In Haft wegen "Blasphemie"

Zeichnung von Symbolen der Religionen Christentum, Islam, Judentum und Hinduismus

Weil sie sich über die Lautstärke der Lautsprecher einer Moschee beschwert hatte, ist die Buddhistin Meiliana wegen "Blasphemie" zu 18 Monaten Haft verurteilt worden. Amnesty International betrachtet sie als gewaltlose politische Gefangene, die umgehend und bedingungslos freigelassen werden muss.

Appell an

Minister Yasonna Laoly

Ministry of Law and Human Rights

Jalan H.R. Rasuna Said Kav 6-7

Jakarta Selatan, DKI Jakarta     

INDONESIEN 12940

Sende eine Kopie an

Vorsitzender der Nationalen Menschenrechtskommission (Komnas HAM)

Ahmad Taufan Damanik

National Human Rights Commission


Jalan Latuharhary No. 4B

Jakarta Pusat, DKI Jakarta        

INDONESIEN 10310

Fax: (00 62) 21 392 522 7

E-Mail: info@komnasham.go.id

Botschaft der Republik Indonesien

S. E. Herrn Arif Havas Oegroseno


Lehrter Straße 16-17

10557 Berlin

Fax: 030-4473 7142


E-Mail: info@kbri-berlin.de oder

              info@botschaft-indonesien.de

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie Meiliana und auch alle anderen wegen "Blasphemie" verurteilten Personen umgehend und bedingungslos frei.
  • Stellen Sie zudem sicher, dass Meiliana und ihre Familie wirksam vor Gewalt und Gewaltandrohung geschützt werden.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass alle gesetzlichen Blasphemiebestimmungen, die den Rechten auf Meinungs-, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit zuwiderlaufen, aufgehoben oder abgeändert werden.

Sachlage

Am 21. August 2018 wurde die Buddhistin Meiliana vor dem Bezirksgericht Medan in der Provinz Nordsumatra wegen "Blasphemie" zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Sie war am 30. Mai festgenommen und inhaftiert worden. Später klagte man sie unter Paragraf 156(a) des indonesischen Strafgesetzbuches der "Blasphemie" an. Die Rechtsbeistände von Meiliana legten am 27. August Rechtsmittel vor dem Hohen Gericht in Medan ein.

Meiliana wird "Beleidigung des Islam" vorgeworfen, weil sie sich 2016 über die Lautstärke der Lautsprecher einer Moschee in der Nähe ihres Hauses in Tanjung Balai in der Provinz Nordsumatra beschwert hatte. Am Morgen des 22. Juli 2016 beklagte sich Meiliana bei einer Nachbarin darüber, dass die Moschee in den vergangenen acht Jahren zu laut geworden sei. Diese Aussage wurde später von einigen Anwohner_innen fälschlicherweise als grundsätzliche Beschwerde gegen den Gebetsruf (adzan) ausgelegt.

In der Folge versammelten sich am 29. Juli 2016 Dutzende aufgebrachte Nachbar_innen vor Meilianas Haus und forderten, sie vor Gericht zu stellen. Gemeinsam mit ihrer Familie wandte sich Meiliana an die Ortsverwaltung, um Schutz zu erbitten, doch die Behörden rieten ihr lediglich, sich beim Moscheenrat zu entschuldigen und am besten umzuziehen, wenn sie sich durch den Lautsprecher der Moschee gestört fühle. Dann rief die Ortsverwaltung die Polizei, um Meiliana und ihre Familie auf die örtliche Polizeiwache bringen zu lassen. Dort hielt man Meiliana 22 Tage lang fest, bevor sie ohne Anklage wieder freigelassen wurde.

Seit Anfang 2017 haben zahlreiche lokale muslimische Organisationen wiederholt gefordert, strafrechtliche Ermittlungen wegen "Blasphemie" gegen Meiliana einzuleiten. Im März 2018 wurde sie schließlich von der Polizei in Tanjung Balai offiziell der "Blasphemie" verdächtigt, und zwei Monate später wurde sie von der örtlichen Staatsanwaltschaft festgenommen und inhaftiert. Blasphemiegesetze werden in Indonesien – einem Land mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung – häufig angewendet, um die Rechte auf Meinungs- und Religionsfreiheit zu unterdrücken. Meiliana ist die fünfte Person, die 2018 in Indonesien wegen des Vorwurfs der "Blasphemie" verurteilt wurde.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 29. Juli 2016 versammelten sich Dutzende Personen vor Meilianas Haus und beschädigten es mutwillig. Dann zog die Menge durch die Straßen und zerstörte, u. a. durch Brandstiftung, mindestens acht buddhistische Gebäude, darunter Andachtsstätten, ärztliche Kliniken und Bürogebäude. In der Folge wurden acht Personen vor dem Bezirksgericht von Tanjung Balai wegen Verwüstung und Brandstiftung zu ein bis vier Monaten Haft verurteilt.

Die Blasphemiebestimmungen des Paragrafen 156(a) des Strafgesetzbuchs kriminalisieren "jede Person, die in der Öffentlichkeit absichtlich Gefühle ausdrückt bzw. an Aktivitäten beteiligt ist, die einer in Indonesien praktizierten Religion prinzipiell feindlich gegenüberstehen und als Beleidigung oder Diffamierung dieser Religion betrachtet werden". Diese gesetzlichen Bestimmungen werden zur strafrechtlichen Verfolgung und zur Verhängung von Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren gegen Personen genutzt, die lediglich friedlich ihre Rechte auf Meinungs-, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit wahrnehmen. Diese Rechte sind in internationalen Menschenrechtsverträgen verbrieft, deren Vertragsstaat Indonesien ist.

Das Blasphemiegesetz (Präsidialdekret Nr. 1/PNPS/1965) und der Paragraf 156(a) des Strafgesetzes wurden 1965 verabschiedet. Zwischen 1965 und 1998 wurden lediglich etwa zehn Personen gemäß diesen Bestimmungen angeklagt. In diese Zeitspanne fällt die Amtszeit von Präsident Suharto, in der das Recht auf freie Meinungsäußerung stark eingeschränkt war. Für den Zeitraum von 2005 bis 2014 hat Amnesty International mindestens 106 Fälle dokumentiert, in denen Personen unter den Blasphemiegesetzen angeklagt und verurteilt wurden.

Basuki Tjahaja Purnama, der ehemalige Gouverneur von Jakarta, besser bekannt unter dem Namen "Ahok", wurde am 9. Mai 2017 vor dem Bezirksgericht von Nord-Jakarta wegen "Blasphemie" zu zwei Jahren Haft verurteilt. Dem christlichen Gouverneur wurde vorgeworfen, in einem Online-Video "den Islam beleidigt" zu haben. Die Vorwürfe wurden laut, nachdem Ahok ankündigte, 2017 erneut als Gouverneur von Jakarta zu kandidieren. Weitere Informationen hierzu finden Sie in der UA-106/2017, online unter: https://www.amnesty.de/urgent-action/ua-106-2017/gouverneur-haft. Ein weiterer gewaltloser politischer Gefangener, Alnoldy Bahari, ist wegen Facebook-Posts zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil diese als Beleidigung des Islams erachtet wurden, und weil er gemäß dem repressiven Gesetz über Elektronische Informationen und Transaktionen "Hass" geschürt haben soll. Am 30. April 2018 wurde er vor dem Bezirksgericht Pandeglang in der Provinz Banten im Westen der Insel Java der "Blasphemie" für schuldig befunden und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Außerdem muss er eine Geldstrafe in Höhe von 100 Millionen indonesischen Rupiah zahlen, das entspricht knapp 6.000 Euro. Weitere Informationen hierzu finden Sie in der UA-086/2018, online unter: https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/5-jahre-haft-fuer-facebo….

Laut internationalen Menschenrechtsnormen ist es Staaten durchaus gestattet, bestimmte Einschränkungen über die Ausübung der Meinungsfreiheit zu verhängen, wenn dies nachweislich nötig ist, um die Rechte anderer zu schützen. Allerdings darf dieses Recht in keinem Fall dazu verwendet werden, um bestimmte Religions- und Glaubenssysteme vor Kritik zu schützen. Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit schützt die Rechte von Personen und Gruppen, nicht aber Religionen an sich oder die religiösen Gefühle von Anhänger_innen einer bestimmten Glaubensrichtung. Es besteht kein Recht darauf, einer Religion oder Glaubensrichtung anzugehören, die nicht von anderen kritisiert oder verspottet werden darf. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist auf jegliches Gedankengut anwendbar und gilt damit auch für Äußerungen, die als beleidigend ausgelegt werden könnten. Dementsprechend sind Gesetze, die die freie Meinungsäußerung auf dieser Grundlage einschränken, wie z. B. Gesetze über "Blasphemie" oder die Beleidigung von Religionen, mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht vereinbar und sollten daher aufgehoben werden.

Amnesty International hat die indonesischen Behörden in der Vergangenheit aufgefordert, alle gesetzlichen Blasphemiebestimmungen, die die Rechte auf Meinungs-, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit über Gebühr (also entgegen der internationalen Menschenrechtsnormen und -standards) einschränken, entweder aufzuheben oder so abzuändern, dass sie den menschenrechtlichen Verpflichtungen Indonesiens gerecht werden. Weitere Informationen finden Sie in dem englischsprachigen Amnesty-Bericht Indonesia: Prosecuting beliefs: Indonesia's blasphemy laws, online unter https://www.amnesty.org/en/documents/asa21/018/2014/en/.