arbeit der Kommission regelt, ins Parlament eingebracht.

Straffreiheit

Die Regierung leitete keine Schritte ein, um Verstöße gegen das Völkerrecht, die während des 14-jährigen Konflikts im Land begangen wurden, zu untersuchen oder strafrechtlich zu verfolgen.

Roy M. Belfast jr. (alias McArthur Emmanuel oder Charles "Chuckie" Taylor jr.), der Sohn von Charles Taylor, wurde Ende Oktober von einem US-amerikanischen Gericht wegen Folter und anderer Verbrechen für schuldig befunden, die er als Leiter der Antiterroreinheit in Liberia begangen hatte. Es handelte sich um die erste Verurteilung nach dem 1994 in Kraft getretenen US-Gesetz zum Schutz von Folteropfern (Torture Victim Protection Act). Chuckie Taylor war zudem die erste Person, die für nach internationalem Recht während des Liberia-Konflikts begangene Verbrechen für schuldig befunden wurde. Die Verkündung des Strafmaßes wurde für Anfang 2009 erwartet.

Im März hob ein Berufungsgericht in den Niederlanden den Schuldspruch gegen Gus Kouwenhoven auf. Er war für schuldig befunden worden, gegen das UN-Waffenembargo verstoßen zu haben, weil er während des Liberia-Konflikts Waffen an Charles Taylor geliefert hatte. Das Berufungsgericht folgte dem Bezirksgericht und sprach Gus Kouwenhoven von der Anklage wegen Kriegsverbrechen frei. Gewalt gegen Frauen und Kinder Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt gehörten auch weiterhin zu den häufigsten Verbrechen. Der UN zufolge wurden zwischen Januar und Juni des Berichtsjahrs 349 Vergewaltigungen gemeldet, was im Vergleich zum Vorjahr einen deutlichen Anstieg bedeutete. Es gab nach wie vor nicht genügend Gesundheitseinrichtungen, die sich um Notfälle kümmern und psychologische Hilfe anbieten konnten. Verbrechen gegen Kinder, darunter Vergewaltigung, körperliche Gewalt, Kinderhandel und Vernachlässigung, gaben auch weiterhin Anlass zu ernsthafter Sorge. Es gab einige positive Entwicklungen im Kampf gegen Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt. Im Mai beschloss die Regierung die Einrichtung eines Sondergerichtshofs für Fälle geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt. Im Juni wurde in der Hauptstadt Monrovia ein Frauenhaus für Überlebende sexueller Gewalt eingerichtet. Es wird von einer lokalen NGO betrieben und von der UNMIL unterstützt. Im Jahr 2008 wurde ein nationaler Aktionsplan gegen geschlechtsspezifische Gewalt verabschiedet. Die UN stellte Mittel zur Umsetzung des Plans bereit. Im Juli ratifizierte Liberia das Protokoll zu der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker über die Rechte der Frauen in Afrika (Protocol to the African Charter on Human and People’s Rights on the Rights of Women in Africa).

Justizsystem

Bei der Ausbildung von Polizeibeamten gab es einige Fortschritte. Zwischen 2004 und Ende 2008 erhielten mindestens 3661 Beamte, darunter 344 Frauen, eine Grundausbildung und über 1000 eine Spezialausbildung. Die Polizei war jedoch weiterhin nur unzureichend ausgestattet. Es kam u.a. zu Verzögerungen bei den Lohnzahlungen, was Korruption begünstigte und die effektive Arbeit und angemessene Präsenz im gesamten Land einschränkte.

Das Justizsystem litt weiterhin unter einem Mangel an qualifizierten Richtern, unzureichender Infrastruktur, überholten Verfahrensregeln und zu wenig Justizbeamten. Es gab für das gesamte Land nur einen Pflichtverteidiger.

Die Probleme im Justizsystem führten zu einer Überfüllung des Zentralgefängnisses von Monrovia. Rund 95% der Häftlinge in Monrovia wurden ohne Anklageerhebung festgehalten, einige bereits seit zwei Jahren. Bemühungen einer lokalen Organisation führten dazu, dass im Februar 36 Gefangene aus dem Zentralgefängnis von Monrovia und aus dem Gefängnis von Kakata freigelassen wurden. Sie waren dort über 180 Tage ohne Anklageerhebung festgehalten worden. Im November und Anfang Dezember entkamen 50 bzw. 100 Personen aus dem Zentralgefängnis von Monrovia. Die Polizei nahm einige der flüchtigen Gefangenen und einige Passanten fest.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Vertreter von Amnesty International besuchten Liberia im Januar, um einen Film zu drehen, und im März, um einen Bericht vorzustellen.

Liberia: A flawed process discriminates against women and girls (AFR 34/004/2008) Film: Women of Liberia fighting for Peace Liberia: Towards the final phase of the Truth and Reconciliation Commission (AFR 34/002/2008)

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