Aktuell Libanon 21. Mai 2014

Syrische Flüchtlinge im Libanon: Verzweifelte Suche nach medizinischer Behandlung

Viele syrische Flüchtlinge sind im Libanon ohne Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung

Viele syrische Flüchtlinge sind im Libanon ohne Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung

21. Mai 2014 – Die nicht ausreichende internationale Unterstützung lässt viele syrische Flüchtlinge im Libanon ohne Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung zurück, dokumentiert ein neuer Bericht von Amnesty International. Die Situation ist so ausweglos, dass Flüchtlinge in einigen Fällen für dringend benötigte medizinische Behandlungen nach Syrien zurückkehren müssen. Der Bericht, Agonizing Choices: Syrian Refugees in Need of Health Care in Lebanon, deckt gravierende Mängel in der medizinischen Versorgung für syrische Flüchtlinge auf. In einigen Fällen wurden syrische Flüchtlinge, unter anderem Notfallpatienten, von Krankenhäusern abgewiesen.

"Die Möglichkeiten der Behandlung in Krankenhäusern und spezialisierten Einrichtungen sind für syrische Flüchtlinge im Libanon völlig unzureichend. Die Situation wird weiter dadurch verschärft, dass die internationale Unterstützung weit hinter dem festgestellten Bedarf zurück liegt. Das Leiden syrischer Flüchtlinge im Libanon ist das unmittelbare Ergebnis des beschämenden Scheiterns der internationalen Gemeinschaft das UN Hilfsprogramm im Libanon ausreichend zu finanzieren," sagte Audrey Gaughran, Leiterin der Abteilung Globale Themen bei Amnesty International.

Die UN haben 1,7 Milliarden Dollar für das Jahr 2014 zur Bewältigung der Flüchtlingskrise im Libanon veranschlagt. 4,2 Milliarden Dollar werden für die Versorgung syrischer Flüchtlinge in der Region insgesamt benötigt. Bisher sind aber erst 17 Prozent der für den Libanon benötigten Mittel tatsächlich zugesichert.

UNHCR fehlen die Mittel zur effektiven Versorgung der Flüchtlinge

Das Gesundheitssystem im Libanon ist größtenteils privatisiert und teuer, was viele Flüchtlinge abhängig von medizinischer Versorgung macht, die vom UN Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) subventioniert wird. Auf Grund fehlender finanzieller Mittel war UNHCR jedoch gezwungen, restriktive Auswahlkriterien für Personen aufzustellen, deren Behandlungskosten übernommen werden können. Selbst wenn Flüchtlinge die eng gefassten Kriterien erfüllen, müssen die meisten von ihnen 25 Prozent der Behandlungskosten selbst tragen.

Flüchtlinge in kritischen Gesundheitszuständen, die dringend eine Versorgung im Krankenhaus benötigen, bleiben oft unbehandelt. Der zwölfjährige Arif, der schwere Verbrennungen an seinen Beinen erlitten hat, gehört zu denjenigen, denen die erforderliche Behandlung im Krankenhaus verweigert wurde. In Folge dessen hat sich sein Zustand zusehends verschlechtert. Seine Verbrennungen sind vereitert, seine Beine angeschwollen und entzündet. Gemäß der aktuellen UNHCR-Richtlinie hat er keinen Anspruch auf die Kostenübernahme der notwendigen Behandlung. UNHCR konnte die Kosten für seine Behandlung lediglich für fünf Tage übernehmen. Letztendlich konnte ein lokales wohltätiges Netzwerk einen Arzt finden, der Arif unentgeltlich operierte. Dennoch braucht er weitere 13 Operationen, die wegen des Mangels an spezialisierter Ausstattung nicht im Libanon durchgeführt werden können.

"Arifs Geschichte ist ein ergreifendes Beispiel für die Folgen, die die eingeschränkte medizinische Versorgung auf das Leben der syrischen Flüchtlinge im Libanon hat," sagt Audrey Gaughran. "Sowohl die UN als auch die Flüchtlinge sehen sich mit schwerwiegenden Entscheidungen konfrontiert."

UNHCR und seine Partner setzen ihre Schwerpunkte auf primäre Gesundheitsversorgung und die Behandlung lebensbedrohlicher Notfälle. Zwar ist es entscheidend, diese Fälle vorrangig zu behandeln. Doch Gesundheitsexperten vor Ort machen darauf aufmerksam, dass die gegenwärtigen Einschränkungen für Flüchtlinge aufgehoben werden könnten. Die Unterstützung von Krankenhausbehandlungen für Flüchtlinge, könne verstärkt werden, wenn die Hilfszahlungen steigen würden.

Krankheitsfälle werden zu Zerreißproben für Familien in Not

Viele syrische Flüchtlinge, die unter Krebs oder anderen Langzeiterkrankungen leiden, sind ebenfalls nicht in der Lage für kostspielige Behandlungen aufzukommen, die sie im Libanon benötigen. Eine steigende Anzahl an Familien kämpft wegen der hohen Behandlungskosten gegen erdrückende Schulden. Die Syrerin Amal wagt zweimal wöchentlich den Weg zurück nach Syrien. Für eine Nierendialyse, die sie sich im Libanon nicht leisten kann. "Ich habe Angst nach Syrien zu gehen, aber ich habe keine andere Wahl," sagte sie Amnesty International.

Auf Grund fehlender Behandlungsmöglichkeiten führen Fälle, die eigentlich leicht zu behandeln sind, zu lebensbedrohlichen Zuständen.

"Krankheiten treiben ganze Familien in die Schulden. Es gibt wenig Arbeit für syrische Flüchtlinge. Die meisten kommen mit wenig oder gar keinem Besitz im Libanon an. Die Menschen müssen entscheiden, ob sie ihr Geld für Essen, Miete oder medizinische Behandlungen ausgeben," sagt Audrey Gaughran.

"Es ist an der Zeit, dass die internationale Gemeinschaft die Folgen ihres Scheiterns, den syrischen Flüchtlingen angemessene Hilfe zukommen zu lassen, anerkennt. Es ist dringend notwendig, dass die Staaten dem humanitären Aufruf für Syrien nachkommen. Auch muss die Staatengemeinschaft ihre Bemühungen verstärken, Resettlement Plätze für schutzbedürftige Flüchtlinge bereitzustellen, darunter auch denen, die dringend medizinische Behandlung benötigen," fordert Audrey Gaughran.

Strategie zur medizinischen Versorgung aller Bevölkerungsteile entwickeln

Amnesty International erkennt, dass der Zustrom von Flüchtlingen eine enorme Belastung für die libanesischen Versorgungsstrukturen darstellt. Dennoch fordert Amnesty International die libanesische Regierung dazu auf, eine Langzeitstrategie zu entwickeln und zu implementieren, um den medizinischen Bedürfnissen der syrischen Flüchtlingsbevölkerung gerecht zu werden.

"Der Libanon muss eine nationale Gesundheitsstrategie entwickeln, die die medizinische Versorgung für alle Menschen umfasst - sowohl für arme und unterprivilegierte libanesische Bevölkerungsgruppen als auch die Flüchtlingsbevölkerung," erklärt Audrey Gaughran.

"Der Libanon steht vor schwierigen Entscheidungen. Er muss den Bedürfnissen der eigenen Bevölkerung nachkommen und seinen Verpflichtungen gegenüber der Flüchtlingsbevölkerung gerecht werden. Dabei kann der Libanon im Umgang mit einer der dramatischsten Flüchtlingskrisen der Geschichte nicht allein gelassen werden. Dies ist vielmehr eine gemeinsame internationale Verantwortung und die Staaten mit den entsprechenden wirtschaftlichen Möglichkeiten müssen dieser gerecht werden."

Hintergrund – Flüchtlinge im Libanon

Der Libanon verfügt nicht über die notwendigen die Ressourcen, um der immer weiter anwachsenden Flüchtlingskrise angemessen zu begegnen. Momentan befinden sich mehr als eine Million registrierte Flüchtlinge aus Syrien im Libanon. Es ist zu erwarten, dass diese Zahl bis Ende 2014 auf 1,5 Millionen ansteigt – dies entspräche einem Drittel der libanesischen Bevölkerung vor dem Ausbruch des Syrien-Konflikts.

Der Bericht Agonizing Choices setzt den Fokus auf syrische Flüchtlinge im Libanon. Darüber hinaus sind auch etwa 50.000 PalästinenserInnen aus Syrien geflohen. Wie die bereits im Libanon ansässige palästinensische Flüchtlingsbevölkerung erhalten diese durch das UN Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) Zugang zu medizinischen und anderen Diensten.

Lesen Sie den Amnesty-Bericht "Lebanon: Agonizing choices: Syrian refugees in need of health care in Lebanon" (PDF)

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