Amnesty Report Brasilien 04. Mai 2012

Brasilien 2012

 

Amtliche Bezeichnung: Föderative Republik Brasilien Staats- und Regierungschefin: Dilma Rousseff (löste im Januar Luiz Inácio Lula da Silva im Amt ab) Todesstrafe: für gewöhnliche Straftaten abgeschafft Einwohner: 196,7 Mio. Lebenserwartung: 73,5 Jahre Kindersterblichkeit: 20,6 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 90%

Trotz einiger bedeutender Fortschritte bei den Maßnahmen zur öffentlichen Sicherheit kam es nach wie vor zu exzessiver Gewaltanwendung, außergerichtlichen Hinrichtungen und Folter durch Ordnungskräfte.

Todesschwadronen und Milizen boten weiterhin Grund zur Sorge. Es gab Berichte über massive Überbelegungen, erniedrigende Bedingungen sowie Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen, Jugendstrafanstalten und Arrestzellen der Polizei. In ländlichen Gebieten führten Konflikte um Grund und Boden zu zahlreichen Tötungen von Landrechtsaktivisten und Umweltschützern. Bewaffnete Wachleute, die von Grundbesitzern angeheuert wurden, griffen auch weiterhin straflos indigene Gemeinschaften und Quilombolas (Angehörige afrikanischstämmiger Gemeinschaften) an. Tausende wurden Opfer rechtswidriger Zwangsräumungen, mit denen Platz für umfassende Entwicklungsprojekte geschaffen werden sollte.

Hintergrund

Dilma Rousseff, Brasiliens erste Präsidentin, trat am 1. Januar 2011 ihr Amt mit dem Versprechen an, sich für mehr Entwicklung und die Bekämpfung der extremen Armut einzusetzen. Trotz des starken Wirtschaftswachstums und Verbesserungen bei den meisten sozialen und ökonomischen Indikatoren in den vergangenen zehn Jahren lebten Erhebungen zufolge 16,2 Mio. Menschen in Brasilien nach wie vor von weniger als 70 Real (etwa 40 US-Dollar) monatlich. Im Juni verabschiedete die Regierung einen nationalen Plan, mit dem die extreme Armut innerhalb von vier Jahren beseitigt werden soll. Im Jahresverlauf mussten sieben Minister wegen Korruptionsvorwürfen in Verbindung mit der Zweckentfremdung öffentlicher Gelder von ihrem Amt zurücktreten.

Die neue Regierung verpflichtete sich zur Umsetzung einer Menschenrechtsagenda in ihrer Außenpolitik. Im März unterstützte Brasilien die Einsetzung eines UN-Sonderberichterstatters zur Situation der Menschenrechte im Iran, wurde im November aber dafür kritisiert, sich bei der Verabschiedung einer Resolution des UN-Sicherheitsrats enthalten zu haben, in der die Menschenrechtsverletzungen in Syrien verurteilt wurden.

Brasilien weigerte sich, die Aussetzung des Genehmigungsverfahrens zu akzeptieren, die von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zum Staudammprojekt in Belo Monte angeordnet wurde. Die Regierung handelte damit Versprechen zuwider, die sie bei der Wahl in den UN-Menschenrechtsrat gegeben hatte.

Umfassende Entwicklungsprojekte im Rahmen des Wachstumsbeschleunigungsprogramms stellten auch weiterhin Gefahren für indigene Gemeinschaften, Fischer, Kleinbauern und marginalisierte städtische Gemeinschaften dar.

Im Januar 2011 wurde eine gebirgige Gegend (Região Serrana) in der Nähe der Stadt Rio de Janeiro von Überschwemmungen und Schlammlawinen heimgesucht. Dabei kamen über 800 Menschen ums Leben – mehrheitlich in den Städten Nova Friburgo und Teresópolis – und über 30000 Menschen wurden obdachlos. Im Anschluss an die Überschwemmungen kam es zu allgemeinen Korruptionsvorwürfen, die auch die Zweckentfremdung öffentlicher Gelder betrafen, die als Katastrophenhilfe gedacht waren. Einige Anwohner, die während der Überschwemmungen im Jahr 2010 in Rio de Janeiro und Niterói obdachlos geworden waren, lebten nach wie vor unter prekären Bedingungen und warteten auf die Bereitstellung angemessenen Wohnraums.

Im Mai 2011 erkannte der Bundesgerichtshof einstimmig gleichgeschlechtlichen Paare, die in festen Parnerschaften leben, dieselben Rechte zu wie heterosexuellen Paaren.

Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit

Am 18. November 2011 unterzeichnete Präsidentin Rousseff Gesetze, mit denen die Frist für die Geheimhaltung von Staatsgeheimnissen auf 50 Jahre beschränkt und eine Wahrheitskommission zur Untersuchung der zwischen 1946 und 1988 begangenen Menschenrechtsverletzungen eingerichtet wird. Die Kommission aus sieben von der Präsidentin ernannten Mitgliedern soll zwei Jahre lang Beweise aufnehmen, um anschließend einen Bericht zu erstellen. Diese Reformen stellten einen wichtigen Fortschritt in der Bekämpfung der Straflosigkeit dar. Trotzdem gab es Bedenken, dass gewisse Umstände das Untersuchungsergebnis der Kommission beeinflussen könnten. Dazu gehörte die Frage, ob das Amnestiegesetz von 1979, dessen frühere Auslegung die Verantwortlichen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit einschloss, eine Strafverfolgung der Personen ausschließen würde, die bei dem jetzigen Verfahren als verantwortlich ermittelt werden.

Öffentliche Sicherheit

Angesichts der hohen Gewaltkriminalität war die Vorgehensweise der Polizei nach wie vor geprägt von Diskriminierung, Menschenrechtsverstößen, Korruption und Polizeieinsätzen im Militärstil.

Die versprochene Reform des Systems der öffentlichen Sicherheit wurde durch umfassende Etatkürzungen und mangelnden politischen Durchsetzungswillen untergraben.

Einige Bundesstaaten investierten in gezielte Sicherheitsprojekte wie die Befriedungseinheiten der Polizei (Unidades de Polícia Pacificadores – UPP) in Rio de Janeiro, das Ausbildungsprojekt Fica Vivo (Bleib am Leben) in Minas Gerais und den Pakt für das Leben (Pacto Pela Vida) in Pernambuco. Ende 2011 waren 18 UPP in der gesamten Stadt Rio de Janeiro stationiert. Im November wurden bei einem Großeinsatz von Polizei und Armee die Armenviertel Rocinha und Vidigal im Süden der Stadt von kriminellen Banden gesäubert, um die Stationierung weiterer Einheiten vorzubereiten.

Zwar stellten die UPP einen wichtigen Fortschritt dar, indem sie sich bei der Polizeiarbeit von gewalttätiger Konfrontation abwandten, doch fehlte es weiterhin an umfassenderen Investitionen in soziale Dienste für in Armut lebende Gemeinschaften. Darüber hinaus war nach wie vor eine allgemeine Reform des Sicherheitssystems einschließlich Polizeischulungen, transparenzfördernder Maßnahmen und externer Kontrolle erforderlich. Berichte über exzessive Gewaltanwendung und Korruption in einigen Einheiten waren ein Indiz für das Fehlen wirksamer Kontrollmechanismen, um die UPP-Präsenz in den Gemeinschaften zu überwachen.

Bewohner von Slums waren weiterhin der Gewalt krimineller Banden und Willkürmaßnahmen der Polizei ausgesetzt. Häufig wurden sie von Ordnungskräften als Tatverdächtige behandelt. Dies wiederum führte zu einer noch größeren sozialen Benachteiligung und erschwerte den Zugang zu allgemeinen staatlichen Leistungen wie Bildung, medizinischer Versorgung und Hygiene.

Von Januar bis September wurden in Rio de Janeiro und São Paulo 804 Personen bei Vorfällen getötet, die als "Widerstand gegen die Staatsgewalt" bezeichnet wurden. Während dies in Rio de Janeiro im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 177 Fälle weniger waren, stieg die Anzahl gemeldeter Tötungen, die von der Polizei als "unbestimmt" bezeichnet wurden, an.

  • Im Juli verschwand der elfjährige Juan Moraes bei einem Polizeieinsatz im Stadtteil Danon in Nova Iguaçu im Bundesstaat Rio de Janeiro. Sein Leichnam wurde später in Rio Botas, Belford Roxo, in der Gemeinde Nova Iguaçu gefunden. Eine Untersuchung der Polizei ergab, dass der Junge von der Militärpolizei getötet und sein Leichnam von Polizeikräften fortgeschafft wurde. Die vier mit der Tat in Verbindung gebrachten Polizeibeamten sollen zuvor insgesamt an mindestens 37 Tötungen beteiligt gewesen sein, die als "Widerstand gegen die Staatsgewalt" erfasst wurden. Nach der Tötung führte die Polizei für Fälle von "Widerstand gegen die Staatsgewalt" neue Maßnahmen ein, darunter obligatorische Untersuchungen des Tatorts sowie von gerichtsmedizinischem und ballistischem Beweismaterial. Ähnliche Maßnahmen wurden auch in São Paulo eingeführt. Ab April wurden alle Fälle von Tötungen durch Polizeiangehörige im Großraum São Paulo an eine Sondermordkommission verwiesen.

Todesschwadronen und Milizen

Angehörige der Polizei wurden verdächtigt, zu Todesschwadronen und Milizen (Milícias) zu gehören, die an sozialen Säuberungen, Erpressungen sowie Waffen- und Drogenhandel beteiligt waren.

  • Im Februar 2011 deckte die Bundespolizei im Rahmen der Operation Guillotine ein Korruptionsnetzwerk auf, das bis in die Ebene höherer Beamter der Polizei von Rio de Janeiro hineinreichte. 47 aktive und ehemalige Polizeiangehörige wurden der Bildung bewaffneter Banden, der Unterschlagung, des Waffenhandels und der Erpressung beschuldigt.

  • Im Februar wurden im Bundesstaat Goiás 19 Angehörige der Militärpolizei, darunter der Stellvertreter des Kommandeurs, festgenommen und der Beteiligung an Todesschwadronen angeklagt. Im Juni veröffentlichte eine mit der Untersuchung der Polizeibeteiligung an Todesschwadronen beauftragte Sonderkommission des Bundesstaats einen Bericht, in dem 37 Fälle von Verschwindenlassen untersucht wurden, bei denen eine Beteiligung der Polizei vermutet wurde. Nach der Veröffentlichung des Berichts erhielten Mitglieder der Kommission Morddrohungen.

In São Paulo gingen einem Bericht der Polizei zufolge 150 Todesfälle in den Jahren 2006 bis 2010 auf das Konto von Todesschwadronen im Norden und Osten der Stadt.

In Rio de Janeiro beherrschten Milizen auch weiterhin große Teile der Stadt. Sie erpressten Geld von den ärmsten Bewohnern und stellten illegal Versorgungsleistungen wie Transport, Telekommunikation und Gas bereit.

Ungeschützte Gemeinschaften waren so gezwungen, illegale oder unregulierte Leistungen abzunehmen und die entsprechenden Risiken zu tragen. Wer sich dagegen auflehnte, wurde Opfer von Drohungen, Einschüchterungsversuchen und Gewalt.

  • Im August wurde die Richterin Patrícia Acioli vor ihrem Haus in der Stadt Niterói im Bundesstaat Rio de Janeiro durch 21 Schüsse getötet. Sie war wegen ihrer kompromisslosen Haltung gegenüber den Milizen und der Polizeikriminalität wiederholt mit dem Tode bedroht worden. Zehn Polizisten sowie der Befehlshaber des Bataillons São Gonçalo wurden in Verbindung mit dem Mord festgenommen und befanden sich zum Jahresende noch in Untersuchungshaft.

  • Zwischen Oktober und Dezember erhielt Marcelo Freixo, Präsident der Menschenrechtskommission des Bundesstaats Rio de Janeiro und Abgeordneter, der eine Untersuchung zu den Milizen leitete, zehn Morddrohungen.

Folter und andere Misshandlungen

Folter war bei Festnahmen und Verhören sowie bei Inhaftierungen in Polizeizellen und Gefängnissen weit verbreitet.

Haftbedingungen Im Jahr 2011 lag die Zahl der Gefängnisinsassen landesweit bei etwa 500000, wobei 44% aller Gefangenen sich in Untersuchungshaft befanden. Massive Überbelegung, erniedrigende Bedingungen, Folter sowie Gewalt unter den Insassen waren an der Tagesordnung.

Im Oktober wurde dem Kongress ein lang erwarteter Gesetzentwurf zur Einführung Nationaler Präventivmaßnahmen (Mecanismo Preventivo Nacional) und eines Nationalen Komitees für die Prävention und Beseitigung von Folter (Comitê Nacional de Prevenção e Combate à Tortura) vorgelegt. Er entsprach den Bestimmungen des Fakultativprotokolls zum UN-Übereinkommen gegen Folter. Zum Jahresende hatten drei Bundesstaaten – Rio de Janeiro, Alagoas und Paraíba – Gesetze für die Schaffung staatlicher Präventivmaßnahmen verabschiedet und ein Bundesstaat, Rio de Janeiro, mit der Umsetzung begonnen.

  • Im September wurde ein 14-jähriges Mädchen in die halb offene Haftanstalt Heleno Fragoso im Großstadtgebiet von Belém gelockt. Dort wurde sie unter Drogen gesetzt und vier Tage lang wiederholt vergewaltigt. Sie konnte später entkommen und berichtete der Polizei, dass zwei weitere Jugendliche in der Anstalt als Prostituierte gehalten würden. 30 Gefängnismitarbeiter, darunter auch der Leiter der Haftanstalt, wurden während der Ermittlungen vom Dienst suspendiert. Nach dem Erhalt von Morddrohungen musste sich das Mädchen zusammen mit einem weiteren in der Anstalt vergewaltigten Mädchen in das staatliche Schutzprogramm für Kinder und Jugendliche begeben (PPCAAM).

In den meisten Bundesstaaten befanden sich zahlreiche Gefängnisse und Polizeizellen de facto unter der Kontrolle krimineller Banden.

  • Im Februar wurden im Bundesstaat Maranhão sechs Gefangene auf der regionalen Polizeistation von Pinheiro getötet – vier von ihnen durch Enthauptung –, nachdem es aus Protest gegen Überbelegung zu einem Aufstand gekommen war. Auf der Station waren 90 Häftlinge in einer für 30 Insassen konzipierten Zelle zusammengedrängt worden. Laut Angaben der Anwaltskammer des Bundesstaats erhöhte sich durch diese Fälle die Zahl der Personen, die seit 2007 in Maranhão in der Haft getötet wurden, auf 94.

Landkonflikte

Indigene Bevölkerungsgruppen und Quilombola-Gemeinschaften Indigene Gemeinschaften waren im Zuge von Landstreitigkeiten nach wie vor Diskriminierung, Drohungen und Gewalt ausgesetzt. Im Oktober stieß ein Erlass von Präsidentin Rousseff auf Kritik, weil er die Erteilung von Umweltgenehmigungen für große Entwicklungsprojekte vereinfachen soll, insbesondere für solche, die Land indigener Bevölkerungsgruppen oder von Quilombola-Gemeinschaften betreffen.

Die Situation in Mato Grosso do Sul blieb angespannt. Dem Missionsrat für indigene Gemeinschaften (Conselho Indigenista Missionário) zufolge lebten 1200 Familien in äußerst prekären Verhältnissen am Rande von Schnellstraßen, wo sie auf die Rückgabe ihres Landes warteten. Durch Verzögerungen im Demarkationsprozess waren die Gemeinschaften in großer Gefahr, Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu werden.

  • 125 Familien der indigenen Guarani-Kaiowá-Gemeinschaft Pyelito Kuê wurden wiederholt von einer Gruppe bewaffneter Männer bedroht und angegriffen, nachdem sie ihr angestammtes Land in der Gemeinde Iguatemi im Bundesstaat Mato Grosso do Sul wieder besiedelt hatten. Im September feuerten Unbekannte, die in zwei Lkw eintrafen, Gummigeschosse ab, setzten Schuppen in Brand, schlugen Personen und stießen Drohungen aus, als die Gemeinschaft in Panik floh. Mehrere Personen, darunter Kinder und ältere Menschen, wurden bei dem Angriff schwer verletzt. Bundesstaatsanwälte sprachen später von Genozid und Bildung einer ländlichen Miliz.

  • Im November 2011 überfielen 40 zumeist vermummte Männer das Lager Guaiviry nahe der brasilianisch-paraguayanischen Grenze, erschossen den Indigenensprecher Nísio Gomes und verschleppten seinen Leichnam in einem Lkw. Sein Schicksal war zum Jahresende noch nicht geklärt.

  • Im Februar 2011 wurden drei Männer, die des Mordes an Marcus Veron, einem Sprecher der Guarani-Kaiowá, beschuldigt worden waren, wegen Entführung, Bildung einer kriminellen Vereinigung und Folter für schuldig befunden, von der Mordanklage jedoch freigesprochen. Zum Jahresende befanden sich die drei in Freiheit, während ein von ihnen gegen das Urteil eingelegtes Rechtsmittel noch anhängig war. Marcus Veron war im Februar 2003 auf indigenem Land zu Tode geprügelt worden.

  • Im Februar erteilte das brasilianische Institut für Umwelt und erneuerbare Ressourcen (Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis) eine Umweltgenehmigung für den Beginn der Arbeiten am Belo-Monte-Staudammprojekt im Bundesstaat Pará. Indigene Bevölkerung und lokale Gemeinschaften protestierten gegen die Pläne. Sie argumentierten, das Projekt gefährde ihre Lebensgrundlage und die Genehmigung sei ohne angemessene Konsultierung der Betroffenen erteilt worden. Im April forderte die Interamerikanische Menschenrechtskommission Brasilien auf, das Genehmigungsverfahren bis zur Durchführung freier, vorheriger und informierter Konsultationen der betroffenen Gruppen und der Umsetzung von Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit auszusetzen. Die Bundesbehörden beriefen daraufhin ihren Vertreter aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ab und stellten u.a. die Beitragszahlungen an die Kommission ein.

Tötungen im ländlichen Raum Auch weiterhin wurden Landrechtsaktivisten bei ihrem Kampf um Zugang zu Land und wegen ihres offenen Protests gegen illegale Rodungen und Viehwirtschaft in der Amazonasregion bedroht und getötet.

  • Im Mai 2011 erschossen Unbekannte im Verwaltungsbezirk Ipixuna des Bundesstaats Pará den Umweltschützer José Cláudio Ribeiro da Silva und seine ebenfalls im Umweltschutz engagierte Ehefrau, Maria do Espírito Santo. Sie hatten die Aktivitäten illegaler Holzfäller, Viehzüchter und Holzkohleproduzenten in der Region aufgedeckt. Im September wurden schließlich drei Männer im Zusammenhang mit den Morden festgenommen. Die Einschüchterungsversuche gegen Verwandte der Opfer sowie deren Gemeinschaft rissen jedoch nicht ab.

  • Im Mai wurde Adelino Ramos, Aktivist für die Landbevölkerung und Überlebender des Corumbiara-Massakers von 1995, in Vista Alegre do Abunã in der Gemeinde Porto Velho im Bundesstaat Rondônia erschossen. Er hatte zuvor die Aktivitäten illegaler Holzfäller im Grenzgebiet der Bundesstaaten Acre, Amazonas und Rondônia offengelegt.

Nach den Morden legte die NGO Comissão Pastoral da Terra (Landpastorale) dem Menschenrechtsbeauftragten des Bundesstaats die Namen weiterer 1855 Personen vor, die landesweit wegen Landkonflikten Drohungen ausgesetzt waren.

In vielen weiteren Bundesstaaten im Norden und Nordosten des Landes wurden gewalttätige Auseinandersetzungen um Grund und Boden gemeldet.

  • Im Juni wurden 40 Familien in den Siedlungen Assentamento Santo Antônio Bom Sossego und Acampamento Vitória im Verwaltungsbezirk Palmeirante im Bundesstaat Tocantins von Unbekannten angegriffen, die das Lager mit Schüssen überzogen und Landrechtsaktivisten mit dem Tode drohten.

  • Im Bundesstaat Maranhão beschwerten sich im Berichtsjahr Bewohner der Quilombola-Gemeinde von Salgado über eine anhaltende Droh- und Einschüchterungskampagne durch ansässige Bauern, die Getreide vernichteten, Vieh töteten, Wasserquellen absperrten und den Sprechern der Gemeinschaft mit ihrer Ermordung drohten.

Recht auf Wohnen

In den Ballungsgebieten Brasiliens führten umfassende Entwicklungsprojekte wie die Vorbereitungen für die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 dazu, dass in Armut lebende Gemeinschaften Einschüchterungsversuchen und rechtswidrigen Zwangsräumungen ausgesetzt waren. Im April 2011 teilte die UN-Sonderberichterstatterin über angemessenes Wohnen mit, sie habe Berichte über rechtswidrige Zwangsräumungen mit Menschenrechtsverletzungen in Städten im gesamten Land erhalten, darunter São Paulo, Rio de Janeiro, Belo Horizonte, Curitiba, Porto Alegre, Recife, Natal und Fortaleza.

  • Im Februar kamen Mitarbeiter der Gemeindebehörde mit Bulldozern und in Begleitung städtischer Ordnungskräfte ohne Vorwarnung in die Gemeinde Vila Harmonia in Recreio dos Bandeirantes, Rio de Janeiro, eine von mehreren Gemeinden, die wegen des Baus der Schnellbusstrecke Transoeste von Zwangsräumung bedroht waren. Anwohner berichteten, Mitarbeiter der Gemeinde hätten sie zum sofortigen Aufbruch gedrängt, ohne ihnen genügend Zeit zu lassen, ihr Hab und Gut aus den Häusern mitzunehmen, bevor diese zerstört wurden.

In São Paulo waren Tausende von Familien von rechtswidrigen Zwangsräumungen bedroht, mit denen Platz für städtische Infrastrukturmaßnahmen geschaffen werden sollte. Zu diesen gehörte der Bau einer Ringstraße, die Erweiterung von Schnellstraßen entlang des Tietê-Flusses sowie die Gestaltung von Parklandschaften entlang der Wasserläufe und Flüsse, an denen sich bis zu 40% der städtischen Armenviertel (Favelas) befanden. Von den Zwangsräumungen betroffene Bewohner beklagten sich über die fehlende Konsultation und unzureichende Entschädigungen.

Menschenrechtsverteidiger

Das Nationale Programm zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern war in den fünf Bundesstaaten Pará, Pernambuco, Espírito Santo, Minas Gerais und Bahia bereits vollständig umgesetzt, während es sich in zwei weiteren – Ceará und Rio de Janeiro – noch in der Umsetzungsphase befand. In vielen Fällen wurde seine Wirkungsfähigkeit jedoch durch bürokratische Hürden behindert, und einige der betroffenen Menschenrechtler beklagten, dass sie keinen ausreichenden Schutz erhalten hätten.

Lokale NGOs sahen sich Drohungen und Einschüchterungsversuchen ausgesetzt.

  • In der Stadt Cantanhede im Bundesstaat Maranhão wurden Mitglieder der NGO Comissão Pastoral da Terra außerhalb eines Gerichtsgebäudes mit dem Tode bedroht. Sie nahmen dort an einer Anhörung zu einem Landkonflikt teil.

  • In Rio de Janeiro wurden Angehörige des Netzwerks der Gemeinschaften und Bewegungen gegen Gewalt (Rede de Comunidades e Movimentos contra a Violência) Opfer von Drohanrufen und Einschüchterungsversuchen durch Polizeikräfte.

Sexuelle und reproduktive Rechte

In den fünf Jahren seit Inkrafttreten des Maria-da-Penha-Gesetzes zu häuslicher Gewalt wurden über 100000 Personen auf der Grundlage dieses Gesetzes verurteilt.

In einer Grundsatzentscheidung im August 2011 kam der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW-Ausschuss) zu dem Urteil, dass Brasilien seiner Verpflichtung, "Frauen angemessene, im Bedarfsfall kostenlose Leistungen bei Schwangerschaft, Entbindung und nach der Geburt zu gewährleisten", nicht nachgekommen sei. Das Urteil erging im Fall von Alyne da Silva Pimentel, einer 28-jährigen Frau afrikanischer Herkunft und Bewohnerin eines der ärmsten Viertel von Rio de Janeiro. Sie starb 2002, als sie mit ihrem zweiten Kind im sechsten Monat schwanger war, an Schwangerschaftskomplikationen, nachdem das örtliche Gesundheitszentrum ihre Symptome falsch diagnostiziert hatte und eine notfallmedizinische Versorgung zu spät erfolgte.

Amnesty International: Mission

Eine Delegation von Amnesty International besuchte Brasilien im April.

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