Seit 50 Jahren "verschwunden"

Hwang Won in der Hocke mit seinen zwei kleinen Kindern

Hwang Won und seine beiden Kinder, links sein Sohn Hwang In-cheol

Hwang Won kam am 11. Dezember 1969 nach Nordkorea – an Bord eines entführten Flugzeugs. Seitdem verweigern die nordkoreanischen Behörden dem ehemaligen Fernsehproduzenten die Rückkehr in seine Heimat. Seine Familie stellte zahlreiche Anfragen zu seinem Verbleib und seinem Gesundheitszustand, eine Antwort steht jedoch seit 50 Jahren aus. Anlässlich des bevorstehenden Besuchs des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un in Seoul ist es nun an den südkoreanischen Behörden, Nordkorea zum Handeln zu bewegen.

Appell an

President of the Republic of Korea

Moon Jae-in

1 Cheongwadae-ro

Jongno-gu, Seoul 03048

REPUBLIK KOREA

Sende eine Kopie an

Minister für Wiedervereinigung

Minister Cho Myoung-Gyon


Ministry of Unification

209 Sejong-daero

Jongno-gu, Seoul

REPUBLIK KOREA


(Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)

Fax: (00 82) 2 2100 5759

Botschaft der Republik Korea

S.E. Herr Bum Goo Jong

Stülerstraße 10, 10787 Berlin

Fax: 030-2 60 65 51

E-Mail: koremb-ge@mofa.go.kr

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie auf, sich bei Kim Jong-un und den zuständigen nordkoreanischen Behörden dafür einzusetzen, dass die Fälle von Hwang Won und den anderen Entführten, die gegen ihren Willen in Nordkorea festgehalten werden, umgehend untersucht werden. Informationen zu ihrem Verbleib dürfen nicht weiter zurückgehalten werden.
  • Drängen Sie bitte darauf, dass das Recht der Betroffenen nach Südkorea zurückzukehren, respektiert wird, wenn sie es wünschen.
  • Außerdem möchte ich Sie bitten, die Verfahren zu den innerkoreanischen Familienzusammenführungen zeitnah zu überarbeiten. Die Verfahren der Familien, die durch Verschwindenlassen getrennt wurden (wie im Fall von Hwang Won) müssen von den Auswahlverfahren für die anderen Familienzusammenführungen abgetrennt werden. Es müssen wirksame Maßnahmen zur Wahrheitsfindung und Wiedergutmachung ergriffen werden.

Sachlage

Der Fernsehproduzent Hwang Won befand sich am 11. Dezember 1969 auf einem Flug von der südkoreanischen Stadt Gangneung in Richtung Seoul, als sein Flugzeug nach Nordkorea entführt wurde. Während 39 der verschleppten Passagiere im Februar 1970 nach Südkorea ausreisen durften, werden elf weitere, unter ihnen Hwang Won, weiterhin in Nordkorea festgehalten – seit fast 50 Jahren.

Nach dem Koreakrieg führten nordkoreanische Agent_innen illegale Operationen durch. Hwang Won ist einer von Hunderten, die in diesem Zusammenhang "verschwunden" sind. Trotz der zahlreichen Nachfragen seines Sohnes Hwang In-cheol weigern sich die nordkoreanischen Behörden, seinen Aufenthaltsort zu bestätigen. Sie teilen der Familie nicht einmal mit, ob er noch lebt oder nicht. Allerdings geht Hwang In-cheol trotzdem davon aus, dass sein Vater noch am Leben ist: Eine Kontaktperson, die Geflüchtete aus Nordkorea unterstützt, hat ihm in den vergangenen Jahren immer wieder entsprechende Hinweise weitergeleitet.

Stimmen diese, ist Hwang Won inzwischen 82 Jahre alt. Der anstehende Besuch des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un in Seoul ist ein guter Anlass, das Verschwindenlassen von Hwang Won und den vielen anderen Betroffenen aus Südkorea zu thematisieren und auf ihre Freilassung zu drängen. Die Entführungen sind nicht nur eine Qual für die "Verschwundenen" selbst, sondern auch für deren Angehörige.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Durch den Koreakrieg (1950-53) wurden zahlreiche Menschen vertrieben und viele Familien unfreiwillig getrennt. Seit dem Waffenstillstandsabkommen von 1953 leben sie auf beiden Seiten der innerkoreanischen Grenze. Durch das Abkommen wurde der Krieg zwischen den beiden koreanischen Staaten nicht beendet, formal dauert er nach wie vor an. Nordkorea hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Taktiken wie die Entführung und das Verschwindenlassen südkoreanischer oder anderer Staatsbürger_innen angewendet. 2002 gab die Regierung zwar die Entführung von 13 japanischen Staatsbürger_innen zu, doch ließ sie nur fünf von ihnen nach Japan ausreisen.

Viele der in Nordkorea Festgehaltenen sind gut ausgebildet, dies gilt auch für Hwang Won. Nach Angaben einer Kontaktperson, die Geflüchtete aus Nordkorea unterstützt, soll er in den staatlichen Sendeanstalten Nordkoreas tätig gewesen sein. Ehemalige nach Nordkorea Entführte berichten, dass den dorthin Verschleppten nicht nur verweigert wird, das Land zu verlassen, sondern auch, sich innerhalb des Landes frei zu bewegen. Den meisten von ihnen droht Folter oder eine andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Sie werden stärker als andere staatlich überwacht.

Im Jahr 2000 veröffentlichte das südkoreanische Ministerium für Wiedervereinigung eine Liste mit 516 Personen, die seit dem Waffenstillstand von 1953 im Zuge mutmaßlicher Entführungen nach Nordkorea "verschwunden" sind. Im gleichen Jahr wurde ein Gesetz verabschiedet, das eine klare Unterscheidung zwischen "Vertriebenen" und "Entführten" vorsieht. Die Regierung setzt dieses allerdings nur zögerlich um. So stehen Hwang In-cheol und sein Vater zwar auf der Liste der Familien, die durch die innerkoreanische Grenze getrennt wurden. Sie gelten als "Vertriebene" und dürfen somit am Auswahlverfahren für die kurzen Familienzusammenführungen teilnehmen, die von den beiden koreanischen Regierungen gemeinsam organisiert werden. Doch weder die nord- noch die südkoreanische Regierung haben viel dafür getan, um die Situation von Hwang Won seit seiner Entführung zu klären.

Die Familienzusammenführungen finden nur selten statt, sie sind stark von der politischen Lage abhängig. Von den mehr als 60.000 Familien, die dafür in Frage kämen, werden pro Treffen nur etwa 100 ausgewählt. Aus dem Flugzeug, mit dem auch Hwang Won entführt worden war, hat nur eine Frau ihre Familie wiedergesehen. Die Chance, dass sich Hwang In-cheol auf einem dieser arrangierten Treffen Gewissheit über den Verbleib seines Vaters verschaffen kann, ist somit äußerst gering.