Amnesty Report 26. Mai 2009

Amerika 2009

 

Die zur indigenen Volksgruppe der Enxet gehörenden Gemeinschaften der Yakye Axa und Sawhoyamaxa in der Region Bajo Chaco in Paraguay leben seit mehr als 15 Jahren am Rande der Landstraße zwischen Pozo Colorado und Concepción. Daran angrenzend lag ihr angestammter Siedlungsraum. Obwohl der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte Urteile zu ihren Gunsten ausgesprochen hatte, haben sie die ihnen rechtmäßig zustehenden Grundstücke nicht zurückerhalten. Ihrer traditionellen Erwerbsquellen und Lebensweise beraubt, ohne adäquate Gesundheitsversorgung oder Abwasser- und Abfallentsorgung und abhängig von unregelmäßiger Versorgung mit Lebensmitteln durch die Regierung, sind sie mit einer unsicheren Gegenwart und einer ungewissen Zukunft konfrontiert.

Vom nördlichsten Punkt der Arktis bis zum südlichen Zipfel Feuerlands erfahren die indigenen Völker des amerikanischen Doppelkontinents seit langem Marginalisierung und Diskriminierung. Da ihnen bei den Entscheidungen, die ihre Ländereien, ihr Leben und ihre Lebensgrundlagen betreffen, keine Stimme zugestanden wird, sind die indigenen Völker unverhältnismäßig stark von Armut betroffen, auch wenn sie in Gebieten leben, die reich an Bodenschätzen und anderen natürlichen Ressourcen sind. Viele von ihnen genießen noch keine Anerkennung ihrer Eigenständigkeit durch die Verfassung. Ihre Rechte auf das Land ihrer Vorfahren werden entweder ignoriert oder auf eine Weise behandelt, die ihre wirtschaftlichen und kulturellen Traditionen nicht ausreichend schützt. Rohstoffgewinnung, Forstwirtschaft, Agroindustrie und andere wirtschaftliche Entwicklungsprojekte, die auf dem Land der indigenen Bevölkerung durchgeführt werden, sind oft von Schikanen und Gewalt begleitet, da sich die mächtigen Unternehmen und private Interessen in ihrem Streben nach Profit über internationale Rechtsnormen und nationales Recht hinwegsetzen. Ein zählebiger und tief verwurzelter Kreislauf von Benachteiligung und sozialer Ausgrenzung setzt diese Menschen, insbesondere die Frauen, einem erhöhten Risiko von Angriffen aus und führt dazu, dass ihre Verfolger nur selten zur Verantwortung gezogen werden. Angesichts dieser Hinterlassenschaft von erschreckenden Menschenrechtsverletzungen haben die indigenen Völker in der ganzen Region mobil gemacht, um sich Gehör zu verschaffen. Ihre Forderungen nach Respektierung ihrer Landrechte, ihrer kulturellen Identität, ihres Rechts, nicht diskriminiert zu werden, also im Grunde genommen nach Zuerkennung aller Menschenrechte, bilden zunehmend ein Kernanliegen des Menschenrechtsdiskurses in der Region.

Den Gemeinschaften der Yakye Axa und Sawhoyamaxa gelang es, ihren Fall vor ein regionales Gericht zu bringen. Sie wurden dabei von mehreren Nichtregierungsorganisationen (NGOs) unterstützt. Das spiegelt die zunehmende Zusammenarbeit und Koordination zwischen indigenen Akteuren und Menschenrechtlern in der Region wider und gibt all denen, die Menschenrechte verteidigen, Kampagnen durchführen und sich aktiv engagieren, die Möglichkeit, aus ihren Erfahrungen und Erfolgen wechselseitig neue Kraft, Rückhalt und Anregungen zu schöpfen.

Mangelnde Sicherheit

In Kolumbien zielen viele der während des internen bewaffneten Konflikts begangenen Menschenrechtsverstöße, darunter auch Morde und Fälle des "Verschwindenlassens", darauf ab, zivile Gemeinschaften aus Gebieten zu vertreiben, die wirtschaftliche oder strategische Bedeutung haben. Viele indigene Gemeinschaften leben auf Land, auf das sie einen kollektiven Rechtsanspruch haben, das aber in Gebieten liegt, die reich an Bodenschätzen und anderen Ressourcen sind. Solche Gemeinschaften werden oft angegriffen, um sie zur Flucht zu zwingen, so dass das Gebiet für großangelegte wirtschaftliche Entwicklungsprojekte erschlossen werden kann. Diejenigen Gemeinschaften, die sich gegen eine solche Entwicklung wehren, werden beschuldigt, "subversiv" zu sein – und dieser Beschuldigung folgt häufig ein paramilitärischer Angriff. Guerillagruppen bedrohen und ermorden ebenfalls Angehörige der indigenen Gemeinschaften, die sie beschuldigen, auf der Seite des Gegners zu stehen. Die indigenen Völker in Kolumbien werden jedoch zunehmend entschlossener bei der Verteidigung ihrer Menschenrechte. Um gegen die fortgesetzten Menschenrechtsverstöße zu protestieren und für ihre Landrechte einzutreten, führten Tausende indigener Menschen während der letzten Monate des Berichtsjahrs großangelegte Proteste in mehreren Teilen des Landes durch, die schließlich im November in einem Marsch auf die Hauptstadt Bogotá gipfelten.

In Mexiko forderte die im nördlichen Bundesstaat Chihuahua lebende Gemeinschaft der Huizopa, zu der die indigenen Gruppen der Pima und Raramuri gehören, dass eine Bergbaugesellschaft bei ihren auf dem Land der Gemeinschaft durchgeführten Aktivitäten die Vereinbarungen einhalten sollte, die sie mit der Gemeinschaft getroffen hatte. Diejenigen, die die Proteste unterstützten, waren Bedrohungen und Polizeieinsätzen ausgesetzt.

In Chile verursachten die kontinuierliche Ausweitung der Rohstoff- und Forstindustrie sowie der schleppende Fortschritt bei der Bearbeitung von Landansprüchen weiterhin Spannungen zwischen den Behörden und indigenen Völkern, speziell dem Volk der Mapuche. Zu einer besorgniserregenden Entwicklung kam es im Jahr 2008, als ein regionaler Staatsanwalt versuchte, ein Antiterrorgesetz gegen Demonstranten anzuwenden, die die Forderungen der Mapuche unterstützten. Die Regierung hatte mehrere Male versichert, dass das noch aus der Zeit der Militärregierung unter General Augusto Pinochet stammende Gesetz nicht gegen indigene Menschen, die eine Anerkennung ihrer Rechte fordern, angewandt werden solle.

In Bolivien gab es keine Abkehr vom festverwurzelten Rassismus und der Diskriminierung. Bemühungen der Regierung unter Präsident Evo Morales, die Respektierung der Rechte der indigenen Völker Boliviens und anderer marginalisierter Gruppen der Gesellschaft voranzutreiben, stießen auf den Widerstand der mächtigen Familien der Grundbesitzer und der Wirtschaftselite, die den Verlust ihrer seit langem genossenen Privilegien befürchteten. Die Spannungen führten zu Gewaltausbrüchen, die im September in der Ermordung von 19 campesinos (Kleinbauern) im Departamento Pando gipfelten. Untersuchungen der Union Südamerikanischer Nationen (Unión de Naciones Suramericanas – UNASUR) und des Büros des Ombudsmanns ergaben, dass lokale Beamte direkt in die Morde verwickelt waren und die Polizei es versäumt hatte, den protestierenden indigenen Menschen und campesinos Schutz zu gewähren.

Einige Staaten müssen jedoch zunehmend die legitimen Ansprüche der indigenen Völker anerkennen und Schritte zu ihrer Verwirklichung unternehmen. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Brasilien, mit der das verfassungsmäßige Recht der Völker der Makuxi, Wapixana, Ingarikó, Taurepang und Patamona auf das Land ihrer Vorfahren anerkannt wurde, markierte einen entscheidenden Schritt in einem 30 Jahre währenden Kampf. Die Entscheidung wurde von weiten Kreisen als ein historischer Sieg für die Rechte der indigenen Völker im Bundesstaat Raposa Serra do Sol angesehen. Doch positive Ergebnisse bildeten die Ausnahme, und viele indigene Völker kämpfen weiter für ihre Landrechte.

In Nicaragua gestand die Regierung endlich der indigenen Gemeinschaft der Awas Tingni ihre Landrechte zu. Sie kam damit einer im Jahr 2001 vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte getroffenen Entscheidung nach. In Suriname fällte der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil zugunsten des Volkes der Saramaka, dessen Angehörige von geflohenen afrikanischen Sklaven abstammen, die im 17. und 18. Jahrhundert Siedlungen im Regenwald gegründet hatten. In einer die Abholzungs- und Bergbaukonzessionen auf dem Territorium des Saramaka-Volkes betreffenden Entscheidung befand das Gericht: "Der Staat verletzte das Recht auf Eigentum zum Nachteil der Angehörigen des Saramaka-Volkes".

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Angesichts der steigenden Anzahl von Morden in der Region verlangen Frauengruppen weiterhin Gegenmaßnahmen. Viele der ermordeten Frauen wiesen an ihren Körpern Merkmale von Folter und insbesondere sexueller Gewalt auf. Die Reaktion vieler, vor allem zentralamerikanischer Regierungen blieb jedoch beklagenswert unzureichend, und nur wenige der Morde sind ordnungsgemäß untersucht worden.

Gesetze zur Verbesserung der Achtung der Frauenrechte, speziell des Rechtes auf Gewaltlosigkeit im häuslichen Bereich, in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz, existieren in den meisten Ländern der Region; eine auffallende Ausnahme hiervon bilden Haiti und einige andere karibische Länder. Nur ein begrenzter Fortschritt war jedoch bei der Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und der Bestrafung der dafür Verantwortlichen zu verzeichnen. In Nicaragua leiden Untersuchungsteams von Sondereinheiten der Polizei z.B. unter einem extremen Ressourcenmangel, und in Venezuela existiert bisher noch keine Spezialausbildung der Ordnungskräfte zum Umgang mit familiärer Gewalt.

Die beiden Länder Nicaragua und Haiti fielen in der Region dadurch auf, dass dort mehr als 50% der bekannten Opfer sexuellen Missbrauchs 18 Jahre alt oder jünger waren. In der überwiegenden Anzahl der Fälle waren die Täter erwachsene Männer, von denen viele einflussreiche Positionen innehatten. Der sexuelle Missbrauch von Mädchen, von denen einige erst neun oder zehn Jahre waren, hing eng mit Armut, Ausgrenzung und Ausschluss aus der Gesellschaft zusammen. Um unter diesen Umständen überleben zu können, waren die Mädchen dem Risiko sexueller Ausbeutung ausgesetzt. Trotz des weit verbreiteten Problems trug das Stigma, das sexueller Gewalt anhaftet, dazu bei, dass viele Opfer schwiegen.

In Anbetracht des hohen Ausmaßes an sexueller Gewalt ist es besonders besorgniserregend, dass Nicaragua wie auch Chile und El Salvador weiterhin ein generelles Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen aufrechterhalten – sogar wenn die Schwangerschaft das Ergebnis einer Vergewaltigung war oder die Fortführung der Schwangerschaft ein Risiko für das Leben der Frau oder des Mädchens bedeutete. Berichten zufolge gab es in Peru und Ecuador Bestrebungen religiöser Interessenverbände, ein ähnliches Verbot zu erreichen. In Uruguay legte Präsident Tabaré Vázquez Rosas wegen seiner persönlichen religiösen Überzeugung sein Veto gegen vorgeschlagene Reformen ein, obwohl die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen eine breite Unterstützung in der Bevölkerung hatte. Im Gegensatz dazu stimmte der Oberste Gerichtshof von Mexiko für eine Gesetzgebung, die Schwangerschaftsabbrüche im Distrikt Mexiko-Stadt entkriminalisiert.

In vier von fünf Ländern Lateinamerikas, in denen eine Reduzierung der Müttersterblichkeit bis zum Jahr 2015 ein vorrangiges Ziel der jeweiligen Regierung ist, haben sich die Müttersterblichkeitsraten verringert; eine Unterteilung der Daten nach unterschiedlichen Gruppen von Müttern lag nicht vor. Während in Bolivien, Brasilien, Mexiko und Peru die Müttersterblichkeitsraten sanken, war dies in Haiti nicht der Fall. Dort wurden 2008 lediglich 26% der Geburten durch eine Fachkraft in Geburtshilfe unterstützt.

Soziale Ausgrenzung

Viele lateinamerikanische und karibische Länder haben im vergangenen Jahrzehnt Anstrengungen zur Reduzierung der Armut unternommen. Trotz eines gewissen Fortschritts lebten jedoch mehr als 70 Mio. Menschen von einem Tagessatz von weniger als 1 US-Dollar, und die soziale Ungleichheit und das Missverhältnis der Wohlstandsverteilung blieben weiterhin hoch. Nach Angaben des UN-Entwicklungsprogramms war Lateinamerika im weltweiten Vergleich die Region, in der die größte Ungleichheit herrschte.

In vielen Ländern wurden Randgruppen und Besitzlose in ländlichen und städtischen Gebieten ihre Rechte auf Gesundheitsversorgung, sauberes Wasser, Bildung und angemessenen Wohnraum verwehrt. Es ist zu befürchten, dass sich diese bereits kritische Situation durch die globale Wirtschaftskrise noch weiter verschärfen wird.

Was die Gesundheitsindikatoren anbetrifft, zeigten die vom UN-Bevölkerungsfonds veröffentlichten Zahlen, dass die Dominikanische Republik und Guatemala zu den Ländern mit den niedrigsten Ausgaben im Bereich der Gesundheitsversorgung gehörten – sie beliefen sich lediglich auf 1,7% bzw. 2% des Bruttoinlandsprodukts. Im Gegensatz dazu lagen die Ausgaben in Kuba bei 6,9% und in den USA bei 7,2% des Bruttoinlandsprodukts. Dennoch hatten weiterhin Tausende Menschen in den USA nach wie vor keine Krankenversicherung. Für viele Arme und Menschen aus Randgruppen ist es deshalb schwierig, Zugang zu einer ausreichenden Gesundheitsversorgung zu bekommen.

Todesstrafe

Die meisten Länder der Region haben die Todesstrafe entweder per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft. Die USA bildeten jedoch eine unrühmliche Ausnahme in der Region. Die Todesstrafe war in diesem Land untrennbar mit sozialer Ausgrenzung verbunden. Die meisten der über 3000 in den Todeszellen einsitzenden Menschen sind zu arm, um eine Rechtsvertretung ihrer Wahl bezahlen zu können.

Im April entschied der Oberste Gerichtshof der USA, dass die Hinrichtung durch die Giftspritze nicht gegen die Verfassung der USA verstoße. Nach einer siebenmonatigen Unterbrechung wurden ab Mai wieder Hinrichtungen vollzogen. Bis zum Jahresende waren 37 Gefangene getötet worden, womit die Gesamtzahl der Hinrichtungen seit der Wiederaufnahme der gerichtlich angeordneten Tötungen im Jahr 1977 auf 1136 anstieg.

Die Entscheidung des Obersten Gerichts ist wegen der abweichenden Meinung des Richters John Paul Stevens bemerkenswert. Stevens gehört dem Gericht seit Dezember 1975 an und hat deshalb die gesamte "moderne" Epoche der Todesstrafe in den USA miterlebt. Er schrieb, dass ihn seine Erfahrung zu der Schlussfolgerung geführt habe, dass "die Verhängung der Todesstrafe die sinnlose und unnötige Auslöschung von Leben bedeutet und nur einen unwesentlichen Beitrag zu irgendeinem erkennbaren sozialen oder öffentlichen Zweck leistet. Eine Strafe mit einem derartig vernachlässigbaren Ergebnis für den Staat ist eine ausgesprochen unverhältnismäßige, grausame und unübliche Bestrafung." Er fügte hinzu, dass die Rassendiskriminierung weiterhin "eine inakzeptable Rolle bei Kapitalverbrechen spielt".

Im Dezember wurde in St. Kitts und Nevis die erste Hinrichtung in der englischsprachigen Karibik seit 2000 vollzogen. Charles Elroy Laplace wurde am 19. Dezember gehängt, womit ein zehnjähriges Hinrichtungsmoratorium endete. Er war im Jahr 2006 wegen Mordes verurteilt worden. Sein Rechtsmittel war im Oktober 2008 abgewiesen worden, da es nicht fristgemäß erfolgt war.

Ausschluss aus der Gesellschaft

Der in den vergangenen zehn Jahren zu verzeichnende Trend zu einer größeren politischen Stabilität wurde von der sich verschärfenden Krise der öffentlichen Sicherheit überschattet.

Das Ausmaß der Übergriffe durch die Polizei sowie der Kriminalität und der von Banden verübten Gewalt war in den Wohngebieten besonders hoch, in denen der Staat überwiegend nicht präsent war. Dies bot kriminellen Banden die Gelegenheit, das Leben der Bewohner dieser Viertel weitgehend zu dominieren. In Brasilien blieben die Bewohner vieler verarmter Stadtgebiete von der Grundversorgung ausgeschlossen, und das Engagement des Staates beschränkte sich zumeist auf regelmäßige, militärisch organisierte Einsätze der Polizei. Diese Operationen, an denen sich häufig Hunderte von Polizisten in gepanzerten Fahrzeugen und Helikoptern beteiligten, waren durch unverhältnismäßige Gewaltanwendung, extralegale Hinrichtungen, Folter und missbräuchlichem Verhalten gegenüber den Bewohnern charakterisiert. In Jamaika erfolgte die Mehrzahl der von Polizisten ausgeführten Tötungen in innerstädtischen Armenvierteln. Viele dieser Tötungen waren unrechtmäßig.

In Mexiko, wo die Gewaltkriminalität stetig anstieg, wurden große Kontingente von Soldaten zusammen mit der Polizei zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt. Nur wenige Regierungen sehen einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Kriminalität und den durch Staatsbedienstete getätigten Übergriffen. Im Jahr 2008 gestanden jedoch in einigen Ländern Minister öffentlich ein, dass die Qualität der Polizeiarbeit sowohl unter nationale als auch internationale Standards gefallen sei. Mexiko, die Dominikanische Republik und Trinidad und Tobago räumten ein, dass ihre Polizeikräfte erhebliche Mängel aufwiesen und deshalb in nur eingeschränktem Ausmaß die Fähigkeit besaßen, in vielen Wohngebieten einen ausreichenden Schutz und die effektive Durchsetzung von Gesetzen zu gewährleisten. Es wurden zwar Schritte unternommen, um Beamte, die sich der Verletzung von Menschenrechten oder der Korruption schuldig gemacht hatten, aus dem Dienst zu entfernen, doch entsprachen sie in keiner Weise dem Ausmaß des Problems und wurden überdies durch verfahrensrechtliche und administrative Hemmnisse eingeschränkt.

Zu viele Regierungen haben dazu beigetragen, dass sich die Standards der Polizeiarbeit verschlechtert haben, weil sie die Augen vor Berichten über Folter oder unrechtmäßige Tötungen verschlossen. Einige versuchten sogar, solche Übergriffe mit dem Hinweis auf das vorhandene Klima der öffentlichen Sicherheit zu rechtfertigen. Unabhängige Beschwerdestellen der Polizei oder Büros von Polizei-Ombudsmännern blieben vor allem auf die USA und Kanada beschränkt. In den wenigen anderen Ländern, in denen solche Einrichtungen existieren, waren sie nach wie vor weitgehend ineffektiv.

In einigen Ländern wie Guatemala und Brasilien gab es im Laufe des Jahres immer mehr Anzeichen dafür, dass aktive und ehemalige Polizisten in die Tötung mutmaßlicher Krimineller verwickelt waren. Im brasilianischen Pernambuco wurden im Jahr 2008 70% aller Morde den Todesschwadronen oder sogenannten Ausrottungsgruppen zugeschrieben, die zumeist aus Staatsbediensteten, insbesondere Polizisten, bestanden. Die Tötung von Hunderten junger Männer in Guatemala erinnerte viele Beobachter an die Kampagne der "sozialen Säuberung" in den 1990er Jahren, als Straßenkinder, die man als Kleinkriminelle verdächtigte, gefoltert und ermordet wurden. Die Tatsache, dass die Polizei und andere Akteure Gruppen junger Männer und Jungen aus armen Gegenden nur wegen ihres Aussehens und ihres Alters ins Visier nahmen, verstärkte die Gefühle des Ausgeschlossenseins aus der Mehrheitsgesellschaft. In einigen Fällen stellte sich die Missachtung von Menschenleben in sozial ausgegrenzten Gemeinschaften in besonders schockierender Weise dar. So töteten in Kolumbien Angehörige des Militärs z.B. zahlreiche junge Männer aus der in der Nähe von Bogotá gelegenen Stadt Soacha, um sich Prämien zu verdienen, die von der Regierung für jeden getöteten "Guerillero" angeboten worden waren.

»Krieg gegen den Terror«

Die Behandlung von Ausländern, die im "Krieg gegen den Terror" von US-amerikanischen Kräften inhaftiert worden waren, gab weiterhin Anlass zur Besorgnis. Auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf Kuba wurden mehr als 200 Männer in Gewahrsam gehalten. Die Versuche der Regierung, diese Häftlinge von den gesetzlich vorgeschriebenen Schutzvorschriften auszuschließen, konnten 2008 in gewissem Maße eingedämmt werden. Im Juni verwarf der Oberste Gerichtshof der USA in einem bahnbrechenden Urteil die Auffassung der US-Regierung, dass den Guantánamo-Häftlingen das Recht auf eine richterliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung (Habeas Corpus) nicht zustehe, weil es sich um außerhalb des US-amerikanischen Hoheitsgebietes festgenommene Personen ohne US-amerikanische Staatsbürgerschaft handele. Im November bekräftigte der designierte US-Präsident Barack Obama das Versprechen, unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Januar 2009 geeignete Schritte einzuleiten, um das Gefangenenlager von Guantánamo zu schließen und sicherzustellen, dass die USA keine Folter anwenden.

Stimmen gegen Menschenrechtsverletzungen

Menschenrechtsverteidiger in Lateinamerika kämpften weiterhin an vorderster Front dafür, den Stimmen der Opfer Gehör zu verschaffen – oft trotz hartnäckiger Bemühungen, sie zum Schweigen zu bringen. Am 4. Februar und am 20. Juli 2008 protestierten Millionen Menschen auf Kundgebungen in Kolumbien und vielen anderen Teilen der Welt gegen die Entführungen durch die Revolutionären Streitkräfte von Kolumbien (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – FARC). Am 6. März waren ebenfalls Tausende Menschen in Kolumbien auf die Straße gegangen, um ein Ende der Menschenrechtsverstöße durch die Sicherheitskräfte und paramilitärische Gruppen zu fordern. Vier Monate später wurde John Fredy Correa Falla, Mitglied der Nationalen Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen (Movimiento Nacional de Víctimas de Crímenes de Estado – MOVICE), die den Märzprotest organisiert hatte, von vier Männern auf Motorrädern erschossen. In Guatemala und Honduras wurden mehrere Menschenrechtsverteidiger wegen ihrer Menschenrechtsarbeit ermordet.

In vielen anderen Ländern waren Menschenrechtsverteidiger ebenfalls zunehmend feindseligen Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt. In Venezuela zog die im September erfolgte Ausweisung des Leiters der Amerikaabteilung von Human Rights Watch nach der Veröffentlichung eines kritischen Berichts eine Flut öffentlicher Äußerungen nach sich, in denen lokale NGOs und Menschenrechtler als "Pro-Yankees", "Gegner der bolivarischen Revolution" und "unpatriotische Gesellen" beschuldigt wurden.

Einige Regierungen gingen dazu über, das Strafrechtssystem zu missbrauchen, um die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern zu behindern. Im April wurden in Mexiko z.B. fünf indigene Sprecher der Organisation des Volkes der Me’phaa (Organización del Pueblo Indígena Me’phaa – OPIM) aus dem Bundesstaat Guerrero verhaftet und unter Mordanklage gestellt. Obwohl ein Bundesgericht im Oktober entschieden hatte, dass die vorgelegten Beweise die vier Männer nicht belasteten, und trotz der Zeugenaussagen, wonach sich der fünfte Mann zur Mordzeit an einem anderen Ort aufgehalten hatte, befanden sich die fünf Männer Ende 2008 noch immer in Haft.

In Nicaragua waren neun Frauenrechtlerinnen mit einem Gerichtsverfahren konfrontiert. Ihnen wurde vorgeworfen, in den Fall eines neunjährigen nicaraguanischen Mädchens verwickelt zu sein, bei dem 2003 nach einer Vergewaltigung ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen worden war. Obwohl viele Ärzte und staatliche Angestellte in den Fall involviert waren, konzentrierte sich die Anklage ausschließlich auf die Frauenrechtsverteidigerinnen, die der Bewegung zur Förderung von sexueller Gesundheit und Frauenrechten angehören. Menschenrechtler, die sich für die Rechte von Gemeinschaften einsetzten, die lange Zeit an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden waren – indigene Völker, Gemeinschaften afrikanischer Herkunft sowie Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen –, sahen sich oft mit einem besonderen Risiko konfrontiert. In Honduras wurden Sprecher der Garífuna, einer Gemeinschaft von Menschen afrikanischer Herkunft, im Dorf San Juan Tela mit vorgehaltener Waffe bedroht und gezwungen, einer privaten Gesellschaft Grundbesitz der Gemeinschaft zu überschreiben. In Ecuador wurde Esther Landetta, eine führende Umwelt- und Frauenrechtsaktivistin, zur Zielscheibe wiederholter Bedrohung und Einschüchterung. Der Grund hierfür war ihre Schlüsselrolle in den erfolgreichen Bemühungen, die Besorgnis der betroffenen Anwohner über die möglichen negativen Folgen irregulärer Bergbauaktivitäten in der Provinz Guayas öffentlich zum Ausdruck zu bringen.

Die Unterdrückung und Einschüchterung von Menschenrechtsverteidigern in der Region mag unterschiedlicher Art gewesen sein, aber ein Aspekt war besorgniserregend gleich: In fast allen von Amnesty International recherchierten Fällen wurden die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen. 2008 kamen etliche Länder dem Ziel, den seit langem zum Schweigen verurteilten Opfern der während der Militärregimes der 1970er und 1980er Jahre begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, um einige Schritte näher.

In Paraguay leistete Präsident Fernando Lugo Méndez öffentlich Abbitte bei den Opfern der unter der Militärregierung von General Alfredo Stroessner begangenen Menschenrechtsverletzungen. Im Dezember veröffentlichte die Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission ihren Bericht und ihre Empfehlungen bezüglich der während der Militärregierung (1954 – 89) und der Zeit des Übergangs zur Demokratie begangenen Menschenrechtsverletzungen. Die Kommission identifizierte mehr als 20000 Opfer und empfahl eine Untersuchung aller Fälle durch den Staatsanwalt.

In Uruguay wurden zahlreiche ehemalige Militärangehörige als Zeugen einbestellt, um gegen General Gregorio Álvarez, den Chef der Militärregierung zwischen 1981 und 1985, und Juan Larcebeau, einen pensionierten Marineoffizier, auszusagen, die des "Verschwindenlassens" von mehr als 30 Personen beschuldigt wurden.

Wegen "Aneignung" der Tochter eines Paares, das 1977 Opfer des "Verschwindenlassens" geworden war, wurden in Argentinien zwei Personen in einem ersten Gerichtsentscheid seiner Art verurteilt und mit Freiheitsstrafen belegt. Der ehemalige Hauptmann der Armee, der das Kind gestohlen und den "Adoptiveltern" übergeben hatte, wurde im April zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Im November erhoben zwei Menschenrechtsorganisationen aus El Salvador vor einem spanischen Gericht Klage gegen El Salvadors ehemaligen Präsidenten, Alfredo Cristiani (1989 – 94), und 14 Militärangehörige im Zusammenhang mit der Ermordung von sechs Jesuitenpriestern, ihrer Wirtschafterin und deren Tochter im Jahr 1989.

Brasilien war eines der wenigen Länder der Region, die sich noch mit den Nachwirkungen, die die Menschenrechtsverstöße der Vergangenheit hinterlassen haben, befassen müssen. Durch die Vernachlässigung der Menschen, die Folter und andere Misshandlungen erdulden mussten, hat Brasilien nicht nur die Menschenrechte dieser Opfer missachtet, sondern auch zu einer festen Verwurzelung von Menschenrechtsverstößen beigetragen.

In Mexiko wurde der 40. Jahrestag des Massakers an Studenten auf dem Tlateloco-Platz in Mexiko-Stadt begangen, ohne dass Fortschritte dabei erzielt worden wären, die Täter einer gerechten Bestrafung zuzuführen.

In anderen, nicht so weit zurückliegenden Fällen gelang es zum Teil, Verantwortliche für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. In Kolumbien wurden zahlreiche Angehörige der Streitkräfte, darunter viele Offiziere, wegen ihrer mutmaßlichen Verstrickung in extralegale Hinrichtungen von Zivilpersonen ihres Amtes enthoben. Die beispiellose Geschwindigkeit, mit der die internationale Gemeinschaft handelte, um eine Untersuchung des Falls der im September getöteten 19 Kleinbauern in Bolivien sicherzustellen, weckte die Hoffnung, dass die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Im Oktober stellte die bolivianische Regierung an die US-Regierung einen Auslieferungsantrag für den ehemaligen Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada und zwei ehemalige Minister. Diese beiden Personen wurden aufgrund ihrer Rolle im Fall der während der Demonstrationen in El Alto im Jahr 2003 getöteten 67 Menschen der Beteiligung am Völkermord beschuldigt.

Nach einer 18-monatigen Untersuchung der Behandlung von Häftlingen in US-Gewahrsam stellte ein Senatskomitee in den USA fest, dass hochrangige Funktionsträger der US-Regierung "Informationen darüber angefordert haben, wie aggressive Methoden anzuwenden sind, Gesetze uminterpretiert haben, um diesen Methoden einen Anschein von Legalität zu geben, und ihre Anwendung bei Häftlingen genehmigt haben". Das Komitee stellte u.a. fest, dass die durch den ehemaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erteilte Genehmigung zur Anwendung aggressiver Techniken in Guantánamo "eine direkte Ursache für die dortige Misshandlung von Häftlingen" war und auch dazu beigetragen hat, dass Personen, die sich in Afghanistan und im Irak in US-Gewahrsam befanden, misshandelt wurden.

Fazit

In der ganzen Region führen Menschenrechtsverteidiger ihre Arbeit für eine Welt fort, in der jeder Mensch in Würde leben kann und in der alle Menschenrechte respektiert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sich Menschenrechtler häufig nicht nur machtvollen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Eliten entgegenstellen, sondern auch gegen die Trägheit und Mitschuld von Regierungen angehen, die ihrer Pflicht, für die Menschenrechte einzutreten und sie zu verteidigen, nicht nachkommen. Menschenrechtsverteidiger zeigen mit ihrem fortgesetzten Engagement, dass diese Rechte untrennbar miteinander verbunden und ein nie versiegender Kraftquell sind, der enormen Mut und große Entschlossenheit spendet.

Schlagworte

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