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Naher Osten und Nordafrika 2009
Unmittelbar vor Jahresende bombardierten israelische Kampfflugzeuge am 27. Dezember 2008 den Gazastreifen.
In dem Gebiet, das zu den am dichtesten besiedelten der Welt gehört, leben 1,5 Mio. Palästinenser. In den darauffolgenden drei Wochen kamen mehr als 1300 Palästinenser ums Leben, darunter mindestens 300 Kinder, Tausende Menschen wurden verletzt. Die israelischen Streitkräfte verstießen wiederholt gegen das humanitäre Völkerrecht, indem sie Zivilisten und zivile Gebäude gezielt angriffen. Gegen militante Palästinenser gerichtete Angriffe forderten einen unverhältnismäßig hohen Tribut an zivilen Opfern.
Zur Rechtfertigung der Angriffe erklärte Israel, man wolle die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppierungen davon abhalten, Städte und Dörfer im südlichen Israel mit Raketen anzugreifen. 2008 starben sieben israelische Zivilisten durch selbst gefertigte und wahllos abgefeuerte Geschosse oder andere Angriffe von Palästinensern aus dem Gazastreifen. Drei israelische Zivilisten kamen während des dreiwöchigen Konflikts ums Leben.
Dem plötzlichen Ausbruch der Feindseligkeiten ging eine ununterbrochene Blockade des Gazastreifens durch die israelische Armee über 18 Monate voraus. Die Bewegungsfreiheit der Einwohner sowie die Ein- und Ausfuhr von Gütern waren komplett unterbunden, was einer humanitären Katastrophe Vorschub leistete. Das Wirtschaftsleben kam fast vollständig zum Erliegen, weshalb immer mehr Palästinenser von internationalen Hilfslieferungen abhängig wurden. Nicht einmal schwerstkranke Patienten durften das Gebiet verlassen, um medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, die ihnen die Krankenhäuser des Gazastreifens aufgrund fehlender Ausstattung und Medikamente nicht bieten konnten.
Das jüngste Blutvergießen machte einmal mehr das hohe Ausmaß an Unsicherheit in der Region deutlich. Es zeigte auch, dass die militärischen Kräfte beider Seiten sich nicht an die Grundprinzipien des humanitären Völkerrechts halten, wie die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten oder die Verhältnismäßigkeit militärischer Einsätze. Beide Seiten, aber auch die internationale Gemeinschaft, scheiterten erneut daran, den langen, bitteren Konflikt zu beenden, Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit herzustellen sowie allen Menschen in der Region ein Leben in Würde zu ermöglichen, wie dies ihr Menschenrecht ist.
Mangelnde Sicherheit
Im Nahen Osten und in Nordafrika herrschte weiterhin ein Klima politischer Unsicherheit. Dazu trugen die andauernden Kämpfe zwischen Israelis und Palästinensern bei, aber auch die Präsenz der US-Streitkräfte im Irak sowie Befürchtungen bezüglich des iranischen Atomprogramms. Auch offensichtliche Differenzen zwischen Islamisten und Befürwortern eines säkularen Staates sowie Widersprüche zwischen kulturellen Traditionen und steigenden Erwartungen der Menschen spielten eine Rolle. Im Zuge der globalen Finanzkrise verstärkte sich außerdem die wirtschaftliche und soziale Unsicherheit. Preissteigerungen bei Lebensmitteln trafen jene am härtesten, die bereits in Armut oder unter prekären Bedingungen lebten. Dies führte z.B. in Ägypten zu Streiks und Protesten von Angestellten im privaten und im öffentlichen Sektor, aber auch in Tunesiens phosphatreicher Provinz Gafsa kam es zu monatelangen Unruhen. In zahlreichen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas lebten viele Menschen in extremer Armut am Rande der Gesellschaft. Insbesondere die verarmte ländliche Bevölkerung und die Einwohner der dicht bevölkerten städtischen Elendsviertel konnten ihre grundlegenden Rechte auf angemessenen Wohnraum, medizinische Versorgung, Bildung und Arbeit kaum wahrnehmen. Auch fehlte es ihnen an Möglichkeiten, um ein besseres Leben und mehr Rechte für sich und ihre Familien zu erreichen.
Obwohl die Medien viel seltener über den Krieg im Irak berichteten, blieb das Leben von Millionen Menschen davon weiterhin stark beeinträchtigt. Daran änderte auch die erfreuliche Tatsache nichts, dass es 2008 weniger Angriffe auf Zivilisten gab. Die allgegenwärtige Konfliktsituation hinderte viele Menschen im Irak daran, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und eine sichere Zukunft für ihre Familien aufzubauen. Mehr als 2 Mio. Menschen waren nach wie vor innerhalb des Landes vertrieben, weitere 2 Mio. Flüchtlinge hielten sich im Ausland auf, hauptsächlich in Syrien und Jordanien. Religiös und ethnisch motivierte Gewalt trug weiterhin zur Spaltung der Gesellschaft bei und beeinflusste den Alltag. Bewaffnete Gruppen, die in Opposition zur Regierung standen, verübten Selbstmordattentate und Bombenanschläge. Ziel waren häufig stark frequentierte Orte, wie z.B. Märkte. Tausende Iraker befanden sich nach wie vor ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Gewahrsam der US-amerikanischen Streitkräfte, darunter einige bereits seit mehr als fünf Jahren. Tausende weitere waren von irakischen Regierungskräften festgenommen worden. Viele der Inhaftierten wurden gefoltert. Einige wurden wegen angeblicher terroristischer Straftaten nach grob unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt. Es gab mehrere Hinrichtungen. Gemäß einer Vereinbarung zwischen den USA und dem Irak sollten bis Ende 2008 alle Gefangenen in Gewahrsam der US-Streitkräfte an die irakischen Behörden überstellt werden. Die Vereinbarung enthielt jedoch keinerlei Sicherheitsgarantien zur Einhaltung der Menschenrechte.
Im Iran und Irak, in Saudi-Arabien und im Jemen wurde sehr häufig die Todesstrafe verhängt und vollstreckt. Demgegenüber signalisierten andere arabische Staaten eine zunehmende Ablehnung dieser Strafe. Dies wurde deutlich, als acht arabische Staaten im Dezember 2008 nicht gegen eine Resolution der UN-Generalversammlung stimmten, die ein weltweites Hinrichtungsmoratorium forderte. Sie trugen dazu bei, dass diese entscheidende Resolution eine breite Mehrheit fand. Es wurde eine große Diskrepanz deutlich zwischen den Ansichten der internationalen Gemeinschaft einerseits und dem Iran und Saudi-Arabien andererseits. Der Iran gehört zu den wenigen Staaten, die noch immer minderjährige Straftäter hinrichten. In Saudi-Arabien werden aufgrund des diskriminierenden Justizsystems sehr viele Menschen hingerichtet, die mittellos sind und keine saudi-arabische Staatsbürgerschaft besitzen.
Gewalt gegen Frauen
Frauen waren im Nahen Osten und in Nordafrika in besonderem Maße von Unsicherheit betroffen, da sie durch Gesetze sowie im täglichen Leben diskriminiert wurden. Sie wurden außerdem Opfer von gewalttätigen Übergriffen, die häufig von ihren männlichen Verwandten begangen wurden. Diese Gewalt gipfelte in Morden im Namen der "Familienehre", wie sie aus dem Irak, Jordanien, den Palästinensischen Autonomiegebieten und Syrien gemeldet wurden. Besonders gefährdet waren auch Migrantinnen, die als Hausangestellte arbeiteten. Sie liefen Gefahr, von ihren Arbeitgebern sexuell missbraucht und in anderer Weise ausgebeutet zu werden. Häufig bot ihnen die Arbeitsgesetzgebung der jeweiligen Länder keinen Schutz. In Jordanien und im Libanon kamen weibliche Hausangestellte unter dubiosen Umständen ums Leben. Es gab Spekulationen, wonach einige von ihnen ermordet wurden, während andere offenbar aus Verzweiflung Selbstmord begingen oder bei Fluchtversuchen ums Leben kamen. Aus den kurdischen Gebieten im Nordirak wurde eine hohe Anzahl von Fällen gemeldet, in denen Frauen an schweren Verbrennungen starben. Auch hier war davon auszugehen, dass sie entweder aus Verzweiflung Selbstmord verübt hatten oder ermordet wurden.
In anderen Ländern waren positive Entwicklungen zu verzeichnen, die zeigten, dass sich bei einigen Regierungen die Einsicht durchsetzte, dass Frauen nicht länger als Bürger zweiter Klasse behandelt werden können. Ägyptens Behörden verboten die weibliche Genitalverstümmelung. Die Regierungen von Oman und Katar nahmen Gesetzesreformen vor und gewährten Frauen in den Bereichen Immobilienerwerb und Entschädigungszahlungen gleiche Rechte wie Männern. Tunesien trat dem Zusatzprotokoll zum UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau bei und richtete eine Telefonberatung für Opfer häuslicher Gewalt ein.
Asylsuchende, Flüchtlinge und Migranten
Nirgendwo war die mangelnde Sicherheit offensichtlicher als unter den Flüchtlingen und Asylsuchenden im Nahen Osten und in Nordafrika. Viele von ihnen leben seit Jahrzehnten in Armut, ohne dass sich die Frage ihres Status oder ihres dauerhaften Aufenthaltsorts geklärt hätte.
Tausende irakische Flüchtlinge lebten in Syrien, Jordanien, im Libanon und in anderen Ländern von der Hand in den Mund. Sie waren zunehmend verzweifelt, da sich ihre ökonomische Lage verschlechterte, ihnen jedoch gleichzeitig die Abschiebung drohte, sollten sie eine bezahlte Arbeit annehmen. Die irakische Regierung forderte 3000 iranische Migranten, die seit langer Zeit im Lager Ashraf lebten, zum Verlassen des Landes auf. Bei einer Abschiebung in den Iran drohte ihnen jedoch ernste Gefahr, und es war unwahrscheinlich, dass sich ein anderes Land finden würde, das sie aufnehmen würde. Rund 80 irakische Flüchtlinge, die ihr Land während des ersten Golfkriegs 1991 verlassen hatten, mussten ein weiteres Jahr in einem umzäunten und bewachten Lager in Saudi-Arabien verbringen, da die saudischen Behörden sich weigerten, ihnen Asyl zu gewähren. Von den Hunderttausenden palästinensischen Flüchtlingen im Libanon lebte noch immer die Hälfte in überfüllten Lagern, die im ganzen Land verstreut waren. Und dies 60 Jahre, nachdem sie oder ihre Vorfahren dort angekommen waren. Die Regierung begann damit, den Status der am stärksten Benachteiligten zu klären, nämlich derjenigen, die ohne offizielle Dokumente im Land lebten und somit weder offiziell heiraten noch die Geburt ihrer Kinder anmelden konnten. Es gab jedoch nach wie vor zahlreiche rechtliche und sonstige Hindernisse, die palästinensischen Flüchtlingen den Zugang zu Arbeit, Wohnraum und Gesundheitsversorgung erschwerten.
Mehrere Staaten schoben Flüchtlinge und andere Personen in Länder ab, in denen sie von Folter oder Hinrichtung bedroht waren, und verstießen damit gegen das Völkerrecht. Die jemenitischen Behörden schoben Hunderte von Asylsuchenden ab, darunter mindestens acht nach Saudi-Arabien, wo ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohten. Im Januar 2008 erklärte die libysche Regierung ihre Absicht, alle "illegalen Einwanderer" auszuweisen. Es kam später zu einer massenhaften Ausweisung von Nigerianern, Ghanaern und anderen ausländischen Staatsangehörigen. Im Juni soll die libysche Regierung versucht haben, mehr als 200 Eritreer abzuschieben. Man hatte ihnen mitgeteilt, sie würden nach Italien ausgeflogen, tatsächlich sollten sie jedoch nach Eritrea zurückgebracht werden. Viele von ihnen waren von dort geflohen, um nicht zum Militärdienst einberufen zu werden.
Auch die ägyptischen Behörden waren für Menschenrechtsverstöße verantwortlich. Im Zuge massenhafter Abschiebungen wurden rund 1200 Asylsuchende nach Eritrea zurückgeschickt. Mindestens 28 Personen wurden bei dem Versuch, von Ägypten aus nach Israel zu gelangen, um dort Schutz zu suchen, von ägyptischen Sicherheitskräften getötet. Hunderte weitere Personen wurden festgenommen und nach Prozessen vor Militärgerichten inhaftiert. Die israelischen Behörden verhielten sich nicht weniger kompromisslos, indem sie zahlreiche Asylsuchende und Migranten, denen die Flucht über die Grenze gelungen war, nach Ägypten zurückschickten. Und dies, obwohl die Gefahr bestand, dass einige von ihnen in den Sudan, nach Eritrea oder in andere Länder zurückgeschickt werden würden, wo ihnen möglicherweise Folter oder Hinrichtung drohten.
In Marokko/Westsahara nahmen die Behörden Tausende von Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus fest und verwiesen sie des Landes. Einige von ihnen sollen Opfer von unverhältnismäßiger Gewaltanwendung und Misshandlungen geworden sein. Andere wurden offenbar in unwirtlichen Gegenden nahe der südlichen Landesgrenze ohne ausreichende Wasser- und Nahrungsvorräte ausgesetzt. Die algerischen Behörden verschärften die Kontrollen von Migranten und statteten sich mit neuen rechtlichen Vollmachten aus, um mutmaßlich illegal ins Land eingereiste Ausländer unverzüglich abschieben zu können.
Ausschluss, Diskriminierung und Armut
In vielen Ländern konnten bestimmte Gruppen ihre Menschenrechte nicht in gleicher Weise wahrnehmen wie die Mehrheitsbevölkerung. Dies betraf vor allem ausländische Staatsbürger, Flüchtlinge und Asylsuchende sowie Migranten mit und ohne regulären Aufenthaltsstatus. Davon betroffen waren aber auch Angehörige ethnischer, religiöser oder anderer Minderheiten, die oft aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Identität stigmatisiert wurden.
In der Golfregion verweigerte die Regierung von Katar weiterhin Hunderten von Angehörigen des al-Murra-Stammes die Staatsbürgerschaft, da einige Mitglieder dieser Gruppe in den gescheiterten Putschversuch von 1996 verwickelt waren. Für die Betroffenen bedeutete dies, dass sie von Arbeitsplätzen, der Sozialversicherung und dem Gesundheitssystem ausgeschlossen waren. In Oman wurden die Angehörigen der Stämme der Aal Tawayya und der Aal Khalifayn weiterhin benachteiligt und daran gehindert, Ausweisdokumente zu beantragen, ein Geschäft zu eröffnen und Angelegenheiten wie Scheidung oder Erbschaften zu regeln. Nach einer Entscheidung der Regierung aus dem Jahr 2006 waren die beiden Stämme zu "Dienern" (akhdam) degradiert worden.
Im Iran war der Gebrauch von Minderheitensprachen in Schulen weiterhin verboten. Die Behörden gingen massiv gegen Aktivitäten von Minderheiten wie Ahwazis (arabischstämmige Iraner), Aserbaidschaner, Belutschen, Kurden und Turkmenen vor, die für eine größere Anerkennung ihrer Rechte eintraten. Vermeintliche Angehörige von Minderheiten wurden willkürlich von Tätigkeiten im öffentlichen Dienst ausgeschlossen. In Syrien wurde die kurdische Minderheit, die etwa 10% der Gesamtbevölkerung ausmacht, nach wie vor unterdrückt. Zehntausende von syrischen Kurden blieben weiterhin praktisch staatenlos und konnten somit ihre wirtschaftlichen und kulturellen Rechte nicht ausüben.
Religiöse Anschauungen, die nicht der Staatsdoktrin entsprachen, wurden in vielen Ländern nicht geduldet. Anhänger dieser Religionsgemeinschaften wurden oft vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen oder sogar zu Körperstrafen verurteilt. Obwohl die algerische Verfassung Religionsfreiheit garantiert, wurden Evangelikale verfolgt, die vom Islam zum Christentum konvertiert waren. Aus Ägypten wurde berichtet, dass Anhänger der Baha’i und zum christlichen Glauben konvertierte Muslime trotz einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiterhin Probleme hatten, Ausweispapiere zu erhalten. Im Iran schikanierten und verfolgten die Behörden weiterhin Baha’i und Angehörige anderer religiöser Minderheiten. Sunnitische Geistliche wurden inhaftiert und ein religiöser Führer der Sufis wegen "Verbreitung von Lügen" zu fünf Jahren Haft und einer Prügelstrafe verurteilt.
Arbeitsmigranten vom indischen Subkontinent und aus anderen asiatischen Ländern bildeten nach wie vor eine Hauptstütze der Wirtschaft in den erdölreichen Golfstaaten, da sie der Bauindustrie und dem Dienstleistungssektor ihre Arbeitskraft und ihr Know-how zur Verfügung stellten. Die Vertragsarbeiter mussten jedoch häufig unter völlig unzureichenden Bedingungen leben und arbeiten. Sie genossen keinerlei staatlichen Schutz vor Ausbeutung und Misshandlungen. Wenn sie – wie in Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten – gegen ihre Arbeits- und Lebensbedingungen protestierten, wurden sie festgenommen und ausgewiesen. Homosexualität war im Nahen Osten und in Nordafrika weiterhin ein Tabuthema.
Männer, die verdächtigt wurden, homosexuell zu sein, gerieten in mehreren Ländern ins Visier der Behörden. In Ägypten wurden Männer, denen einvernehmliche homosexuelle Handlungen vorgeworfen wurden, in der Haft misshandelt. Sie wurden zwangsweise analen Untersuchungen unterzogen und gegen ihren Willen auf HIV/AIDS getestet. Einige der Männer wurden im Krankenhaus an ihre Betten gekettet, bevor man sie wegen "Ausschweifung" zu Gefängnisstrafen verurteilte. In Marokko/Westsahara kamen sechs Männer wegen "homosexueller Handlungen" ins Gefängnis, nachdem man sie öffentlich beschuldigt hatte, sie hätten 2007 an einer "Schwulenhochzeit" teilgenommen.
Im September kamen bei einem Erdrutsch in einem Kairoer Armenviertel mehr als 100 Menschen ums Leben. Das Unglück machte einmal mehr die unsichere Lage der verarmten Bevölkerung in den Städten der Region deutlich. Die Tragödie hätte verhindert werden können, denn aus einem benachbarten Hang war bereits Wasser gesickert, was auf eine drohende Katastrophe hindeutete. Außerdem hatte es in dem Gebiet schon zuvor Erdrutsche gegeben. Die Behörden unternahmen jedoch nichts, bis es zu spät war. Überall im Nahen Osten und in Nordafrika befand sich die verarmte Land- und Stadtbevölkerung in einer Art Teufelskreis aus Mangel und Machtlosigkeit. Die Menschen hatten keinen angemessenen Wohnraum, keine medizinische Versorgung und keinen Zugang zu bezahlter Arbeit. Darüber hinaus hatten sie keinerlei Einfluss auf Entscheidungen, die ihr Leben betrafen. Vor allem aber hatten sie keinerlei Mitspracherecht bei der Frage, wie sie sich vor weiterer Verarmung schützen könnten.
In den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten wurden bereits in Armut lebende Palästinenser durch gezielte politische Maßnahmen obdachlos gemacht. Im Westjordanland, einschließlich Ost-Jerusalem, zerstörten israelische Streitkräfte zahlreiche palästinensische Häuser und vertrieben Hunderte von Menschen. Zur Begründung gaben die Behörden an, für die Häuser hätten keine Baugenehmigungen vorgelegen. Diese werden Palästinensern jedoch grundsätzlich nicht ausgestellt. Im Jordantal wurden Häuser und Viehställe palästinensischer Dorfbewohner mit Bulldozern niedergerissen und die Menschen ihrer Existenzgrundlage beraubt. An anderen Orten wurden Palästinenser durch den Bau des Zauns bzw. der Mauer von ihren landwirtschaftlich genutzten Feldern abgeschnitten. Zahllose israelische Militärkontrollpunkte und Straßensperren hinderten die Menschen daran, zur Arbeit zu gehen, Schulen und Universitäten zu besuchen oder sogar Krankenhäuser aufzusuchen. Die dreiwöchige israelische Offensive im Gazastreifen ab dem 27. Dezember 2008 zerstörte oder beschädigte mehr als 20000 palästinensische Wohnungen und Häuser, außerdem Schulen und Arbeitsplätze. Hunderte von palästinensischen Zivilisten kamen dabei ums Leben. Im besetzten Westjordanland wurden weiterhin israelische Siedlungen gebaut bzw. ausgebaut, was einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellte.
Ungehörte Stimmen
Wer im Nahen Osten und in Nordafrika die Stimme erhob, um seine Rechte oder die anderer zu verteidigen, lief Gefahr, von den allmächtigen Geheimdiensten verfolgt zu werden. Die Täter gingen straffrei aus, weil ihre politischen Auftraggeber die Menschenrechtsverletzungen billigten. Die Regierungen der Region duldeten generell keine abweichenden Meinungen. Sie scheuten kritische Äußerungen und Fragen offenbar aus Angst, Korruption und andere Missstände könnten ans Licht der Öffentlichkeit gelangen.
In der gesamten Region schoben staatliche Behörden "Sicherheitsmaßnahmen" gegen "Terrorismus" vor, um Angst, Unsicherheit und Unterdrückung zu verbreiten. Bewaffnete Gruppen begingen in Ländern wie Algerien, Irak, Libanon, Syrien und Jemen gewalttätige Angriffe, doch benutzten die Regierungen häufig vage formulierte und weitgefasste Antiterrorgesetze, um die politische Opposition zu bekämpfen oder berechtigte Kritik und abweichende Meinungen zu unterdrücken. Die unbegrenzte Macht der mukhabarat, der Sicherheits- und Geheimdienste, war in der gesamten Region spürbar. In der Regel war die Geheimpolizei direkt dem Staats- oder Regierungschef unterstellt und befugt, Verdächtige festzunehmen, zu inhaftieren und zu verhören. Nicht selten wurden Häftlinge gefoltert und misshandelt, wohingegen die Täter straflos ausgingen. Amnesty International erhielt stichhaltige Berichte über Folterungen in einigen Ländern, darunter Bahrain, Ägypten, Iran, Irak, Jemen, Jordanien, Libanon, Saudi-Arabien, Syrien, Tunesien und Vereinigte Arabische Emirate. Es gab auch Berichte über Folterungen von Palästinensern, die von den israelischen Streitkräften festgenommen worden waren. Außerdem gingen Meldungen über Folterungen von Palästinensern ein, die im Westjordanland und im Gazastreifen jeweils von den Sicherheitskräften der rivalisierenden Fraktionen der Fatah und der Hamas begangen wurden. Keiner der Täter wurde je zur Rechenschaft gezogen.
Einer der Hauptgründe für Folterungen war die Erpressung von Geständnissen, die später vor politisch befangenen Gerichten als Beweise verwendet wurden. Die Richter fürchteten sich entweder davor, die Foltervorwürfe untersuchen zu lassen oder hielten dies für nicht notwendig. In mehreren Ländern fanden Prozesse gegen Regierungsgegner vor "Sonder"-Gerichten statt, die nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprachen. In Ägypten wurde Anführern der Muslimbruderschaft – alle Zivilisten – vor einem Militärgericht der Prozess gemacht. Internationale Beobachter waren nicht zugelassen. Andere Angeklagte wurden vor ein Gericht gestellt, das im Rahmen des in Ägypten seit Jahrzehnten herrschenden Notstands eingerichtet worden war. In Libyen wurden elf Männer verhaftet, weil sie eine friedliche Demonstration zum Gedenken an ein Dutzend Personen geplant hatten, die 2006 während einer Kundgebung von der Polizei getötet worden waren. Die Angeklagten wurden vom Staatssicherheitsgerichtshof zu Haftstrafen von bis zu 25 Jahren verurteilt. Bis auf zwei kamen alle Ende 2008 wieder frei. In Syrien standen mindestens 300 Personen vor dem für seine unfairen Verfahren berüchtigten Obersten Staatssicherheitsgerichtshof oder vor anderen Gerichten, die nicht die internationalen Standards für faire Verfahren erfüllten. Zwölf führende Vertreter der syrischen Demokratiebewegung wurden wegen "Schwächung des nationalen Bewusstseins" zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Gefangenen erklärten, man habe sie während der Untersuchungshaft geschlagen, um sie zu zwingen, "Geständnisse" zu unterzeichnen. Doch ging das Gericht diesen Vorwürfen nicht nach. In anderen Fällen stellte ein UN-Gremium fest, dass Gefangene willkürlich inhaftiert waren, weil sie in unfairen Verfahren wegen Handlungen verurteilt worden waren, die lediglich eine legitime Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung darstellten. Doch reagierten die syrischen Behörden auch in diesen Fällen nicht. Die saudi-arabischen Behörden hielten Hunderte von Menschen aus Sicherheitsgründen fest, darunter auch friedliche Regierungskritiker. Tausende weitere Personen, die in den vorhergehenden Jahren festgenommen worden waren, blieben weiterhin in geheimer Haft. Im Oktober kündigte die Regierung die Einrichtung eines Sondergerichts an, um mehr als 900 Personen den Prozess zu machen, die wegen terroristischer Straftaten angeklagt waren. Einzelheiten zu den Angeklagten und Verhandlungsterminen wurden nicht genannt. Auch wurden keine Angaben darüber gemacht, ob man den Angeklagten einen Rechtsbeistand erlauben oder internationale Beobachter zulassen würde. Überall im Nahen Osten und in Nordafrika, selbst in verhältnismäßig liberalen Staaten, mussten Journalisten und Herausgeber die Grenzen der Meinungsfreiheit beachten, wenn sie keine strafrechtliche Verfolgung, das Verbot ihrer Zeitungen oder Schlimmeres riskieren wollten. In Ägypten erhielt ein Herausgeber eine Haftstrafe, weil er sich zum Gesundheitszustand des Präsidenten geäußert hatte. In Algerien wurden Journalisten strafrechtlich verfolgt, weil sie über Korruptionsvorwürfe gegenüber den Verwaltungsbehörden berichtet hatten. Ein Menschenrechtsanwalt wurde mit einer Anklage wegen angeblicher Verleumdung der Justiz schikaniert. Ein im Jahr 2004 in Libyen festgenommener Dissident, der in einem Interview politische Reformen im Land angemahnt hatte, blieb weiterhin in Haft. In Marokko/Westsahara blieb Kritik an der Monarchie weiterhin tabu. Menschenrechtsverteidiger wurden nach einer friedlichen Kundgebung strafrechtlich verfolgt, weil die Demonstration den König beleidigt haben soll; sie wurden jedoch später vom König begnadigt. Ein 18-jähriger Student erhielt eine Gefängnisstrafe, weil er einen Spruch über seine Lieblingsfußballmannschaft an eine Wand geschrieben hatte, der angeblich eine Beleidigung der Monarchie darstellte. In Syrien, wo die Regierung jede Art von Kritik schonungslos verfolgte, gerieten auch Blogger ins Visier und wurden wegen "Verbreitung falscher Informationen" oder "Schwächung des nationalen Bewusstseins" auf Grundlage extrem weitgefasster Gesetze verurteilt, die jegliche Opposition abwehren und unterdrücken sollen. Die Regierungen von Kuwait und Oman verschärften die Kontrolle des Internets. Die Behörden im Iran, in Tunesien und anderen Staaten blockierten regelmäßig kritische Websites und kappten die Internetverbindungen lokaler Menschenrechtsgruppen zur Außenwelt.
In Ägypten und Tunesien reagierten die Behörden mit unverhältnismäßiger Gewalt und Massenverhaftungen auf Proteste von Arbeitern, die aufgrund der wirtschaftlichen Bedingungen im Land auf die Straße gegangen waren. Marokkanische Sicherheitskräfte lösten in ähnlicher Weise eine Protestblockade des Hafens von Sidi Ifni auf und führten eine Razzia gegen Personen durch, die die Proteste organisiert und unterstützt haben sollen.
Menschenrechtsverteidiger und andere, die mehr Rechte für Frauen, Minderheiten und andere Gruppen forderten oder die sich für mehr politische Freiheiten sowie soziale und wirtschaftliche Rechte einsetzten, standen in der Schusslinie. Dies galt für die gesamte Region des Nahen Ostens und Nordafrikas. In den meisten Ländern waren es jedoch die Menschenrechtsverteidiger, die von den Behörden am stärksten behindert wurden. In Syrien und in Tunesien mussten unabhängige Menschenrechtsorganisationen weiterhin in einer rechtlichen Grauzone arbeiten, da die Behörden ihnen die gesetzlich vorgeschriebene offizielle Registrierung in der Praxis stets verweigerten. Die iranische Regierung verbot eine führende Menschenrechtsorganisation, die von Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi mitgegründet worden war. Das Verbot erfolgte just zu dem Zeitpunkt, als die NGO eine Veranstaltung zum 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vorbereitete.
Fazit
Die Rechenschaftspflicht für all die Menschenrechtsverletzungen, denen die Menschen in der Region tagtäglich ausgesetzt waren, wurde gänzlich vernachlässigt. Die Bevölkerung des Nahen Ostens und Nordafrikas lebte 2008 weiterhin in Unsicherheit, musste viele Härten erdulden und hatte kein Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen. Wer versuchte, sich Gehör zu verschaffen, wurde ignoriert oder unterdrückt.
In weiten Teilen der Region war Straflosigkeit weiterhin ein politisches Grundprinzip. In Marokko/Westsahara kam der Wahrheitsfindungsprozess über das "Verschwindenlassen" von Menschen während der Regierungszeit König Hassan II. mehr oder weniger zum Stillstand. In Algerien blockierten die Behörden weiterhin jegliche Untersuchung der schweren Menschenrechtsverletzungen, die während des internen Konflikts in den 1990er Jahren begangen wurden. Im Iran, im Libanon, in Libyen und Syrien versäumten es die Behörden, Schritte einzuleiten, um gravierende Menschenrechtsverstöße der Vergangenheit aufzuklären. Es war daher kaum verwunderlich, dass viele Regierungen auch kein großes Interesse daran zeigten, neue Vorwürfe oder Vorfälle zu untersuchen, wie z.B. die mutmaßliche Tötung von 17 Gefangenen und anderen Personen im Sednaya-Militärgefängnis durch syrische Sicherheitskräfte.
Angesichts der vielfältigen und oft schier unüberwindlichen Probleme in der gesamten Region setzten sich dennoch viele Menschen – Männer, Frauen und sogar Kinder – für die Verwirklichung ihrer Rechte und der Rechte anderer ein. Viele waren unermüdlich, obwohl sie damit ihre Existenzgrundlage oder gar ihr Leben aufs Spiel setzten. In Algerien übten die Angehörigen von Opfern, die während des "schmutzigen Krieges" in den 1990er Jahren "verschwunden" waren, permanenten Druck auf die Behörden aus. Sie forderten Wahrheit und Gerechtigkeit und gaben auch angesichts der abwehrenden Haltung und der Schikanen der Regierung nicht auf. Im Iran unterstützten Frauen – und Männer – die Petition "Eine Million Unterschriften", die ein Ende der rechtlichen Diskriminierung von Frauen forderte. Die Kampagne ging trotz ständiger Schikanen, Verhaftungen und widerrechtlicher Angriffe durch Staatsbeamte unbeirrt weiter. Andere setzen sich für die Abschaffung der Hinrichtung jugendlicher Straftäter ein.
In diesen, aber auch in vielen anderen Ländern, bildeten Menschenrechtsverteidiger die Speerspitze im Kampf für Veränderungen.Doch gab es auch Hinweise darauf, dass einige derjenigen, die politische Macht innehatten, die Notwendigkeit für einen Wandel, für Reformen und für mehr Menschenrechte erkannten. So nutzte z.B. die Regierung von Bahrain die Gelegenheit der universellen regelmäßigen Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat, um eine Reform der Menschenrechtspolitik auf den Weg zu bringen. Sollte das Programm umgesetzt werden, wäre dies ein kraftvolles Signal an die Nachbarstaaten. Im Libanon legte der Justizminister einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Todesstrafe vor, während die algerische Regierung zu den wichtigsten Unterstützern eines weltweiten Hinrichtungsmoratoriums zählte. 2008 deutete sich an, dass langsam aber sicher eine neue Generation heranwächst, die sich ihrer Rechte und potenziellen Möglichkeiten bewusst ist, und die zunehmend entschlossen ist, diese Ziele zu erreichen.