Amnesty Report Jamaika 20. Mai 2009

Jamaika 2009

 

Amtliche Bezeichnung: Jamaika Staatsoberhaupt: Königin Elizabeth II., vertreten durch Sir Kenneth Octavius Hall Regierungschef: Bruce Golding Todesstrafe: nicht abgeschafft Einwohner: 2,7 Mio. Lebenserwartung: 72,2 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 18/16 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 79,9%

In sozial ausgegrenzten Innenstadtvierteln wurden 2008 sowohl zahlreiche Morde begangen als auch viele Tötungsdelikte durch Polizisten verübt. Um die Sicherheitskrise zu meistern, nahm die Regierung einige Reformen des Polizei- und Justizsystems in Angriff. Frauen und Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen lebten, waren weit verbreiteter Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Mindestens eine Person wurde zum Tode verurteilt, Hinrichtungen fanden jedoch nicht statt.

Hintergrund

Die Krise der inneren Sicherheit führte Berichten zufolge zur Ermordung von 1611 Menschen. Die Mehrzahl der Opfer stammte aus marginalisierten Innenstadtvierteln. Eine große Anzahl von Entwürfen zu sogenannten Anti-Verbrechens-Gesetzen wartete zum Jahresende auf die Verabschiedung durch das Parlament. Zu diesem Gesetzespaket gehörten die Erweiterung der Polizeibefugnisse zur Festnahme, Verlängerungen der Kautionszeiten sowie die Anhebung von Mindeststrafen für Verbrechen mit Schusswaffengebrauch. Nationale Menschenrechtsorganisationen stellten die Verfassungsmäßigkeit einiger Bestimmungen dieser Gesetze infrage und gaben ihrer Sorge Ausdruck, dass die vorgesehenen zusätzlichen Befugnisse von Polizei und Justiz Missbrauch zur Folge haben könnten. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte besuchte Jamaika im Dezember. In ihren vorläufigen Bemerkungen bekundete die Kommission, dass sie "ein alarmierendes Ausmaß der Gewalt", die alle Bereiche der Gesellschaft beträfe, vorgefunden habe. Die Kommission wies darauf hin, dass anhaltende Defizite bei den Sicherheitskräften und im Justizsystem sowie weit verbreitete Korruption und Armut die hauptsächlichen Gründe für die sich zunehmend verschlechternde Situation der inneren Sicherheit seien.

Polizei und Sicherheitskräfte

Mit 222 Personen, die vermutlich durch Polizisten getötet wurden, war das Ausmaß der von der Polizei verübten Tötungen weiterhin hoch. Viele davon geschahen unter Umständen, die den Verdacht aufkommen ließen, dass sie unrechtmäßig waren, obwohl die Polizei immer wieder behauptete, dass sie das Resultat von Schießereien mit kriminellen Banden waren.

Zu den Bemühungen der Regierung, gegen die Straflosigkeit der Polizei und die fehlende Rechenschaftspflicht vorzugehen, gehörten Parlamentsberatungen über einen Gesetzentwurf zur Schaffung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung von Verstößen der Sicherheitskräfte. Die Beratungen waren zum Jahresende noch nicht beendet.

Als Resultat einer strategischen Überprüfung der Jamaikanischen Polizeikräfte (Jamaica Constabulary Force – JFC) wurde im Juni ein Bericht vorgelegt. Die Regierung billigte die große Mehrheit seiner124 Empfehlungen. Obwohl eine Ausbildung in Tatortuntersuchung eingeführt und die JFC mit neuer forensischer Ausrüstung ausgestattet worden war, wurde eine effektive Polizeiarbeit durch den fehlenden Schutz der Tatorte und die geringe Qualität forensischer Untersuchungen ernsthaft behindert.

  • Der 17-jährige Carlton Grant wurde am 23. August 2008 im Zentrum von Kingston von der Polizei erschossen. Die beiden betroffenen Polizeibeamten erklärten, dass Carlton Grant und ein Freund auf sie geschossen hätten, nachdem die beiden auf der Straße von der Polizei angehalten worden waren. Sie – die Polizisten – hätten das Feuer erwidert. Augenzeugen gaben jedoch an, dass Carlton Grant und sein Freund unbewaffnet gewesen seien und erschossen wurden, als sie versucht hätten, sich der Polizei zu ergeben. Im Dezember entschied der Direktor der Staatsanwaltschaft, dass die beiden Polizisten wegen Mordes angeklagt werden sollen.

  • Der 13-jährige Jevaughn Robinson wurde am 22. September 2008 in Spanish Town, St. Catherine, von einer Polizeipatrouille durch einen Kopfschuss getötet. Die Polizei erklärte, dass er bei einem Schusswechsel getötet worden sei, und führte an, sie habe am Tatort ein Gewehr sichergestellt. Anwohner wiesen diese Behauptung zurück und gaben an, dass einige Männer, die sich in der Nähe von Jevaughn Robinson aufhielten, in ein nahe gelegenes Gebüsch gerannt seien, um sich dort zu verstecken, als die Polizei in diesem Gebiet auftauchte. Jevaughn Robinson sei ihnen gefolgt. Augenzeugen erklärten, dass die Polizisten ihn verfolgt, an ihn herangetreten und ihm in den Kopf geschossen hätten, ohne den Versuch zu unternehmen, ihn aufzuhalten oder festzunehmen. Zum Jahresende wurde der Fall noch untersucht.

Justizsystem

Bei der Umsetzung der Empfehlungen eines im Juni 2007 erschienenen Berichts der Arbeitsgruppe für die Reform des Justizsystems (Justice System Reform Task Force) gab es einige Fortschritte, so bei der Einstellung von zusätzlichem Gerichtspersonal. Allerdings wurde die Mehrzahl der Empfehlungen bisher noch nicht implementiert. Über die Gesetzgebung, durch die das spezielle Amt eines Coroners (Beamter, der die Todesursache in Fällen gewaltsamen oder unnatürlichen Todes untersucht) geschaffen werden soll, wurde Ende 2008 noch immer beraten. Mit der Einrichtung eines solchen Amtes sollen die Untersuchungen neuer Fälle von Schusswaffengebrauch mit Todesfolge durch die Polizei beschleunigt und die bisher noch unbearbeiteten Fälle abgearbeitet werden. Auch das Gesetzesvorhaben zur Schaffung des Amtes eines speziellen Staatsanwalts für die Untersuchung von Korruption durch Staatsbedienstete befand sich am Jahresende noch im Beratungsstadium. Im September verabschiedete das Parlament Gesetze, durch die die Zahl der Richter beim Obersten Gericht und beim Berufungsgericht erhöht werden soll. Trotz dieser Maßnahmen wiesen nationale Menschenrechtsorganisationen auf die fortbestehenden chronischen Probleme bei der Rechtsprechung hin. Dazu gehörten schwerwiegende Fälle von Verzögerungen bei der Anhörung von Fällen, die fehlende Verfügbarkeit von Geschworenen, das Nichterscheinen von Zeugen und die unregelmäßige Festsetzung von Gerichtsterminen.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist nach wie vor weit verbreitet. Gemäß den Polizeistatistiken wurden zwischen Januar und Oktober 2008 insgesamt 655 Frauen vergewaltigt. Ein Gesetzentwurf über sexuelle Delikte, der Frauen und Kindern, die Opfer sexueller Gewalt wurden, besseren Rechtsschutz gewähren sollte, war bis zum Jahresende noch immer nicht dem Parlament vorgelegt worden. Der Gesetzentwurf war 2007 fertiggestellt worden und bedeutete den Höhepunkt der 1995 mit dem Ziel begonnenen Bemühungen, die bestehende Gesetzgebung, die Frauen diskriminiert, neu zu fassen.

Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen

Immer wieder gab es Berichte darüber, dass aufgebrachte Menschenmengen Gewalt zumeist gegen Männer ausübten, die vermeintlich gleichgeschlechtliche Beziehungen unterhielten. Das wahre Ausmaß der Angriffe auf homosexuelle Männer blieb unbekannt, da Homosexualität als Tabu gilt und Betroffene nicht über Angriffe berichten, da sie befürchten, sonst in Gefahr zu geraten.

  • Im August wurde ein Molotow-Cocktail in ein Haus in Clarendon in Süd-Zentral-Jamaika geworfen. Das Haus wurde von zwei Männern bewohnt, von denen angenommen wurde, dass sie homosexuell seien. Als der Notdienst eintraf, hielt sich vor dem Haus eine kleine Menschenmenge auf, die das Geschehen begleitet von höhnischem Gelächter beobachtete. Einer der Männer erlitt Verbrennungen an 60% seines Körpers und musste drei Wochen lang im Krankenhaus behandelt werden.

Todesstrafe

Mindestens ein neues Todesurteil wurde gefällt, doch fanden keine Hinrichtungen statt. Neun Menschen befanden sich zum Jahresende im Todestrakt. Im November stimmte die Abgeordnetenkammer Jamaikas für die Beibehaltung der Todesstrafe.

Im Dezember stimmte Jamaika gegen die Resolution der UN-Generalversammlung für ein weltweites Hinrichtungsmoratorium.

Amnesty International: Missionen und Bericht

Delegierte von Amnesty International besuchten Jamaika im März/April.

"Let them kill each other" – Public security in Jamaica’s inner-cities (AMR 38/001/2008)

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