Amnesty Journal Hongkong 13. September 2023

Demokratiebewegung zwischen Peking und Brüssel

Viele Menschen auf einer Straße tragen Regenschirme, sodass sich ein Mosaik aus vielen hunderten Schirmen aus Vogelperspektive ergibt.

Filmszene aus "Be Water - Voices from Hong Kong": Lia Erbal beleuchtet den demokratischen Aufstand in Hongkong und lädt dazu ein, über die globale Dimension dieser Bewegung nachzudenken.

Lia Erbal porträtiert in "Be Water" die Hongkonger Proteste aus dem Jahr 2019 und die Reaktionen darauf in Europa.

Von Jürgen Kiontke

"Sei formlos, gestaltlos – wie Wasser." Das Element sei nicht fassbar, und wenn es fließe, könne es jedes Hindernis überwinden: Dieses Zitat, das dem Kampfkünstler Bruce Lee zugesprochen wird, war titelgebend für Lia Erbals Dokumentarfilm "Be Water" über die Hongkonger Demokratiebewegung, auch "Regenschirm-Revolution" genannt. Erbal begleitete im Dezember 2019 die Proteste, die sich gegen die Regierung von Carrie Lam richteten.

Anlass war ein geplantes Gesetz, das vorsah, von China verdächtigte und gesuchte Personen an die Behörden des Festlands auszuliefern. Das Gesetzesvorhaben stieß auf Widerstand: Bald waren Tausende Menschen auf den Straßen, große Demonstrationen folgten. Es wurde befürchtet, dass das chinesische Regime Hongkongs autonomen Status aufheben und die Stadt vollends in das chinesische Staatswesen übernehmen könnte. Bis dato galt ein Abkommen mit Großbritannien, das nach der Formel "Ein Land, zwei Systeme" bis 2047 ein demokratisches System zusicherte.

Collage des Protests

"Be Water – Voices of Hongkong" taucht tief ein in die mitunter gewaltsamen Demonstrationen mit Tränengas und brennenden Barrikaden, mit harten Kämpfen zwischen Demonstrant*innen und Ordnungskräften, mit vielen Verletzten und sogar Toten. Viele junge Aktivist*innen, die anonym bleiben müssen, kommen zu Wort. Ihre Aussagen bilden eine Collage des Protests. "Wir wollen mehr als nur überleben. Sie können uns nicht alle einsperren. Wir sind eine neue Generation, Hoffnung ist eine kollektive Aktion", wie es eine Demonstrantin ausdrückt.

Vorrücken und Zurückweichen wie Wasser – dabei verliefen die Fronten manchmal quer durch die Familien: Junge Leute demonstrierten, während ihre Eltern es für vernünftiger hielten, Ruhe zu bewahren. Manche mussten ins Exil gehen, weil die Lage für sie zu gefährlich wurde. "Es kam zu einer dramatischen Verschlechterung bezüglich der Rechte auf Versammlungs-, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit, da die Behörden in Hongkong zunehmend die vage und allzu weit gefasste Definition der nationalen Sicherheit von Festlandchina übernahmen", konstatierte Amnesty International Anfang 2020.

Informativ, vielschichtig, politisch

Neben einem Porträt der Hongkonger Protestbewegung liefert der Film auch Bilder und Informationen über flankierende Prozesse auf internationaler Ebene, insbesondere in Europa. Man wollte einerseits China als wichtigen Handelspartner nicht verprellen, andererseits aber die Demokratiebewegung Hongkongs unterstützen. Zwischen diesen beiden Polen lavierten sich die europäische Politiker*innen durch. Zhang Ming, damaliger Leiter der chinesischen Mission bei der EU, machte klar: "Hongkong gehört zu China."

Wandel durch Annäherung und Handel, so lautete jahrelang die Strategie im Umgang mit China. Die europäischen Länder sahen sich in der Folge der Hongkonger Proteste gezwungen, sich neu zu positionieren. Gezeigt werden Debatten im EU-Parlament, beteiligte Politiker*innen in Straßburg und Brüssel kommen zu Wort, stellen Forderungen, formulieren Statements. "Be Water" – ist informatives, vielschichtiges politisches Kino.

Jürgen Kiontke ist freier Autor, Journalist und Filmkritiker. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

"Be Water – Voices from Hongkong". D 2023. Regie: Lia Erbal. Kinostart: 7. September 2023.

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