Amnesty Report Italien 06. Mai 2015

Italien 2015

 

Die italienische Marine rettete 2014 mehr als 170000 Flüchtlinge und Migranten aus Seenot, die in seeuntüchtigen Booten von Nordafrika aus nach Italien gelangen wollten. Die Entscheidung der Regierung, die Rettungsoperation Mare Nostrum Ende Oktober 2014 einzustellen, ließ befürchten, dass damit die Zahl der Flüchtlinge, die bei der Überfahrt ums Leben kommen, erheblich steigen könnte. Es gelang den italienischen Behörden nicht, für angemessene Bedingungen bei der Aufnahme der zahlreichen aus Seenot geretteten Flüchtlinge und Migranten zu sorgen. Roma wurden weiterhin diskriminiert, und Tausende von ihnen mussten in speziellen Lagern leben. Folter war weiterhin nicht als eigener Straftatbestand in das nationale Recht aufgenommen. Auch eine unabhängige nationale Menschenrechtsinstitution stand nach wie vor aus.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

2014 kamen mehr als 170000 Flüchtlinge und Migranten auf dem Seeweg nach Italien, darunter mehr als 10000 unbegleitete Minderjährige. Die große Mehrheit der Flüchtlinge und Migranten war in Libyen gestartet. Die italienische Marine rettete im Zuge der Operation Mare Nostrum bis Ende Oktober 156362 Menschen aus Seenot. Im November und Dezember wurden weitere 13668 Personen gerettet. Trotz Bemühungen der italienischen Behörden ertranken 2014 vermutlich mehr als 3400 Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Am 31. Oktober gab die Regierung das Ende der Operation Mare Nostrum bekannt. Sie wurde am 1. November von der kleineren Operation Triton der EU-Grenzschutzagentur Frontex abgelöst, die sich vor allem auf den Schutz der EU-Außengrenzen konzentriert. NGOs äußerten die Sorge, dass dadurch viele Menschenleben gefährdet würden.

Die Behörden hatten große Mühe, angemessene Aufnahmebedingungen für Zehntausende von Flüchtlingen und Migranten zu schaffen, die Sizilien und andere süditalienische Küstenregionen erreichten, darunter viele traumatisierte Schiffbrüchige und Tausende unbegleitete Minderjährige, die Schutz benötigten.

Die Untersuchung der Schiffskatastrophe am 11. Oktober 2013, als 111 km vor Lampedusa und 218 km vor Malta ein Kutter mit mehr als 400 meist aus Syrien stammenden Passagieren sank und etwa 200 Menschen ertranken, kam nicht voran. Es gab die Befürchtung, dass Versäumnisse der maltesischen und der italienischen Behörden die Rettungsmaßnahmen verzögert hatten.

Im Oktober 2014 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Sharifi und andere gegen Italien und Griechenland, durch die Abschiebung von vier unbefugt eingereisten afghanischen Staatsbürgern nach Griechenland habe Italien gegen das Verbot der Kollektivausweisung verstoßen und sie der Gefahr der Misshandlung und anderer Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Sie wären darüber hinaus von Folter und Tod bedroht gewesen, hätte Griechenland sie wiederum in ihr Herkunftsland abgeschoben.

Flüchtlinge und Asylsuchende, darunter auch Minderjährige, lebten in Italien weiterhin unter elenden Bedingungen.

Im April 2014 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Regierung dazu verpflichtet, den Straftatbestand "illegale Einreise und illegaler Aufenthalt" innerhalb von 18 Monaten abzuschaffen. Migranten, die nach einer vorherigen Ausweisung erneut einreisen, sollen jedoch weiterhin strafrechtlich belangt werden können. Am Jahresende galt "illegale Einreise und illegaler Aufenthalt" allerdings noch immer als Straftat.

Im September ermächtigte das Innenministerium die Polizei, Flüchtlingen und Migranten zur Identifizierung auch unter Zwang Fingerabdrücke abzunehmen. Kurz danach gab es Berichte über exzessive Gewaltanwendung bei der erkennungsdienstlichen Behandlung.

Im Oktober 2014 wurde mit einem neuen Gesetz die Höchstdauer der Abschiebehaft für Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus von 18 Monaten auf 90 Tage reduziert. In den Haftzentren für Abschiebehäftlinge herrschten weiterhin unannehmbare Bedingungen.

Arbeitsmigranten wurden nach wie vor ausgebeutet. Sie wurden häufig Opfer arbeitsrechtlicher Verstöße und hatten keine Möglichkeit, ihr Recht vor Gericht einzuklagen.

Diskriminierung von Roma

Tausende Roma-Familien lebten 2014 noch immer unter extrem schlechten Bedingungen in speziellen Lagern, allein in Rom waren es mehr als 4000. Die Nationale Strategie zur Integration der Roma (Strategia Nazionale d'Inclusione dei Rom, Sinti e Caminanti) wurde von der Regierung nicht umgesetzt. Dies galt vor allem im Hinblick auf angemessenen Wohnraum. Aus mehreren Städten trafen Berichte über rechtswidrige Zwangsräumungen von Roma-Siedlungen ein.

Die Europäische Kommission untersuchte, ob Italien gegen die EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse verstieß. Die Untersuchung bezog sich auf den Zugang der Roma zu angemessenem Wohnraum und war Ende 2014 noch nicht abgeschlossen.

Die Roma-Familien, die im Dezember 2013 aus dem offiziell genehmigten Lager La Cesarina in Rom umgesiedelt worden waren, damit ihre Unterkünfte saniert werden konnten, lebten noch immer unter unangemessenen Bedingungen in einer ausschließlich für Roma bestimmten Aufnahmeeinrichtung. Die Stadtverwaltung erklärte, die Familien würden nach Abschluss der Sanierungsarbeiten in das Lager zurückverlegt. Angemessene Ersatzunterkünfte wurden ihnen nicht zur Verfügung gestellt. Roma hatten in der italienischen Hauptstadt weiterhin keinen Anspruch auf eine Sozialwohnung.

Noch immer war ein Rundschreiben vom Januar 2013 in Kraft, wonach Roma-Familien, die in einem offiziell genehmigten Lager lebten, bei der Vergabe von Sozialwohnungen benachteiligt wurden. Vor dem Hintergrund der EU-Untersuchung zur Umsetzung der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse erklärte das städtische Wohnungsamt im Juni 2014, das Rundschreiben werde in einer Weise angewendet, die nicht diskriminierend sei.

Antiterrormaßnahmen und Sicherheit

Im Februar 2014 entschied das Verfassungsgericht, die Regierung könne in Fällen, die die nationale Sicherheit betreffen, nach freiem Ermessen die sogenannte Staatsgeheimnis-Doktrin anwenden. Der Kassationsgerichtshof, das höchste Organ der italienischen Rechtsprechung, bestätigte ein Urteil des Verfassungsgerichts und annullierte die Verurteilung hochrangiger Mitarbeiter des italienischen Geheimdienstes im Zusammenhang mit der Entführung von Usama Mostafa Hassan Nasr (bekannt als Abu Omar). Er war im Februar 2003 in Mailand auf der Straße entführt, an die CIA übergeben und nach Ägypten gebracht worden, wo man ihn folterte.

Im März bestätigte der Kassationsgerichtshof die Schuldsprüche gegen den ehemaligen CIA-Chef in Rom, Jeff Castelli, den ehemaligen CIA-Chef in Mailand, Robert Seldon Lady, und einen weiteren CIA-Mitarbeiter wegen der Entführung von Abu Omar. Das Gericht befand, dass die CIA-Mitarbeiter nicht durch diplomatische Immunität geschützt seien. Insgesamt waren im Fall Abu Omar 26 US-Staatsbürger in Abwesenheit schuldig gesprochen worden.

Folter und andere Misshandlungen

Versuche, Folter als Straftatbestand ins italienische Strafgesetzbuch aufzunehmen, scheiterten 2014 erneut. Damit verstößt Italien seit nunmehr 25 Jahren gegen seine Verpflichtungen nach dem UN-Übereinkommen gegen Folter.

Im November 2014 annullierte der Kassationsgerichtshof den Schuldspruch gegen Francesco Colucci, der Polizeipräsident von Genua war, als 2001 während des G8-Gipfels zahlreiche Demonstrierende gefoltert und misshandelt wurden. Colucci war wegen Meineids schuldig gesprochen worden, weil er versucht hatte, den damaligen Chef der italienischen Polizei, Gianni De Gennaro, und einen hohen Beamten einer Sondereinheit der Polizei von Genua zu decken. Da im Dezember 2014 Verjährung eintrat, war eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht mehr möglich.

Die italienischen Gefängnisse waren nach wie vor stark überbelegt, und die Haftbedingungen waren schlecht. Um der Überbelegung entgegenzuwirken, wurden im August 2013 und im Februar 2014 Rechtsvorschriften verabschiedet, die darauf abzielen, bei bestimmten Straftaten die Haftstrafen zu verkürzen und verstärkt Strafen ohne Freiheitsentzug zu verhängen. Außerdem wurde das Amt einer Ombudsperson für die Rechte von Häftlingen geschaffen. Italien reagierte mit diesen Maßnahmen auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der 2013 festgestellt hatte, dass die Unterbringung von Häftlingen unter extrem harten Bedingungen in überfüllten Zellen gegen das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verstoße.

Todesfälle in Gewahrsam

Obwohl in einzelnen Fällen Fortschritte zu verzeichnen waren, herrschte nach wie vor Besorgnis, dass Angehörige der Sicherheitskräfte, die für Todesfälle in Gewahrsam verantwortlich waren, aufgrund mangelhafter Ermittlungen und wegen Verfahrensfehlern nicht zur Rechenschaft gezogen würden.

Im April 2014 bestätigte das Berufungsgericht Perugia das Urteil gegen einen Gefängniswärter wegen Dokumentenfälschung und unterlassener Hilfeleistung. Dabei ging es um den Fall von Aldo Bianzino, der im Jahr 2007 zwei Tage nach seiner Inhaftierung in einem Gefängnis in Perugia gestorben war. Das Gericht bestätigte, dass die unmittelbar nach dem Todesfall eingeleiteten Ermittlungen fehlerhaft waren.

Im Fall von Giuseppe Uva, der 2008 in Varese wenige Stunden nach der Festnahme durch die Polizei in einem Krankenhaus gestorben war, begann im Juli 2014 ein Gerichtsverfahren gegen sieben Polizisten wegen Totschlags, rechtswidriger Festnahme und Amtsmissbrauchs. Im Oktober 2013 hatte ein Gericht den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einstellung des Verfahrens abgelehnt und eine Wiederaufnahme der Ermittlungen angeordnet. Gerichtsmedizinische Untersuchungen im Dezember 2011 hatten ergeben, dass Uva möglicherweise vergewaltigt und misshandelt worden war.

Im Oktober 2014 sprach das Berufungsgericht Rom Ärzte, Krankenschwestern und Polizisten, denen im Zusammenhang mit dem Tod von Stefano Cucchi Totschlag zur Last gelegt worden war, aus Mangel an Beweisen frei. Cucchi war im Jahr 2009 eine Woche nach seiner Festnahme in der Häftlingsabteilung eines römischen Krankenhauses gestorben. Die Todesursache konnte nicht zweifelsfrei ermittelt werden. Nach Ansicht seiner Familie waren Anzeichen für Misshandlungen heruntergespielt worden.

Rechtliche Entwicklungen

Italien versäumte es 2014 erneut, eine unabhängige nationale Menschenrechtsinstitution gemäß den Grundsätzen zum Status nationaler Institutionen (Pariser Grundsätze) einzurichten, obwohl sich das Land wiederholt dazu verpflichtet hat.

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