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Arzt aus dem Gefängnis "verschwunden"
Der schwedisch-iranische Arzt Dr. Ahmadreza Djalali wurde im Oktober 2017 im Iran zum Tode verurteilt. Diese Archivaufnahme zeigt ihn mit seiner Familie.
© private
Der iranisch-schwedische Arzt Dr. Ahmadreza Djalali ist verschwunden, seitdem ihn die iranischen Behörden am 29. Juli aus dem Teheraner Evin-Gefängnis an einen unbekannten Ort bringen ließen. Er steht unter Druck, neue Verbrechen zu "gestehen", und wurde mit der Vollstreckung seines Todesurteils bedroht, sollte er dies nicht tun.
Appell an
Ebrahim Raisi
Head of the Judiciary
c/o Permanent Mission of Iran to the UN
Chemin du Petit-Saconnex 28
1209 Genf, SCHWEIZ
Sende eine Kopie an
Botschaft der Islamischen Republik Iran
Herr Ali Akbar Dabiran, Botschaftsrat (Geschäftsträger a.i.)
Podbielskiallee 65-67, 14195 Berlin
Fax: 030 – 83-222-9133
E-Mail: info@iranbotschaft.de
Amnesty fordert:
- Ich bitte Sie eindringlich, unverzüglich Auskunft über den Verbleib von Dr. Ahmadreza Djalali zu geben, ihn aus der Einzelhaft zu verlegen und ihm zu gestatten, Besuch von seiner Familie und seinem Rechtsbeistand zu empfangen.
- Außerdem fordere ich Sie auf, das gegen Dr. Ahmadreza Djalali verhängte Todesurteil aufzuheben und den Forderungen der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen nachzukommen, ihn umgehend freizulassen und ihm ein einklagbares Recht auf Entschädigung zu gewähren.
Sachlage
Der iranisch-schwedische Arzt und Akademiker Ahmadreza Djalali wurde am 29. Juli 2019 ohne vorherige Benachrichtigung und mit verbundenen Augen aus dem Teheraner Evin-Gefängnis an einen unbekannten Ort gebracht. Die iranischen Behörden haben seiner Familie und seinem Rechtsbestand bisher keine Angaben zu seinem Aufenthaltsort gemacht, was seinem Verschwindenlassen gleichkommt. Am 5. August erfuhr seine Familie durch einen informellen Regierungskontakt außerhalb des Iran, dass er möglicherweise in einer geheimen Haftanstalt der Revolutionsgarden festgehalten wird.
Ahmadreza Djalali wurden mehrere kurze Telefonate mit seiner Familie gestattet. Dabei stellte sich heraus, dass er sich in Einzelhaft befindet und abermalig unter Druck steht, neue Straftaten zu "gestehen". Nach Angaben seiner Familie klang er bei diesen Telefonaten verzweifelt und sagte, die Behörden hätten gedroht, sein Todesurteil zu vollstrecken, falls er nicht "gestehen" sollte. Amnesty International geht davon aus, dass er seiner Familie keine weiteren Informationen gab, weil Sicherheitsbeamt_innen im Raum waren, so dass er nicht frei sprechen konnte. Amnesty International betont, dass die iranischen Behörden durch die Extraktion und Veröffentlichung erzwungener "Geständnisse" gegen das Recht, bis zum Nachweis einer Schuld als unschuldig zu gelten, sowie das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, verstoßen. Diese Rechte sind festgeschrieben im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dessen Vertragsstaat Iran ist.
Dr. Ahmadreza Djalali wurde im Oktober 2017 in einem grob unfairen Verfahren vor der Abteilung 15 des Teheraner Revolutionsgerichts wegen "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) zum Tode verurteilt. Amnesty International vertritt die Auffassung, dass der Straftatbestand der "Verdorbenheit auf Erden" die strafrechtlichen Erfordernisse der Rechtsklarheit und Genauigkeit nicht erfüllt und zudem dem Legalitätsprinzip und dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwiderläuft. Im August 2017 schrieb Dr. Ahmadreza Djalali einen Brief aus dem Evin-Gefängnis, in dem er angibt, von den iranischen Behörden nur deshalb inhaftiert worden zu sein, weil er sich geweigert hatte, seine akademischen Beziehungen zu europäischen Institutionen dafür zu nutzen, für den Iran zu spionieren. Am 9. Dezember 2018 erfuhren seine Rechtsbeistände, dass sein Todesurteil vor dem Obersten Gerichtshof summarisch bestätigt worden war, ohne dass sie die Möglichkeit hatten, Verteidigungsanträge im Namen ihres Mandanten einzureichen.
Hintergrundinformation
Das Verschwindenlassen ist die Festnahme, Inhaftierung, Entführung oder andere Form des Entzugs der Freiheit einer Person durch Staatsbedienstete oder Personen, die mit ihrer Genehmigung, Unterstützung oder Einwilligung handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen oder Auskunft über das Schicksal oder den Verbleib dieser Personen zu erteilen, in der Absicht, sie dem Schutz des Gesetzes zu entziehen. Das Verschwindenlassen stellt ein Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht dar und verstößt gegen eine Reihe von Menschenrechten, darunter das Recht auf Sicherheit und Würde der Person, das Recht, nicht gefoltert oder einer anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt zu werden, das Recht auf Leben und das Recht auf Familienleben.
Der in Schweden ansässige iranische Arzt Dr. Ahmadreza Djalali hielt sich aus beruflichen Gründen im Iran auf, als er am 26. April 2016 von Angehörigen des Geheimdienstministeriums festgenommen wurde. Er wurde sieben Monate lang im Evin-Gefängnis festgehalten und verbrachte drei Monate in Einzelhaft und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand. Seinen Angaben zufolge wurde er während dieser Zeit gefoltert und anderweitig misshandelt: Man habe ihn unter Druck gesetzt, ein "Geständnis" darüber abzulegen, dass er ein Spion sei. Zu diesem Zweck habe man ihm gedroht, ihn hinzurichten und seine in Schweden lebenden Kinder sowie seine im Iran lebende Mutter zu töten. Eigenen Angaben zufolge wurde er gezwungen, "Geständnisse" abzulegen, die auf Video aufgezeichnet wurden und bei denen er Stellungnahmen verlas, die von den Verhörbeamt_innen vorbereitet worden waren. Dr. Ahmadreza Djalali weist die Anschuldigungen von sich und bezeichnet sie als Erfindung der Behörden.
Im November 2017 forderte die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen den Iran auf, Dr. Ahmadreza Djalali unverzüglich freizulassen und ihm ein einklagbares Recht auf Entschädigung und andere Formen der Wiedergutmachung einzuräumen. Er war ohne Haftbefehl festgenommen worden, wurde erst zehn Monate nach seiner Festnahme angeklagt und war nach Meinung der Arbeitsgruppe "faktisch daran gehindert worden, sein Recht auf Anfechtung der Rechtmäßigkeit seiner Haft auszuüben". Die Arbeitsgruppe ist zudem der Ansicht, dass sein Recht auf ein faires Gerichtsverfahren so schwer verletzt wurde, dass der Freiheitsentzug als willkürlich bezeichnet werden kann.
Am 17. Dezember wurde das "Geständnis" von Dr. Ahmadreza Djalali von einem staatlichen Fernsehsender ausgestrahlt. In einem einschlägig aufbereiteten Programm wurde er als "Spion" dargestellt. Durch die Erlangung und Ausstrahlung des erzwungenen "Geständnisses" von Dr. Ahmadreza Djalali haben die iranischen Behörden gegen die Unschuldsvermutung verstoßen sowie gegen sein Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen. Dr. Ahmadreza Djalali hat seither bestätigt, dass es sich bei dem ausgestrahlten "Geständnis" um die Angaben handelt, die er unter Zwang gemacht hat und die gefilmt wurden, als er ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand in Einzelhaft gehalten wurde. Seit Dezember 2017 hat sein Rechtsbeistand mindestens zwei Anträge auf gerichtliche Überprüfung eingereicht. Der erste Antrag wurde zurückgewiesen und die Entscheidung über den zweiten Antrag, der im Januar 2019 eingereicht wurde, steht noch aus.
Dr. Ahmadreza Djalali wurde im Gefängnis wiederholt die fachärztliche Behandlung verweigert, die er dringend benötigt. Im vergangenen Jahr wurde bei drei verschiedenen Bluttests festgestellt, dass die Anzahl seiner weißen Blutkörperchen niedrig ist. Anfang 2019 empfahl ein Arzt, der ihn im Gefängnis untersuchte, dass Dr. Ahmadreza Djalali in einem Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses von Spezialist_innen der Hämatologie und Onkologie untersucht werden sollte. Die Behörden brachten Dr. Ahmadreza Djalali jedoch erst Mitte Juli 2019 ins Krankenhaus, als er schließlich einigen Bluttests unterzogen wurde. Ein Facharzt riet, ihn zur weiteren medizinischen Untersuchung erneut ins Krankenhaus zu bringen, was bisher jedoch noch nicht geschehen ist. Seit seiner Festnahme am 26. April 2016 ist sein Gewicht um 24 kg auf aktuell 51 kg gesunken (MDE 13/0359/2019).
Wenn sich Behörden weigern, Gefängnisinsass_innen medizinische Versorgung bereitzustellen und wenn ein solches Vorenthalten vorsätzlich geschieht und einer Person "große Schmerzen oder Leiden" zugefügt werden, um sie zu bestrafen, zu nötigen oder einzuschüchtern, ein "Geständnis" zu erlangen oder aus einem sonstigen auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, so ist dies mit Folter gleichzusetzen. Nähere Informationen zur Verweigerung der medizinischen Behandlung finden Sie in dem englischsprachigen Bericht Health care taken hostage: Cruel denial of medical care in Iran’s prisons vom 18. Juli 2016.