Immer noch unter Anklage

Schriftzug "Teilerfolg" auf grauem Hintergrund mit schwarzem Rahmen

Am 30. Dezember 2019 wurden in Nicaragua 91 Inhaftierte freigelassen, darunter auch 13 Aktivist_innen, die im November 2019 beim Verlassen einer Kirche in Masaya festgenommen worden waren. Die Aktivist_innen hatten eine Gruppe von Menschen im Hungerstreik, die die Freilassung ihrer Angehörigen forderten, mit Wasser versorgt. Die 13 Aktivist_innen sind jedoch nach wie vor angeklagt und müssen am 30. Januar vor Gericht erscheinen. Laut Angaben von Organisationen vor Ort befinden sich nach wie vor 65 Personen in Haft, die wegen ihrer Teilnahme an den Protesten im April 2018 festgenommen worden waren.

Appell an

Daniel Ortega Saavedra
Presidencia de la República

c/o Minister for Foreign Affairs
Del cine González 1 c. al Sur,
sobre Avenida Bolivar
Managua, NICARAGUA

Sende eine Kopie an

Botschaft der Republik Nicaragua
I. E. Frau Tatiana Daniela Garcia Silva
Werftstraße 2
10775 Berlin

Fax: 030 – 206 438 16
E-Mail: embajada.berlin@embanic.de

Amnesty fordert:

  • Sprechen Sie sich bitte dafür aus, dass alle Anklagen gegen die 13 Aktivist_innen fallengelassen werden. Auch die Anklagen gegen weitere Personen, die lediglich aufgrund der Wahrnehmung ihrer Grundrechte inhaftiert sind, müssen fallengelassen werden.
  • Bitte stellen Sie sicher, dass umgehend alle Personen freigelassen werden, die lediglich aufgrund der Wahrnehmung ihrer Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit inhaftiert sind.

 

Sachlage

Am 18. April 2018 brachen in Nicaragua landesweite Proteste aus. Seither verfolgt die nicaraguanische Regierung eine Strategie der Strafverfolgung und Kriminalisierung der Protestteilnehmer_innen. Laut Angaben lokaler Organisationen befinden sich trotz der kürzlich erfolgten Freilassung von 91 Personen immer noch 65 Menschen im Gefängnis. Die 13 Aktivist_innen, die festgenommen wurden, weil sie eine Gruppe von Menschen im Hungerstreik mit Wasser versorgt hatten, befinden sich zwar auf freiem Fuß, müssen sich allerdings trotzdem noch vor Gericht verantworten, da ihre Anklagen nicht fallengelassen wurden.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Nach einem Gesetzentwurf zu Reformen des Sozialversicherungssystems brachen in Nicaragua am 18. April 2018 zahlreiche Proteste aus. Die Reformpläne waren nicht mit der Bevölkerung diskutiert worden und fanden keine Zustimmung. Die Proteste wurden von den Behörden gewaltsam niedergeschlagen. Laut Angaben der Interamerikanischen Menschenrechtskommission wurden dabei 328 Personen getötet. Mehr als 2.000 Menschen erlitten Verletzungen. Nach Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen wurden darüber hinaus mehr als 700 Personen festgenommen. Etwa 300 im Gesundheitswesen Beschäftigte wurden entlassen und 144 Studierenden der öffentlichen Universität Universidad Nacional Autónoma de Nicaragua (UNAN) wurde der Studienplatz entzogen. Laut Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge sind bis August 2019 etwa 80.000 nicaraguanische Staatsangehörige ins benachbarte Ausland geflohen, 68.000 davon haben in Costa Rica Asyl beantragt. Mehr als 100 Journalist_innen und Medienschaffende sahen sich gezwungen, ins Exil zu gehen.

Die Regierung Nicaraguas ist ihrer im März 2019 gemachten Zusage bislang nicht nachgekommen, alle Gefangenen freizulassen, die sich seit dem 18. April 2018 lediglich aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung in Haft befinden. Am 8. Juni 2019 verabschiedete die nicaraguanische Nationalversammlung ein neues Amnestiegesetz. Drei Tage später wurden 56 Personen aus der Haft entlassen. Es gibt jedoch seitdem immer wieder Berichte über neue Repressalien. Am 16. Mai 2019 wurde der 57-jährige Eddy Montes, der über die nicaraguanische und US-amerikanische Staatsbürgerschaft verfügte, im Gefängnis La Modelo in Managua erschossen. Gemeinsam mit vielen weiteren Personen war er wegen seiner Beteiligung an den Demonstrationen im April 2018 festgenommen worden. Am 14. November 2019 nahm die nicaraguanische Polizei mindestens 13 Aktivist_innen beim Verlassen einer Kirche in Masaya fest und inhaftierte sie. Die Aktivist_innen hatten einer Gruppen von Menschen im Hungerstreik Wasser gebracht. Die Hungerstreikenden forderten die Freilassung ihrer bei den Protesten am 18. April 2018 inhaftierten Angehörigen.

Am 30. Dezember 2019 wurden 91 Inhaftierte, die im Nachgang der Proteste festgenommen worden waren, freigelassen – darunter auch die 13 Aktivist_innen. Laut der Regierung handelte es sich dabei um eine Geste der "nationalen Versöhnung". Unter den Freigelassenen war auch die 22-jährige studentische Aktivistin María Guadalupe Ruiz Briceño, die nach Angaben der Nicaraguanischen Initiative von Menschenrechtsverteidigerinnen (Iniciativa Nicaraguense de Defensoras de Derechos Humanos) und der rechtlichen Organisation Unidad de Defensa Jurídica am 13. Juli 2019 unter Einsatz von Gewalt von der Polizei festgenommen worden war.

In dem im Oktober 2018 veröffentlichten Bericht Instilling Terror kommt Amnesty International zu dem Schluss, dass die nicaraguanische Regierung eine repressive Strategie verfolgte, die darauf beruhte, vermeintliche Gegner_innen zu kriminalisieren. Personen, die gegen die Regierung protestierten, wurden als "Terroristen" und "Putschisten" abgestempelt, um ein entsprechend gewaltsames Vorgehen zu rechtfertigen. Immer wieder kommt es in Nicaragua zu Protesten, in denen die Menschen grundlegende Veränderungen fordern. Es ist über anderthalb Jahre her, seit die Regierung anfing, scharf gegen die Teilnehmer_innen der damaligen Proteste vorzugehen. Doch Amnesty International erhält nach wie vor Berichte über willkürliche Inhaftierungen und die Folterung von inhaftierten Personen. Einigen zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie z. B. der Menschenrechtsorganisation Centro Nicaragüense de los Derechos Humanos (CENIDH), wurde die Registrierung als juristische Person entzogen. Sie können nach wie vor nicht ungehindert ihrer Arbeit nachgehen, und auch Journalist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen werden weiterhin schikaniert. Die Regierung scheint immer noch die Strategie zu verfolgen, kritische Stimmen durch Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zum Schweigen bringen zu wollen.