Amnesty Journal 06. April 2020

Anführerinnen, Kämpferinnen

Junge Frau im Jeanshemd mit Kopftuch und goldenen Ohrringen sitzt auf einer Couch.

Bei der Revolution im Sudan waren Frauen an vorderster Front dabei. Alaa Salah setzt sich dafür ein, dass sie auch in der Regierung ihren Platz finden.

Von Hannah El-Hitami

Als die ersten Demonstrationen im Sudan Ende 2018 begannen, war Alaa Salah eine normale Architekturstudentin in Khartum. Als im April 2019 der langjährige Diktator Omar al-Baschir zurücktrat, war sie zur Ikone der Revolution geworden. Grund war ein Foto, das um die Welt ging: Es zeigt Alaa Salah, die mit großen goldenen Ohrringen und weißem Gewand auf dem Dach eines Autos steht und die Massen vor ihr anfeuert. Sie rezitiert mit lauter Stimme ein Gedicht. "Wir werden nicht schweigen im Angesicht des Tyrannen", heißt es darin, Tausende Stimmen antworten mit "Thawra!" – arabisch für Revolution.

Das Bild verkörpert die starke Präsenz von Frauen in der sudanesischen Revolution. Als "Kandake" wurde Salah bezeichnet, so hießen nubische Königinnen im vorchristlichen Reich Kusch, das dort lag, wo heute der Sudan ist. "Kandake" waren Anführerinnen und Kämpferinnen.

"Wenn etwas passiert, dann passiert es uns allen"

Auch in Salahs Erinnerungen an die Revolutionstage spielen Frauen die Hauptrolle. Immerhin war ihre Rolle in Sudans Gesellschaft bis dahin von Gesetzen geprägt, die sie aus dem öffentlichen Raum verdrängten und ihre Freiheit beschnitten. "Als es auf einer der Demos gefährlich wurde, riefen die Männer: 'Alle Frauen sollen nach hinten gehen!'", erzählt Salah bei einem Besuch in Berlin im Februar. "Wir aber sagten: Nein, die Frauen stehen ganz vorne! Wenn etwas passiert, dann passiert es uns allen. Wir sind schließlich gemeinsam losgegangen." Die 23-jährige Studentin redet schnell, als wolle sie alle Erfahrungen und Erinnerungen der Revolution in kürzester Zeit an so viele Menschen wie möglich weitergeben.

Wandel kommt nur langsam in Gang

"Es gibt nichts Wichtigeres als Frauenrechte", glaubt Salah. Sie gehörten zu den grundlegendsten Faktoren für einen Wandel, auch wenn sie immer nach hinten geschoben würden – so wie auch jetzt im Sudan. Zwar hat sich die Lage der Frauen seit der Revolution verbessert. Im November wurde das sogenannte Gesetz zur öffentlichen Ordnung abgeschafft, das Verhalten und Bekleidung von Frauen in der Öffentlichkeit strikt regelte, bei Verstößen drohten Peitschenhiebe. Aber in der Übergangsregierung von Premierminister Abdallah Hamdok gibt es nur vier Ministerinnen – das entspricht nur einem Fünftel des Kabinetts. Als über die Regierung verhandelt wurde, forderten Frauenrechtsorganisationen, dass 50 Prozent der Positionen von Frauen besetzt werden, jedoch ohne Erfolg.

Salah will das ändern, darum engagiert sie sich bei Mansam. Diese Allianz der zivilgesellschaftlichen und politischen Frauengruppen Sudans kämpft für die politischen und gesellschaftlichen Rechte von Frauen. "Wenn Frauenrechte durchgesetzt werden, hat das einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft", glaubt Salah. Sie hat sich inzwischen in ihre Rolle als Botschafterin des politischen Wandels im Sudan eingefunden. Im Oktober sprach sie sogar als Vertreterin der sudanesischen Zivilgesellschaft vor dem UN-Sicherheitsrat.

Al-Baschir nach Den Haag?

Dort betonte sie, wie wichtig es sei, die Verantwortlichen des alten Regimes zur Rechenschaft zu ziehen. Gegen Al-Baschir, der das Land nach einem Militärputsch 30 Jahre lang repressiv regierte, wurde schon 2009 ein internationaler Haftbefehl verhängt. Ihm werden Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Krieges in Darfur vorgeworfen.  Nun kommt noch die Gewalt gegen Demonstrierende hinzu. Dafür müsse er vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden, fordert Salah. Ob das passieren wird oder er vor ein nationales Gericht gestellt wird, diskutiert die neue Führung im Sudan derzeit. Bis dahin bleibt der Ex-Diktator in Khartum inhaftiert.

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