Amnesty Journal Afghanistan 28. August 2019

"Ich will nicht in einem Land leben, in dem man Wände nicht bemalen darf"

Eine Frau mit Kopftuch vor einer bunt bemalten Wand.

Die Künstlerin Negima Azimi.

Negima Azimi (21) will in Kabul für Frieden werben - mit Graffiti auf Betonmauern.

Protokoll: Theresa Breuer

Malen war schon immer meine Leidenschaft. Aber dass man mit Kunst etwas verändern kann, ist mir erst vor zwei Jahren bewusst geworden. Damals habe ich eine Gruppe von Graffiti-Künstlern beobachtet, die eine Betonmauer an der Universität Kabul bemalte. Sie zeichneten eine Landkarte von Afghanistan, umrissen von Bäumen und Vögeln. Darunter stand: "Stifte statt Waffen".

Ich habe sie angesprochen und gefragt, ob ich mitmachen darf. Seitdem bin ich fest bei der Gruppe Artlords dabei. Wir sind 45 Leute, darunter 15 Mädchen. Unser Ziel ist es, Menschen zum Frieden zu ermutigen.

Kabul ist voller Mauern. Sie sollen Gebäude und Menschen vor Anschlägen schützen. Tatsächlich sieht die Stadt aber aus wie ein riesiges Gefängnis. Wir wollen das Erscheinungsbild von Kabul verschönern. Etwas Farbe kann da schon helfen. Und wir hoffen, dass sich unsere Botschaften auf die Moral der Menschen auswirken.

Wir malen Projekte, die wir unterstützen. Unsere Ideen entstehen im Team. Zweimal in der Woche treffen wir uns. Wir reden über die Themen, die uns beschäftigen und überlegen, wie man sie künstlerisch umsetzen kann. Frieden, Einheit und Fortschritt sind uns besonders wichtig. Ich habe zum Beispiel das erste weibliche Robotik-Team an die Mauern der amerikanischen Botschaft gemalt. Die jungen Afghaninnen haben mit ihrer Arbeit schon internationale Wettbewerbe gewonnen. Das hat mir Hoffnung gemacht. Wenn man jungen Frauen Möglichkeiten eröffnet, können sie sich beweisen. Wir müssen sehr hart arbeiten, dass die Gesellschaft unsere Fähigkeiten anerkennt. Das ist nicht immer einfach. Es erfordert Mut. Auch mich haben am Anfang Freunde gefragt: "Du arbeitest auf der Straße, ist das nicht gefährlich für dich?"

Beim ersten Mal war ich tatsächlich fürchterlich aufgeregt. In Kabul läuft man immer Gefahr, Opfer von Radikalen zu werden, denen Aktionen wie unsere missfallen. Aber irgendwann verlor ich meine Angst und spürte etwas Neues: Verantwortungsbewusstsein. Ich war verantwortlich für Botschaften, die ich der Gesellschaft nahebringen wollte. Man muss erst die Gedanken der Menschen ändern, bevor sich eine Gesellschaft verändern kann.

Am Anfang sind wir oft beschimpft worden. Meistens von Männern. "Schau dir die Maler an", haben sie abfällig kommentiert. Ich habe sie ignoriert. Inzwischen kennen und ermutigen uns die Menschen. "Wir sind stolz auf euch", sagen sie, und: "Weiter so!".

Dass jetzt darüber diskutiert wird, ob die Taliban wieder am politischen Prozess teilnehmen dürfen, macht mir Angst. Ich bin mir sicher, dass sie keinen Frieden wollen. Je mehr Macht man ihnen gibt, desto mehr Macht werden sie an sich reißen. Ich kann mich nicht mehr an die Taliban-Herrschaft erinnern. Aber meine Mutter hat mir erzählt, wie schlimm die Zeit für sie war. Sie durfte kaum aus dem Haus gehen. Sich öffentlich zu äußern, war undenkbar.

Ich will nicht in einem Land leben, in dem ich nicht mehr die Wände bemalen darf. Meine Zeichnungen sind meine Art, mich auszudrücken. Ich fürchte mich davor, dass meine Stimme unterdrückt werden könnte.

 

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