Aktuell Griechenland 02. November 2012

Griechenland muss ungehinderten Zugang zum Asylverfahren sicherstellen

19. Oktober 2012 - Die Bedingungen für Asylbewerber in Griechenland sind katastrophal: Asylsuchende müssen tagelang in Warteschlangen stehen, nur ein sehr geringer Anteil der Anträge wird angenommen und wer keinen Antrag stellen kann, wird verhaftet oder abgeschoben.

"Die griechischen Behörden müssen Maßnahmen ergreifen, damit Asylsuchende auf griechischem Territorium einen ungehinderten Zugang zum Asylverfahren haben, insbesondere diejenigen, die beim Polizeipräsidium in Attika (Zentrale Ausländer- und Asylabteilung der Polizeidirektion der Hellenischen Polizei) ihren Antrag stellen", sagt Marek Marczynski, stellvertretender Direktor von Amnesty International Europa und Zentralasien.

Amnesty International hat seit vielen Jahren Kritik angesichts der gravierenden Hindernisse im Asylverfahren geäußert, denen Asylsuchende in Griechenland ausgesetzt sind, wenn sie versuchen, einen Asylantrag zu stellen. Ihr Antrag muss bei der Polizei eingereicht werden, damit sie eine sog. "pink card" (ein Dokument, das den Beweis für den Asylantrag erbringt) erhalten. Diejenigen, die keinen Asylantrag stellen können, leben in Angst vor Verhaftungen oder in Haft und laufen Gefahr, in ihr Heimatland ausgewiesen zu werden.

Samstags auf der Petrou-Ralli-Straße

Die meisten Asylsuchenden versuchen, einen Antrag beim Polizeipräsidium in Attika zu stellen. Lange Schlangen von Asylsuchenden, darunter Minderjährige, warten zwei bis drei Tage im Freien, um ihren Antrag an einem Samstagmorgen einzureichen. Sie stehen trotz extremer Kälte im Winter oder Hitze im Sommer in der Warteschlange. Es sind keine sanitären Anlagen vorhanden und die Flüchtlinge können Verletzungen erleiden, wenn Auseinandersetzungen in der Warteschlange ausbrechen.

Lediglich eine geringe Anzahl von Asylanträgen (normalerweise etwa 20) werden in den frühen Morgenstunden am Samstag beim Polizeipräsidium in Attika aufgenommen. Die Behörden äußern sich ihrerseits dahingehend, dass sie unter der Woche lediglich Asylanträge von besonders gefährdeten Gruppen erhalten, die von Anwälten oder Nichtregierungsorganisationen an sie verwiesen werden. Nach Angaben von nationalen Nichtregierungsorganisationen werden die Asylanträge von besonders gefährdeten Gruppen von der Behörde der Petrou-Ralli-Straße nicht angenommen, auch wenn sie von Anwälten oder Nichtregierungsorganisationen weitergeleitet werden.

Vertreter von Amnesty International besuchten das Gebäude an der Petrou-Ralli-Straße am 6. Juli 2012 und an den ersten zwei Freitagen und Samstagen im Oktober 2012. Sie stellten fest, dass sich die Situation seit den Besuchen im Winter und Frühling des Jahres 2012 mit anderen Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsgruppen nicht geändert hat. Bei jedem Besuch wartete eine lange Schlange von Asylsuchenden verschiedener Nationalitäten – darunter auch Personen aus dem Iran und Syrien – außerhalb des Gebäudes.

Verzweifeltes Warten

Während des Besuches im Juli sprach ein Asylsuchender aus dem Iran über seine Verzweiflung während des Wartens. Er sagte, dass er es nicht wagen würde, zu gehen, um etwas zu essen oder zu trinken zu holen - aus Angst, seinen Warteplatz zu verlieren. Er wirkte schwach und war kurz davor, aufgrund des Mangels an Wasser und Nahrung in Ohnmacht zu fallen. Andere berichteten von ihren wiederholten Versuchen, einen Asylantrag zu stellen, und von ihrer Verzweiflung angesichts der Wartebedingungen.

Während des Besuches am 7. Oktober haben Vertreter ungefähr 140 Personen gesehen, darunter Minderjährige und syrische Staatsangehörige, die wegen des Konfliktes in ihrem Land geflohen waren. Die meisten von ihnen hatten Angst, bei einer Polizeirazzia verhaftet zu werden und/oder durch extremistische Gruppen angegriffen zu werden. Sie erzählten von anderen Asylsuchenden, die aus Angst keinen Asylantrag stellten. Ein Asylsuchender aus Syrien teilte Amnesty International am 12. Oktober mit, dass er über fünf Wochen erfolglos versucht hatte, einen Asylantrag zu stellen. Er berichtete von vielen anderen Menschen, die aufgegeben hatten. Im Oktober schafften es lediglich 20 Asylsuchende, ihren Asylantrag zu stellen.

Die Situation außerhalb des Polizeipräsidiums in Attika wurde umfassend von nationalen Menschenrechtsorganisationen und Amnesty International beobachtet. Die Beobachter hielten immer Freitagnacht und in den Morgenstunden am Samstag im Zeitraum von Februar bis April 2012 Nachtwachen außerhalb des Petrou-Ralli-Gebäudes.

Ein detaillierter Bericht mit dem Titel "The Campaign for Access to Asylum in the Attika Area" vom 8. Oktober 2012 fasst die Ergebnisse der Beobachtungen so zusammen: Erschreckende Wartebedingungen, nur eine kleine Anzahl von Asylanträgen wird aufgenommen und es gibt keine Betreuung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die versuchen, einen Antrag zu stellen.

Der Bericht wurde von 14 nationalen Organisationen, juristischen Personen, Gruppen und Nichtregierungsorganisationen, die im Bereich der Flüchtlings- und Migrationspolitik tätig sind, unterzeichnet, darunter der Griechische Flüchtlingsrat, AITIMA, das ökumenische Flüchtlingsprogramm, die Gruppe von Anwälten, die sich für die Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden einsetzt, Arsis und der Greek Helsinki Monitor. Der Bericht erläutert auch den nationalen, internationalen und europäischen Rechtsrahmen, gegen den die griechischen Behörden mit der anhaltenden Praxis verstoßen.

Haft als Abschreckung

Die Asylsuchenden sehen sich mit ernsthaften Schwierigkeiten konfrontiert, wenn sie in Attika einen Asylantrag stellen. Diejenigen, denen es unmöglich ist, einen Asylantrag zu stellen, laufen Gefahr, verhaftet oder abgeschoben zu werden, wie das massive Durchgreifen der Polizeikräfte gegenüber Migranten im August und in der ersten Oktoberwoche zeigt.

Amnesty International hat mehrere Fälle beobachtet, in denen Asylsuchende während dieser Operationen festgenommen wurden. In zwei dieser Fälle konnten die Asylsuchenden erst nach zweimonatiger Haft und Einschreiten von Amnesty International sowie des Greek Council of Refugees ihre Asylanträge stellen.

Ein anderer inhaftierter Asylsuchender sagte aus, dass die unmenschlichen Haftedingungen und die Aussage der Polizeibeamten, dass er länger in Haft verbleiben würde, wenn er einen Asylantrag stellte, abschreckend wirkten.

Amnesty International ist zutiefst besorgt über die Vorschrift zu dem Entwurf des präsidialen Dekrets zum Asylverfahren, die die maximale Dauer der Inhaftierung von Asylsuchenden während des Asylverfahrens von 6 auf 12 Monate verlängert. Die Gefahr der Inhaftierung von einem Jahr, insbesondere angesichts der schlechten Haftbedingungen, soll als Abschreckung für andere Asylsuchende dienen, die während ihrer Haft internationalen Schutz suchen. Trotz des Gesetzes aus dem Jahre 2011, das eine Asylbehörde ohne polizeiliche Beteiligung geschaffen hat, ist eine Umsetzung dieser Reform nicht vor März 2013 vorgesehen.

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