Amnesty Report Belarus 25. Mai 2009

Belarus 2009

 

Amtliche Bezeichnung: Republik Belarus Staatsoberhaupt: Alexander Lukaschenka Regierungschef: Sergej Sidorsky Todesstrafe: nicht abgeschafft Einwohner: 9,6 Mio. Lebenserwartung: 68,7 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 14/10 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 99,6%

Nach wie vor übte die Regierung massive Kontrolle über die Zivilgesellschaft aus. Die staatliche Kontrolle über die Medien nahm zu, während unabhängige Medien weiterhin mit Einschränkungen konfrontiert waren. Mehrere öffentliche Veranstaltungen wurden verboten und friedliche Demonstranten mit Geldbußen und kurzen Haftstrafen belegt, während sich politisch aktive Bürger und Journalisten Schikanen ausgesetzt sahen. Immer noch wurden in Belarus Todesurteile verhängt und vollstreckt.

Hintergrund

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) entsandte eine Kommission zur Beobachtung der am 28. September abgehaltenen Parlamentswahlen nach Belarus und kam zu dem Schluss, dass der Urnengang hinter OSZE-Maßstäben zurückblieb. Zwar erhielten die Kandidaten der Opposition leichter Zugang zu den Medien, doch stellte die Kommission fest, dass die Wähler sich nach wie vor nicht umfassend informieren konnten. Paragraph 193-1 des Strafgesetzbuchs schränkte weiterhin die Rechte auf Versammlungsfreiheit und auf freie Meinungsäußerung ein. Das Gesetz beruht auf einer im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen vom März 2006 ergangenen Anordnung des Präsidenten vom Dezember 2005 und stellt die Mitgliedschaft in Organisationen der Zivilgesellschaft sowie deren Aktivitäten unter Strafe.

Es gab Hinweise auf eine wachsende Annäherung an die EU. Nach der Freilassung mehrerer politischer Gefangener im Laufe des Jahres hob die EU vorübergehend und teilweise das Einreiseverbot auf, das sie 2006 gegen einige führende Regierungsmitglieder verhängt hatte.

Versammlungsfreiheit

Die Behörden schränkten nach wie vor die Versammlungsfreiheit ein, indem sie Demonstrationen verboten oder gewaltsam auflösten, friedliche Demonstranten festnahmen und politisch engagierte Bürger sowie Journalisten drangsalierten.

  • Am 10. und 21. Januar 2008 sowie am 18. Februar wurden über 40 Personen festgenommen und zu einem Freiheitsentzug von höchstens 15 Tagen oder Geldbußen verurteilt, weil sie an Demonstrationen gegen Erlass Nr. 760 teilgenommen hatten, demzufolge Kleinbetriebe ausschließlich Familienangehörige beschäftigen dürfen oder zu bedeutend höheren Steuerzahlungen verpflichtet sind.

  • Am 25. März 2008 sollen Sicherheitskräfte übermäßige Gewalt gegen Demonstranten eingesetzt haben, die sich in der Hauptstadt Minsk versammelt hatten, um den Freiheitstag, den Jahrestag der Gründung der Weißrussischen Volksrepublik im Jahr 1918, zu feiern. Etwa 100 Demonstranten wurden festgenommen und anschließend zu einer Geldbuße verurteilt oder in Verwaltungshaft genommen. Die Behörden ergriffen beispiellose Maßnahmen gegen Journalisten, die über die Demonstration berichteten. Zu den Inhaftierten zählte auch Andrey Lyankevich, ein Fotojournalist der unabhängigen Wochenzeitung Nasha Niva, der eigenen Angaben zufolge geschlagen wurde. Man legte ihm Organisation und Teilnahme an einer unerlaubten Versammlung zur Last. Er kam am 27. März frei, doch wurde in der Sache bis zum Ende des Berichtsjahrs weiter ermittelt. Zwei litauische Fernsehreporter sollen verprügelt worden sein, während die Polizei ihre Ausrüstung beschädigte. Am 27. März führte der staatliche Geheimdienst – der immer noch den Namen KGB trägt – landesweite Durchsuchungen der Häuser von Journalisten durch, die mit ausländischen Medien zusammenarbeiteten. Am 31. März äußerte die EU ihre "tiefe Enttäuschung über die Festnahme einer großen Zahl von Teilnehmern, vor allem von jungen Leuten", und verurteilte den Einsatz von Gewalt bei der Auflösung einer friedlichen Demonstration. Gegen Andrey Kim und Syarhey Parsyukhevich, zwei Anhänger der Opposition, erging anschließend nach Paragraph 364 des Strafgesetzbuchs Anklage wegen Gewalt gegen Polizeibeamte. Andrey Kim wurde am 22. April unter dieser Anklage zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Zeugen geben an, dass vielmehr er von einem Polizeibeamten geschlagen worden sei, nicht umgekehrt. Syarhey Parsyukhevich, der Vorsitzende einer Organisation von Kleinunternehmern in Wizebsk, kam nach der Demonstration vom 10. Januar für 15 Tage in Verwaltungshaft. Am 24. April verurteilte man ihn wegen eines vermeintlichen in der Haft erfolgten tätlichen Angriffs auf einen Polizeibeamten zu zweieinhalb Jahren Freiheitsentzug, obwohl er versicherte, aus seiner Zelle geholt und von zwei Polizeibeamten verprügelt worden zu sein. Belarussische Menschenrechtsgruppen erklärten, dass beide Anklagen konstruiert und die Männer wegen ihrer friedlich zum Ausdruck gebrachten politischen Überzeugungen bestraft worden seien. Durch einen Erlass des Präsidenten kamen beide im August aus der Haft frei.

Rechte sexueller Minderheiten

Vertreter von Organisationen von Homosexuellen, Bisexuellen und Transgender-Personen erhielten keine Genehmigungen für Veranstaltungen. In Homyel und Minsk beantragten zwei Gruppierungen Genehmigungen für kleine Straßenaktionen am 4. bzw. 10. Mai, jedoch erhielten beide von der jeweiligen Stadtverwaltung eine Absage. Der Minsker Organisation erklärte man, dass ihre Aktion den Straßenverkehr blockieren würde, während sich die Gruppe in Homyel mit dem Einwand konfrontiert sah, sie hätte nicht nachgewiesen, dass sie ausreichend medizinische Versorgung oder Ordnungskräfte für die Veranstaltung bereitstellen oder hinterher aufräumen würde, obwohl sie dies in ihrem Antrag entsprechend dargelegt hatte.

Recht auf freie Meinungsäußerung

  • Am 7. August 2008 unterzeichnete der Präsident ein neues Gesetz über die Massenmedien. Der belarussische Journalistenverband erklärte, das neue Gesetz bedeute erhebliche Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung und werde die Arbeit von Medienunternehmen und Journalisten weiter erschweren. Im September konnten nur noch 30 unabhängige gesellschaftliche und politische Publikationen erscheinen, von denen wiederum die Hälfte aus den staatseigenen Vertriebssystemen ausgeschlossen blieb. Der Beauftragte der OSZE für Medienfreiheit äußerte seine Besorgnis darüber, dass das Gesetz "das Recht der Regierung ausweitet, Medienunternehmen zu verwarnen und vorübergehend oder ganz zu schließen". Überdies verschärfte das neue Gesetz die Zulassungsbeschränkungen, verbot jegliche Finanzierung aus dem Ausland oder aus nicht anerkannten Quellen und erleichterte es staatlichen Organen, Medien ohne richterliche Anordnung nach nur einer Vorwarnung zu schließen. Das Gesetz gilt auch für Publikationen im Internet, und Natalya Pyatkevich, die stellvertretende Leiterin der Präsidialadministration, erklärte, es gelte auch für Websites, da man "Desinformation durch ausländische Websites" kontrollieren müsse. Sie sagte, die Behörden stützten sich auf "die Erfahrung Chinas, das den Zugang zu solchen Sites auf seinem Staatsgebiet unterbunden hat".

Im September wurden eine Ausgabe der unabhängigen Zeitung Svaboda (Freiheit) sowie mehrere Videoarbeiten, darunter der polnische Dokumentarfilm "Die belarussische Lektion", auf Antrag der Hrodnaer Bezirksabteilung des KGB vom Bezirksgericht von Kastrychnitski in Hrodna als extremistisch eingestuft. Die Svaboda hatte eine Reportage über eine Demonstration der oppositionellen Jugendbewegung Malady Front (Junge Front) gegen den russischen Militäreinsatz in Südossetien veröffentlicht, die gegen das 2007 ratifizierte Gesetz zur Bekämpfung des Extremismus verstoßen hatte. Laut diesem Gesetz können sämtliche Organisationen, denen zur Last gelegt wird, für einen gewaltsamen Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung oder terroristische Aktivitäten einzutreten oder nationalen oder rassistischen Hass zu schüren, aufgelöst und als extremistisch eingestufte Publikationen vernichtet werden. Die Entscheidung gegen Svaboda wurde in einem Berufungsverfahren aufgehoben. Im November lehnte dasselbe Gericht es ab, einem Antrag zu entsprechen, in dem gefordert wurde, den Menschenrechtsbericht der NGO Vjasna (Frühling) von 2004 als extremistisch einzustufen.

Gewaltlose politische Gefangene

  • Am 18. Januar 2008 wurde Alyaksandr Zdvizhkou, der frühere stellvertretende Chefredakteur der Zeitung Zhoda, wegen "Anstiftung zu rassistischer, nationalistischer oder religiöser Feindseligkeit oder Zwietracht" von einem Gericht in Minsk zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Strafe erging wegen der im Jahr 2006 erfolgten Veröffentlichung der ursprünglich 2005 in einer dänischen Tageszeitung erschienenen Mohammed-Karikaturen, die manche Muslime als beleidigend empfanden. Das Strafverfahren begann am 22. Februar 2006, und im Monat darauf wurde die Zeitung geschlossen. Um einer Bestrafung zu entgehen, verließ Alyaksandr Zdvizhkou das Land, wurde jedoch am 18. November 2007 verhaftet, als er zurückkehrte, um das Grab seines Vaters zu besuchen. Der Sprecher der muslimischen Gemeinde in Belarus sprach sich dem Vernehmen nach gegen die über den Journalisten verhängte Strafe und die Schließung der Zeitung Zhoda aus. Am 22. Februar reduzierte der Oberste Gerichtshof die dreijährige Freiheitsstrafe auf drei Monate, worauf seine sofortige Entlassung aus dem Hochsicherheitsgefängnis erfolgte, in dem er inhaftiert war.

  • Zmitser Dashkevich, ein Führungsmitglied der oppositionellen Jugendbewegung Malady Front, kam am 23. Januar 2008 frei, zwei Monate vor Ablauf seiner Strafe. Man hatte ihn im November 2006 wegen "Teilnahme an Aktivitäten einer nicht registrierten Nichtregierungsorganisation" zu 18 Monaten Haft verurteilt.

  • Im August 2008 setzte Präsident Lukaschenka Alyaksandr Kazulin auf freien Fuß, der bei den Präsidentschaftswahlen vom März 2006 kandidiert hatte und wegen "Rowdytums" sowie "der Organisation von Gruppenaktivitäten zur Untergrabung der öffentlichen Ordnung" im Juli 2006 zu einer Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt worden war.

Todesstrafe

Laut Medienberichten fanden 2008 vier Hinrichtungen statt. Am 5. Februar wurden Valery Harbaty, Syarhey Marozaw und Ihar Danchanka wegen mehrerer zwischen 1990 und 2004 in der Region Homyel verübter Morde hingerichtet. Gegen die drei Männer hatte der Oberste Gerichtshof am 1. Dezember 2006 die Todesstrafe durch Erschießen verhängt. Am 9. Oktober 2007 wurden Syarhey Marozaw und Ihar Danchanka wegen weiterer Morde vor Gericht gestellt und erneut zum Tode verurteilt. Presseberichten zufolge hatten alle drei Männer bei Präsident Lukaschenka ein Gnadengesuch eingereicht. Der Generalsekretär des Europarats verurteilte die Hinrichtungen und warf den belarussischen Behörden "eklatante Missachtung" menschlicher Werte vor.

Am 6. Oktober wurde Pavel Lenny hingerichtet, der vom Bezirksgericht Homyel wegen Vergewaltigung und Ermordung eines Minderjährigen zum Tode verurteilt worden war. Auf einer Pressekonferenz am 9. September erklärte der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs, dass 2008 nur eine Person zum Tode verurteilt worden sei. Das Innenministerium gab im Oktober an, man habe "unumkehrbare und allmähliche Schritte hin zu einer Abschaffung" eingeleitet. Im Dezember hat sich Belarus in der UN-Generalversammlung bei der Abstimmung über ein weltweites Hinrichtungsmoratorium der Stimme enthalten.

Amnesty International: Mission

Eine Vertreterin von Amnesty International besuchte Belarus im Oktober, um Recherchen über die Todesstrafe anzustellen.

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