Amnesty Journal Libyen 05. August 2009

Libyen: 40 Jahre Gaddafi-Herrschaft

40 Jahre Gaddafi – 40 Jahre Folter und Personenkult

Seit 40 Jahren bestimmt Mu’ammar al-Gaddafi die Politik Libyens. Als Führer einer Militärjunta übernahm er am 1. September 1969 die Macht. Es entwickelte sich ein grotesker Personenkult um den "Dekan der arabischen Herrscher, König der afrikanischen Könige und Imam der Muslime" – so einige seiner Selbstbezeichnungen. Reist er ins Ausland, wie im Juni nach Italien, dann bietet Gaddafi in seiner reich geschmückten Fantasie­-Uniform den Pressefotografen ein attraktives Motiv.

Wer sich in Libyen über den Personenkult lustig macht und ernsthafte Reformen fordert, muss mit Verfolgung rechnen. Im Mai starb Fathi al-Jahmi in der Haft, vermutlich, weil man ihm eine angemessene medizinische Behandlung verweigert hatte. Al-Jahmi hatte sich jahrelang für Reformen eingesetzt. "Alles was ihm [Gaddafi] jetzt noch zu tun bleibt, ist uns einen Gebetsteppich zu überreichen, damit wir uns vor seinem Bild verneigen und ihm huldigen", hatte al-Jahmi 2004 in einem Interview mit dem Satellitensender Al Hurra gesagt. Kurz darauf kam er in Haft.

Das Schicksal al-Jahmis ist ein prominentes Beispiel, das die Zustände in Libyen deutlich macht. Regimegegner wie er müssen Folter und willkürliche Inhaftierung fürchten. Eine freie Presse gibt es nicht. Ein vor zwei Jahren ins Leben gerufener halb-offizieller Fernsehsender wurde im Mai der nationalen Aufsicht ­unterstellt. Parteien zu gründen ist nicht erlaubt, und auch zivile Strukturen eines bürgerschaftlichen Engagements sind nicht zugelassen. Die Reformer um Gaddafis Sohn Seif al-Islam scheinen wieder an Einfluss verloren zu haben, falls sie jemals mehr als nur ein Feigenblatt waren. Bei einer Kabinettsumbildung Anfang März berief Gaddafi alte Vertraute auf wichtige Positionen. Musa Kusa, den einstigen Geheimdienstchef, dem Attentate auf libysche Oppositionelle im Ausland zur Last gelegt werden, berief er zum Außenminister.

Trotzdem ist Mu’ammar al-Gaddafi ein wichtiger Akteur in der internationalen Politik. Anfang dieses Jahres wählte ihn die Afrikanische Union zu ihrem Vorsitzenden. Auch die Türen in den Westen stehen ihm offen, seit Libyen den Hin­terbliebenen des Terroranschlags von ­Lockerbie hohe Entschädigungen zahlte und sein Atomprogramm aufgab. Libyens große Öl- und Erdgasvorkommen locken westliche Wirtschaftsunternehmen.

Dem Westen insgesamt bietet sich Gaddafi als Partner im Kampf gegen Terrorismus an und Europa als Retter vor vermeintlichen Flüchtlingsströmen aus dem Süden. Mi­granten und Flüchtlinge, die früher in ­Libyen Arbeit fanden, nutzen das Land als Durchgangsstation nach Europa. Zum ersten Mal wurden im Frühjahr Bootsflüchtlinge direkt nach Libyen zurückgeschickt, weil Italien bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung eng mit Gaddafis Reich kooperiert. Die EU liebäugelt weiterhin mit der Idee, in dem nordafrikanischen Land Auffanglager für potenzielle Asylbewerber einzurichten. Dabei hat Libyen die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet und verfügt über keine Asylgesetzgebung.

Im April schickte Gaddafi seinen Sohn Mutassim Billah, Nationaler Sicherheitsberater mit engen Kontakten zur Armee, in die USA, um mit der Außenministerin Hillary Clinton Gespräche über eine Ausweitung der Beziehungen und eine Zusammenarbeit bei der Sicherheit der beiden Länder zu führen. Dabei soll auch erneut der Fall von Fathi al-Jahmi zur Sprache gekommen sein. Seit Jahren sollen sich die USA für seine Freilassung eingesetzt haben. Al-Jahmis Tod konnte dieser Einsatz leider nicht verhindern.

Von Anita Hoch. Die ­Autorin ist Mitglied der ­Libyen-Ländergruppe von ­Amnesty
International.

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