Amnesty Report Brasilien 22. Mai 2013

Brasilien 2013

 

Amtliche Bezeichnung:
 Föderative Republik Brasilien Staats- und Regierungschefin: Dilma Rousseff

Das Ausmaß an Gewaltkriminalität blieb hoch. Die Behörden reagierten häufig mit exzessiver Gewaltanwendung und Folter. Junge männliche Afro-Brasilianer waren nach wie vor unverhältnismäßig oft Opfer von Tötungsdelikten. Es gab Berichte über Folter und andere Misshandlungen in den Haftanstalten, in denen grausame, unmenschliche und erniedrigende Bedingungen herrschten. Landarbeiter, indigene Bevölkerungsgruppen und Quilombola-Gemeinschaften (Nachkommen entflohener Sklaven) waren Opfer von Einschüchterungsversuchen und Angriffen. Rechtswidrige Zwangsräumungen in städtischen wie ländlichen Regionen boten weiterhin Anlass zur Sorge.

Hintergrund

Aufgrund der Verbesserung der sozioökonomischen Lage litten 2012 weniger Menschen unter extremer Armut. Dennoch waren Unterkünfte und Lebensgrundlage indigener Gemeinschaften, landloser Landarbeiter, Fischer und Bewohner städtischer Slums auch weiterhin durch Investitionsprojekte gefährdet.

Im November wurde Brasilien erneut in den UN-Menschenrechtsrat gewählt. Brasilien kritisierte Menschenrechtsverletzungen während des bewaffneten Konflikts in Syrien, enthielt sich aber bei der Abstimmung der UN-Generalversammlung über eine Resolution, mit der Besorgnis über die Menschenrechtssituation im Iran zum Ausdruck gebracht wurde.

Im Mai verabschiedete das Abgeordnetenhaus eine Verfassungsänderung, nach der Landbesitzer, die Sklaven für die Arbeit einsetzen, enteignet werden können. Zum Jahresende war die Reform noch zur Genehmigung vor dem Senat anhängig.

Straflosigkeit

Im Mai 2012 ernannte Präsidentin Dilma Rousseff die sieben Mitglieder der im November 2011 eingerichteten nationalen Wahrheitskommission (Comissão Nacional da Verdade) zur Untersuchung der in den Jahren 1946 bis 1988 begangenen Menschenrechtsverletzungen. Die Kommission begann im Laufe des Jahres mit der Anhörung von Zeugen und der Untersuchung von Dokumenten, es wurden jedoch Bedenken laut, weil einige Anhörungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Als Folge der Gründung der nationalen Wahrheitskommission wurden auch in zahlreichen Bundesstaaten Wahrheitskommissionen eingerichtet, so beispielsweise in Pernambuco, Rio Grande do Sul und São Paulo. Es wurden jedoch weiterhin Zweifel daran geäußert, dass eine Strafverfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit überhaupt möglich ist, solange das Amnestiegesetz von 1979 in Kraft bleibt. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte hatte das Amnestiegesetz 2010 für "null und nichtig" erklärt.

Bundesstaatsanwälte leiteten strafrechtliche Verfahren gegen Angehörige der Sicherheitsbehörden ein, die während der Militärregierungen (1964–85) für Entführungen verantwortlich gewesen sein sollen. Die Ankläger argumentierten, dass es sich in diesen Fällen um "Dauerdelikte" handele, die nicht unter das Amnestiegesetz fallen würden.

Öffentliche Sicherheit

Die Bundesstaaten setzten auch weiterhin repressive und diskriminierende Polizeimethoden zur Bekämpfung der bewaffneten Gewaltkriminalität ein. Zehntausende Menschen kamen durch Gewalttaten ums Leben. Dabei waren vor allem im Norden und Nordosten des Landes unverhältnismäßig viele der Opfer junge männliche Afro-Brasilianer.

In einigen Bundesstaaten sank die Anzahl der Tötungen. Häufig war dies die Folge lokaler Projekte für die öffentliche Sicherheit. So führte in der Stadt Rio de Janeiro die Ausdehnung der Befriedungseinheiten der Polizei (Unidades de Policiamento Pacificadores) auf neue Favelas (städtische Armenviertel) zu sinkenden Tötungsraten.

Im Januar kürzte die Bundesregierung die Mittel für das nationale Projekt für öffentliche Sicherheit (Programa Nacional de Segurança Pública com Cidadania) um fast die Hälfte. Obwohl die Regierung die Umsetzung einiger wichtiger Projekte für mehr Sicherheit versprach, darunter der Plan zur Verhinderung von Gewalt gegen jugendliche Afro-Brasilianer ("Juventude Viva"), gab es Bedenken hinsichtlich ihrer ausreichenden Ausstattung mit finanziellen Mitteln.

In den Bundesstaaten Rio de Janeiro und São Paolo wurden durch Polizeikräfte begangene Tötungen nach wie vor als Todesfälle infolge von "Widerstand gegen die Staatsgewalt" erfasst. Wenn überhaupt, wurden trotz vorliegender Beweise für exzessive Gewaltanwendung und mögliche außergerichtliche Hinrichtungen nur wenige dieser Fälle untersucht. Im November verabschiedete der brasilianische Menschenrechtsrat eine Resolution, in der alle Bundesstaaten aufgefordert wurden, Tötungen durch Polizeiangehörige nicht länger als Todesfälle infolge von "Widerstand gegen die Staatsgewalt" zu erfassen. Des Weiteren forderte die Resolution eine Untersuchung aller Tötungen durch Polizeiangehörige, die Sicherung von forensischem Beweismaterial und die regelmäßige Veröffentlichung der Anzahl solcher Todesfälle. Zum Jahresende lag die Resolution noch der Regierung des Bundesstaats São Paulo zur Prüfung vor, mit der Perspektive, die Änderungen bei der Erfassung von Tötungen durch Polizeiangehörige sowie Maßnahmen zur Tatortsicherung im Jahr 2013 umzusetzen.

Nachdem die Anzahl der Tötungen im Bundesstaat São Paulo in den vergangenen acht Jahren zurückgegangen war, kehrte sich diese Entwicklung 2012 um, und es kam zu einem dramatischen Anstieg der Tötungen. Zwischen Januar und September lag die Rate mit 3539 gemeldeten Tötungen um 9,7% höher als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Auch die Anzahl getöteter Polizeibeamter stieg drastisch an: Allein bis November wurden 90 Angehörige der Polizei getötet. Polizei, Wissenschaftler und Medien führten die gestiegenen Zahlen auf die zunehmenden Zusammenstöße zwischen der Polizei und der größten kriminellen Bande des Bundesstaats, dem Ersten Kommando der Hauptstadt (Primeiro Comando da Capital – PCC), zurück. Zur Bekämpfung der Gewalt wurde eine gemeinsame bundesstaatliche Initiative unter der Leitung eines neu ernannten Staatssekretärs für öffentliche Sicherheit angekündigt.

  • Im Mai 2012 wurden drei Angehörige der Sondereinheit ROTA der Militärpolizei (Polícia Militar) festgenommen. Sie wurden beschuldigt, im selben Monat während eines Polizeieinsatzes in Penha im Osten von São Paulo ein mutmaßliches Mitglied des PCC außergerichtlich hingerichtet zu haben. Einem Zeugenbericht zufolge hatten die Beamten einen der Verdächtigen festgenommen, ihn geschlagen und in einem Polizeifahrzeug erschossen.

Nach wie vor war die Polizei an Korruption und kriminellen Aktivitäten beteiligt. Zwar gab es in Rio de Janeiro einige Fortschritte bei der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, doch kontrollierten die Milícias (Milizen aus aktiven oder ehemaligen Ordnungskräften) weiterhin zahlreiche Favelas in der Stadt.

  • Im Oktober 2012 sollen Angehörige der Miliz Liga da Justiça die Eigentümer eines der inoffiziellen Busunternehmen der Stadt unter Morddrohungen aufgefordert haben, ihre Tätigkeit in vier Stadtgebieten einzustellen. Dadurch wurden bis zu 210000 Menschen faktisch vom Verkehrsnetz abgeschnitten. Zu den Drohungen kam es im Zusammenhang mit den Versuchen der Miliz, die Kontrolle über die Beförderungsdienste im Westen der Stadt zu übernehmen.

Folter und andere Misshandlungen

Im Juli 2012 äußerte der UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter Besorgnis angesichts der weit verbreiteten Anwendung von Folter und des Versäumnisses der Behörden, effektive Ermittlungen und eine strafrechtliche Verfolgung zu gewährleisten. Im Rahmen des integrierten Aktionsplans zur Verhütung und Bekämpfung von Folter (Plano de Ações Integradas para Prevenção e Combate à Tortura) wurden seitens der Bundesbehörden und einiger Bundesstaaten entsprechende Anstrengungen unternommen. Eine zentrale Rolle spielte dabei ein noch ausstehendes Bundesgesetz zur Einführung nationaler Stellen zur Verhütung von Folter gemäß den Bestimmungen des Fakultativprotokolls zum UN-Übereinkommen gegen Folter. Menschenrechtsgruppen waren jedoch besorgt angesichts einer Gesetzesänderung, die dem Präsidenten die alleinige Befugnis übertrug, die Mitglieder des Nationalen Ausschusses für die Prävention und Beseitigung von Folter zu bestimmen. Dies wurde als Verstoß gegen die Bedingungen des Fakultativprotokolls sowie gegen die Prinzipien hinsichtlich des Status nationaler Menschenrechtsinstitutionen (Pariser Prinzipien) gewertet.

Der UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter lobte die staatlichen Präventivmaßnahmen des Bundesstaats Rio de Janeiro wegen der Unabhängigkeit der Auswahlkriterien, ihrer Struktur und ihres Mandats. Es gab jedoch Bedenken, dass die Maßnahmen möglicherweise nicht in vollem Umfang finanziert werden.

Haftbedingungen Die Zahl der Gefängnisinsassen stieg weiter. Da mehr als 200000 Gefängnisplätze fehlten, waren grausame, unmenschliche und erniedrigende Bedingungen in den Haftanstalten an der Tagesordnung. Im Bundesstaat Amazonas wurden Häftlinge in übel riechenden, überfüllten und unsicheren Zellen festgehalten. Frauen und Minderjährige waren in denselben Bereichen untergebracht wie Männer, und es gab zahlreiche Meldungen über Folterungen, darunter das Überstülpen von Plastiktüten bis fast zum Ersticken, Schläge und Elektroschocks. Laut diesen Berichten waren zumeist Angehörige der bundesstaatlichen Militärpolizei an diesen Taten beteiligt.

Landkonflikte

Hunderte von Gemeinschaften mussten unter entsetzlichen Bedingungen leben, da die Behörden es versäumten, der Durchsetzung ihres verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Land nachzukommen. Landrechtsaktivisten und Gemeinschaftssprecher wurden bedroht, angegriffen und getötet. Indigene und Quilombola-Gemeinschaften waren besonders gefährdet, häufig im Zusammenhang mit Investitionsprojekten.

Die Veröffentlichung eines umstrittenen Beschlusses (Portaria 303) durch das Büro der Generalstaatsanwaltschaft im Juli sorgte für Proteste der indigenen Bevölkerung und von NGOs in ganz Brasilien. Der Beschluss sah die Möglichkeit der Errichtung von Bergbau-, Wasserkraft- und militärischen Anlagen auf indigenem Land ohne vorherige freiwillige und in Kenntnis der Sachlage gegebene Zustimmung seitens der betroffenen Gemeinden vor. Ende 2012 war der Beschluss in Erwartung einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ausgesetzt.

Dem Kongress lag zum Jahresende eine Verfassungsänderung vor, mit der die Verantwortung für die Demarkation des Landes indigener und Quilombola-Gemeinschaften von staatlichen Institutionen an den Nationalkongress übergeben würde. Es wurden Bedenken laut, die Verfassungsänderung könne im Falle ihrer Verabschiedung zu einer Politisierung des Demarkationsprozesses und einer Gefährdung verfassungsrechtlicher Schutzmaßnahmen führen.

Auch weiterhin wirkten sich Entwicklungsprojekte nachteilig auf indigene Gemeinschaften aus. Jahrelange Bemühungen, angestammtes indigenes Land auszuweisen und zu demarkieren, machten nach wie vor keine Fortschritte.

  • Trotz zahlreicher Rechtsklagen und Proteste wurde der Bau des Staudamms Belo Monte im Bundesstaat Pará 2012 fortgesetzt. Im August waren die Bauarbeiten zwischenzeitlich gestoppt worden, nachdem ein Bundesgericht zu dem Urteil gelangt war, die indigene Bevölkerung sei nicht angemessen konsultiert worden. Dieses Urteil wurde vom Obersten Gerichtshof jedoch wieder aufgehoben. Im Bundesstaat Mato Grosso do Sul waren Gemeinschaften der indigenen Guarani-Kaiowá nach wie vor Einschüchterungsversuchen, Gewalt und der Gefahr ausgesetzt, von ihrem angestammten Land vertrieben zu werden.

  • Im August 2012 wurde die Guarani-Kaiowá-Gemeinschaft Arroia-Korá von bewaffneten Männern angegriffen, nachdem sie sich wieder auf ihrem angestammten Land in Mato Grosso do Sul angesiedelt hatte. Die Männer verbrannten Erntepflanzen, stießen lautstarke Beschimpfungen aus und gaben Schüsse ab. Augenzeugen zufolge entführten die Männer Eduardo Pires. Über seinen Verbleib war auch zum Jahresende noch nichts bekannt.

  • Angesichts eines Räumungsbefehls verfasste die Gemeinschaft der Pyelito Kue/Mbarakay in Mato Grosso do Sul im Oktober einen offenen Brief an die brasilianische Regierung und die Justiz. Darin klagte sie, dass sie sich quasi in einem Belagerungszustand befinde, umgeben von bewaffneten Männern und ohne angemessenen Zugang zu Lebensmitteln und medizinischer Versorgung. Im Oktober wurde eine Frau der Pyelito Kue/Mbarakay mehrfach von acht bewaffneten Männern vergewaltigt und anschließend zu der Gemeinschaft befragt. In der darauffolgenden Woche hob ein Bundesgericht den Räumungsbefehl bis zum Vorliegen eines anthropologischen Fachberichts auf, in dem das angestammte Land der Gemeinschaft offiziell ausgewiesen werden soll.

Gemeinschaften der Quilombolas, die für die ihnen laut Verfassung zustehenden Landrechte kämpfen, mussten weiter mit Gewalt durch bewaffnete, von Landbesitzern angeheuerte Wachleute leben, die ihnen zudem mit Vertreibung drohten. Im Bundesstaat Maranhão blieb die Lage kritisch. Hier wurden mindestens neun Gemeinschaften Opfer gewalttätiger Einschüchterungsversuche und zahlreiche Gemeinschaftssprecher mit dem Tod bedroht.

  • Im November wurde die Quilombola-Gemeinschaft in Santa Maria dos Moreiras in der Gemeinde Codó im Bundesstaat Maranhão von Männern überfallen, die Schüsse auf die Siedlung abgaben. Der Überfall war Teil eines systematischen Versuchs lokaler Landbesitzer, die Gemeinschaft von ihrem Land zu vertreiben. Dabei wandten sie auch Methoden wie die Vernichtung von Erntepflanzen an und sprachen Morddrohungen gegen Gemeinschaftssprecher aus.

Menschenrechtsverteidiger

Auch im Jahr 2012 wurden Menschenrechtsverteidiger weiterhin wegen ihrer Arbeit bedroht und eingeschüchtert. Besonders gefährdet waren jene, die gegen wirtschaftliche und politische Interessengruppen vorgingen. Die Schutzvorkehrungen für Menschenrechtler waren lückenhaft, da das Nationale Programm zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern nicht wirksam umgesetzt wurde.

  • Nilcilene Miguel de Lima, die sich für die Rechte von Kleinbauern in der Gemeinde Lábrea im Bundesstaat Amazonas einsetzt, wurde im Mai bedroht, geschlagen und aus ihrem Haus vertrieben, nachdem sie die illegale Abholzung der Wälder in der Region angeprangert hatte. Sie wurde im Rahmen des Nationalen Programms zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern unter bewaffneten Schutz gestellt, musste die Region jedoch verlassen, nachdem die Drohungen gegen sie zugenommen hatten. Seit 2007 wurden mindestens sechs Landarbeiter in der Region bei Landkonflikten getötet.

  • Die Umweltschützerin Laísa Santos Sampaio aus der Siedlung Praia Alta Piranheira in Nova Ipixuna im Bundesstaat Pará erhielt weiterhin Morddrohungen. Die Drohungen begannen im Anschluss an die Ermordung ihrer Schwester Maria do Espírito Santo da Silva und ihres Schwagers José Cláudio Ribeiro da Silva durch Auftragsmörder im Mai 2011. Ende 2012 hatte man ihr wegen der mangelnden Umsetzung des staatlichen Schutzprogramms noch immer keinen bewaffneten Schutz an die Seite gestellt.

  • In Magé im Bundesstaat Rio de Janeiro erhielten der Präsident des örtlichen Fischereiverbandes (Associação de Homens e Mulheres do Mar – AHOMAR), Alexandre Anderson de Souza, und seine Frau Daize Menezes eine Reihe von Morddrohungen. AHOMAR setzt sich gegen den Bau einer petrochemischen Raffinerie in der Guanabara-Bucht in Rio de Janeiro ein. Ende Juni 2012 wurden die
Leichen von zwei Fischern und Mitgliedern von AHOMAR, Almir Nogueira de Amorim und João Luiz Telles Penetra, in der Guanabara-Bucht gefunden. Sie waren gefesselt und ertränkt worden.

Recht auf Wohnen

Im ganzen Land führten städtische Infrastrukturprojekte, viele davon in Vorbereitung auf die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Rio, während des gesamten Jahres zu rechtswidrigen Zwangsräumungen von Familien. Die Räumungen wurden durchgeführt, ohne dass die Bewohner rechtzeitig und umfassend über die Regierungsprojekte in ihren Gemeinden informiert wurden. Ebenso versäumten es die Behörden, ergebnisorientierte Verhandlungen mit den Gemeinden über mögliche Alternativen zur Räumung zu führen und im Bedarfsfall angemessene Entschädigungen oder alternative Unterkünfte in der Umgebung bereitzustellen. Stattdessen wurden Familien in weit entfernten, unzureichenden Unterkünften untergebracht, die häufig in Gegenden mit schwerwiegenden Sicherheitsproblemen liegen und in denen sie nur eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen haben.

  • In Providência im Zentrum von Rio de Janeiro wurden im Berichtsjahr 140 Häuser im Rahmen eines städtischen Erneuerungsprojekts im Hafengebiet abgerissen. Insgesamt sollen hier etwa 800 Häuser abgerissen werden.

Einige der betroffenen Gemeinschaften wurden weit entfernt von ihren ursprünglichen Wohnorten, im westlichen Teil von Rio de Janeiro, untergebracht, wo viele Gebiete von Milícias beherrscht werden. Familien, die in Siedlungen in den Stadtteilen Cosmos, Realengo und Campo Grande wohnen, berichteten von Drohungen und Schikanierungen durch Angehörige der Milícias und dass einige von ihnen gezwungen worden seien, ihre Wohnung zu verlassen.

  • Im Januar 2012 wurden über 6000 Personen aus der als Pinheirinho bekannten Gegend in der Stadt São José dos Campos im Bundesstaat São Paulo vertrieben, wo sie zum Teil bereits seit 2004 gelebt hatten. Bei der rechtswidrigen Zwangsräumung setzte die Polizei Hunde, Tränengas und Gummigeschosse ein. Die Räumung erfolgte trotz der Aussetzung des Räumungsbefehls und noch während mit der Regierung des Bundesstaats wegen einer Lösung verhandelt wurde, die es den Bewohnern ermöglichen sollte zu bleiben. Die Bewohner waren vorher nicht über die geplante Räumung benachrichtigt worden und erhielten auch nicht genügend Zeit, um ihr Hab und Gut aus den Häusern zu retten. Die Behörden stellten den Bewohnern keine angemessenen Alternativunterkünfte bereit, sodass die meisten von ihnen am Jahresende unter erniedrigenden Bedingungen in Behelfsunterkünften und anderen informellen Siedlungen lebten.

In der Stadt São Paulo wurde eine parlamentarische Untersuchung eingeleitet, um die hohe Anzahl von Bränden aufzuklären, die eine Reihe von Favelas, von denen viele an wohlhabende Stadtteile grenzten, zerstört hatten. Im September waren 1100 Personen nach dem Brand der Favela Morro do Piolho obdachlos. Im November verloren 600 Personen ihre Unterkünfte, nachdem ein Feuer die Favela Aracati zerstört hatte. Etwa 400 Personen wurden im Juli durch ein Feuer in der Favela Humaitá obdachlos. Bewohner der Favela Moinho klagten, die Polizei habe sie am Wiederaufbau der Häuser gehindert, die im September bei einem Brand zerstört worden waren.

Rechte von Frauen

Die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen waren 2012 nach wie vor gefährdet.

Im März sprach das oberste brasilianische Gericht (Superior Tribunal de Justiça) einen Mann frei, dem die Vergewaltigung von drei zwölfjährigen Mädchen vorgeworfen wurde, mit der Begründung, die Mädchen seien Sexarbeiterinnen gewesen. Das Urteil, das national und international für Empörung sorgte, wurde im August vom selben Gericht aufgehoben.

Amnesty International: Mission

Eine Delegation von Amnesty International besuchte den Bundesstaat Amazonas im März zur Untersuchung von Misshandlungen in Haft.

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