Bangladesch: Tausende Demonstrierende willkürlich inhaftiert

Das Foto zeigt einen jungen Mann, der sich eine Flagge umgehangen hat. Er steht vor einer demonstrierenden Menschenmenge, die mit Tränengas-Schwaden eingehüllt ist.

Einsatz von Tränengas gegen Protestierende am 17. Juli 2024 in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch.    

*** Update 8. August 2024: Arif Sohel, Sabir Rahman und viele andere Protestierende wurden freigelassen! Rony Sheikh und geschätzte 11.000 weitere Personen sind jedoch nach wie vor in Haft. Die Premierministerin von Bangladesh Sheikh Hasina ist am 5. August zurückgetreten. Nun ist eine Übergangsregierung formiert worden, die von Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus angeführt werden soll. Präsident Mohammed Shahabuddin hat ebenfalls angekündigt, dass alle, die während der jüngsten Proteste inhaftiert worden sind, freigelassen werden sollen. Bitte setzt euch weiter für sie ein! *** 
Arif Sohel, Rony Sheikh und Sabir Rahman sind drei der mehr als 10.000 Demonstrierenden und Passant*innen, die im Juli 2024 im Zuge des harten Vorgehens der Regierung gegen Protestierende festgenommen wurden. Nach Angaben der Familien der drei inhaftierten Schüler bzw. Studenten hatten weder sie noch die Rechtsbeistände Zugang zu ihnen erhalten. Die Familienangehörigen befürchten deshalb, dass sie in der Haft gefoltert oder misshandelt werden. Im Zuge des harten Vorgehens der Regierung wurden mehr als 200 Menschen getötet, darunter Journalist*innen und Passant*innen. Die Behörden von Bangladesch müssen die Massenfestnahmen unverzüglich beenden, alle Demonstrierenden freilassen, die nur wegen der Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind, und allen Inhaftierten das Recht auf ein faires Verfahren garantieren.

Appell an

Md Asaduzzaman
Attorney General of Bangladesh
Office of the Attorney General
Bangladesh Supreme Court area
Shahabagh, Dhaka-1000
BANGLADESCH

Sende eine Kopie an

Botschaft der Volksrepublik Bangladesch
S. E. Herrn Md Mosharraf Hossain Bhuiyan
Kaiserin-Augusta-Allee 111
10553 Berlin

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie Rony Sheikh und alle anderen Demonstrierenden, die nur wegen der Ausübung ihrer Menschenrechte unrechtmäßig inhaftiert wurden, unverzüglich frei.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass alle Demonstrierenden, die wegen einer erkennbaren Straftat festgenommen werden, ein schnelles und faires Verfahren erhalten.
  • Gewähren Sie den Familien und den Rechtsbeiständen der Inhaftierten unverzüglich Zugang und sorgen Sie dafür, dass der Aufenthaltsort jeder inhaftierten Person den Familienangehörigen unverzüglich mitgeteilt wird.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass niemand in der Haft gefoltert oder misshandelt wird.
  • Bitte sorgen Sie dafür, dass unverzüglich wirksame, unabhängige und unparteiische Untersuchungen der Todesfälle und Verletzungen während des Vorgehens der Sicherheitskräfte eingeleitet werden. Diejenigen, die für die unrechtmäßige Anwendung von Gewalt verantwortlich sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

Sachlage

Stand: 5. August 2024
Bei der jüngsten Niederschlagung der Proteste in Bangladesch wurden mehr als 200 Demonstrierende getötet und Tausende von Menschen verletzt. Darüber hinaus wurden Berichten zufolge in den vergangenen Wochen mehr als 10.000 Demonstrierende – Schüler*innen, Studierende, Oppositionelle – festgenommen oder willkürlich inhaftiert.

Zu den Inhaftierten gehören Arif Sohel, ein Studierendensprecher, der am 27. Juli festgenommen wurde, der 18-jährige Rony Sheikh, der am 22. Juli bei der Vorbereitung auf seine Prüfungen verhaftet wurde, und Sabir Rahman, ein weiterer Student, der am 18. Juli während der Proteste festgenommen wurde. Seine Familie hat erklärt, dass er in der Haft geschlagen worden sei. Die Hauptforderung dieser Proteste war ein gerechtes Verfahren für die Einstellung von Staatsbediensteten durch die Abschaffung der 30%-Quote für Nachkommen von Kriegsveteranen.

Während Sabir Rahmans Mutter ihn kurz sah, als er zum Gericht gebracht wurde, haben Arif Sohel und Rony Sheikh seit ihrer Festnahme weder ihre Familienangehörigen noch ihre Rechtsbeistände getroffen. Die damalige Ausgangssperre verhinderte, dass die Familien auch nur den Versuch unternahmen, bei der Polizei nachzufragen, ob sie ihr Familienmitglied besuchen könnten. Arif Sohel soll nach der Festnahme fast 40 Stunden lang keine angemessene Nahrung erhalten haben, und sein Aufenthaltsort war seiner Familie fast 36 Stunden lang nicht bekannt. 

Gegen Arif Sohel und Sabir Rahman wurde Anklage erhoben, weil sie durch illegale Handlungen die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken versetzt und Leben gefährdet haben sollen. Rony Sheikh wurde in einer Sammelklage aufgeführt und wegen rechtswidriger Versammlung, Angriff mit Tötungsabsicht und Körperverletzung angeklagt. Den Familien zufolge ist es für die Rechtsbeistände schwierig, Zugang zu den Studierenden zu erhalten, die sie vertreten. Das Recht, sich friedlich zu versammeln, ist ein Menschenrecht, und diese Massenfestnahmen und willkürlichen Inhaftierungen von Demonstrierenden stellen eine alarmierende Verletzung dieses Rechts dar.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Stand 5. August: Seit dem 1. Juli 2024 kommt es in Bangladesch zu weitreichenden Protesten, nachdem bei der Vergabe von Stellen im öffentlichen Dienst eine umstrittene 30-Prozent-Quote für Nachkommen von Veteranen des Unabhängigkeitskrieges wieder eingeführt wurde. Diese Quote, die bereits 2018 aufgrund ähnlicher Proteste abgeschafft wurde, wird von vielen, insbesondere von Studierenden, als unverhältnismäßige Begünstigung der Anhänger*innen der Regierungspartei angesehen. Die zunächst weitgehend friedlichen Proteste schlugen in Gewalt um, nachdem Demonstrierende am 15. Juli an der Universität von Dhaka und anderen Einrichtungen angegriffen worden waren, Berichten zufolge von Mitgliedern der der Regierungspartei nahestehenden Bangladesh Chatra League (BCL). Bei diesen Angriffen wurden Stangen, Stöcke, Ziegelsteine und Schusswaffen eingesetzt, was zu zahlreichen Verletzten führte und die Spannungen im ganzen Land verschärfte. Die Behörden haben seitdem Tausende von Demonstrierenden festgenommen.

Arif Sohel ist Student an der Jahangirnagar-Universität in Dhaka. Er wurde am 27. Juli von einer Gruppe in Zivilkleidung entführt. Sein Aufenthaltsort war fast 36 Stunden lang nicht bekannt, und seine Familie durfte ihn bislang nicht sehen. Seine Freund*innen geben an, er sei nicht in der Nähe des Ortes gewesen, an dem sich der Vorfall ereignete, an dem er laut Anklageprotokoll der Polizei beteiligt gewesen sein soll. Nach Angaben seiner Freund*innen sind die Anschuldigungen gegen ihn falsch und er ist aufgrund seiner Rolle als Organisator der Proteste ins Visier genommen worden. 

Der 18-jährige Rony Sheikh befand sich mitten in den Vorbereitungen für seine Abschlussprüfung der weiterführenden Schule, als er festgenommen wurde. Nach Angaben seiner Familie suchten ihn Angehörige der Behörden in seinem gemieteten Zimmer auf, überprüften sein Mobiltelefon und nahmen ihn fest, da er Videos von den Protesten auf seinem Mobiltelefon hatte. Er hatte noch keinen Kontakt zu seinem Rechtsbeistand oder seiner Familie. Sabir Rahman studiert im vierten Jahr Stadtplanung an der Jahangirnagar-Universität. Er wurde tagsüber, kurz vor Mittag, während der Proteste festgenommen. Zusammen mit anderen protestierte er vor der Universität. Seine Mutter durfte ihn seit seiner Festnahme am 18. Juli einmal für 10 Minuten sehen. Sie sah Spuren von Schlägen an seinem Körper.

Die Lage verschlechterte sich am 19. Juli weiter. Allein an diesem Tag töteten die Sicherheitskräfte bei ihrer Operation 75 Menschen. Die Regierung setzte Militär und paramilitärische Kräfte wie das Rapid Action Battalion (RAB) und die Border Guards Bangladesh (BGB) ein und verhängte eine landesweite Internetsperre sowie eine Ausgangssperre, bei der auf jede Person geschossen wurde, die sich draußen aufhielt. Amnesty International hat mehrere Fälle rechtswidriger Gewaltanwendung untersucht, darunter den Tod von Abu Sayed, einem 25-jährigen Studenten, der von Polizisten aus einer Entfernung von 15 Metern erschossen wurde, obwohl er keine Gefahr darstellte. Die Dhaka Metropolitan Police (DMP) eskalierte die Situation weiter, indem sie alle Kundgebungen und Demonstrationen in der Hauptstadt verbot, was zu einem noch aggressiveren Vorgehen der Sicherheitskräfte führte, einschließlich des unrechtmäßigen Einsatzes von Tränengas, Gummigeschossen, Schallgranaten und Sturmgewehren.

Bis zum 31. Juli 2024 wurden mehr als 200 Menschen getötet (die Regierungsstatistik spricht von 145), Tausende verletzt und über 10.000 festgenommen. Die meisten von ihnen wurden in Massenverfahren angeklagt. Medienberichten zufolge wurden die Massenfestnahmen von verschiedenen Sicherheitskräften durchgeführt, die die Internetverbindung in den von ihnen durchsuchten Vierteln abschalteten und in die Häuser gingen, um die Studierenden festzunehmen. Drei Studierende, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, wurden genötigt, das Krankenhaus zu verlassen, und dann in Gewahrsam genommen. Der Justizminister erklärte jedoch in einer Stellungnahme, dass diese Studierenden zu ihrer eigenen Sicherheit in Gewahrsam genommen wurden. 

Das internationale Recht ist eindeutig, wie die Strafverfolgungsbehörden reagieren sollten, wenn bestimmte Demonstrierende gewalttätig werden. Laut der Allgemeinen Bemerkung Nr. 37 des UN-Menschenrechtsausschusses über das Recht auf friedliche Versammlung können die Teilnehmenden einer Versammlung nicht für einzelne Gewalttaten einiger weniger Demonstrierender verantwortlich gemacht werden. Selbst wenn eine Person ein gewalttätiges Verhalten an den Tag legt (wodurch sie nicht in den Schutzbereich des Rechts auf friedliche Versammlung fällt), müssen ihre anderen Rechte geschützt werden. Es ist von größter Bedeutung, dass die rechtswidrige Anwendung von Gewalt durch die Sicherheitskräfte untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. 

Diese Krise unterstreicht ein breiteres Muster der Unterdrückung in Bangladesch, wo Gesetze wie das Gesetz über die digitale Sicherheit von 2018 (Digital Security Act) und sein Nachfolger, das Cybersicherheitsgesetz von 2023 (Cyber Security Act), dazu dienen, abweichende Meinungen und freie Meinungsäußerungen zu unterdrücken. Das Eingreifen der internationalen Gemeinschaft ist von entscheidender Bedeutung, um die Regierung von Bangladesch zur Einhaltung ihrer Menschenrechtsverpflichtungen und zur Wiederherstellung des öffentlichen Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit zu drängen.