Aktuell Ägypten 22. April 2015

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Früherer Präsident Mohamed Mursi vor Gericht, Dezember 2014

22. April 2015 - Nach Einschätzung von Amnesty International ist die Verurteilung von Mohamed Mursi zu einer 20-jährigen Haftstrafe eine Schande für die Gerechtigkeit. Das Urteil zeigt erneut, dass das ägyptische Strafrechtssystem vollkommen unfähig zu sein scheint, faire Verfahren gegen die Mitglieder oder Unterstützer_innen der Regierung des ehemaligen Präsidenten und die Muslimbruderschaft zu führen.

Amnesty fordert, dass Mohamed Mursi ein faires Gerichtsverfahren vor einem Zivilgericht und in Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsstandards erhält oder freigelassen wird.

"Diese Verurteilung zerstört jegliche Illusion von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit im ägyptischen Strafrechtssystem", sagte Hassiba Hadj Sahraoui, stellvertretende Direktorin der Abteilung Mittlerer Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

"Jeglicher Anschein eines fairen Prozesses wurde von Anfang an durch einer Kette von Unstimmigkeiten im laufenden Verfahren und durch Mohamed Mursis willkürliche Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt gefährdet. Sein Urteil muss aufgehoben werden und die Behörden müssen ein neues Gerichtsverfahren vor dem Zivilgericht anordnen oder ihn freilassen."

Mohamed Mursi wurde wegen "Anstiftung zur Gewalt" und der Festnahme und des Folterns von Demonstrierenden der Opposition während den Auseinandersetzungen zwischen seinen Unterstützer_innen und Gegner_innen vor dem Präsidentenpalast im Dezember 2012 in Kairo verurteilt.

Er und 14 weitere Personen, unter ihnen mehrere führende Mitglieder der Muslimbruderschaft oder ihres politischen Flügels, der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit, standen wegen verschiedener Anklagen vor Gericht. Sie wurden unter anderem "des Mordes", "der Anstiftung zum Mord", "der Anwendung von Gewalt" sowie "des rücksichtslosem Vorgehens", "der Verbreitung von Gerüchten, um die Arbeit von gerichtlichen Einrichtungen zu stören" und "der Bedrohung von Zivilpersonen" beschuldigt.

Mohamed Mursi stehen weitere Anklagepunkte in vier weiteren Gerichtsverfahren bevor.
"Mohamed Mursi wurde trotz grundlegender Mängel in dem rechtlichen Verfahren und einer bestenfalls dürftigen Beweislage vor Gericht, welches ein Redeverbot verhängt hatte, verurteilt. Das untergräbt die Rechtmäßigkeit dieses Urteils vollkommen", sagte Hassiba Hadj Sahraoui.

Schon bevor Mohamed Mursi vor Gericht erschien, waren seine Aussichten auf ein faires Verfahren bereits sehr beeinträchtigt. Mohamed Mursi und seine Berater wurden, nachdem er am 3. Juli 2013 entmachtet wurde, monatelang von Sicherheitskräften ohne Kontakt zur Außenwelt und unter Bedingungen, die dem Verschwindenlassen gleichkamen, festgehalten. Während dieser Zeit wurde er ohne einen Rechtsbeistand von der Staatanwaltschaft befragt, was seine in der ägyptischen Verfassung und dem Völkerrecht niedergeschriebenen Rechte auf Anfechtung der Gesetzmäßigkeit seiner Inhaftierung und auf eine angemessene Verteidigung verletzt.

Seiner Verteidigung war es nur möglich, eine Kopie der 7000 Seiten starken Fallakte zu erhalten, nachdem sie eine erhebliche Geldsumme gezahlt hatte. Die Kopie erhielten sie nur Tage vor dem Beginn des Gerichtsverfahrens am 4. November 2013.
Bereits während des Verfahrens dokumentierte Amnesty International mehrere Unregelmäßigkeiten.

Im Laufe der ersten Anhörung am 4. November 2013 wurden mehrere Mitglieder des Verteidigungsteams, das von Mohamed Mursi selbst ernannt wurde, ausgeschlossen. Dem Hauptstrafverteidiger wurde ein Treffen mit Mohamed Mursi erst nach dem Beginn des Gerichtsverfahrens gestattet.

Untersuchungen der Staatsanwaltschaft bezüglich der Auseinandersetzungen zwischen Unterstützer_innen von Mohamed Mursi und seinen Gegner_innen vor dem Präsidentenpalast in Kairo im Dezember 2012 wurden niemals unabhängig oder unvoreingenommen durchgeführt. Das Verfahren der Staatanwaltschaft richtete sich lediglich gegen die Übergriffe seiner Befürworter_innen und ignorierte die Gewalttaten seiner Gegner_innen.

Zwar ergaben die Untersuchungen, die von Amnesty International selbst durchgeführt wurden, dass die Unterstützer_innen der Muslimbruderschaft Menschenrechtsverstöße begangen hatten, jedoch waren die meisten Menschen, die während den Ausschreitungen getötet wurden, Unterstützer_innen des damaligen Präsidenten.

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