Amnesty Report Chile 25. Mai 2009

Chile 2009

 

Amtliche Bezeichnung: Republik Chile Staats- und Regierungschefin: Michelle Bachelet Jeria Todesstrafe: für gewöhnliche Straftaten abgeschafft Einwohner: 16,8 Mio. Lebenserwartung: 78,3 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 10/8 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 95,7%

Es wurden mehrere Personen, die für Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet (1973 – 90) verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen. Indigene Völker und Personen, die sich für deren Rechte einsetzten, sahen sich weiterhin mit Menschenrechtsverletzungen konfrontiert. Proteste gegen soziale Missstände wurden zunehmend kriminalisiert, wobei der Polizei in einigen Fällen übermäßige Gewaltanwendung gegenüber Demonstranten zur Last gelegt wurde.

Hintergrund

Während des gesamten Jahres 2008 kam es immer wieder zu Demonstrationen, die teilweise mit gewalttätigen Ausschreitungen verbunden waren. Die Proteste bezogen sich u.a. auf das Bildungswesen, die Rechte indigener Völker sowie steigende Lebenshaltungskosten.

Ein Gesetzentwurf, der die chilenische Gesetzgebung mit dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in Einklang bringen sollte, lag zum Jahresende dem Parlament zur Abstimmung vor.

Der Sonderberichterstatter der Interamerikanischen Menschenrechtskommission über die Rechte von Häftlingen besuchte im August chilenische Gefängnisse. Er begrüßte einige positive Entwicklungen, verurteilte jedoch die übermäßige Gewaltanwendung im Strafvollzug, die beispiellose Überbelegung in staatlichen Haftanstalten sowie die unzureichende Grundversorgung in Jugendgefängnissen.

Am 15. September ratifizierte Chile das Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über die Rechte indigener Völker, nachdem es eine umstrittene Erklärung zur Auslegung der Konvention zurückgezogen hatte.

Rechte indigener Völker

Nach wie vor herrschten enorme Spannungen zwischen den Angehörigen indigener Völker – vor allem den Mapuche – und den Behörden. Der Abbau von Ressourcen und die wirtschaftliche Nutzung von Wäldern schritten weiter fort, während die Klärung von Landstreitigkeiten kaum vorankam. Immer wieder trafen Berichte über Menschenrechtsverletzungen ein. Im April veröffentlichte die Regierung politische Leitlinien im Hinblick auf die Rechte der indigenen Völker.

  • Am 3. Januar 2008 starb Matías Valentín Catrileo Quezada, ein 23-jähriger Student und Angehöriger der Mapuche. Er war während einer Protestaktion zu Landrechten in Vilcún in der Region Araucanía angeschossen worden. Nach anfänglichen Ungereimtheiten bei der Obduktion und den forensischen Ermittlungen bestätigte sich, dass man ihm in den Rücken geschossen hatte. Ein Angehöriger der Sondereinsatztruppe der Polizei (Fuerzas especiales de carabineros) wurde wegen der Schüsse angeklagt. Er befand sich zum Jahresende gegen Kaution auf freiem Fuß und wartete auf sein Verfahren wegen "unnötiger Gewaltanwendung mit Todesfolge".

  • Im November 2008 erhob ein Bezirksstaatsanwalt in Temuco Anklage gegen drei Schüler und Studenten aufgrund eines Antiterrorgesetzes aus der Zeit der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet. Einer der drei Angeklagten, die sich für die Rechte der Mapuche einsetzten, war erst 16 Jahre alt. Die Anklage bezog sich auf ihre angebliche Beteiligung an einem Angriff auf die Polizei mit einem Molotow-Cocktail. Die Regierung hatte wiederholt erklärt, dass sie die Anwendung der Antiterrorgesetze bei Protesten indigener Gemeinschaften nicht befürworte.

Justiz und Straflosigkeit

Laut offiziellen Zahlen sind noch 1125 Fälle von Menschenrechtsverletzungen ungeklärt, die während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet verübt worden waren. In 3195 Fällen waren Ermittlungen durchgeführt worden. Ende 2008 waren in 115 Fällen Urteile gegen 245 Angehörige der Sicherheitskräfte ergangen.

In mehreren aufsehenerregenden Fällen gab es wegweisende Urteile und wichtige Entwicklungen.

  • Im März 2008 wurden 24 hochrangige Angehörige der Militärpolizei, die inzwischen im Ruhestand sind, wegen Entführung, Mord und Folter an 31 Personen in Osorno im Oktober und November 1973 verurteilt. Die Strafen reichten von vier Jahren bis zu lebenslänglichem Freiheitsentzug.

  • Im Juni 2008 wurde Manuel Contreras, der ehemalige Chef des chilenischen Geheimdiensts (Dirección de Inteligencia Nacional – DINA), wegen Mordes am früheren Oberbefehlshaber der Armee und dessen Frau für schuldig befunden. Carlos Prats González und seine Frau kamen bei einem Autobombenanschlag 1974 in Argentinien ums Leben. Der Richter verhängte zusätzlich zu der von Manuel Contreras bereits verbüßten Haftzeit zweimal lebenslänglich sowie weitere 20 Jahre Freiheitsentzug. Gegen sieben weitere ehemalige Agenten der DINA sowie zwei Zivilisten ergingen Strafen von bis zu 20 Jahren Haft.

  • Im Oktober 2008 wurde der pensionierte General Arellano Stark zu sechs Jahren Haft verurteilt. Er wurde als ehemaliger Chef der "Todeskarawane" der Beteiligung an der Tötung von vier politischen Gefangenen im Jahr 1973 für schuldig befunden. Vier weitere Offiziere erhielten Strafen zwischen vier und sechs Jahren. Dies waren die ersten Urteile im Zusammenhang mit den 72 von der "Todeskarawane" im Norden Chiles verübten Tötungen. Im November wurde bestätigt, dass Arellano Stark die Haftstrafe aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten muss.

19 Marinesoldaten, von denen einige noch im Dienst sind, wurden in Verbindung mit der Entführung des Priesters Miguel Woodward unter Anklage gestellt. Alle blieben jedoch gegen Kaution auf freiem Fuß. Nachforschungen ergaben, dass Miguel Woodward 1973 an Folterungen gestorben war. Er war auf dem Marineschiff Esmeralda inhaftiert gewesen, das als Teil der Marineflotte in Betrieb blieb. Die mit dem Fall betraute Richterin wurde bedroht und Zeugen beim Betreten des Gerichts drangsaliert.

  • Im Juli 2008 wurde Alfonso Podlech, der ehemalige Militärstaatsanwalt von Temuco, in Spanien festgenommen. Gegen ihn war ein internationaler Haftbefehl ergangen, da er 1973 am "Verschwindenlassen" von vier italienisch-chilenischen Bürgern beteiligt gewesen sein soll, unter ihnen der Priester Omar Venturelli. Später wurde Alfonso Podlech nach Italien ausgeliefert, wo er sich Ende 2008 noch in Untersuchungshaft befand.

Polizei und Sicherheitskräfte

Die Polizei wurde beschuldigt, Inhaftierte misshandelt und übermäßige Gewalt gegen Demonstranten eingesetzt zu haben.

  • Bei einer Demonstration am 21. Mai 2008 in Valparaíso schlug ein berittener Polizist den Fotografen Victor Salas mit einem Metallstock ins Gesicht. Dadurch erlitt Victor Salas einen massiven Verlust seiner Sehkraft mit langwierigen Folgen. Bei polizeiinternen Nachforschungen konnte der Täter nicht identifiziert werden, anschließende Ermittlungen verliefen ergebnislos.

Amnesty International: Missionen und Berichte

Im November besuchte die Generalsekretärin von Amnesty International das Land und traf mit Staatspräsidentin Bachelet u.a. hochrangigen Regierungsvertretern zusammen.

Memorandum to the Chilean Government (AMR 22/009/2008)

Chile: Submission to the UN Universal Periodic Review: Fifth session of the UPR Working Group of the Human Rights Council, May 2009 (AMR 22/010/2008)

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