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Brasilien: Gesetz bedroht Rechte indigener Bevölkerung
Diese Urgent Action ist beendet.
Nach einem zweijährigen Verfahren hat das Oberste Gerichtshof Brasiliens am 27. September die Stichtagsregelung für verfassungswidrig erklärt und das ursprüngliche Recht der indigenen Bevölkerung auf die ausschließliche Nutzung ihrer angestammten Gebiete bestätigt. Am selben Tag verabschiedete der Bundessenat im Eilverfahren die Gesetzesvorlage 2.903/2023, mit der versucht wird, die Stichtagsregelung dennoch gesetzlich zu verankern. Wir wenden uns nun auf anderem Wege an Präsident Lula, und fordern die Ablehnung dieses neuen Gesetzentwurfs.
Das brasilianische Parlament stimmte am 30. Mai dem Gesetzentwurf 2903/2023 zu, der nun in den kommenden Tagen im Senat debattiert wird. Das Gesetz würde die Ausweisung indigener Territorien begrenzen und die "Marco Temporal"-These legitimieren, nach der indigene Gemeinschaften nur dann Anspruch auf die Demarkierung ihrer Gebiete haben, wenn sich diese bereits bei der Verkündung der Verfassung im Jahr 1988 in ihrem Besitz befanden. Das Gesetzesprojekt beeinträchtigt die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen und zementiert die systemischen Menschenrechtsverletzungen, denen Indigene in Brasilien ausgesetzt sind. Amnesty International appelliert daher an den Senat, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Appell an
Senador Rodrigo Pacheco
Praça dos Três Poderes
Brasília DF - CEP 70165-900
BRASILIEN
Sende eine Kopie an
Botschaft der Föderativen Republik Brasilien
S. E. Herrn Roberto Jaguaribe Gomes De Mattos
Wallstraße 57
10179 Berlin
Fax: 030-726 283 20
E-Mail: brasemb.berlim@itamaraty.gov.br
Amnesty fordert:
- Ich appelliere dringend an Sie und alle Mitglieder des Senats, den Gesetzentwurf 2903/2023 abzulehnen.
Sachlage
Das brasilianische Parlament hat dem Gesetzentwurf 2903/2023 zugestimmt, mit dem das Indigenenstatut (Estatuto do Índio) reformiert werden soll, was u. a. eine Änderung der verfassungsrechtlich festgeschriebenen Demarkationsregeln für indigene Territorien nach sich ziehen würde. Das Gesetzesprojekt würde die "Marco Temporal"-These legitimieren, nach der indigene Gemeinschaften nur dann Anspruch auf die Demarkierung ihrer Gebiete haben, wenn sich diese bereits bei der Verkündung der Verfassung im Jahr 1988 in ihrem Besitz befanden.
Der Gesetzentwurf 2903/2023 bedroht die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen, insbesondere bezüglich Selbstbestimmung und angestammter Territorien. Die "Marco Temporal"-These, bei der es um den zeitlichen Rahmen der Gebietszuteilungen an Indigene geht, lässt außer Acht, dass indigene Gemeinschaften in Brasilien seit Jahrzehnten unter systemischen Menschenrechtsverletzungen leiden und kontinuierlich – auch schon vor 1988 – von ihrem Land vertrieben worden sind. Dies geschieht z. B. zum Zweck der Energieerzeugung, des illegalen Goldabbaus und des Straßenbaus durch Akteure wie die Regierung, Rancher*innen, landwirtschaftliche Konzerne und Goldschürfer*innen.
In Brasilien steht derzeit bei 285 Gebieten die Demarkierung aus, also ihre endgültige Anerkennung als indigenes Gebiet. Dies trägt dazu bei, dass Tausende Gemeinschaften nach wie vor gewaltsamen Landkonflikten ausgesetzt sind, bei denen laut der Indigenenrechtsorganisation CIMI (Conselho Indigenista Missionário) allein im Jahr 2022 insgesamt 176 Menschen getötet wurden.
Im Rahmen des Gesetzesvorhabens könnten zudem Waldabholzung, Landaneignungen und Gewalt gegen Indigene zunehmen, da abgeschlossene Demarkierungsprozesse rückgängig gemacht werden könnten. All dies stellt eine existenzielle Bedrohung für indigene Gemeinschaften in Brasilien dar.
Die Regierung hat die Indigenenrechte gemäß ihren Verpflichtungen unter dem Völkerrecht und der brasilianischen Verfassung zu schützen. Amnesty International fordert den Senat daher auf, die Gesetzesvorlage abzulehnen und sich damit für die brasilianische Bevölkerung, den Schutz indigener Gemeinschaften und den Erhalt fragiler Ökosysteme und der weltweit letzten Kohlenstoffsenken auszusprechen.
Hintergrundinformation
Im Jahr 1988 lebten zahlreiche Angehörige der Guarani Kaiowá, Avá Guarani und anderer indigener Gemeinschaften außerhalb ihrer angestammten Territorien, da diese Grundstücke von Rancher*innen, Großgrundbesitzer*innen und Goldschürfer*innen besetzt oder von der Regierung zur Bebauung vereinnahmt worden waren. Bei 285 indigenen Gebieten steht derzeit die Demarkierung aus, und im Jahr 2023 wurden bislang lediglich sechs Gebiete ausgewiesen.
Aufgrund des nur langsam voranschreitenden Demarkierungsprozesses kommt es immer wieder zu Landkonflikten, denen bereits Hunderte Indigene zum Opfer gefallen sind. Zwischen 2019 und 2022 wurde kein einziges indigenes Gebiet offiziell ausgewiesen. Laut Angaben der Indigenenrechtsorganisation CIMI wurden in diesem Zeitraum aufgrund von Landkonflikten mehr als 470 Indigene getötet – 176 allein im Jahr 2022.
Laut Angaben der staatlichen Indigenenbehörde FUNAI gibt es in Brasilien 734 indigene Territorien, die 117.537.905 Hektar umfassen, was 13,8% der Gesamtfläche Brasiliens ausmacht. Von diesen Gebieten sind 67,57% bereits als Schutzgebiete ausgewiesen bzw. homologiert, gut 32% befinden sich noch im Demarkierungsprozess, und 16% werden gerade erst geprüft, stehen also noch ganz am Anfang des Demarkierungsprozesses.