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Interview mit Sascha Skochilenko: "Mein Plan war, Aufmerksamkeit zu erzeugen"
Wieder in Freiheit: Die russische Künstlerin Sascha Skochilenko im September 2024 in Berlin.
© Tigran Petrosyan
Weil Sascha Skochilenko sich gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine engagierte, kam sie lange in russische Haft. Nach einem Gefangenenaustausch befindet sie sich nun in Deutschland und spricht über Freiheit, Unterstützung und Kunst.
Zur Person:
Alexandra (Sascha) Skochilenko, Jahrgang 1990, wurde am 1. August 2024 im Zuge eines Gefangenenaustauschs zwischen Russland und westlichen Staaten aus einem russischen Straflager freigelassen. Sie war im November 2023 wegen "Verbreitung wissentlich falscher Informationen über die russischen Streitkräfte" zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Grund dafür war, dass sie im März 2022 in einem Supermarkt in Sankt Petersburg Preisschilder durch Informationen über den Krieg Russlands gegen die Ukraine ersetzt hatte. In den mehr als 19 Monaten Haft hatte sich der Gesundheitszustand der Künstlerin stark verschlechtert. Amnesty International betrachtete sie als gewaltlose politische Gefangene und setzte sich für ihre Freilassung ein. Im September 2024 besuchte sie das Berliner Sekretariat von Amnesty in Deutschland.
Interview: Tigran Petrosyan
Sie sind jetzt in Deutschland. Wie fühlt es sich an, wieder frei zu sein?
Das ist die Frage, die mir derzeit am häufigsten gestellt wird. Mittlerweile kann ich sagen, dass ich nicht mehr so stark unter Schock stehe wie noch vor ein paar Wochen. Und ich schaue mir keine Filme und Dokumentationen über mich mehr an, in denen ich die Heldin bin. Das ist ein gutes Zeichen. Mit meiner Lebensgefährtin Sonja bin ich glücklich wiedervereint.
Beschäftigen Sie sich weiter mit Kunst?
Auch in Deutschland zeichne ich Bilder – es ist eine Art künstlerische Dokumentation. Es fühlt sich momentan gut an, einfach ausdrucksvoll zu zeichnen, ohne nachzudenken. Ohne Skizze, ohne Entwurf. Zuletzt habe ich meine Zelle in russischer Haft gezeichnet: Es gab dort fast nichts, ein Bett, ein Kissen, ein riesiges Fenster, und wenn man es öffnete, hörte man ein schreckliches Geräusch von einem Generator. Deshalb habe ich das Fenster immer wieder zugemacht, um nicht verrückt zu werden. In einem anderen Bild habe ich mein erstes Gefühl von Freiheit gemalt, das ich hatte, als ich zum Flugzeug ging, um ausgeflogen zu werden.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Neben der bildenden Kunst entwickle ich musikalische Ideen. Musik ist für mich immer mit Gefühlen verbunden und damit, wie mein Zustand gerade ist. Ich habe eine Menge Material aus dem Gefängnis mitgebracht, Erzählungen und Texte, die ich gerne zu Gehör bringen würde, und sei es nur, weil die Mädchen im Gefängnis mir gesagt haben, dass es absolut notwendig sei, dies zu tun. Ich werde irgendwann eine Performance machen, improvisieren, Gitarre und Flöte spielen, und dabei über das Gefängnis sprechen, Texte vorlesen, erzählen. Und ich suche Leute, mit denen ich gemeinsam Musik machen kann. Aber im Moment fühle ich mich noch nicht stark genug, um das alles anzugehen.
Was sehen Sie als Ihre neue Aufgabe?
Meine Aufgabe ist es, den Menschen zu danken, die an meiner Befreiung beteiligt waren. Das ist meine Mission, denn sehr viele Menschen haben viel getan, um mir die Freiheit und das Leben zu schenken. Das Mindeste, was ich tun kann, ist einfach Danke zu sagen. Ich bin nicht in Deutschland, weil ich eine politische Figur bin. Nein, ich bin hier, weil meine Freunde, meine Familie, meine Freundin Sonja, Amnesty International und ich selbst daran gearbeitet haben, meine Geschichte in die Medien zu bringen und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das war auch mein Plan. Ich habe mir immer wieder gesagt: Ich sitze nicht im Gefängnis, sondern ich befreie mich aus dem Gefängnis, aber das dauert. Es hätte auch einen anderen Weg gegeben: Ich hätte mich schuldig bekennen können und wäre in diesem Fall auf Bewährung entlassen worden.
Was können und was wollen Sie über die Haft erzählen?
Die Frauen im Gefängnis können nur eine einzige Botschaft an die Außenwelt senden: "Hier ist alles in Ordnung." Anderenfalls werden sie bestraft. Sie werden nicht geschlagen, zumindest habe ich das nicht gehört oder gesehen, aber sie sind starkem Druck ausgesetzt. Es wird gedroht, sie in eine andere Zelle zu verlegen, in der die Bedingungen schlechter und die Mitinhaftierten aggressiver sind. Wenn du dich am Telefon beschwerst und die Wärterinnen das mitbekommen, dann heißt es schnell, die ganze Zelle bekomme ein Anrufverbot und alle Frauen in der Zelle würden dich hassen.
Gibt es in Haft keine Hoffnung?
Ohne Humor kann man im Gefängnis nicht überleben. Ich will bewusst vermeiden, so über politische Gefangene zu sprechen wie einige Medien es machen – immer nur zu erklären, dass es den Gefangenen schlecht und schlechter geht, dass es immer schlimmer wird. So ist es nicht. Selbst depressive Gefangene haben ihre Momente der Freude. Meine Hauptaufgabe ist es, dass die Menschen auch davon erfahren. Es gibt Hoffnung, es kann sich etwas zum Besseren ändern. Neben den berührenden, schönen, menschlichen Momenten müssen die grausamen Ereignisse selbstverständlich benannt werden, denn auch die gibt es ja zuhauf. Beides, das Schlechte und das Gute, gehört zusammen, und beides muss auch nach außen vermittelt werden.
Wie sehen hoffnungsvolle Momente im Gefängnis aus?
Wir haben im Gefängnis gespielt. Das Einzige, was du hast, ist ein Hof aus Beton, drei mal fünf Meter groß. Das ist schrecklich. Also haben meine Zellengenossin und ich etwas erfunden. Wir haben eine Kugel aus einem Deoroller geholt und sie auf der Bank im Hof mit zwei Büchern hin und her geschlagen. Es war eine Mischung aus Badminton und Tischtennis. Das hat Spaß gemacht. Es hat auch allen anderen Spaß gemacht, die zugeschaut haben. Wenn man eine Katze füttert, spürt man Freude. Wenn man beobachtet, wie andere Frauen Katzen füttern, freut man sich selbst auch. Und es hat mir viel Kraft gegeben, als ich plötzlich das Amnesty Journal auf meinem Handy hatte, in dem meine Geschichte erzählt wurde und meine Bilder gezeigt wurden (Amnesty Journal Ausgabe 03/24).
Welches Bild haben Sie vor Augen, wenn Sie an Russland denken?
Ich stelle mir einen riesigen, kalten Kosmos vor mit grauen Figuren, von denen irgendwelche Kabel herunterhängen. Polygone und Müllhalden, irgendwelche Dörfer und Paläste, die nebeneinander existieren. Und das geht endlos weiter.